Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Wie gesund sind Würzburger Herzen?
Vor sieben Jahren haben das Deutsche Zentrum für Herzinsuffizienz
(DZHI) und das Institut für Klinische Epidemiologie und Biometrie
(IKE-B) die große STAAB-Kohortenstudie initiiert. 5.000 Würzburger
wurden seither mindestens einmal, die meisten bereits zweimal, umfassend
untersucht, um die Entstehung und Verbreitung von Vorstufen einer
Herzinsuffizienz zu analysieren.
Die erste große Auswertung wurde nun im
European Journal of Preventive Cardiology publiziert. 59 Prozent wiesen
die Vorstufe einer Herzinsuffizienz auf.
Fast jeder Zweite hat
mindestens einen bekannten Risikofaktor.
Und es gibt Hinweise, dass es
noch weitere, bisher unbekannte Einflussfaktoren gibt, die das Herz
schwächen.
Dr. Caroline Morbach, Leiterin des Herzultraschall-Labors, untersucht einen Studienteilnehmer. Gregor Schläger
Die erste große Auswertung der STAAB-Kohortenstudie ist da.
Die
Untersuchung von 5.000 Würzburgern auf
Vorstufen einer Herzinsuffizienz
sorgt für einige Überraschungen. 42 Prozent der Studienteilnehmer
befinden sich im
Vorläuferstadium A einer Herzinsuffizienz. Damit haben
sie mindestens
einen kardiovaskulären Risikofaktor, der die
Wahrscheinlichkeit für die künftige Entstehung einer Herzinsuffizienz
erhöht. 45 Prozent von ihnen haben
Bluthochdruck, 20 Prozent sind
adipös. Im Stadium A befinden sich bereits auffällig viele junge
Menschen zwischen 30 und 39 Jahren. Eine
strukturelle Veränderung am
Herzen weisen 17 Prozent der Studienteilnehmer auf.
Stutzig gemacht hat
das Studienteam aus dem Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz (DZHI)
und dem Institut für Klinische Epidemiologie und Biometrie (IKE-B),
dass
jeder Dritte von ihnen keinen Risikofaktor aufweist, also das Stadium A
nicht durchlaufen hat. Zu dieser Gruppe gehören vorwiegend Frauen mit
einem Durchschnittsalter von 47 Jahren. Die Studie wurde jetzt im
European Journal of Preventive Cardiology publiziert.
Über die Annahme der ersten Auswertungsergebnisse zur Publikation im
internationalen wissenschaftlichen Journal der European Society of
Cardiology freuen sich die Studienleiter Professor Stefan Störk, Leiter
der klinischen Forschung am Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz
(DZHI), und Professor Peter U. Heuschmann, Direktor des Instituts für
Klinische Epidemiologie und Biometrie (IKE-B), mit dem gesamten
Studienteam. Die beiden Wissenschaftler hatten die STAAB-Studie vor
sieben Jahren als gemeinsames Projekt der beiden Einrichtungen an der
Universität und am Universitätsklinikum Würzburg initiiert. Der Dank
der Forscher gilt an dieser Stelle den 5.000 Würzburgerinnen und
Würzburgern, ohne deren Teilnahme und Bereitschaft, ihre medizinischen
Daten zur Verfügung zu stellen, dieser Erfolg nicht möglich gewesen
wäre.
Fast jeder zweite hat mindestens einen Risikofaktor
In der STAAB-Studie wird erforscht, wie häufig die Vorstufen der
Herzinsuffizienz, die Stadien A und B, in der Bevölkerung im Alter von
30 bis 79 Jahren auftreten, wie sie mit verschiedenen
Risikofaktoren wie
Lebensstil und Vorerkrankungen zusammenhängen und wie oft und wie
schnell Betroffene in ein höheres Stadium der Herzinsuffizienz
übergehen. Die Studienteilnehmer wurden von der Stadt Würzburg nach dem
Zufallsprinzip ausgewählt und vom Studienteam angeschrieben. Diejenigen,
die keine vorbekannte Herzinsuffizienz hatten, wurden innerhalb von
rund vier Jahren zweimal untersucht.
