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Positive Wirkung von Digitoxin bei Herzinsuffizienz

Multizentrische MHH-Studie DIGIT-HF weist deutlich positive Wirkung von Digitoxin bei Herzinsuffizienz nach. Ergebnisse aus zehn Jahren Forschung mit mehr als 1200 Teilnehmenden haben die Sicherheit und Wirksamkeit des Herzglykosides bei Menschen mit HFrEF-Diagnose eindeutig bestätigt.

Seit mehr als 200 Jahren wird Digitalis aus den Blättern des roten Fingerhuts zur Behandlung der Herzschwäche eingesetzt. Zu dieser Wirkstoffgruppe der Herzglykoside zählt auch das Medikament Digitoxin. Auch wenn es Hinweise für den Nutzen von Digitalis bei Herzschwäche gab, ist es erst jetzt wissenschaftlich einwandfrei erwiesen, dass Digitoxin einen deutlich positiven Effekt bei einer Herzschwäche aufgrund einer verminderten Pumpfunktion und einer unzureichenden Entleerung der linken Herzkammer hat – in der Fachsprache HFrEF (Heart Failure with Reduced Ejection Fraction) genannt. Zehn Jahre lang haben Forschende um Professor Dr. Johann Bauersachs, Direktor der Klinik für Kardiologie und Angiologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), und Oberarzt Professor Dr. Udo Bavendiek in einer klinischen Studie mit mehr als 1200 Teilnehmenden den Wirkstoff gründlich auf seine Sicherheit und Wirksamkeit hin untersucht.

Nun ist die von ihnen koordinierte, großangelegte DIGIT-HF-Studie, an der über 50 Zentren in Deutschland, Österreich und Serbien beteiligt waren, abgeschlossen und liefert ein eindeutiges Ergebnis: Eine Zusatztherapie mit Digitoxin verringert bei Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittener HFrEF die Sterblichkeit und die Anzahl der Krankenhausaufenthalte wegen Herzinsuffizienz. Die Ergebnisse sind im „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht worden, einer der weltweit führenden medizinischen Fachzeitschriften. Zeitgleich wurden sie Ende August 2025 auf dem Kongress der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie in Madrid in der sogenannten Hot Line-Session vorgestellt, wo neue klinische Studien präsentiert werden, die bedeutende Veränderungen für die Behandlungsergebnisse von Patienten versprechen.

Bisher kein Wirknachweis nach wissenschaftlichen Standards

Unser Herz ist ein Hochleistungsmotor. Etwa 70-mal schlägt es pro Minute und pumpt in dieser Zeit rund fünf Liter Blut durch unsere Gefäße. Dabei versorgt es den Körper mit lebenswichtigem Sauerstoff und mit Nährstoffen. Ist diese Pumpleistung dauerhaft vermindert, spricht die Medizin von chronischer Herzschwäche oder Herzinsuffizienz. In Deutschland sind etwa vier Millionen Menschen betroffen. Atemnot, geringe Belastbarkeit, Wassereinlagerungen bis hin zur Unbeweglichkeit und schwere Rhythmusstörungen sind die Folge. Die Erkrankung ist eine der häufigsten Ursachen dafür, dass Menschen ins Krankenhaus eingewiesen werden müssen oder sogar an den Folgen sterben. Noch bis etwa 2020 standen Digitalis-Präparate auf der Produktionsliste großer Pharmakonzerne. Aktuell wird Digitoxin nur noch als Nachahmerpräparat, als sogenanntes Generikum, produziert. „Es ist aber in Deutschland weiterhin das am häufigsten verwendete Digitalispräparat – bisher allerdings ohne einen wissenschaftlich erwiesenen Wirknachweis“, stellt Professor Bavendiek fest.

Einsatz auch bei gestörter Nierenfunktion

Der ist nun erbracht. „In der DIGIT-HF-Studie haben wir Patientinnen und Patienten untersucht, bei denen die üblichen Therapien ausgereizt sind“, sagt Professor Bauersachs. „Dass wir bei diesen sehr gut vorbehandelten Studienteilnehmenden mit der Digitoxin-Zusatzbehandlung eine so deutliche Verbesserung erzielen konnten, hat uns selbst überrascht.“ Zu den üblichen Medikamenten bei Herzinsuffizienz gehören etwa Beta-Blocker und Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems, die überschießend aktivierte Hormonkaskaden hemmen und so das Herz entlasten, sowie entwässernde Mittel (Diuretika). Gegen akute Rhythmusstörungen helfen zudem Defibrillatoren, die als Implantat in den Körper der Patienten eingesetzt werden. Seit 2021 werden in Deutschland auch sogenannte SGLT-2-Hemmer eingesetzt, die ursprünglich zur Behandlung von Typ-2-Diabetes zugelassen wurden, aber auch bei allen Formen der Herzinsuffizienz positive Effekte entfalten. Dank der DIGIT-HF-Studie könnte Digitoxin nun eine weitere feste Säule bei der Behandlung von Menschen mit HFrEF-Diagnose werden.

Bisherige klinische Studien wurden nahezu ausschließlich mit dem ebenfalls zu den Herzglykosiden gehörenden Wirkstoff Digoxin durchgeführt. Der Einsatz von Digoxin ist aber bei einer gestörten Nierenfunktion – dies ist bei Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz häufig der Fall – nur begrenzt möglich, da es nahezu ausschließlich über die Niere ausgeschieden wird. „Bei Digitoxin liegt der Fall jedoch anders“, erklärt Professor Bavendiek. Denn Digitoxin wird bei einer gestörten Nierenfunktion entsprechend vermehrt über Leber und Darm ausgeschieden. Das bereits zugelassene Medikament ist somit auch für vorbelastete Patienten mit Nierenschwäche gut einsetzbar.

Sicher und kostengünstig

Zudem konnten die Ergebnisse der DIGIT-HF-Studie die Befürchtung entkräften, Digitoxin sei für bestimmte Patientengruppen mit Herzschwäche gefährlich und könne zum Tod führen. „Richtig dosiert ist Digitoxin eine sichere Therapie bei Herzinsuffizienz und eignet sich auch zur Frequenzkontrolle bei Vorhofflimmern, wenn Beta-Blocker allein nicht ausreichen“, betont Professor Bavendiek. Ein weiterer Vorteil des Medikaments klingt banal, ist aber angesichts steigender Kosten im Gesundheitssystem durchaus interessant: Digitoxin ist ein Centartikel und drastisch günstiger als andere Medikamente gegen Herzinsuffizienz. Basierend auf den bisherigen Studiendaten haben die Herzspezialisten bereits Empfehlungen für eine einfache und sichere Dosierung erarbeitet. Während früher oft 0,1 Milligramm Digitoxin verordnet wurden, liegen die aktuellen Empfehlungen bei 0,07 Milligramm pro Tag oder sogar noch weniger. Die DIGIT-HF-Studie konnte zeigen, dass bei dieser Dosierung ohne Sicherheitsprobleme Sterblichkeit und Krankenhausaufnahmen wegen Herzinsuffizienz vermindert wurden.

Über DIGIT-HF

Die DIGIT-HF-Studie ist eine multizentrische und internationale klinische Studie unter der Leitung der Klinik für Kardiologie und Angiologie der MHH mit Beteiligung des Instituts für Biometrie, des Instituts für Klinische Pharmakologie sowie des Zentrums für Klinische Studien (ZKS) und in Kooperation mit Kliniken aus Deutschland, Österreich und Serbien. Sie startete 2015 und wurde finanziell unterstützt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF, heute: Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt, BMFTR), der Braukmann-Wittenberg-Herz-Stiftung und der Deutschen Herzstiftung mit insgesamt rund sieben Millionen Euro.

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Weitere Informationen erhalten Sie bei Prof. Dr. Udo Bavendiek, Bavendiek.Udo@mh-hannover.de, Telefon (0511) 532-2229 und Prof. Dr. Johann Bauersachs, Bauersachs.Johann@mh-hannover.de, Telefon (0511) 532-3841.

Originalpublikation:
https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2415471

Schlaf Check Hausaerzte

Feldstudie im Projekt »SchlafCheck« erprobt digitale Schlafanamnese

Schlafprobleme können langfristig zu ernsthaften Gesundheitsproblemen führen. Dennoch bleiben sie oft unbehandelt. Das Projekt »SchlafCheck« beschäftigte sich rund zwei Jahre lang mit der Frage, wie die schlafmedizinische Versorgung über die hausärztliche Vorsorge verbessert werden könnte. Mit rund 60 ProbandInnen und fünf Hausarztpraxen in und um Oldenburg wurde der Einsatz eines mobilen Schlafmonitoringsystems erprobt. Die technische und praktische Umsetzung inklusive Datenanalyse übernahm das Fraunhofer IDMT in Oldenburg. Die Universitätsmedizin Oldenburg brachte ihre medizinische Expertise ein.

Wenn Sie schlecht schlafen, sind Sie nicht allein. Rund zehn Prozent der Menschen in Deutschland leiden unter chronischen Ein- und Durchschlafstörungen. Ein langfristig schlechter Schlaf mindert nicht nur die Lebensqualität, sondern erhöht auch das Risiko für nachgelagerte Erkrankungen, insbesondere im Bereich des Herz-Kreislaufsystems. Trotzdem bleiben Schlafprobleme bei vielen Menschen unbehandelt, u.a. weil die Schlafmedizin nicht in allen klinischen Bereichen ausreichend vertreten ist. Hausarztpraxen können als erste Anlaufstelle im Gesundheitssystem über eine Schlafanamnese und Hinweise zur Schlafhygiene hinaus keine tiefergehenden schlafdiagnostischen Untersuchungen durchführen. Und: Wenn Patientinnen und Patienten an Schlaflabore verwiesen werden, ist dies oftmals mit langen Wartezeiten verbunden. »Es fehlt in der Primärversorgung an niederschwelligen Möglichkeiten, um eine objektive Ersteinschätzung von Schlafproblemen zu erhalten. Ein mobiles Gerät, ähnlich einem Langzeit-EKG oder einer Langzeitblutdruckmessung, könnte wertvolle Schlafdaten aus der heimischen Umgebung der Patientinnen und Patienten liefern und eine Erstdiagnose beschleunigen«, erklärt Dr. med. Markus Ennen, Allgemeinmediziner aus Oldenburg. Er ist einer von fünf Hausärztinnen und -ärzten, die am Forschungsprojekt »SchlafCheck« beteiligt waren.

Das Projektkonsortium, bestehend aus dem Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie IDMT und der Universität Oldenburg, sieht großes Potenzial in einer durch Hausarztpraxen begleiteten Schlafdiagnostik im heimischen Umfeld, um die unzureichende Versorgung von Menschen in Deutschland mit Schlafproblemen zu verbessern und das Risiko von Folgeerkrankungen zu senken.

Feldstudie in hausärztlichen Praxen

Für eine detaillierte Analyse von Schlafproblemen werden u. a. Informationen über die Schlafphasen und Schlafqualität der Betroffenen benötigt. Dafür werden in Schlaflaboren Hirnaktivitäten in Form eines Elektroenzephalogramms (EEG) sowie weitere Vitaldaten erfasst und analysiert. In der Feldstudie im Rahmen des Projekts »SchlafCheck« wurden hausärztliche Praxen mit digitalen Sensorgeräten für ein mobiles Schlafmonitoring versorgt. Dadurch sollte eine Implementierung im Praxisalltag erprobt werden, um wichtige Erkenntnisse für die weitere Forschung und Entwicklung zu sammeln.

»Perspektivisch könnten durch mobile Geräte Schlafuntersuchungen im Verdachtsfall in regelmäßige Check-Ups integriert werden. Hausärztinnen und -ärzte könnten Probleme früher erkennen und notwendige Behandlungsschritte ableiten, von Empfehlungen zur Schlafhygiene bis hin zur begründeten Überweisung an eine Facheinrichtung für Schlafdiagnostik«, erklärt Dr. Wiebke Pätzold, Projektleiterin aus der Gruppe »Mobile Neurotechnologien« am Fraunhofer IDMT.

Rund 60 Probandinnen und Probanden mit Ein- und Durchschlafstörungen nahmen an der Studie teil. Sie erhielten jeweils ein kommerziell erhältliches mobiles Sensorsystem von ihrer Hausarztpraxis, das sie in der heimischen Umgebung in Kombination mit einem Fragebogen und Schlaftagebuch nutzten. Die Studienteilnehmenden waren zum überwiegenden Teil gut in der Lage, nach Anleitung eine Messung selbstständig zu starten. In einigen Fällen stellte sich die ungewohnte Platzierung von Sensoren auf der Haut als herausfordernd dar, weshalb in Abschlussinterviews mit den Ärztinnen und Ärzten eine vereinfachte Bedienbarkeit und Möglichkeiten für das Anbringen in der Praxis diskutiert wurden.

Erkenntnisgewinn für die weitere Forschung und Entwicklung

Die Einblicke in die Abläufe und diagnostischen Möglichkeiten der hausärztlichen Praxen zeigten einen grundlegenden Bedarf in der schlafmedizinischen Versorgung auf. »Für das Projekt konnten wir schnell geeignete Partner im großen Lehrpraxennetzwerk der Universitätsmedizin Oldenburg finden. Der direkte Austausch mit den Praxisteams machte Möglichkeiten und Herausforderungen bei der Implementierung digitaler Schlafmonitoringsysteme sichtbar«, erklären Marianne Timper und Prof. Dr. Michael Freitag aus der Abteilung Allgemeinmedizin im Department für Versorgungsforschung an der Universität Oldenburg.

