Medizin am Abend Berlin Fazit: Kohlenhydrate vs. Proteine: Frühstückszusammensetzung beeinflusst soziales Entscheidungsverhalten
Die Zusammenstellung von Makronährstoffen bei einer Mahlzeit
beeinflusst, wie Menschen sich in sozialen Situationen entscheiden.
- Forscher eines interdisziplinären Teams in Lübeck untersuchten den
Einfluss des Frühstücks in Bezug auf soziales Entscheidungsverhalten.
- Teilnehmer, die zum Frühstück mehr Kohlenhydrate und weniger Proteine zu
sich nahmen, neigten eher dazu, Ungerechtigkeit abzulehnen.
- Sie
reagierten auf „unfaire Angebote“ sensibler als diejenigen, die
proteinlastiger frühstückten.
Was diese Erkenntnisse über unausgewogenes
Frühstück für Essensangebote in Kitas, Schulen und Kantinen bedeuten
könnte, diskutierten Experten auf einer Pressekonferenz am 28. Juni 2018
in Berlin.
Makronährstoffe, also Kohlenhydrate, Fette und Proteine, sind
Bestandteile der Nahrung, aus denen der Körper Energie gewinnt. Jede
Mahlzeit variiert in der Zusammensetzung dieser Bausteine.
Die
Zusammensetzung der Makronährstoffe steuert den Aminosäure-Haushalt und
dieser wiederum bestimmt mit, welche Botenstoffe – also Neurotransmitter
– im Gehirn zur Verfügung stehen.
Das ist seit einigen Jahren bekannt.
„Biochemische Prozesse beeinflussen unser Verhalten. Bislang hatten wir
jedoch keine Erkenntnisse darüber,
in welchem Maß diese
nahrungsinduzierten Veränderungen bei den Botenstoffen im Gehirn
auftreten und ob sie das Verhalten messbar verändern“, sagt Professor
Dr. med. Sebastian M. Schmid, stellvertretender Klinikdirektor
Medizinische Klinik 1, Leiter Endokrinologie, Diabetologie,
Internistische Adipositasmedizin an der Universität zu Lübeck.
Um der
Frage,
wie die Ernährung soziales Verhalten beeinflusst, auf den Grund
zu gehen, bildete sich in Lübeck ein interdisziplinäres Forscherteam, zu
dem neben Schmid auch die Psychologin Professor Dr. Soyoung gehörte.
Sozialpsychologische Tests, kombiniert mit medizinischen
Analysemethoden, bildeten das Gerüst für zwei aufeinander aufbauende
Studien, in denen herausgefunden werden sollte, inwieweit die tägliche
Nahrung das soziale Verhalten bestimmt.
Bei beiden Studien stand das Frühstück im Mittelpunkt, da es nüchtern
eingenommen wird und Ergebnisse damit nicht durch vorangegangene
Mahlzeiten verfälscht werden konnten.
An der ersten Studie nahmen 87
Probanden teil. Bei dieser Onlinestudie gaben die Teilnehmer am späten
Vormittag an, was sie an diesem Morgen zum Frühstück gegessen hatten.
Dann sollten sie in einem Test, dem sogenannten Ultimatum Game (UG), auf
ein „unfaires Angebot“ eines virtuellen Gegenspielers reagieren. Beim
UG, einem Spiel für zwei Akteure, geht es darum, eine Geldsumme
untereinander zu teilen. Dabei macht die eine Person einen Vorschlag,
den die andere dann entweder akzeptieren oder ablehnen kann; geschieht
letzteres, dann bekommt keiner der beiden etwas. Die Entscheidung hängt
vor allem damit zusammen, ob das Angebot als „fair“ oder „unfair“
empfunden wird. „Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass es einen
Zusammenhang zwischen der Makronährstoffkomposition des Frühstücks und
der Reaktion der Probanden auf unfaire Angebote gab“, so Schmid. J
Je
höher der berichtete Anteil an Kohlenhydraten im zurückliegenden
Frühstück war, desto sensibler reagierten die Probanden auf „unfaire
Angebote“.
Unter Laborbedingungen, randomisiert und kontrolliert, wurde dann eine
zweite Studie mit insgesamt 24 Probanden durchgeführt. Nun ging es
darum, auch die biochemische Seite zu erfassen. Die Probanden erhielten
an zwei verschiedenen Tagen dabei einmal ein Frühstück mit einem sehr
hohen Kohlenhydratanteil von 80 Prozent (Protein zehn Prozent, Fett zehn
Prozent) und in der anderen Versuchsanordnung ein Frühstück mit
gleichem Kaloriengehalt und einer Makronährstoffzusammensetzung gemäß
den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung:
Kohlenhydrat
50 Prozent, Protein 25 Prozent und Fett 25 Prozent. Drei Stunden nach
dem Verzehr des Frühstücks wurden verschiedene neurokognitive Tests
durchgeführt, darunter auch
das Ultimatum Game. Durch Blutuntersuchungen
ermittelten die Forscher dann relevante stoffwechselbedingte und
hormonelle Parameter. „Die Laborstudie konnte die Ergebnisse der ersten
Studie bestätigen:
Abhängig vom Kohlenhydratanteil im Frühstück
reagierten Probanden unterschiedlich auf unfaire Angebote.