Von den in der Studie Untersuchten befanden sich 42 Prozent im
Stadium
A. Das heißt: Sie haben einen oder mehrere Risikofaktoren für
Herzschwäche, aber im Ultraschall ein normales Erscheinungsbild des
Herzens. Mit 45 Prozent am meisten verbreitet ist der Risikofaktor
Bluthochdruck. An zweiter Stelle steht mit 20 Prozent starkes
Übergewicht. Diese Risikofaktoren findet man bereits zu einem
erheblichen Teil in jüngeren Menschen von 30 bis 39 Jahren; elf Prozent
hatten Bluthochdruck, zehn Prozent Adipositas.
Sind 60 Prozent der Bevölkerung herzkrank?
Weitere 17 Prozent der Studienteilnehmer sind bereits
im Stadium B: Bei
ihnen wurde im Ultraschall eine strukturelle Veränderung am Herzen
gefunden, die noch keine Symptome verursacht, zum Beispiel verdickte
Herzwände, erweiterte Herzkammern oder Einschränkungen der Pump- oder
Füllungsfunktion.
Bedeutet das, dass etwa 60 Prozent der Bevölkerung für herzkrank erklärt
werden? „Nein!“, sagt Götz Gelbrich, Professor für Biometrie am IKE-B.
„Die Stadien A und B sind Vorstufen einer Herzinsuffizienz.
So wie
Sehschwäche nicht zwingend Blindheit zur Folge hat, so mündet eine
Vorstufe der Herzinsuffizienz nicht zwingend in eine klinische
Herzschwäche. Aber so wie die Sehschwäche ein Warnzeichen ist, das
ärztlich abgeklärt werden sollte, so sind auch die
Stadien A und B der
Herzinsuffizienz Warnzeichen, die ernst genommen werden sollten, zumal
diese Risiken auch zahlreiche andere gesundheitliche Folgen haben
können.
Bluthochdruck kann Schlaganfall, Nierenversagen und viele andere
Organschäden verursachen. Starkes Übergewicht kann zu Diabetes,
Arteriosklerose, Bluthochdruck und orthopädischen Problemen führen, um
nur einige zu nennen.“
Suche nach dem unbekannten Risikofaktor
Für eine Überraschung sorgte ein Sachverhalt, der in den Daten
festgestellt wurde:
Etwa jeder dritte Teilnehmer im Stadium B hatte
keinen der bekannten Risikofaktoren, der für Stadium A qualifizieren
würde. Diese Subgruppe scheint die Vorstellung von der Entstehung der
Herzschwäche in Frage zu stellen: vom Risikofaktor (Stadium A) über die
Veränderung der Herzstruktur (Stadium B) zur klinisch manifesten
Herzinsuffizienz (Stadium C). Diese Subgruppe war mit einem
Durchschnittsalter von 47 Jahren auffällig jung und vorwiegend weiblich
(78%).
Was schädigt vor allem die Herzen jüngerer Frauen?
Dr. Caroline Morbach,
Kardiologin und Studienärztin am DZHI: „Wir können uns derzeit nicht
erklären, was dazu beiträgt,
dass so viele überwiegend jüngere Frauen
eine vergrößerte linke Herzkammer haben, ohne dass wir einen der
bekannten Risikofaktoren finden. Wir haben sehr viele Faktoren unter die
Lupe genommen,
Alkohol, Bewegung, Depression, eine Anämie, also einen
Mangel an rotem Blutfarbstoff, der den Sauerstoff transportiert. Aber
wir haben keine eindeutige Ursache gefunden. Die B-Gruppe ohne
klassischen Risikofaktor lebt sogar tendenziell gesünder als die
Studienteilnehmer, die eine normale Größe und Funktion des Herzens
aufweisen.“
Stefan Störk ergänzt: „Es liegt nahe, dass es Risikofaktoren gibt, die
bislang nicht als solche bekannt sind und nach denen daher bisher auch
in der Vorsorge nicht gesucht wird. Das zeigt uns, dass bei dieser
Gruppe die derzeitigen Präventionsmaßnahmen nicht greifen.“
Was ist, wenn die Grenzwerte nicht stimmen?