Die Forschungsgruppe »Mobile Neurotechnologien« am Fraunhofer IDMT wird die Projektergebnisse in weitere Entwicklungsprojekte einbringen und verfolgt damit das Ziel, neurophysiologische Messungen aus dem Labor oder der Spezialklinik in den Alltag und damit auch in die allgemeinmedizinische Primärversorgung zu bringen. Die Forschenden entwickeln aktuell ein eigenes Sensorsystem zur mobilen EEG-Aufzeichnung (https://www.idmt.fraunhofer.de/de/institute/projects-products/projects/SleepWell...), das sie derzeit im täglichen Langzeiteinsatz erproben.

Das Projekt »Schlafcheck« wurde im Frühjahr 2025 abgeschlossen und vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) mit rund 300.000,00 EUR gefördert.

Hör-, Sprach- und Audiotechnologie HSA am Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie IDMT in Oldenburg

Der im Jahre 2008 unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. Birger Kollmeier und Dr. Jens-E. Appell gegründete Institutsteil Hör-, Sprach- und Audiotechnologie HSA des Fraunhofer-Instituts für Digitale Medientechnologie IDMT steht für marktnahe Forschung und Entwicklung mit Schwerpunkten auf
- Sprach- und Ereigniserkennung
- Klangqualität und Sprachverständlichkeit sowie
- Mobile Neurotechnologie und Systeme für eine vernetzte Gesundheitsversorgung.
Mit eigener Kompetenz in der Entwicklung von Hard- und Softwaresystemen für Audiosystemtechnologie und Signalverbesserung setzen die Mitarbeitenden am Standort Oldenburg wissenschaftliche Erkenntnisse in kundengerechte, praxisnahe Lösungen um.
Über wissenschaftliche Kooperationen ist der Institutsteil eng mit der Carl von Ossietzky Universität, der Jade Hochschule und der Hochschule Emden/Leer verbunden. Das Fraunhofer IDMT ist Partner im Exzellenzcluster »Hearing4all« und im Sonderforschungsbereich »Hörakustik«.
Weitere Informationen auf www.idmt.fraunhofer.de/hsa.

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Christian Colmer
Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie IDMT
Institutsteil Hör-, Sprach- und Audiotechnologie HSA
Marie-Curie-Str. 2 | 26129 Oldenburg
Telefon +49 441 80097-312 | E-Mail christian.colmer@idmt.fraunhofer.de
www.idmt.fraunhofer.de/hsa
Weitere Informationen finden Sie unter
https://www.idmt.fraunhofer.de/hsa

Titan Implantaten

Was passiert mit Titan-Implantaten im Körper? Warum werden sie manchmal abgestossen oder brechen sogar? Die Empa-Forscherin Martina Cihova sucht die Antworten auf diese Fragen an der Grenzfläche zwischen dem Implantat und dem Körper, zwischen Materialwissenschaft und Medizin. Für ihr Forschungsvorhaben hat sie vor Kurzem einen «Ambizione-Grant» des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) erhalten.

Dank medizinischen Fortschritten leben wir Menschen immer länger. Dabei wollen wir – verständlicherweise – bis ins hohe Alter gesund und mobil bleiben. Implantate und Prothesen ersetzen «abgenutzte» Gelenke und Zähne, stoppen Schmerzen und erhöhen die Lebensqualität. Moderne medizinische Implantate sind kleine Wunderwerke der Biomaterial- und der Bioingenieurskunst zugleich. Dennoch kommt es gelegentlich zum Versagen von Implantaten, was schwerwiegende Folgen für die Patientinnen und Patienten haben kann.

Warum kommt es zu diesen Versagen – und warum nehmen sie in den letzten Jahren eher zu als ab? Die Empa-Forscherin Martina Cihova aus dem Labor «Fügetechnologie und Korrosion» will Antworten auf diese Fragen finden. Dafür nimmt sie das Verhalten von Implantaten im Körper unter die Lupe – oder, genauer gesagt, unter das Mikroskop. Für ihr Forschungsvorhaben hat die Wissenschaftlerin einen vierjährigen «Ambizione-Grant» des Schweizerischen Nationalfonds erhalten.

Viele Implantate – darunter künstliche Gelenke, Zahnimplantate und Herzschrittmacher – bestehen aus Titan. Dieses Übergangsmetall ist leicht und stabil, ist im Körper sehr beständig und lässt Knochen besonders gut anwachsen. Für diese Eigenschaften ist eine dünne Oxidschicht verantwortlich, die sich bei Kontakt mit Luft an der Titanoberfläche bildet. So ist es schliesslich nicht das Titan selbst, sondern die schützende Schicht an der Oberfläche der Implantate, die in Kontakt mit dem Körper kommt. «Da diese natürliche Passivschicht weniger als zehn Nanometer dick ist, wird sie in der Medizintechnologie und Forschung oft zu wenig beachtet», so Martina Cihova.

Hinzu kommt, dass manche Hersteller die Oxidschicht verändern, etwa verdicken, um unterschiedlichen Implantatgrössen oder -modellen eine Farbcodierung zu verleihen und den Ärztinnen und Ärzten so die Arbeit zu erleichtern. Andere rauen die Oberfläche der Implantate auf, damit der Knochen besser anwachsen kann – oder gravieren mit einem Laser die Seriennummer ein. Auch 3D-Druck von patientenspezifischen Implantaten ist heute mittels Laserverfahren möglich. Alles sinnvolle Anwendungen, nur: «Jegliche Oberflächenbehandlung kann die Titanoxide an der Oberfläche verändern», weiss Cihova, «und es ist zu wenig erforscht, was das für die Interaktion des Implantats mit dem Körper und für seine Korrosionsbeständigkeit bedeutet.»

Forschung an der Grenze

Diese Wissenslücke will die Empa-Forscherin mit ihrem Projekt schliessen. Schon als Bioingenieur-Studentin begeisterte sich Cihova für Materialwissenschaften. Daher schlug sie für ihr Doktorat einen neuen Weg ein – die Metallurgie –, um ihr Interesse an Materialien weiter zu vertiefen. Nun bringt sie ihre Expertise in den beiden Gebieten zusammen und richtet sie genau auf die Stelle, wo Metall, beziehungsweise Metalloxide, und Biologie aufeinandertreffen: die Grenzfläche zwischen Implantat und menschlichem Körper.

«Solche Biogrenzflächen sind hochkomplex, aber auch äusserst interessant», sagt die Jungforscherin. «Wenn man an Korrosion denkt, dann denkt man an salziges Meerwasser, feuchte Luft, vielleicht das rostige Velo – aber nicht an den menschlichen Körper.» Dabei kann gerade der eine durchaus überraschend aggressive Umgebung sein, insbesondere, wenn Immunreaktionen stattfinden. Immunzellen geben diverse Stoffe ab, die unter anderem den pH-Wert senken und das Implantat angreifen können. Was macht der Körper also mit Materialien, die wir als stabil ansehen? Genau hier setzt die Forschung zur Biokorrosion an.

Diese Vorgänge sind auf (elektro-)chemischer und biologischer Ebene sehr komplex. Dazu kommt, dass Titanoxid eben nicht gleich Titanoxid ist. Es kann drei unterschiedliche kristalline Formen annehmen – alle mit der gleichen chemischen Zusammensetzung, TiO2, – oder amorph, sozusagen strukturell «undefiniert», vorliegen. All diese Formen unterscheiden sich in ihren elektronischen und elektrochemischen Eigenschaften und somit potenziell auch in ihren Wechselwirkungen mit dem Körper.

Komplexität kontrolliert steigern

Die Oberflächenbehandlung von Implantaten kann die Kristallformen der Oxide verändern, entweder am gesamten Implantat oder nur punktuell. Um die Auswirkungen insbesondere dieser lokalen Heterogenität auf die ohnehin komplexe Biogrenzfläche zu verstehen, braucht es ein strukturiertes Vorgehen. Zunächst stellen Cihova und ihr Team in Zusammenarbeit mit den Empa-Experten für Laserverarbeitung von Metallen in Thun Mustersubstrate mit unterschiedlich strukturierten Titanoxidschichten her, die in ihrer Heterogenität systematisch variieren. Diese Substrate werden dann sukzessive immer komplexeren Körperflüssigkeiten ausgesetzt, um die fundamentalen Zusammenhänge von Struktur, Eigenschaften und Reaktivität der Oxide zu untersuchen.

«Wir beginnen mit simulierten physiologischen Flüssigkeiten, die lediglich Wasser und Ionen enthalten», erklärt Cihova. In einem nächsten Schritt kommen Proteine hinzu, etwa das an der Immunantwort und der Wundheilung beteiligte Fibrinogen. Schliesslich planen die Forschenden zu untersuchen, wie sich die Biogrenzfläche in Kontakt mit lebenden Makrophagen-Zellen – der «Polizei des Körpers» – verhält. Dafür arbeiten sie mit Empa-Forschenden in St. Gallen zusammen. «Ich freue mich sehr, dass wir für dieses Projekt Kolleginnen und Kollegen aller drei Empa-Standorte begeistern konnten», sagt Cihova. «Das ermöglicht es uns, solche komplexen Fragestellungen interdisziplinär anzugehen.»

Bei jedem dieser Schritte werden die Grenzflächen «auf Herz und Nieren» untersucht, mittels elektrochemischer Methoden gepaart mit hochauflösender Elektronen- und Rasterkraftmikroskopie. «Sehen heisst Verstehen – auch, wenn das heisst, auf eine Grössenskala zu schauen, die weit kleiner ist als eine menschliche Zelle», sagt Cihova. «Gerade dort lassen sich oft entscheidende Details entdecken.»

Die Empa-Forscherin hofft, dass die Erkenntnisse aus den nächsten Jahren zu sichereren und stabileren Implantaten führen. Und auch, «dass wir mehr darüber lernen, wie sich die faszinierende Bandbreite von Oxideigenschaften gezielt in der Biomedizin nutzen lässt.» Im Anschluss an ihr «Ambizione»-Projekt 2028 will sie die neuen Methoden auch auf andere medizinische Materialien ausweiten. In Zukunft, ist Cihova überzeugt, wird das Forschungsgebiet noch mehr an Bedeutung gewinnen: «Auch in den aufstrebenden Bereichen der Nanomedizin oder der implantierbaren Sensorik ist das Verhalten von Metalloxiden an Biogrenzflächen für deren Performance zentral.»

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Dr. Martina Cihova
Fügetechnologie und Korrosion
Tel. +41 58 765 43 88
martina.cihova@empa.ch
Weitere Informationen finden Sie unter
Empa-Homepage

Blut jens Erkrankungen und Infektionen

Menschen mit Blutkrebserkrankungen haben durch die Krankheit selbst und die Therapie ein geschwächtes Immunsystem, was zu einer erhöhten Infektanfälligkeit führt. 

In einer überarbeiteten Leitlinie fassen Expert*innen die Erkenntnisse der vergangenen zehn Jahre über alle Viren zusammen, die Atemwegsinfekte verursachen: Wie gefährlich sind sie im Einzelnen? Wie werden sie diagnostiziert? Sind Hygienemaßnahmen erforderlich? Welche Therapie- und Impfstrategien gibt es?

Prof. Dr. Marie von Lilienfeld-Toal vom Institut für Diversitätsmedizin der Ruhr-Universität Bochum ist Erstautorin der Empfehlungen der europäischen Konferenz zu Infektionen bei Leukämie (ECIL) zu Diagnose, Prävention und Behandlung von ambulant erworbenen respiratorischen Virusinfektionen (CARV), die am 27. August 2025 im Journal „The Lancet Infectious Diseases“ veröffentlicht werden.

Infektionen verlaufen gefährlicher

„Besonders in der ersten Phase der Krankheit beziehungsweise während und nach stark immunsuppressiven Therapien, etwa nach eine Stammzelltransplantation, sind Patientinnen und Patienten mit Blutkrebs sehr anfällig für Atemwegsinfekte“, sagt Marie von Lilienfeld-Toal.

 „Viele Infekte, die ansonsten gesunde Menschen als banal erleben, verlaufen bei dieser Gruppe gefährlicher. Eine Influenza-Infektion verläuft zum Beispiel in zehn Prozent der Fälle tödlich, und die Menschen scheiden das Virus auch länger aus.“ Bei Sars-Cov-2 zeigte sich das erhöhte Risiko ebenfalls deutlich, und Patient*innen waren auch durch Impfungen schlechter geschützt. Je nach Therapie sind Betroffene über die Dauer von etwa einem Jahr besonders infektanfällig.

Für die Überarbeitung der Leitlinie analysierte das Team aktuelle Fachliteratur aus den Jahren 2014 bis 2024. Eingeflossen sind Publikationen zu Adenovirus, Bocavirus, Coronavirus, Influenzavirus, Metapneumovirus, Parainfluenzavirus, Respiratory Syncytial Virus und Rhinovirus bei Patientinnen und Patienten mit hämatologischen Malignomen (Blutkrebs, HM) und/oder hämatopoetischer Zelltransplantation. „In den aktuellen Empfehlungen skizzieren wir ein gemeinsames Vorgehen zur Kontrolle solcher Infektionen, zur Labordiagnostik einschließlich Sars-CoV-2 sowie spezifische Strategien zur Infektkontrolle für Atemwegsinfekte außer Sars-CoV-2“, fasst Marie von Lilienfeld-Toal zusammen.

Impfstoffe und besondere Empfehlungen für kleine Kinder

Zur Vorbeugung werden für Influenzaviren saisonale inaktivierte Impfstoffe und frühzeitige antivirale Therapien empfohlen, während die Expert*innen eine generelle antivirale Prophylaxe nicht befürworten. 

Für das Respiratory Syncytial Virus (RSV) können zugelassene Impfstoffe je nach lokaler Zulassung in Betracht gezogen werden, auch wenn die Evidenzlage bei Blutkrebs-Patient*innen begrenzt ist. Eine passive Immunisierung mit Palivizumab oder Nirsevimab wird für Kinder unter zwei Jahren empfohlen, jedoch gibt es unzureichende Daten zur prä- oder postexpositionellen Prophylaxe oder Behandlung älterer Kinder oder erwachsener Patient*innen. Bei Patient*innen, die nach einer Stammzelltransplantation ein ausgeprägtes Immundefizit haben, empfiehlt die Leitlinie die Gabe des Wirkstoffs Ribavirin und/oder intravenöse Immunglobuline.