„Nach einem
Frühstück mit hohem Kohlenhydratanteil waren die Probanden sehr viel
empfindlicher gegenüber unfairen Angeboten als in der Versuchsbedingung
mit einer ausgeglichenen Makronährstoffkomposition“, fasst Schmid
zusammen.
-
Keine Rolle scheint der nach dem Essen gemessene Blutzuckerspiegel zu
spielen.
- Einzig das nach dem Essen veränderte Profil der zirkulierenden
neutralen Aminosäuren („large neutral amino acids“/lange neutrale
Aminosäuren, LNAA) konnte das veränderte Entscheidungsverhalten der
Probanden erklären.
„Damit konnten wir verlässlich das
Gerechtigkeitsverhalten der Probanden in statistischen Modellen
vorhersagen“, betont Schmid.
- Je höher der Kohlenhydratanteil und
entsprechend niedriger der Proteinanteil war, umso niedriger waren die
Tyrosinspiegel im Blut der Probanden.
- Die Tyrosinkonzentration im Blut
lässt wiederum auf die Konzentration des Neurotransmitters Dopamin im
Gehirn schließen.
Für Professor Dr. med. Matthias M. Weber, Mediensprecher der Deutschen
Gesellschaft für Endokrinologie (DGE), zeigen diese Ergebnisse
interdisziplinärer Forschung deutliche Ansätze zur „Anwendung in der
Praxis“ und werfen einige ganz alltagspraktische Fragen auf:
„Wenn wir
ableiten können, dass ein extrem unausgewogenes Verhältnis von
Kohlenhydraten zu Proteinen in einer Mahlzeit direkt das Verhalten
beeinflusst, dann sollte dem Thema ‚Ausgewogenheit der
Nahrungszusammensetzung‘ mehr Gewicht beigemessen werden“.
Ob Diäten wie
„low carb“, die einen stark reduzierten Kohlenhydratanteil fordern,
oder Kantinen- und Schulessen, das noch immer häufig kohlenhydratlastig
ist, Mahlzeiten sollten auf den Prüfstand, was weitere Studien in diesem
spannenden und interdisziplinären wissenschaftlichen Gebiet
unverzichtbar mache, so Weber.
Auf der gemeinsamen Pressekonferenz der beiden Fachgesellschaften am 28.
Juni 2018 in Berlin standen neben seltenen Hormonerkrankungen und
Diabetes auch die Themen Ökonomisierung in der Medizin sowie Studium und
Ausbildung von Diabetologen auf der Agenda.
Literatur:
Park, S., Schmid, S. M. Wie unsere Nahrung unser soziales
Entscheidungsverhalten beeinflusst, Nutrition-News, Jahrgang 15, Ausgabe
1/18, Seite 7-8.
Strang, S., Hoeber, C., Uhl, O., Koletzko, B., Münte, T. F., Lehnert,
H., Dolan, R. J., Schmid, S. M., Park, S.O. Impact of nutrition on
social decision making. PNAS June 20, 2017. 114 (25) 6510-6514; Artikel
„Sparzwang, Lehrstuhlschließungen und fehlende Experten:
Was tun Endokrinologen/Diabetologen dagegen?“
Eine herausfordernde Therapie: Wenn Diabetes auf andere Hormonerkrankungen wie Cushing oder Akromegalie trifft
Professor Dr. med. Matthias M. Weber
Leiter der Endokrinologie und Diabetologie der Universitätsmedizin Mainz
und Mediensprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE)
Medizin geht vor Ökonomie: Was kann der Klinikkodex für die stationäre Diabetologie bewirken?
Professor Dr. med. Dirk Müller-Wieland
Medizinische Klinik I, Universitätsklinikum der RWTH Aachen und Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG)
Ernährung und soziale Entscheidungen: Welchen Einfluss hat das Essen auf unser Verhalten?
Professor Dr. med. Sebastian M. Schmid
Stellvertretender Klinikdirektor Medizinische Klinik 1, Leiter
Endokrinologie, Diabetologie, Internistische Adipositasmedizin,
Universität zu Lübeck
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Über die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE):
Endokrinologie ist die Lehre von den Hormonen, Stoffwechsel und den
Erkrankungen auf diesem Gebiet. Hormone werden von endokrinen Drüsen,
zum Beispiel Schilddrüse oder Hirnanhangdrüse, aber auch bestimmten
Zellen in Hoden und Eierstöcken, „endokrin“ ausgeschüttet, das heißt
nach „innen“ in das Blut abgegeben. Im Unterschied dazu geben „exokrine“
Drüsen, wie Speichel- oder Schweißdrüsen, ihre Sekrete nach „außen“ ab.
Über die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG):
Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) ist mit über 9.000 Mitgliedern
eine der großen medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften in
Deutschland. Sie unterstützt Wissenschaft und Forschung, engagiert sich
in Fort- und Weiterbildung, zertifiziert Behandlungseinrichtungen und
entwickelt Leitlinien. Ziel ist eine wirksamere Prävention und
Behandlung der Volkskrankheit Diabetes, von der mehr als sechs Millionen
Menschen in Deutschland betroffen sind. Zu diesem Zweck unternimmt sie
auch umfangreiche gesundheitspolitische Aktivitäten.
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