Götz Gelbrich neigt eher zu skeptischen Interpretationen: „Das kann
sein, aber was ist, wenn die Grenzwerte nicht stimmen? Die Grenzwerte,
jenseits derer ein Messwert aus dem Ultraschall als abnormal gilt, sind
unterschiedlich für Männer und Frauen. Wir müssen klären, ob die
Messwerte der Betroffenen tatsächlich eine ungünstige Prognose
darstellen, oder ob nur die Grenzwerte unglücklich festgelegt wurden.“
In einem ist sich das Studienteam aber einig: Ein statistischer Zufall
ist aufgrund der Auswertungsmethodik eher unwahrscheinlich. Die Forscher
hatten nämlich zunächst die erste Hälfte der Studienteilnehmer
analysiert und statistisch auffällige Sachverhalte als Hypothesen
formuliert. Diese wurden dann am zweiten Teil überprüft und nur bei
einer Bestätigung als Tatsachen gewertet. Auf diese Weise wird
weitgehend vermieden, statistische Auffälligkeiten in den Daten
vorschnell als neue Entdeckungen zu präsentieren.
Peter U. Heuschmann resümiert: „Im Rahmen der geplanten
Folgeuntersuchungen aller Studienteilnehmer werden wir zum einen
untersuchen, ob diese spezielle Gruppe wirklich ein höheres Risiko hat,
eine Herzschwäche zu entwickeln, und zum anderen der Frage nach weiteren
möglichen Risikofaktoren detailliert nachgehen.“
Studienteam hofft auf weiterhin große Bereitschaft der Würzburger
Die Folgeuntersuchungen der Studienteilnehmer sollen im Abstand von drei
bis vier Jahren stattfinden. Die erste Welle war bereits in vollem
Gange: Mehr als 3.000 Probanden hatten erfreulicherweise schon ihren
Folgetermin. Aufgrund der Corona-Pandemie wurden die Untersuchungen im
Interesse der Sicherheit aller Beteiligten unterbrochen. Das Studienteam
wünscht allen STAAB-Teilnehmern, diese Zeit gut zu überstehen, und
hofft auf die weiterhin große Bereitschaft der vielen Würzburger, die
Gesundheitsforschung durch ihre Teilnahme zu unterstützen.
Informationen zu den Stadien A, B, C und D
Die amerikanischen kardiologischen Fachgesellschaften haben eine
Einteilung in Stadien definiert, welche die Ausbildung einer
Herzinsuffizienz als langfristigen Prozess abbildet.
- Wer klinische
Anzeichen hat, vor allem Luftnot bei körperlicher Belastung, und
krankhafte Veränderungen im Herzultraschall, wird in Stadium C
eingestuft.
- Patienten mit schweren körperlichen Einschränkungen – für
sie ist das Aufstehen von einem Stuhl oder das Gehen auf kurzen Strecken
mühsam - werden dem Stadium D zugeordnet.
- Im Stadium A hat ein Patient
einen oder mehrere Risikofaktoren, zum Beispiel starkes Übergewicht (BMI
von mehr als 30kg/m2, Bluthochdruck, Diabetes,
Fettstoffwechselstörungen und Arteriosklerose.
- Im Stadium B liegt eine
Veränderung am Herzen vor, die im Ultraschall messbar ist, wovon der
Betroffene jedoch zunächst nichts verspürt.
Dies kann eine anatomische
Veränderung sein - vergrößertes Herz, verdickte Herzwände - oder eine
funktionelle Störung wie etwa eine verminderte Pumpfunktion oder eine
reduzierte Füllung der linken Herzkammer.
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Prof. Dr. Stefan Störk: stoerk_s@ukw.de
Prof. Dr. Peter U.Heuschmann: E_Heuschma_P@ukw.de
Dr. Carolin Morbach: morbach_c@ukw.de
Prof. Dr. Götz Gelbrich: gelbrich_g@ukw.de
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Originalpublikation:
"Prevalence and determinants of
the precursor stages of heart failure: results from the population-based
STAAB cohort study” im European Journal of Preventive Cardiology:
https://doi.org/10.1177/2047487320922636