Für andere Atemwegsinfekte stehen lediglich unterstützende Maßnahmen zur Verfügung, die die Immunfunktion verbessern und den Antikörpermangel korrigieren. Dazu gehört auch, die Gabe von kortisonhaltigen Medikamenten möglichst zu reduzieren. „Evidenzlücken bestehen vor allem in den Bereichen Immunisierung und antiviralen Therapien“, sagt Marie von Lilienfeld-Toal.

Empfehlungen an Behandelnde, Angehörige und Patient*innen

Die Empfehlungen sind für alle relevant, die Menschen mit Blutkrebs behandeln. 

Da virale Atemwegsinfektionen oft aus der Umwelt kommen, ist dies nicht nur in der spezialisierten Klinik relevant, sondern auch in Ambulanzen und hausärztlichen Praxen.

 Auch pflegende Angehörige können von diesen Informationen profitieren und nicht zuletzt Menschen mit Blutkrebs selbst, die solche Informationen meistens in aufgearbeiteter Form von ihren Behandlern bekommen.

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Prof. Dr. Marie von Lilienfeld-Toal
Institut für Diversitätsmedizin
Ruhr-Universität Bochum
Tel.: +49 234 32 12385
E-Mail: marie.vonlilienfeld-toal@ruhr-uni-bochum.de

Originalpublikation:
Marie von Lilienfeld-Toal et al.: Community-acquired Respiratory Virus Infections in Patients with Haematological Malignancies or Haematopoietic Cell Transplantation: Updated Recommendations From the 10th European Conference on Infections in Leukaemia (ECIL-10), in: The Lancet Infectious Diseases, 2025, DOI: 10.1016/S1473-3099(25)00365-2, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1473309925003652?via%3Dihub

Nikotinbeutel

Immer mehr Kinder und Jugendliche in Deutschland greifen zu Nikotinbeuteln, kleinen, weißen Päckchen mit hochkonzentriertem Nikotin, die diskret im Mund getragen werden. Obwohl diese Produkte in Deutschland nicht legal verkauft werden dürfen, sind sie für viele Jugendliche leicht zugänglich. Die Stiftung Kindergesundheit warnt eindringlich vor den gesundheitlichen Risiken und dem hohen Suchtpotenzial dieser vermeintlich harmlosen Beutel.

Nikotinbeutel, auch als „Pouches“ oder „Snus“ bekannt, sind kleine, weiße Beutelchen, die zwischen Zahnfleisch und Oberlippe gelegt werden. Dort wird das enthaltene Nikotin über die Mundschleimhaut aufgenommen – schnell, diskret und wirksam. Optisch ähneln sie dem sogenannten Snus, einem oralen Tabakprodukt aus Schweden. Während Snus kleine Beutel mit Tabak und Nikotin enthält und in der EU (außer in Schweden) verboten ist, kommen die neuen Nikotinbeutel ohne Tabak aus. Stattdessen enthalten sie ein Pulver aus Nikotinsalzen, Aromen und Trägerstoffen, das über die Mundschleimhaut aufgenommen wird. Seit 2021 gelten sie in Deutschland als Lebensmittel und dürfen wegen ihres hohen Nikotingehalts nicht legal verkauft werden. Dennoch gelangen sie weiterhin über Kioske, Online-Shops oder den privaten Handel an Jugendliche.

Ein wachsender Trend – auch an deutschen Schulen

Laut einer aktuellen Auswertung des Präventionsradars 2022/2023, einer schulbasierten Studie mit über 12.000 Schülerinnen und Schülern der Klassen 5 bis 10, haben bereits 5.4 % der befragten Kinder und Jugendlichen mindestens einmal einen Nikotinbeutel konsumiert – 6.3 % der Jungen und 3.5 % der Mädchen. Besonders auffällig: Im Alter von 16 bis 17 Jahren liegt die Lebenszeitprävalenz bereits bei 15.2 % der Jungen und 10.3 % der Mädchen. Nikotinbeutel sind damit kein Randphänomen mehr, trotz der Tatsache, dass ihr Verkauf in Deutschland nicht erlaubt ist.
Die Studie zeigt zudem: Je niedriger der soziale Status und je höher die individuelle Risikobereitschaft, desto häufiger ist der Konsum. Mischkonsum mit anderen Produkten wie E-Zigaretten, Shishas oder klassischen Zigaretten ist weit verbreitet und nimmt ab einem Alter von 13 Jahren deutlich zu. Vor allem in sozialen Netzwerken wie TikTok werden die Produkte als vermeintlich harmlose Alltagsbegleiter oder sogar als „Leistungsbooster“ beworben – oft von Influencern mit großer Reichweite. Auch an Schulen ist der Konsum bereits angekommen.

Heimlich, still und schädlich

Eltern und Lehrkräfte bemerken den Konsum oft nicht: Die Beutel sind klein, geruchlos und leicht zu verstecken – ganz anders als Zigaretten oder E-Zigaretten. Viele Erwachsene halten sie für Bonbons oder Kaugummi. Viele Jugendliche nehmen sie nicht als gefährliches Suchtmittel wahr, sondern als scheinbar harmlose, moderne Alternative zur Zigarette. Sie lassen sich diskret in den Schulalltag integrieren. Das Produktdesign wirkt bewusst unverfänglich: Die Dosen erinnern eher an Kaugummi oder Lippenbalsam als an ein gesundheitsgefährdendes Nikotinprodukt. Dabei kann schon ein einziger Beutel Schwindel, Übelkeit und sogar Ohnmacht verursachen. Bei regelmäßigem Konsum droht eine schnelle Nikotinabhängigkeit – mit möglichen Folgen für Herz, Kreislauf und Gehirnentwicklung.
Viele Produkte enthalten extrem hohe Nikotinmengen – bis zu 50 Milligramm pro Beutel, wie das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) berichtet. Zum Vergleich: Eine Zigarette enthält etwa 8 bis 12 Milligramm Nikotin. „Nikotin ist ein stark wirksames Nervengift“, erklärt Professor Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit. „Gerade im Jugendalter kann es die Entwicklung des Gehirns beeinträchtigen und das Risiko für eine lebenslange Nikotinabhängigkeit deutlich erhöhen.“

Über die langfristigen gesundheitlichen Folgen gibt es bislang kaum Daten. Fachleute warnen jedoch vor dem hohen Abhängigkeitspotenzial, möglichen krebserregenden Inhaltsstoffen sowie gesundheitlichen Schäden im Bereich von Mund, Rachen und Hals. Die Stiftung Kindergesundheit teilt diese Einschätzung.

Verboten – aber dennoch erhältlich

Rechtlich dürfen tabakfreie Nikotinbeutel in Deutschland nicht verkauft werden. Sie fallen unter das Lebensmittelrecht und benötigen eine Zulassung, die bislang nicht vorliegt. Der Verkauf – auch in Kiosken oder Online-Shops – ist somit eigentlich verboten. Doch die Realität sieht anders aus: Bei Kontrollen finden Ordnungsämter immer wieder illegale Angebote in Spätis, Shisha-Läden oder im Internet.

Die Stiftung Kindergesundheit empfiehlt Eltern, das Thema frühzeitig mit ihren Kindern zu besprechen. Besonders wichtig:

• Informieren Sie sich über neue Konsumformen, auch wenn sie auf den ersten Blick harmlos erscheinen.
• Sprechen Sie regelmäßig mit Ihrem Kind über das, was es in den sozialen Medien sieht oder was an der Schule kursiert.
• Erkennen Sie mögliche Warnzeichen wie häufige Übelkeit, Müdigkeit oder den plötzlichen Wunsch nach mehr „Konzentration“ oder „Energie“.
• Tauschen Sie sich mit anderen Eltern und Lehrkräften aus.

Neue Herausforderung für Prävention und Gesundheitsschutz

Nikotinbeutel sind kein harmloser Lifestyle-Trend, sondern ein ernstzunehmendes Gesundheitsrisiko, besonders für Kinder und Jugendliche. Die Stiftung Kindergesundheit fordert eine konsequente Regulierung, mehr Kontrollen und vor allem: verstärkte Aufklärung für Familien, Schulen und das pädagogische Umfeld.
„Je früher eine Nikotinsucht entsteht, desto eher verfestigt sie sich – mit allen negativen gesundheitlichen Folgen für das spätere Leben“, warnt Professor Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit. „Deshalb brauchen wir jetzt klare Botschaften, gute Präventionsangebote und eine aufmerksamere Gesellschaft.“

Die invasive Beatmung

Die Beatmung zählt zu den zentralen und häufig lebensrettenden Therapien in der Intensivmedizin. Vor diesem Hintergrund wurde die S3-Leitlinie „Invasive Beatmung und Einsatz extrakorporaler Verfahren bei akuter respiratorischer Insuffizienz“ (AWMF-Register-Nr. 001/021) umfassend aktualisiert und nun veröffentlicht.

„Es war eine große Freude zu erleben, wie durch die gemeinsame Kraftanstrengung aller Berufs- und Personengruppen sowie der beteiligten Fachgesellschaften eine Leitlinie entstanden ist, die den höchsten wissenschaftlichen Standards entspricht und gleichzeitig die Realität klinischer Versorgung abbildet. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zu einer leitliniengerechten, qualitätsgesicherten und patientenzentrierten Medizin“, erklärt Prof. Dr. Michael Sander (Gießen), Delegierter der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e.V. (DGAI) und Koordinator der Leitlinie.

Die Leitlinie, die erstmals 2017 erschien, wurde mit hohem methodischem Aufwand überarbeitet. 

Die Erstellung und Aktualisierung erfolgten unter Federführung der DGAI gemeinsam mit der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e.V. (DIVI) und zahlreichen weiteren Fachgesellschaften und Organisationen. Koordiniert wurde die Arbeit unter maßgeblicher Mitarbeit des Universitätsklinikums Leipzig – Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, des Universitätsklinikums Gießen – Klinik für Anästhesie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie, der Universitätsmedizin Göttingen – Klinik für Anästhesiologie sowie der Charité – Universitätsmedizin Berlin - Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin.

Die Revision umfasste eine vollständige Evidenzbewertung basierend auf der GRADE-Methodik sowie strukturierte Konsensverfahren. 

Mehrere Arbeitsgruppen bearbeiteten parallel Fragestellungen zu Beatmungsverfahren, Monitoringsystemen, Weaning, Sedierung, Delirmanagement und Empfehlungen zum Einsatz invasiver Technologien inklusive des Einsatzes der Extrakorporalen Membranoxygenierung (ECMO) und deren Strukturanforderungen. Insgesamt umfasste die Leitliniengruppe fast 100 Mitwirkende aus Anästhesiologie, Pneumologie und weiteren Disziplinen sowie Fachkräfte aus Pflege und Patientenorganisationen.

Besonders hervorzuheben ist die gezielte Einbindung junger Kolleginnen und Kollegen aus Medizin und Pflege in die Leitlinienarbeit. 

Dr. Falk Fichtner, einer der Hauptverfasser der Leitlinie, betont: „Durch die aktive Integration von Nachwuchskoordinatorinnen und -koordinatoren ist es gelungen, einen besonderen Spirit in die Leitlinienarbeit einzubringen. 

Junge Kolleginnen und Kollegen haben moderne Kommunikations- und Kollaborationstools selbstverständlich eingesetzt und so die Arbeit noch effizienter und innovativer gestaltet. 

Das zeigt, dass Leitlinienarbeit nicht nur wissenschaftlich fundiert, sondern auch zukunftsgerichtet sein kann und Spaß macht.“

Die aktualisierte Leitlinie liefert eine verlässliche Grundlage für eine standardisierte, qualitativ hochwertige und patientenzentrierte Versorgung auf Intensivstationen. Die vollständige Fassung ist im Leitlinienregister der AWMF abrufbar: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/001-021

Die Protein und die Bierschaumkrone

Forschende der ETH Zürich finden den heiligen Gral der Braukunst: das Rezept für stabilen Bierschaum. Die Erkenntnisse bringen aber nicht nur Brauereien weiter.

Sommerzeit ist Bierzeit – auch wenn der Konsum alkoholhaltiger Biere in der Schweiz rückläufig ist. Und nichts geht dem Bierliebhaber über eine Schaumkrone, die auf dem goldenen, perlenden Gerstensaft sitzt.

Doch bei vielen Bieren platzt dieser Traum schnell, und der Schaum fällt in sich zusammen, bevor man den ersten Schluck nehmen kann. Allerdings gibt es auch Biersorten, bei denen die Schaumkrone lange hält.

Weshalb das so ist, haben Forschende der ETH Zürich um Jan Vermant, Professor für Weiche Materialien, nun herausgefunden. Ihre Studie wurde soeben in der Fachzeitschrift Physics of Fluids veröffentlicht. Sieben Jahre haben der Belgier und seine Mitarbeitenden daran gearbeitet. Alles begann mit einer einfachen Frage an einen belgischen Brauer: «Wie kontrollierst du die Fermentierung?» – «Indem ich den Schaum beobachte», lautete die Antwort.

Heute kennen die ETH-Wissenschaftler:innen die Mechanismen hinter dem perfekten Bierschaum. Und vielleicht können Biertrinker:innen künftig die Schaumkrone im Glas etwas länger bewundern, ehe sie ihren Durst löschen.

Lagerbiere haben vergänglichsten Schaum

In dieser Studie zeigen die Materialkundler:innen auf: Belgische Biere, die dreifach vergoren wurden, haben den stabilsten Schaum, dicht gefolgt von doppelt vergorenen Bieren. Am wenigsten stabil ist die Schaumkrone dagegen bei einfach vergorenen Lagerbieren.

Zu den dreifach vergorenen Bieren gehören etwa Trappistenbiere, eine Spezialität des gleichnamigen Mönchsordens. Unter den Lagerbieren, die die ETH-Forschenden untersuchten, befindet sich auch ein Bier einer grossen Schweizer Brauerei. «Da lässt sich noch einiges verbessern - wir helfen gerne», sagt Vermant und schmunzelt.

Bisher nahmen die Forschenden an, dass die Stabilität des Bierschaums vor allem von proteinreichen Schichten an der Oberfläche der Bläschen abhängt (vgl. ETH News): Proteine stammen aus dem Gerstenmalz und beeinflussen die Oberflächenviskosität, also deren Klebrigkeit, sowie die Oberflächenspannung.

Oberflächenspannungen statt Zähflüssigkeit

Doch die neuen Experimente zeigen, dass der entscheidende Mechanismus komplexer ist komplexer und stark von der Biersorte abhängt.

Bei einfach vergorenen Lagerbieren ist die Oberflächenviskosität ausschlaggebend. Sie wird beeinflusst durch die im Bier vorhandenen Proteine beeinflusst: Je mehr Proteine im Bier vorhanden sind, desto zähflüssiger wird der Film um die Bläschen und desto stabiler wird der Schaum.

Anders bei den mehrfach vergorenen Trappistenbieren: Hier ist die Oberflächenviskosität minimal. Die Stabilität entsteht durch so genannte Marangoni-Spannungen. Das sind Kräfte, die durch Unterschiede in der Oberflächenspannung entstehen.

Beobachten lässt sich dieser Effekt, indem man zerstossene Teeblättchen auf eine Wasseroberfläche gibt. Die Bruchstücke verteilen sich zunächst gleichmässig. Gibt man einen Tropfen Seife dazu, werden die Teeblättchen schlagartig an den Rand gezogen. Dabei treten Strömungen auf, die auf der Oberfläche zirkulieren. Halten solche Strömungen lange an, stabilisieren sie die Bläschen im Bierschaum.

Ein Protein entscheidet über Schaumqualität

Eine entscheidende Rolle bei der Stabilisierung des Bierschaumes spielt jedoch das Protein LTP1 (Lipid transfer protein 1). Das konnten die ETH-Forschenden durch Analysen des Proteinbestandes der untersuchten Biere bestätigen.

In einfach vergorenen Bieren, wie den Lagerbieren, sind die sogenannten LPT1-Proteine in ihrer ursprünglichen Form vorhanden. Sie wirken wie kleine, kugelförmige Teilchen, die sich dicht gepackt auf der Oberfläche der Bläschen anordnen. Das entspricht einer zweidimensionalen Suspension, Also einem Stoffgemisch aus einer Flüssigkeit und fein verteilten Festkörpern, welche wiederum diese Blasen stabilisiert.

Bei der zweiten Gärung werden die Proteine durch die Hefezellen etwas denaturiert, das heisst ihre natürliche Struktur wird leicht verändert. Sie bilden dann eine netzartige Struktur, eine Art Membran, die die Bläschen noch stabiler macht.

Bei der dritten Gärung werden die bereits veränderten LPT1-Proteine so stark denaturiert, dass es Bruchstücke mit einem wasserabstossenden und einem «wasserliebenden» Ende gibt. Diese Bruchstücke verringern die Grenz- und Oberflächenspannungen und stabilisieren die Bläschen maximal. «Diese Proteinteile funktionieren wie Tenside, die in vielen Alltagsanwendungen wie Waschmitteln Schäume stabilisieren», erklärt Vermant.

Zusammenarbeit mit Grossbrauerei

Er betont: «Die Stabilität des Schaums hängt nicht linear von einzelnen Faktoren ab. Man kann nicht einfach ‘etwas’ ändern und es ‘richtig’ einstellen.». Wird die Viskosität durch zusätzliche Tenside erhöht, könne das den Schaum sogar instabiler machen, weil man damit die Marangoni-Effekte zu stark verlangsame. «Entscheidend ist, gezielt an einem Mechanismus zu arbeiten – nicht an mehreren gleichzeitig. Bier macht das offensichtlich von Natur aus gut!», sagt Vermant.

In dieser Studie arbeitete der ETH-Professor mit einer der weltgrössten Brauereien zusammen. Diese tüftelt an der Schaumstabilität ihrer Bieren. Sie wollen deshalb verstehen, was den Bierschaum wirklich stabilisiert. «Wir kennen den Mechanismus nun genau und können der Brauerei helfen, den Schaum ihrer Biere zu verbessern», sagt Vermant.

Für belgische Bierkonsumenten sei der Schaum wichtig, wegen des Geschmacks und als «Teil der Experience», wie der Materialforscher sagt. «Aber nicht überall, wo Bier getrunken wird, ist der Schaum so wichtig. Das ist etwas Kulturelles.»

Anwendungen auch in Technik und Umwelt möglich

Die Erkenntnisse aus der Bierschaumforschung haben auch ausserhalb der Braukunst Bedeutung. In Elektrofahrzeugen etwa können Schmiermittel schäumen – ein gefährliches Problem. Unter anderem mit der Firma Shell untersucht Vermants Team nun, wie sich solche Schäume gezielt zerstören lassen.

Ein weiteres Ziel ist die Entwicklung nachhaltiger Tenside, die auf Fluor oder Silizium verzichten. «Unsere Studie ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung», so Vermant.

In einem EU-Projekt arbeiten die Forschenden zudem an Schäumen als Träger für bakterielle Systeme. Und in Zusammenarbeit mit Lebensmittelforscher Peter Fischer von der ETH Zürich geht es um die Stabilisierung von Milchschaum durch Proteine. «Es gibt also viele Bereiche, wo uns das mit Bier erworbene Wissen nützt», sagt Vermant.

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Prof. Dr. Jan Vermant, ETH Zürich, jan.vermant(at)mat.ethz.ch

Originalpublikation:
Chatzigiannakis E, Alicke A, Le Bars L, Bidoire L, Vermant J. The Hidden Subtlety of Beer Foam Stability: A Blueprint for Advanced Foam Formulations, Physics of Fluids, 26 August 2025, DOI:10.1063/5.0274943

Multimorbidität bedingt durch Krebs und kardiometabolische Erkrankungen

Multimorbidität bedingt durch Krebs und kardiometabolische Erkrankungen kann reduziert werden – unabhängig vom Alter

In einer großangelegten multinationalen Studie mit über 400.000 Frauen und Männern im Alter von 37 bis 70 Jahren aus sechs europäischen Ländern haben Forscher*innen der Universität Wien in Zusammenarbeit mit der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC, Frankreich) und der Kyung Hee Universität (Südkorea) Ernährungsgewohnheiten und Krankheitsverläufe untersucht. Die groß angelegte Datenauswertung zeigt, dass eine pflanzenbasierte Ernährung mit einem reduzierten Risiko für Multimorbidität bedingt durch Krebs und kardiometabolischen Erkrankungen verbunden ist. Die Studie ist aktuell im Fachmagazin The Lancet Healthy Longevity erschienen.

In der Studie wurden Daten von zwei großen europäischen Kohortenstudien, der European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition (EPIC) Studie sowie der UK Biobank Studie, herangezogen. Basierend auf Daten aus sechs europäischen Ländern (Italien, Spanien, Vereinigtes Königreich, Deutschland, die Niederlande und Dänemark) liefern die Forscher*innen weitere Belege dafür, dass pflanzenbasierte Ernährungsgewohnheiten die Entstehung von Multimorbidität beeinflussen können. Ergebnisse der UK Biobank zeigten zum Beispiel, dass Erwachsene, die sich stärker pflanzenbasiert ernährten, ein 32% geringeres Risiko für Multimorbidität aufwiesen als jene mit geringer pflanzenbasierter Ernährung. „Man muss also nicht vollständig auf tierische Produkte verzichten. Eine stärkere pflanzenbasierte Ernährung kann bereits einen positiven Effekt haben“, so Studienleiterin und Ernährungsepidemiologin Reynalda Córdova. Darüber hinaus wurden auch Unterschiede im Multimorbiditätsrisiko zwischen Personen mittleren Alters und älteren Erwachsenen untersucht. Multimorbidität beschreibt das Auftreten von zwei oder mehreren chronischen Erkrankungen bei einer Person und tritt weltweit immer häufiger auf, betrifft jedoch insbesondere Erwachsene ab dem 60. Lebensjahr.

Geringeres Risiko für Krebs, Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen

Die Ergebnisse: Eine stärkere Orientierung an einer gesunden pflanzlichen Ernährung war mit einem geringeren Risiko für Krebs, kardiometabolischen Erkrankungen (Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen), und Multimorbidität verbunden, sowohl bei Erwachsenen unter 60 Jahren als auch bei jenen über 60 Jahren. „Unsere Studie unterstreicht, dass eine gesunde, pflanzenbetonte Ernährung nicht nur einzelne chronische Erkrankungen beeinflusst, sondern auch das Risiko für das gleichzeitige Auftreten mehrerer chronischer Krankheiten reduzieren kann und das sowohl bei Menschen mittleren als auch höheren Alters“, fasst Córdova zusammen.

„Die Ergebnisse zeigen wie wichtig eine vorwiegend pflanzliche Ernährung für unsere Gesundheit ist und untermauern damit die neuen österreichischen Ernährungsempfehlungen, die pflanzenbetont mit einem geringen Anteil tierischer Lebensmittel sind. Ein positiver Zusatzeffekt einer pflanzenbetonten Ernährung ist eine starke Reduktion der Treibhausgasemissionen sowie der Landnutzung“, ergänzt Karl-Heinz Wagner von der Universität Wien, Mitautor der Studie, sowie Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Ernährung.

Obst, Gemüse, Vollkornprodukte und Hülsenfrüchte haben positiven Effekt

Zu einem gesunden pflanzlichen Ernährungsmuster zählten eine hohe Zufuhr von unter anderem Obst, Gemüse, Vollkornprodukten, Hülsenfrüchten (z.B. Bohnen, Linsen) und vegane Ersatzprodukte (Würstchen, Burger usw.) und eine geringere Zufuhr an Fleisch und Fleischprodukten. Die Ergebnisse legen nahe, dass eine Ernährung, die vorwiegend aus gesunden pflanzlichen Lebensmitteln und geringen Mengen tierischer Produkte besteht, zur Erhaltung der Gesundheit bis ins höhere Alter beitragen kann.

Das Fazit der Studienautor*innen: Ernährungsempfehlungen, Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit und Interventionen sollten berücksichtigen, dass eine Ernährung, die hauptsächlich aus pflanzlichen Lebensmitteln mit geringen Mengen tierischer Lebensmittel besteht, zur Vorbeugung von Multimorbidität bedingt durch Krebs und kardiometabolischen Erkrankungen beitragen kann.

Die Studie wurde von Reynalda Córdova (Universität Wien) und Jihye Kim (Kyung Hee University, Südkorea) geleitet.

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Dr. Reynalda Cordova, BSc MSc
Department of Nutritional Sciences, Universität Wien
1090 Wien, Josef-Holaubek-Platz 2 (UZA II)
T +43-1-4277-54972
reynalda.cordova@univie.ac.at
www.univie.ac.at

Univ.-Prof. Mag. Dr. Karl-Heinz Wagner
Department of Nutritional Sciences, Universität Wien
1090 Wien, Josef-Holaubek-Platz 2 (UZA II)
T +43-1-4277-54930
M +43-664-8176829
karl-heinz.wagner@univie.ac.at
www.univie.ac.at

Originalpublikation:
Originalpublikation:
Córdova, R., Kim, J., Thompson, S. A., Noh, H., Shah, S., Dahm, C. C., …& Freisling, H. (2025). Plant-based dietary patterns and age-specific risk of multimorbidity of cancer and cardiometabolic diseases: a prospective analysis. The Lancet Healthy longevity.
DOI: 10.1016/j.lanhl.2025.100742
https://www.thelancet.com/journals/lanhl/article/PIIS2666-7568(25)00061-3/fullte...

Sturzgefahr im Alte

Forschung zur Minimierung der Sturzgefahr im Alter

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Ein deutsch-niederländisches Forschungsteam mit Beteiligung der Universität Bayreuth hat untersucht, wie altersbedingte Veränderungen zu einem erhöhten Sturzrisiko im Alter führen. Hierfür haben sie mithilfe von Computersimulationen gezielte Szenarien beim Herabtreten von einer Stufe mit unterschiedlicher Muskelkraft und Geschwindigkeit der Nervensignale durchgespielt – beides Faktoren, die im Alter abnehmen. Über ihre Ergebnisse berichten sie im Fachjournal Scientific Reports.


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What for?

Das sichere Hinabsteigen einer Stufe oder eines Bordsteins ist für viele Menschen eine Selbstverständlichkeit. Mit zunehmendem Alter verändert sich jedoch das Zusammenspiel von Muskeln und Nervensystem: Mit den Jahren verlieren die Muskeln an Kraft und die Nerven leiten Signale langsamer weiter, was häufig mit einer erhöhten Sturzgefahr im Alter in Verbindung gebracht wird. Mithilfe von Simulationsstudien, wie sie unter Beteiligung der Universität Bayreuth durchgeführt wurden, kann verstanden werden, wie sich altersbedingte Veränderungen konkret auf Bewegungsabläufe auswirken, wonach anschließend Empfehlungen zur Reduzierung des Sturzrisikos ausgesprochen werden können.
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Beim Herabtreten einer Stufe reduzieren jüngere, gesunde Menschen die Muskelaktivität in der Wade antizipativ, bereits im Kontakt vor der Stufe. So senken sie ihren Körperschwerpunkt frühzeitig ab und können den Schritt nach unten kontrolliert ausführen. Ältere Menschen scheinen jedoch eine andere Strategie zu nutzen: Sie wechseln von einer Reduktion der Muskelaktivität der Wade zu einer Erhöhung der Aktivität im Oberschenkel. „Weshalb mit zunehmendem Alter die Strategie beim Stufenlaufen geändert wird, ist nicht geklärt. Wir vermuten aber, dass vor allem der Verlust an Muskelkraft und die langsamere Übertragung von Nervensignalen im Alter eine Rolle spielen“, sagt PD Dr. Roy Müller vom Bayreuther Zentrum für Sportwissenschaft (BaySpo) der Universität Bayreuth und Leiter des Gang- und Bewegungslabors der Klinikum Bayreuth GmbH. Gerade im Hinblick auf die erhöhte Sturzgefahr älterer Menschen an Stufen oder Bordsteinkanten ist es deshalb wichtig zu verstehen, wie sich altersbedingte Veränderungen auf Bewegung und Kontrollstrategien der Muskeln auswirken.

Deshalb hat Müller zusammen mit Dr. Lucas Schreff, Mitarbeiter des Gang- und Bewegungslabors der Klinikum Bayreuth GmbH, Computersimulationen durchgeführt, mit denen gezielt Szenarien beim Hinabsteigen von Stufen mit reduzierter Muskelkraft und verzögerter neuronaler Signalübertragung untersucht werden konnten. „Sowohl die verringerte Muskelkraft als auch die langsamere Signalübertragung sind Faktoren, die sich in Experimenten mit „realen Menschen“ nicht isoliert betrachten lassen – in der Computersimulation aber schon. Darin liegt der Vorteil unseres Ansatzes“, erklärt Müller. So konnten auch verschiedene Stufenhöhen und unterschiedliche Schweregrade an Muskelkraftverlust und verlangsamter Signalübertragung getestet werden.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die bei älteren Menschen beobachtete reduzierte Muskelkraft den „Lösungsspielraum“ beim Hinabtreten deutlich reduziert: Je schwächer die Muskulatur, desto präziser müsste die Muskelaktivierung abgestimmt werden, um einen sicheren Schritt zu schaffen. Dieser eingeschränkte Lösungsspielraum könnte vor allem dann problematisch werden, wenn weitere altersbedingte Einschränkungen hinzukommen, wie eine verschlechterte Sehkraft, die dazu führt, die Stufenhöhe falsch einzuschätzen. In solchen Situationen steigt das Sturzrisiko laut dem deutsch-niederländischen Forschungsteam schon bei kleinen Abweichungen in der Bewegungsausführung.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Kontrollstrategie der Erhöhung der Muskelaktivität im Oberschenkel eine weniger präzise Abstimmung benötigt als die Reduktion der Muskelaktivität in der Wade. Das könnte eine Erklärung für eine Änderung der Kontrollstrategie im Alter sein“, sagt Müller. Eine Kombination aus gezieltem Krafttraining und Training zur Wahrnehmungs- und Bewegungskontrolle könnte dem erhöhten Sturzrisiko somit entgegenwirken. In weiteren Studien soll geklärt werden, ob ein gezieltes Training zur Erhaltung der Kontrollstrategie der reduzierten Muskelaktivität in der Wade das Sturzrisiko senken kann.

Die Forschungsarbeiten wurden in Zusammenarbeit mit dem Hertie-Institut für klinische Hirnforschung in Tübingen und dem University Medical Center in Amsterdam durchgeführt.

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PD Dr. Roy Müller
BaySpo - Bayreuther Zentrum für Sportwissenschaft
Theorie und Praxis der Sportarten und Bewegungsfelder
Universität Bayreuth
Leitung Gang- und Bewegungslabor
Klinikum Bayreuth GmbH
roy.mueller@klinikum-bayreuth.de

Originalpublikation:
The effect of age-related sensorimotor changes on stepdown strategy: a predictive simulation study. Lucas Schreff, Niels F. J. Waterval, Marjolein M. van der Krogt, Daniel F. B. Häufle & Roy Müller. Scientific Reports (2025)
DOI: https://doi.org/10.1038/s41598-025-14422-0

Nervenfunktionen bei Diabetes

Der Abbau der Nervenfunktion ist bei Menschen mit Diabetes vergleichbar zum normalen, altersbedingten Nervenabbau – sofern der Blutglukosespiegel gut eingestellt ist. Das konnten Forschende des Deutschen Diabetes-Zentrums (DDZ) und des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) in einer Langzeitbeobachtung zeigen. Entscheidend für das Auftreten von Nervenschäden (Neuropathien) ist offenbar nicht der (sehr gut eingestellte) Blutglukosespiegel nach der Diagnose, sondern der Zustand der Nerven bei der Diagnosestellung. Die Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig es ist, rechtzeitig Diabetes-Vorstufen zu erkennen und gezielte Prävention für Risikogruppen umzusetzen.


Die diabetische Polyneuropathie ist eine der häufigsten und belastendsten Folgeerkrankungen bei Menschen mit Diabetes. Sie betrifft die peripheren Nerven, vor allem an den Füßen und Beinen, und kann zu Gefühlsverlust, Taubheitsgefühlen, Kribbeln, Schmerzen oder Muskelschwäche führen. Durch ein eingeschränktes Berührungsempfinden drohen langwierige Fußwunden und sogar Amputationen. Ausgelöst wird die Neuropathie durch chronisch erhöhte Blutglukosewerte bei Diabetes sowie durch Übergewicht und weitere Risikofaktoren wie Bluthochdruck und erhöhte Blutfettwerte.
Trotz intensiver Forschung gibt es bislang keine ursächliche oder wirksame Therapie, die das Fortschreiten der diabetischen Neuropathie dauerhaft aufhält oder die Schäden rückgängig machen kann. Die Behandlung beschränkt sich meist auf die Linderung von Symptomen.

Eigentlicher Schaden ist oft schon vor der Diagnose entstanden

Frühere Studien legen nahe, dass selbst eine gute Blutglukoseeinstellung Nervenschäden bei Menschen mit Typ-2-Diabetes nur begrenzt verhindern kann. Bei Typ-1-Diabetes scheint dies hingegen besser zu gelingen. Ein möglicher Grund: „Typ-1-Diabetes wird oft frühzeitig erkannt und schnell behandelt, da die Erkrankung meist plötzlich und mit klaren Symptomen innerhalb weniger Tage bis Wochen auftritt. Typ-2-Diabetes hingegen bleibt oft über Jahre unentdeckt. Schon während dieser teils symptomlosen Phase kann es unbemerkt zu Schädigungen der Nerven kommen, die dann zum Zeitpunkt der Diagnose bereits bestehen“, sagt Dr. Alexander Strom vom DDZ, der gemeinsam mit dem DDZ-Kollegen Dr. Gidon Bönhof eine neue Studie geleitet hat, die diese Hypothese bekräftigt.

Über zehn Jahre hinweg wurden mehr als 140 Menschen mit neu diagnostiziertem, sehr gut kontrolliertem Typ-2-Diabetes untersucht. Ihre Nervenfunktionen wurden regelmäßig mit etablierten Messmethoden überprüft und mit einer stoffwechselgesunden Kontrollgruppe verglichen. Das Ergebnis: Der Rückgang der Nervenleitgeschwindigkeit – ein zentraler Marker für Nervenschäden – war in beiden Gruppen ähnlich ausgeprägt.

Vor allem der Zustand der Nerven zum Diagnosezeitpunkt ist entscheidend

„Unsere Daten zeigen, dass bei Menschen mit gut eingestelltem Typ-2-Diabetes das Risiko für eine Verschlechterung der Nervenfunktion vor allem vom Zustand der Nerven zum Zeitpunkt der Diagnose abhängt“, erklärt Prof. Michael Roden, wissenschaftlicher Geschäftsführer und Sprecher des Vorstands des DDZ sowie Direktor der Klinik für Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Düsseldorf. Die Nervenleitgeschwindigkeit im ersten Jahr nach der Diabetes-Diagnose ist insgesamt ein wichtiger Hinweis dafür, nach wie vielen Jahren mit einer verminderten Nervenfunktion zu rechnen ist.

„Bei vielen Betroffenen scheint der entscheidende Schaden also bereits vor der eigentlichen Diagnose eines Typ-2-Diabetes entstanden zu sein“, erklärt Strom, der gemeinsam mit Bönhof die Nachwuchsforschergruppe Neuropathie am DDZ leitet. „Je stärker die Nerven schon bei der offiziellen Diagnose beeinträchtigt sind, desto früher wird eine Neuropathie im weiteren Lebensverlauf auftreten.“ Das könnte auch erklären, warum viele neue Therapieansätze bei bereits vorliegender Neuropathie keine Wirkung gezeigt haben.

Die Ergebnisse sind aber auch eine gute Nachricht für Menschen mit Typ-2-Diabetes. Ist der Diabetes optimal eingestellt, findet keine beschleunigte Abnahme der Nervenfunktion statt.

Früherkennung und Prävention müssen in den Fokus rücken

Das im Rahmen der Studie entwickelte Prognose-Tool könnte ein hilfreiches Werkzeug sein, um den Abbau der Nervenfunktion bei Menschen mit Diabetes vorherzusagen. Mit diesem können Ärztinnen und Ärzte abschätzen, wann bei einer Person die Nervenfunktion unter einen kritischen Schwellenwert fällt. Berücksichtigt werden Alter und Ausgangsbefund – Voraussetzung ist, dass der Diabetes gut eingestellt bleibt. Das Modell könnte künftig helfen, Hochrisikopatientinnen und -patienten frühzeitig zu erkennen und gezielt präventiv zu behandeln.

Über die Deutsche Diabetes Studie

Die Deutsche Diabetes Studie beobachtet Patienten mit einem neu-diagnostizierten Typ-1- oder Typ-2-Diabetes von Beginn an über sieben Jahre hinweg. So können auch frühzeitig auftretende Warnzeichen für spätere Komplikationen entdeckt und alle zugelassenen Therapieverfahren parallel miteinander verglichen werden. Auch der Einfluss der Erbanlagen (Gene) auf den Verlauf der Erkrankung wird untersucht. Die Studie wird deutschlandweit an sieben Standorten im Rahmen des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) durchgeführt – das DDZ ist federführend beteiligt.

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Dr. Alexander Strom, Co-Leiter der Nachwuchsforschergruppe Neuropathie
Dr. Gidon Bönhof, Co-Leiter der Nachwuchsforschergruppe Neuropathie

Originalpublikation:
Titel: Changes Over 10 Years in Peripheral Nerve Function in People with Well-Controlled Type 2 Diabetes and Those With Normal Glucose Tolerance
Journal: Neurology
Autoren: Strom, A., Strassbruger, K., Ziegler, D. et al.
Link: https://doi.org/10.1212/WNL.0000000000213780

Nierenerkrankungen

Oft bleiben sie lange unentdeckt, so dass Schädigungen bereits stark fortgeschritten und zumeist irreversibel sind, wenn sie bemerkt werden. Da die zugrundeliegenden Krankheitsmechanismen bislang nicht vollständig bekannt sind, ist eine verstärkte Forschung für ein besseres Krankheitsverständnis, gelingende Prävention bzw. Früherkennung unerlässlich. Ein Forschungsteam aus Dresden und Heidelberg konnte jetzt gemeinsam mit internationalen Partnern neue Mechanismen aufzeigen, die erklären, dass Nierenschädigungen bei weiblichen und männlichen Personen deutliche Unterschiede aufweisen.


Eine Haupursache akuter Nierenschädigungen ist die sogenannte Ferroptose, der „biologische Rost“. Durch diesen Prozess gehen Nephrone, die funktionellen Einheiten der Niere, verloren. Mit der Studie wies das Forschungsteam um Prof. Andreas Linkermann, tätig in der Medizinischen Klinik III am Universitätsklinikum Dresden (UKD) sowie Direktor der V. Medizinischen Klinik der Universitätsmedizin Mannheim, und Prof. Stefan Bornstein, Direktor der MK III am UKD, nach, dass das weibliche Geschlechtshormon Östrogen Nieren auf vielfache Weise gegen Schädigungen durch Ferroptose schützt.

„Zuletzt wurde immer deutlicher, dass Mechanismen der Nierenschädigung bei weiblichen und männlichen Individuen verschieden sind“, erläutert Dr. Wulf Tonnus, einer der drei Erstautoren dieser Studie und Nachwuchswissenschaftler an der MK III. „Es stellte sich heraus, dass Estradiol, ein Hormon aus der Gruppe der Östrogene, die Widerstandsfähigkeit gegen Ferroptose erhöht. So fangen körpereigene Metabolite der Estradiole schädigende Radikale direkt ab, während das Ursprungshormon ein komplexes genetisches Programm zur Verhinderung von Ferroptose aktiviert.“

Diese Erkenntnisse unterstreichen einmal mehr die Bedeutung der Geschlechtshormone für vielfältigste Prozesse im Körper. Ein besseres grundlegendes Verständnis ihrer Wirkweise hilft langfristig auch dabei, wirksame Therapien für Menschen mit Nierenerkrankungen zu entwickeln. Insgesamt bedeutet ein geschlechterspezifisches Verständnis von Krankheiten einen wichtigen Schritt hin zu individualisierten Ansätzen und mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Medizin.

„Diese Studie ist ein großer wissenschaftlicher Erfolg. Dass junge Clinican Scientists dies gemeinsam mit anerkannten Wissenschaftlern erreichen, unterstreicht das exzellente Forschungsumfeld, das die Medizinische Fakultät der TU Dresden und die Medizinische Klinik und Poliklinik 3 bieten“, erklärt Prof. Esther Troost, Dekanin der Medizinischen Fakultät.
„Die neuen Erkenntnisse geben uns die Chance, Nierenerkrankungen künftig gezielter zu behandeln. So können wir am Universitätsklinikum Dresden neue, individuell zugeschnittene Therapien entwickeln, damit Nierenkrankheiten früh erkannt und wirksam behandelt werden können – für mehr Gesundheit und Lebensqualität”, ergänzt Prof. Uwe Platzbecker, Medizinischer Vorstand des Universitätsklinikums.

Hintergrund:
Finanziell unterstützt wurde das Forschungsprojekt insbesondere von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG): https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/522190184. Hinzu kamen etliche weitere Förderprogramme.

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Anne-Stephanie Vetter
Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus
der Technischen Universität Dresden
Tel.: +49 (0) 351 458 17903
E-Mail: anne-stephanie.vetter@tu-dresden.de
www.tu-dresden.de/med

Prof. Dr. med. Andreas Linkermann, FASN
Direktor V. Medizinische Klinik - Nephrologie/Hypertensiologie/Transplantationsmedizin
Endokrinologie/Diabetologie/Lipidologie/Rheumatologie/Pneumologie
Facharzt für Innere Medizin, Nephrologe, Transplantationsmediziner
Visiting Professor at Albert Einstein College of Medicine – Department of Nephrology
Medizinische Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Universitätsklinikum Mannheim GmbH
Tel.: +49 (0) 621 383 3660
E-Mail: Andreas.linkermann@medma.uni-heidelberg.de

Dr. med. Wulf Tonnus
Facharzt für Innere Medizin und Nephrologie
Junior Group Leader // Funktionsoberarzt
Sektion Nephrologie - Medizinische Klinik und Poliklinik III
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus
an der Technischen Universität Dresden
Tel.: +49 (0) 351 458 19520
Email: wulf.tonnus@ukdd.de

Originalpublikation:
“Multiple oestradiol functions inhibit ferroptosis and acute kidney injury” (DOI 10.1038/s41586-025-09389-x): https://www.nature.com/articles/s41586-025-09389-x.

Begleitendes Editorial „news and views“: https://doi.org/10.1038/d41586-025-02422-z

Geschlechtsunterschiede beim akuten Nierenversagen

Hormonabhängiger weiblicher Schutz der Nieren funktioniert über ein vielschichtiges Abwehrsystem gegen Ferroptose / Aktuelle Arbeit im renommierten Journal Nature veröffentlicht / Dimension der neuen Erkenntnisse weitreichend

Akutes Nierenversagen ist eine klinische Herausforderung, da das Ereignis häufig auftritt und es keine zielgerichtete Therapie gibt. 

Dass Frauen weniger anfällig für akutes Nierenversagen sind als Männer, ist keine neue Erkenntnis. 

Bereits seit 1940 gibt es diese Beobachtung, belegt auch durch epidemiologische Studien. 

Was diesem Phänomen zugrunde liegt, ist jedoch bis heute ein Rätsel. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Heidelberg, an der Medizinischen Fakultät Mannheim, sind der Lösung dieses Rätsels auf der Spur. 

In einer aktuell im renommierten Fachjournal Nature veröffentlichten Arbeit liefern sie eine überzeugende Erklärung für dieses Phänomen.

Die Forscher rücken das weibliche Sexualhormon Östrogen sowie den Vorgang der Ferroptose, eine von Eisen abhängige Form des regulierten Zelltods, in den Fokus. 

Sie fanden heraus, dass Östrogene die Ferroptose blockieren. 

Dies steht im Einklang mit der Beobachtung, dass der Schutz der Nieren von Frauen mit der Menopause, wenn die Produktion der Geschlechtshormone abnimmt, verlorengeht.

Interessant ist dabei, dass Östrogen, und insbesondere dessen hydroxylierte Derivate wie 2-Hydroxyestradiol, Schlüsselmediatoren eines vielschichtigen weiblichen Schutzes sind: 

Das Hormon entfaltet seine Funktion als Ferroptose-Abwehrsystem in verschiedener Art und Weise, über genomische und nicht-genomische Mechanismen.

Es zeigte sich, dass das natürliche Hormon wie ein körpereigenes Medikament gegen Ferroptose wirkt. 

Zusätzlich initiiert Östrogen über den Östrogen-Rezeptor im Zellkern verschiedene biologische Systeme, die als Abwehrmechanismen gegen Ferroptose zu werten sind. So reguliert der Rezeptor beispielsweise die Produktion von Hydropersulfiden, die als Radikalfänger die Ferroptose in Schach halten. Darüber hinaus wirkt Östrogen-Rezeptorstimulation auch der Veränderung bestimmter Fette in der Zellmembran entgegen, sogenannte Etherlipide, und hemmt auch auf diese Weise Ferroptose.

Diese Beobachtungen bieten interessante Ansatzpunkte für die Therapie von Nierenerkrankungen. Aber nicht nur! Die Ferroptose hat für eine Vielzahl von Krankheitsprozessen eine Bedeutung. „Unsere Erkenntnisse können auch weit über die Niere hinaus Auswirkungen haben, sogar auf die Krebsforschung. Sie rücken die Ferroptose in den Blick der Geschlechtsunterschiede von Mann und Frau auch in Bezug auf Herzerkrankungen und Schlaganfall, vor denen Frauen im Vergleich zu Männern eher geschützt sind, bis hin zur bekanntlich höheren Lebenserwartung von Frauen“, erläutert Professor Dr. Andreas Linkermann, Direktor der V. Medizinischen Klinik an der Universitätsmedizin Mannheim und Letztautor der Nature-Publikation.

Die Dimension, die die vorliegende Arbeit auch für andere Erkrankungen, und ebenso in anderem Kontext haben kann, lässt sich also noch kaum ermessen. Auch ethische Fragestellungen können davon betroffen sein, etwa in der Transplantationsmedizin, wo sich die Frage stellen könnte, ob Organe weiblicher Spenderinnen – vor der Menopause – „wertvoller“ sind als die von männlichen Spendern, weil sie gegenüber dem chirurgischen Prozess der Organübertragung weniger anfällig sind. „Um die Bedeutung der Ferroptose eröffnet sich tatsächlich ein ganz neues Forschungsfeld“, folgert Andreas Linkermann daraus.

News and Views
Wie weitreichend die Erkenntnisse der Mannheimer, an der Universität Heidelberg forschenden Nephrologen sein können, hat auch der weltweit anerkannte Experte auf diesem Gebiet, Tom Vanden Berghe, erkannt. In seinen „News and Views“, veröffentlicht in derselben Ausgabe von Nature unter dem Titel “Oestrogen defends against kidney damage caused by iron-dependent cell death”, zieht er den folgenden Schluss:
“Die Arbeit stellt einen Meilenstein in unserem Verständnis der Geschlechtsunterschiede beim akuten Nierenversagen dar und erweitert die physiologische Relevanz der Ferroptose über Krebs und Neurodegeneration hinaus. 

Wichtig ist, dass diese Ergebnisse dazu beitragen können, die erhöhte Anfälligkeit für eine akute Nierenschädigung bei Frauen nach der Menopause zu erklären und eine rationale Grundlage für die Erforschung östrogener Metaboliten oder Ferroptosehemmer als Therapeutika zu schaffen. 

Da die Ferroptose als zentraler Mechanismus von Gewebeverletzungen an Bedeutung gewinnt, unterstreicht diese Studie die Bedeutung des Geschlechts als biologische Variable bei ihrer Regulierung.“

Förderung
Die Arbeiten wurden sowohl von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) als auch vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

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Univ.-Prof. Dr. med. Andreas Linkermann, FASN
Direktor V. Medizinische Klinik - Nephrologie/Hypertensiologie/Transplantationsmedizin
Endokrinologie/Diabetologie/Lipidologie/Rheumatologie/Pneumologie
Facharzt für Innere Medizin, Nephrologe, Transplantationsmediziner
Medizinische Fakultät Mannheim der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Universitätsklinikum Mannheim GmbH
Theodor-Kutzer-Ufer 1-3, 68167 Mannheim
Telefon 0621/383-5172
Andreas.linkermann@medma.uni-heidelberg.de

Originalpublikation:
Tonnus, W., Maremonti, F., Gavali, S. et al.
Multiple oestradiol functions inhibit ferroptosis and acute kidney injury.
DOI: https://doi.org/10.1038/s41586-025-09389-x
News and Views: Oestrogen defends against kidney damage caused by iron-dependent cell death
DOI: https://doi.org/10.1038/d41586-025-02422-z
Nature (2025)

Die Todesursache

Umweltfaktoren wie Feinstaub, Lärm, Hitze und Umweltgifte können das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die weltweit häufigste Todesursache, deutlich erhöhen. 

Das berichtet ein internationales Forschungsteam in einer in der Zeitschrift Cardiovascular Research veröffentlichten Übersichtsarbeit. Besonders groß sind die schädigenden Auswirkungen laut den Erkenntnissen der Wissenschaftler:innen, wenn mehrere Umweltbelastungen gleichzeitig bestehen. Nach Ansicht der Expert:innen sollten daher die Gesamtheit der verschiedenen Umweltfaktoren und ihre vielfältigen Wechselwirkungen – das sog. Multimodale Exposom – eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Präventionsmaßnahmen einnehmen.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen, auch kardiovaskuläre Erkrankungen genannt, umfassen eine Vielzahl von Krankheiten, die das Herz und die Blutgefäße betreffen. Dazu gehören beispielsweise Herzinfarkt, Schlaganfall, Koronare Herzkrankheit (KHK), Bluthochdruck, Herzinsuffizienz und Herzrhythmusstörungen. Die Erkrankungen stellen weltweit die führende Todesursache dar. In Deutschland sind sie nach Angaben des Robert Koch-Instituts für etwa 40 Prozent aller Sterbefälle verantwortlich. Dementsprechend groß ist der Bedarf an wirkungsvollen Strategien zur Vorbeugung der Krankheiten und damit auch an Kenntnissen zu den Risikofaktoren. Gut bekannt ist, dass Übergewicht, Diabetes, Rauchen, Bewegungsmangel sowie eine ungesunde Ernährung entscheidend zur Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen beitragen.

Umweltstressoren beeinträchtigen die Herz-Kreislauf-Gesundheit
Ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung der Universitätsmedizin Mainz warnt jetzt in einer Übersichtsarbeit vor einer weiteren, in aktuellen Präventionsstrategien bisher wenig berücksichtigten Gruppe von Risikofaktoren: Die Expert:innen berichten im renommierten Fachjournal Cardiovascular Research, dass Lärm, Feinstaub, Hitzewellen und chemische Belastungen von Boden und Wasser eine gefährliche Wirkung auf das Herz-Kreislauf-System entfalten können.

Die wichtigsten in der aktuellen Publikation dargestellten Erkenntnisse zu den Auswirkungen von verschiedenen Umweltbelastungen auf die Herz-Kreislauf-Gesundheit sind:
• Dauerhafter Verkehrslärm aktiviert Stresshormone, stört den Schlaf und verursacht Bluthochdruck sowie Gefäßentzündungen.

• Insbesondere ultrafeine Staubpartikel (PM2,5, UFP) gelangen über die Lunge in den Blutkreislauf und fördern oxidativen Stress, Endothelschäden und Arteriosklerose.

• Immer häufigere Hitzewellen belasten besonders ältere und herzkranke Menschen. In Städten kommt es durch versiegelte Flächen und fehlendes Grün verstärkt zu „Hitzeinseln“, die das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle erhöhen.

• Rückstände von Pestiziden, Schwermetallen und PFAS (per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen), die sich kaum oder gar nicht abbauen, im Boden und im Wasser gelangen über Nahrung und Trinkwasser in den Körper. Erste Studien zeigen, dass diese Schadstoffe Entzündungen verstärken, die Gefäßfunktion beeinträchtigen und langfristig das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen können.

Multimodales Exposom verstärkt Belastungen
Besonders bedenklich ist laut den Erkenntnissen der Wissenschaftler:innen eine Kombination von mehreren Umweltbelastungen: Das sogenannte Multimodale Exposom kann die schädigenden Auswirkungen der einzelnen Umweltstressoren deutlich vergrößern. „Lärm verstärkt die Wirkung von Luftschadstoffen und Hitze wirkt wie ein Katalysator für vaskuläre Schäden durch Toxine“, erläutert Univ.-Prof. Dr. Thomas Münzel, Seniorprofessor am Zentrum für Kardiologie – Kardiologie I der Universitätsmedizin Mainz und einer der Autoren der Übersichtsarbeit. „Die biologischen Schnittmengen reichen von oxidativem Stress über die Aktivierung des entzündungsfördernden Enzyms NOX-2 bis zur Endotheldysfunktion – allesamt frühe Wegbereiter für den Herzinfarkt und den Schlaganfall“, ergänzt Professor Münzel.

Das Exposom-Konzept bietet einen ganzheitlichen Ansatz, der die komplexen Wechselwirkungen zwischen Umweltbelastungen und biologischen Reaktionen im Laufe des Lebens einer Person berücksichtigt, um sie in die Bewertung des Herz-Kreislauf-Risikos einzubeziehen und geeignete Präventionsstrategien zu entwickeln. Strengere Umwelt- und Lärmschutzgesetze, eine nachhaltige Stadtplanung und grüne Infrastruktur können helfen, die Belastungen durch Umweltstressoren zu reduzieren, betonen die Wissenschaftler:innen in der Übersichtsarbeit.

Das internationale Forschungsteam umfasst neben den Autoren aus Mainz (Thomas Münzel, Andreas Daiber, Marin Kuntic) führende Umweltmediziner:innen und Kardiolog:innen u. a. aus Kopenhagen / Dänemark (Mette Sørensen), München (Alexandra Schneider), Barcelona / Spanien (Mark Nieuwenhujisen), Edinburgh / Großbritannien (Mark Miller) und Boston / USA (Philip Landrigan).

Originalpublikation:
Münzel T, Kuntic M, Lelieveld J, Daiber A et al. A comprehensive review/expert statement on environmental risk factors of cardiovascular disease. Cardiovascular Research 2025.

DOI: https://doi.org/10.1093/cvr/cvaf119

Link zur Originalpublikation: https://academic.oup.com/cardiovascres/advance-article/doi/10.1093/cvr/cvaf119/8...

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Univ.-Prof. Dr. Thomas Münzel
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Telefon 0174 2189542
E-Mail tmuenzel@uni-mainz.de

Veronika Wagner M. A.
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Über die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist die einzige medizinische Einrichtung der Supramaximalversorgung in Rheinland-Pfalz und ein international anerkannter Wissenschaftsstandort. Sie umfasst mehr als 60 Kliniken, Institute und Abteilungen, die fächerübergreifend zusammenarbeiten und jährlich rund 403.000 Menschen stationär und ambulant versorgen. Hochspezialisierte Patientenversorgung, Forschung und Lehre bilden in der Universitätsmedizin Mainz eine untrennbare Einheit. Rund 3.700 Studierende der Medizin und Zahnmedizin sowie rund 590 Fachkräfte in den verschiedensten Gesundheitsfachberufen, kaufmännischen und technischen Berufen werden hier ausgebildet. Mit rund 9.000 Mitarbeitenden ist die Universitätsmedizin Mainz zudem einer der größten Arbeitgeber der Region und ein wichtiger Wachstums- und Innovationsmotor. Weitere Informationen im Internet unter https://www.unimedizin-mainz.de.

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Originalpublikation:
Münzel T, Kuntic M, Lelieveld J, Daiber A et al. A comprehensive review/expert statement on environmental risk factors of cardiovascular disease. Cardiovascular Research 2025.

DOI: https://doi.org/10.1093/cvr/cvaf119

Link zur Originalpublikation: https://academic.oup.com/cardiovascres/advance-article/doi/10.1093/cvr/cvaf119/8...

Zusammenhang zwischen chronisch entzündlichen Erkrankungen und dem Entstehen von Tumoren im Verdauungstrakt

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Medizinischen Fakultät der Universität Augsburg liefern in einer umfassenden Studie belastbare Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen chronisch entzündlichen Erkrankungen und dem Entstehen von Tumoren im Verdauungstrakt. 

Die Ergebnisse wurden jüngst in der Fachzeitschrift eClinicalMedicine veröffentlicht, die zur Lancet-Gruppe gehört.

Mit Daten von über 1,5 Millionen Patientinnen und Patienten aus 47 Studien untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Zusammenhang zwischen vier, meist im Kindes- oder jüngeren Erwachsenenalter erworbenen, Autoimmunerkrankungen und Krebserkrankungen des Magen-Darm-Trakts sowie der Leber und der Bauchspeicheldrüse.

 „Wir haben sehr robuste und verzerrungsminimierte Ergebnisse erhalten“, sagt Dr. Dennis Freuer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Epidemiologie und Leiter der Studie.

Die Studie zeigt, dass Zöliakie, systemischer Lupus erythematodes und Typ-1-Diabetes das Risiko für mehrere Krebsarten des Verdauungstrakts erhöhen. 

Dazu zählen Magen- und Darmkrebs. Insbesondere steigt das Risiko für Dünndarmkrebs bei bestehender Zöliakie um den Faktor 4,2.

Multiple Sklerose hingegen ist mit einem geringeren Risiko für bestimmte Krebsarten, wie Bauchspeicheldrüsen-, Speiseröhren- und Enddarmkrebs, assoziiert.

„Unsere Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, Patientinnen und Patienten mit Autoimmunerkrankungen gezielt zu überwachen und personalisierte Krebsvorsorgeprogramme zu entwickeln“, erklärt Julia Reizner, die Erstautorin der Arbeit. Prof. Christa Meisinger, Ärztin und Epidemiologin des Forschungsteams, betont die Rolle chronischer Entzündungen als möglicher Treiber für die Entwicklung von Krebs und fordert weitere Forschung zu den zugrunde liegenden Mechanismen, einschließlich der Auswirkungen von Immuntherapien. Die Studie liefere somit wichtige Impulse für die klinische Praxis und die Entwicklung von Vorsorgestrategien.

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Prof. Dr. med. Christine Meisinger, MPH
Stellvertretende Lehrstuhlleitung Epidemiologie
Telefon: +49 821 598 - 6476
christine.meisinger@med.uni-augsburg.de

Dr. rer. biol. hum. Dennis Freuer, M.Sc.
Wissenschaftlicher Mitarbeiter Epidemiologie
Telefon: +49 821 598 - 6474
dennis.freuer@med.uni-augsburg.de

Originalpublikation:
"Evaluating the risk of digestive system cancer in autoimmune disease patients: a systematic review and meta-analysis focusing on bias assessment". Julia Reizner, Simone Fischer, Jakob Linseisen, Christa Meisinger, Dennis Freuer. eClinicalMedicine Volume 87, September 2025.

https://doi.org/10.1016/j.eclinm.2025.103410

Multiple Sklerose (MS)

Interferon oder Glatirameracetat?

 Beide Medikamente gelten als gleichwertig hilfreich gegen Multiple Sklerose (MS). 

Eine internationale Arbeitsgruppe unter der Leitung von Prof. Dr. Nicholas Schwab vom Institut für Translationale Neurologie der Universität Münster fand nun heraus, dass der Behandlungserfolg von individuellen genetischen Biomarkern abhängt. 

Damit lässt sich vor der Therapie bestimmen, welches Präparat die bessere Wahl ist. 

Die Ergebnisse der multizentrischen Analyse mit mehr als 3.000 an MS Erkrankten wurden nun in der Fachzeitschrift „eBioMedicine“ publiziert.

Behandlung mit Interferon oder mit Glatirameracetat? 

Diese Frage stellt sich bei vielen Patientinnen und Patienten, die erstmals die Diagnose Multiple Sklerose (MS) erhalten. Bisher konnte man für die Entscheidung quasi eine Münze werfen: Beide Präparate gelten als etablierte Basistherapien, haben vergleichsweise geringe Nebenwirkungen und können in der Schwangerschaft sowie Stillzeit zum Einsatz kommen. Und schließlich: Beide helfen - wie alle immunmodulatorischen Therapien - nicht allen Menschen gleich gut. Dank einer Studie unter Leitung der Universität Münster gibt es nun aber einen eindeutigen Maßstab für die Medikamentenwahl.

Die internationale Arbeitsgruppe hat einen genetischen Biomarker identifiziert, der vorhersagt, ob MS-Patientinnen und -Patienten besonders gut auf eine Behandlung mit Glatirameracetat (GA) ansprechen. Menschen mit dem Gewebetyp HLA-A*03:01 profitieren demnach signifikant stärker von GA als von Interferon-beta (IFN). Die Ergebnisse der multizentrischen Analyse mit mehr als 3.000 an MS Erkrankten wurden nun in der Fachzeitschrift „eBioMedicine“ publiziert.

„Unsere Studie zeigt zum ersten Mal, dass ein genetischer Marker mit dem Behandlungserfolg eines MS-Medikaments verknüpft ist“, erklärt Studienleiter Prof. Nicholas Schwab von der Universität Münster. „Damit lässt sich vor Therapiebeginn vorhersagen, ob Glatirameracetat oder Interferon die wahrscheinlich bessere Wahl ist.“ Bei etwa einem von drei MS-Betroffenen fällt die Entscheidung auf GA, bei den anderen beiden Fällen wirkt vermutlich Interferon-beta besser. „Das ist ein entscheidender Fortschritt für die personalisierte MS-Behandlung“, freut sich Prof. Heinz Wiendl, Sprecher des Kompetenznetzes Multiple Sklerose (KKNMS), der die Studie mit konzipiert hat.

Klinischer Nutzen in fünf unabhängigen Kohorten belegt

GA führt bei Patientinnen und Patienten zu spezifischen T-Zell-Antworten, die sich das Team genauer anschaute. Die Forschenden analysierten die T-Zell-Rezeptor-Sequenzen (TZR) im Blut von 3.021 MS-Patientinnen und MS-Patienten, deren Proben ihnen aus mehreren voneinander unabhängigen internationalen Kohorten zur Verfügung gestellt wurden. Dabei fielen T-Zell-Klone auf, die sich nach GA-Therapie nur bei den Patienten fanden, die zudem Träger bestimmter HLA-Moleküle sind, und zwar von HLA-A*03:01 oder HLA-DRB1*15:01. Liegt eines dieser beiden HLA-Moleküle vor, reagiert also das Immunsystem auf die Therapie mit GA. Praktisch profitieren Patientinnen und Patienten jedoch nur in einem der beiden Fälle: Denn ausschließlich Betroffene mit der Genvariante HLA-A*03:01 haben nachweislich einen klinischen Behandlungsvorteil, ihnen geht es also dank GA-Therapie besser.

Um sicherzugehen, dass die Ergebnisse auch in der klinischen Anwendung relevant sind, untersuchte das Team fünf große Kohorten und Studienpopulationen aus den USA, Frankreich und Deutschland, darunter die NationMS-Kohorte des deutschen KKNMS. In sämtlichen Analysen zeigten Trägerinnen und Träger der Genvariante HLA-A*03:01 unter Therapie mit GA signifikant weniger Krankheitssymptome als bei Behandlung mit IFN. Statistisch betrifft das etwa 30 bis 35 Prozent der europäischen MS-Patientinnen und MS-Patienten, denn sie tragen das HLA-A*03:01-Allel.

Personalisierte Therapieentscheidung durch einfache genetische Testung möglich

Das Besondere an der Entdeckung: Das neue Forschungsergebnis kann schon kurzfristig in der Therapieberatung angewendet werden – denn ein HLA-Test, wie er zum Beispiel für Transplantationen oder Arzneimittelsicherheit bereits etabliert ist, findet die fragliche Genvariante.
Der Erkenntnisgewinn der Studie reicht aber noch weiter: Diese liefert nicht nur einen klinisch relevanten Biomarker, sondern auch neue Hinweise auf den Wirkmechanismus von GA: Die beobachteten öffentlichen T-Zell-Antworten deuten darauf hin, dass GA nicht alle seine Eiweißbestandteile benötigt, um zu wirken. Vielmehr spielen wenige Fragmente der GA-Mischung eine dominante Rolle, vielleicht ist sogar nur ein Einzelnes relevant. Dies könnte künftig zur gezielten Weiterentwicklung des Medikaments führen.
Die Studie entstand in Kooperation mit internationalen Partnern, insbesondere mit der US-Firma Adaptive Biotechnologies, die die Sequenzierungen durchgeführt und unterstützt hat. Zudem erhielt das Forschungsteam Fördergelder unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, den National Institutes of Health (USA), der National Multiple Sclerosis Society und der Valhalla Foundation.

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Prof. Dr. Nicholas Schwab
Institut für Translationale Neurologie
Universität Münster
E-Mail: nicholas.schwab@ukmuenster.de
Telefon: +49 251 8335414

Originalpublikation:
Zhang BC, Schneider-Hohendorf T, Elyanow R, Pignolet B, Falk S, Wünsch C, Deffner M, Yusko E, May D, Mattox D, Dawin E, Gerdes LA, Bucciarelli F, Revie L, Antony G, Jarius S, Seidel C, Senel M, Bittner S, Luessi F, Havla J, Knop M, Friese MA, Rothacher S, Salmen A, Hayashi F, Henry R, Caillier S, Santaniello A; University of California San Francisco MS-EPIC Team; German Competence Network Multiple Sclerosis (KKNMS); Seipelt M, Heesen C, Nischwitz S, Bayas A, Tumani H, Then Bergh F, Meyer Zu Hörste G, Kümpfel T, Gross CC, Wildemann B, Kerschensteiner M, Gold R, Meuth SG, Zipp F, Cree BAC, Oksenberg J, Wilson MR, Hauser SL, Zamvil SS, Klotz L, Liblau R, Robins H, Sabatino JJ Jr, Wiendl H, Schwab N. HLA-A∗03:01 as predictive genetic biomarker for glatiramer acetate treatment response in multiple sclerosis: a retrospective cohort analysis. EBioMedicine. 2025 Jul 31;118:105873. https://doi.org/10.1016/j.ebiom.2025.105873

Diese Gehirnprozesse und das Erinnerungsvermõgen

Ein Forschungs-Team des Universitätsklinikums Bonn (UKB), der Universität Bonn und des Universitätsklinikums Freiburg hat neue Erkenntnisse über die Gehirnprozesse gewonnen, die sich beim Speichern und Abrufen neuer Gedächtnisinhalte abspielen. 

Die Studie basiert auf der Messung einzelner Nervenzellen bei von Epilepsie betroffenen Personen und zeigt, wie diese einem inneren Rhythmus folgen. Die Arbeit ist jetzt in dem Fachjournal „Nature Communications“ veröffentlicht.

„Ähnlich wie die Mitglieder in einem Orchester, die sich an einem gemeinsamen Takt orientieren, ist die Aktivität der Nervenzellen offenbar mit elektrischen Schwingungen – ein- bis zehnmal pro Sekunde – im Gehirn verknüpft. Dabei feuern die Zellen bevorzugt zu bestimmten Zeitpunkten innerhalb dieser Hirnwellen, ein Phänomen namens Theta-Phasenbindung“, sagt Erstautor und Postdoktorand der Universität Bonn Dr. Tim Guth, der kürzlich vom Universitätsklinikum Freiburg zur Arbeitsgruppe „Kognitive und Translationale Neurowissenschaften“ am UKB gewechselt ist.

Das Forschungsteam um Tim Guth und Lukas Kunz fand heraus, dass das Zusammenspiel von Nervenzellen und Hirnwellen sowohl beim Merken als auch beim Erinnern neuer Informationen aktiv ist – und zwar im medialen Schläfenlappen, einem zentralen Bereich für das menschliche Gedächtnis. In der durchgeführten Studie zum räumlichen Gedächtnis war die Stärke der Theta-Phasenbindung der Nervenzellen während der Gedächtnisbildung jedoch unabhängig davon, ob sich die Testpersonen später korrekt an die Gedächtnisinhalte erinnern konnten oder nicht.

 „Dies legt nahe, dass die Theta-Phasenbindung zwar ein generelles Phänomen des menschlichen Gedächtnissystems ist, jedoch nicht allein über das erfolgreiche Erinnern entscheidet“, sagt Korrespondenzautor Prof. Dr. Lukas Kunz, Leiter der Arbeitsgruppe „Kognitive und Translationale Neurowissenschaften“ an der Klinik für Epileptologie am UKB und Mitglied im Transdisziplinären Forschungsbereich (TRA) „Life & Health“ der Universität Bonn.

Interaktion von Nervenzellen und elektrischen Signalen

Während die meisten Nervenzellen immer um den gleichen Schwingungszeitpunkt feuerten, wechselten manche Nervenzellen spannenderweise ihren bevorzugten Taktzeitpunkt zwischen Lernen und Erinnern.

 „Dies unterstützt die Theorie, dass unser Gehirn Lern- und Abrufprozesse innerhalb einer Hirnwelle voneinander trennen kann, ähnlich wie Mitglieder eines Orchesters, die zu verschiedenen Taktzeitpunkten eines Musikstücks einsetzen“, sagt Guth.

 Die Studie liefert neue Hinweise darauf, wie Nervenzellen und elektrische Signale im Gehirn zusammenwirken, während sich neue Erinnerungen formen. Prof. Kunz zieht folgendes Fazit: „Ein besseres Verständnis dieser Prozesse könnte langfristig dabei helfen, Gedächtnisstörungen besser zu verstehen und gezielter zu behandeln.“

Das Forschungsteam konnte das Zusammenspiel von Nervenzellen und Hirnwellen während des Gedächtnisprozesses im Rahmen der Studie beobachten, indem es eine Besonderheit der Therapie von Epilepsie nutzte. Menschen mit besonders schwer behandelbarer Epilepsie werden zur Diagnostik Elektroden im Gehirn implantiert. Damit soll der Ursprung der epileptischen Anfälle genau bestimmt werden, um bessere chirurgische Ergebnisse zu erzielen. Unter Verwendung dieser implantierten Elektroden kann aber auch die menschliche Gehirnaktivität von einzelnen Zellen aufgezeichnet werden. Die Forschenden nutzten Messungen, die am Universitätsklinikum Freiburg durchgeführt wurden, und danken allen Betroffenen, die an dieser Studie teilgenommen haben.

Beteiligte Institutionen und Förderung:
Neben dem Universitätsklinikum Bonn (UKB), der Universität Bonn und dem Universitätsklinikum Freiburg war die Columbia University (New York, USA) beteiligt. Die Forschungsarbeiten wurden durch das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR), die US-amerikanische Gesundheitsbehörde National Institutes of Health (NIH), die US-amerikanische National Science Foundation (NSF), die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) sowie durch das Rückkehrprogramm des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert.

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Dr. Tim Guth
Postdoktorand der Universität Bonn
Arbeitsgruppe „Kognitive und Translationale Neurowissenschaften“
Klinik für Epileptologie, Universitätsklinikum Bonn
E-Mail: Tim.Guth@ukbonn.de

Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. Lukas Kunz
Arbeitsgruppenleiter „Kognitive und Translationale Neurowissenschaften“
Klinik für Epileptologie, Universitätsklinikum Bonn (UKB)
TRA „Life & Health“, Universität Bonn
E-Mail: Lukas.kunz@ukbonn.de

Originalpublikation:
Guth et al.: Theta-phase locking of single neurons during human spatial memory; Nature Communications; DOI: 10.1038/s41467-025-62553-9

Der Floh, Die Füchse und Fuchsbauten, Die Haustiere

In Berlin wurden in letzter Zeit mehrere Fälle von Flohbefall gemeldet, bei denen ein Zusammenhang mit Fuchsbauen vermutet wird. Einige Floharten können sowohl Wildtiere wie Füchse als auch Menschen befallen. In Gebieten, in denen Füchse ihre Baue anlegen, kann es zu einer Übertragung auf den Menschen kommen. In Abstimmung mit der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt und dem Senckenberg Deutsches Entomologisches Institut (SDEI) wurde am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) eine Taskforce eingerichtet, um die Verbreitung der Flöhe von Wildtieren auf Menschen besser zu verstehen und Strategien zur Eindämmung zu entwickeln


Die Taskforce besteht aus Biolog:innen, Wildtierärzt:innen und Berater:innen des Leibniz-IZW und arbeitet eng mit der Berliner Senatsverwaltung zusammen. Sie erstellt Infoblätter und steht zuständigen Stellen und Privatpersonen beratend zur Seite. Ziel ist es, Informationslücken zu schließen und eine Strategie zur Eindämmung der Flohfälle zu entwickeln, die im Einklang mit Tier- und Artenschutz steht. Ein Informationsblatt für Berliner Bürgerinnen und Bürger kann hier heruntergeladen werden:

https://hidrive.ionos.com/share/xrryxnwg-j

Die Taskforce steht für Presseanfragen zur Verfügung und kann unter anderem zu folgenden Fragen und Themen Auskunft geben:

Was ist bisher zu den Fällen von Flohbefall in Berlin bekannt?

Es sind bislang mindestens sieben Fälle von starkem Flohbefall in der Umgebung von Fuchsbauen in verschiedenen Berliner Bezirken bekannt geworden. Diese Fälle konzentrieren sich bislang auf den Westen und Südwesten der Stadt sowie auf Berlin-Mitte, es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass dieses Problem auch in anderen Stadtteilen besteht. Bei einem Teil der Fälle wies das SDEI die Flohart Pulex irritans nach, die als „Menschenfloh“ bekannt ist, aber auch Wild- und Haustiere befallen kann. Das Leibniz-IZW erarbeitet gemeinsam mit der Berliner Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt Strategien zur Eindämmung.

Welche Rolle spielen Füchse bei der Übertragung von Flöhen?

Flöhe haben bevorzugte Wirte, befallen aber bei Gelegenheit auch andere Tierarten. Es ist bekannt, dass der sogenannte „Menschenfloh“ Pulex irritans auch Hauskatzen, Hunde oder Füchse befallen und auf diesen Wirten überleben kann. In Berlin leben viele Füchse nahe am Menschen, z.B. neben Schulhöfen oder in Parks und Gärten, was den Übersprung der Flöhe vereinfacht. Die Anwesenheit von Wildtieren wie dem Fuchs kann die Ausbreitung der Flöhe zwar befördern, gleichzeitig kann der Befall durch eine tiermedizinische Behandlung der Füchse mit Anti-Flohmitteln eingedämmt werden. Deren gezielter Einsatz wird am Leibniz-IZW anhand konkreter Anwendungsfälle fachgerecht erprobt.

Wie kann die Flohbehandlung von Wildtieren wie Füchsen erfolgen?

Grundsätzlich gibt es zwei Wege der Verabreichung von Anti-Flohmitteln, entweder per Injektion oder über Futterköder. Da es praktisch kaum möglich ist, Wildtiere stressfrei einzufangen und zu behandeln, empfiehlt sich der Einsatz spezieller Futterköder. Nach Verzehr ist der Fuchs je nach Präparat mehrere Monate lang geschützt, da alle Flöhe, die ihn stechen, binnen kurzer Zeit sterben. Damit ist nicht nur dem Tier selbst geholfen, sondern auch die Flohausbreitung unterbrochen. Der gezielte Einsatz dieser Köder bei Füchsen wird derzeit am Leibniz-IZW wissenschaftlich begleitet.

Was bringt eine Vergrämung oder ein Abschuss von Füchsen?

Kurz gesagt: kaum Nutzen oder möglicherweise negative Effekte. Wird ein Fuchs vergrämt, besteht das Risiko, dass er vorhandene Flöhe in ein neues Gebiet mitnimmt, was die weitere Ausbreitung der Flöhe begünstigt und zur Vergrößerung des Problems beiträgt. Die am ursprünglichen Standort zurückbleibenden Flöhe hingegen suchen sich neue Wirte, etwa andere Wildtiere, Haustiere oder Menschen, was die lokale Befallsrate sogar noch erhöhen kann. Zudem können die Flöhe an diesem Ort nicht mehr durch eine Anti-Flohbehandlung des befallenen Fuchses bekämpft werden. Gleiches gilt für das Abschießen des Fuchses, welches sich ebenfalls kontraproduktiv auswirken kann, da auch diese Füchse nicht mehr bei der Flohbekämpfung unterstützen können, ihre freigewordenen Reviere aber von neuen, möglicherweise befallenen Füchsen wiederbesiedelt werden.

Was können betroffene Berlinerinnen und Berliner tun?

Betroffene können ihren Fall von Montag bis Freitag zwischen 10 und 12 Uhr über das Beratungstelefon unter 030/5168686 melden. Außerhalb der telefonischen Sprechzeiten können Anliegen auch per E-Mail an fuchs-floh@izw-berlin.de gemeldet werden. Für jeden gemeldeten Fall werden genaue Angaben dazu benötigt, wann und wo der Flohbefall festgestellt wurde und ob ein Zusammenhang mit einem Fuchsbau vermutet wird. Da noch zu wenig über die verschiedenen Arten von Flöhen, deren Verbreitung in Berlin sowie mögliche Übertragungs-Zusammenhänge mit Fuchsbauten und regionalen Häufungsschwerpunkten bekannt ist, ist es eine große Hilfe, wenn bei Flohbefall einige Exemplare zur Bestimmung an das SDEI eingeschickt werden. Eine Anleitung und die Adresse dafür findet sich auf dem Infoflyer: https://hidrive.ionos.com/share/xrryxnwg-j

Was müssen Berlinerinnen und Berliner mit Haustieren beachten?

Hunde und Katzen sind ebenfalls typische Wirte von Flöhen und damit typische Nebenwirte von Menschenflöhen. Sie sollten auf jeden Fall regelmäßig mit zugelassenen Präparaten gegen Flöhe behandelt werden. Tritt dennoch ein Befall auf, zum Beispiel im eigenen Garten oder in der näheren Umgebung, empfiehlt es sich, den Freigang der Haustiere zeitweise einzuschränken.

Wie arrangieren sich Füchse in einer Großstadt wie Berlin?

Füchse übernehmen wichtige ökologische Aufgaben und haben sich hervorragend an das urbane Leben angepasst. Stadtfüchse nutzen Rückzugsräume wie Bahndämme, Hecken, Kleingärten oder Brachen. Ihre Streifgebiete sind kleiner als im ländlichen Raum, da Nahrung im Überfluss vorhanden ist. Meist sind sie dämmerungs- oder nachtaktiv, um den Kontakt mit Menschen zu vermeiden. Die Anwesenheit von Füchsen zeigt, dass eine Stadt noch funktionsfähige ökologische Nischen bieten kann. Füchse jagen Mäuse, Ratten und Kaninchen, die sich in Städten leicht vermehren. Auch Aas (z.B. durch überfahrende Tiere) und Nahrungsreste werden von ihnen verwertet, was zur Sauberkeit im Stadtgebiet beiträgt. Sie tragen so zur natürlichen biologischen Schädlingsregulierung bei.

Wie können wir uns den Lebensraum Stadt mit Füchsen auf gesunde Art teilen?

Füchse können wie alle Wildtiere Parasiten wie Flöhe, Milben oder Bandwürmer übertragen. Derzeit gibt es keinen Nachweis des Fuchsbandwurms in Berlin. Dennoch ist es wichtig, Haustiere regelmäßig zu entwurmen und auf Parasiten zu kontrollieren. Direkten Kontakt mit Fuchsbauen oder Kot von Wildtieren sollten Menschen und Haustiere generell vermeiden. Offene Nahrungsquellen locken Wildtiere wie Füchse an, dadurch verlieren sie ihre natürliche Scheu und halten sich häufiger in Wohngebieten auf. Essensreste und Biomüll sollten daher stets sicher verwahrt werden, beispielsweise in geschlossenen Mülleimern oder gesicherten Komposthaufen. Das Füttern von Wildtieren gewöhnt diese an die Nähe zum Menschen und sollte daher grundsätzlich unterbleiben! Es erhöht das Konfliktrisiko und fördert schlussendlich das Risiko für die Übertragung von Krankheitserregern oder Parasiten.
Von März bis Juni bekommen Füchse Nachwuchs und ziehen ihn auf. Fuchsbaue, die Wurf- und Aufzuchtstätten für den Fuchsnachwuchs, sind in dieser Zeit rechtlich besonders geschützt. Um eine Ansiedlung von Füchsen in direkter Menschennähe zu vermeiden, können zur Vorbeugung potenzielle Bauplätze wie Hohlräume unter Schuppen oder Terrassen bereits vor der Reproduktionszeit baulich gesichert werden. In Gebieten, in denen Füchse regelmäßig gesichtet werden und Fuchsbaue bekannt sind, kann eine Absperrung der Fläche rund um den Bau dabei helfen, eine potenzielle Übertragung von Flöhen auf Menschen zu vermeiden.
Nicht zuletzt ist es im Rahmen der Stadtentwicklung wichtig, für ein gutes Zusammenleben von Menschen und Wildtieren wie dem Fuchs naturnahe Rückzugsräume zu erhalten, zum Beispiel Brachen, Hecken oder Böschungen.

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Silke Voigt-Heucke
Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW)
Koordinatorin der Taskforce Fuchs & Floh im Leibniz-IZW
Telefon: +49(0)30 5168449 oder +49(0)1511 2805901
E-Mail: voigt-heucke@izw-berlin.de