Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Hirnstimulation verändert den Stoffwechsel - Stimulation des Vagusnervs beeinflusst den Magen
Der Vagusnerv spielt bei der Kommunikation zwischen Gehirn und
Körper eine zentrale Rolle und kann mit einer elektrischen Stimulation
am Ohr gezielt angeregt werden.
Wissenschaftler am Uniklinikum Tübingen
konnten jetzt zeigen, dass man die Aktivität des Magens über eine
Hirnstimulation ausgehend vom Vagusnerv beeinflussen kann.
Körpereigene Signale spielen eine wesentliche Rolle bei der
Steuerung unseres Energiehaushalts.
- Wenn wir beispielsweise etwas essen,
helfen uns Empfindungen wie Geruch und Geschmack bei der Vorbereitung
der passenden Verdauung der Nahrung.
- Signale aus dem Magen liefern dabei
eine wichtige Rückmeldung an das Gehirn, die wir als Sättigung
empfinden.
Das können zum Beispiel der Nährwert des Essens oder die
Ausdehnung des Magens durch das Volumen des Inhalts sein.
Der Vagusnerv
spielt bei dieser Kommunikation zwischen Gehirn und Körper eine zentrale
Rolle und kann mit einer elektrischen Stimulation am Ohr gezielt
angeregt werden. Wissenschaftler am Uniklinikum Tübingen konnten jetzt
zeigen, dass man die Aktivität des Magens über eine Hirnstimulation
ausgehend vom Vagusnerv beeinflussen kann.
Die Studie
Viele grundlegende Prozesse des Körpers wie die Nahrungsaufnahme werden
über Regionen im Hirnstamm mit gesteuert. Um eine experimentelle
Steuerung dieser Vorgänge bei gesunden Personen nachzuweisen, wurde bei
den Studienteilnehmern der Vagusnerv gezielt stimuliert.
Während die Stimulation des Vagusnervs über ein implantiertes Gerät
bereits seit längerem bei der Behandlung von therapie-resistenter
Depression eingesetzt wird, gibt es erst seit einigen Jahren Geräte, die
es möglich machen den Vagusnerv von außen über die Haut zu stimulieren.
Für diese Stimulation wird eine Elektrode so am Ohr platziert, dass ein
geringer Stromfluss bereits genügt, um einen Ast des Vagusnervs
anzuregen. Dieser Ast des Vagusnervs verläuft bis in den Hirnstamm.
Geprüft wurde bei gesunden Erwachsenen die
Wirkung der Vagusnerv-Stimulation auf den Energiestoffwechsel.
Der Energiestoffwechsel wurde für die Studie durch zwei unterschiedliche
Methoden untersucht: Zum einen durch
indirekte Kalorimetrie, die es
ermöglicht, den Grundumsatz an Energie festzustellen. Der Grundumsatz
drückt aus, wie viele „Kalorien“ wir am Tag verbrennen und kann genutzt
werden, um den eigenen Energiebedarf exakt zu bestimmen. Zum zweiten
wurde ein
Elektrogastrogramm gemessen, um die Aktivität des Magens zu
untersuchen.
Zur Unterstützung der Verdauung zieht sich der Magen in
einer bestimmten Frequenz zusammen, die von Schrittmacherzellen des
Magen-Darm-Trakts vorgegeben wird.
Muss Nahrung verdaut werden, so
steigt die Frequenz und damit auch die Bewegung des Verdauungstrakts.
Wird die Verdauung nicht benötigt, so sinkt die Frequenz wieder, um
Ressourcen für andere Prozesse freizugeben.
- Die Aktivität der
Schrittmacherzellen erzeugt wiederum an der Haut geringe elektrische
Signale, die mit auf der Haut aufgeklebten Elektroden gemessen werden
können, ähnlich wie bei einem EKG die Herztätigkeit mittels Elektroden
aufgezeichnet wird.
Um die Auswirkungen der
Vagusnerv-Stimulation zu prüfen, wurden alle
Teilnehmer an zwei aufeinanderfolgenden Tagen untersucht. An beiden
Tagen wurde vor dem Beginn der Stimulation der aktuelle Zustand des
Energiestoffwechsels bestimmt. Weiterhin wurde zuvor zufällig
festgelegt, an welchem der beiden Tage die Teilnehmer eine Stimulation
am Vagusnerv erhalten und wann eine andere Region am Ohr stimuliert
wurde, die den Vagusnerv nicht beeinflusst. Die Stimulation folgte im
Anschluss an die Messung des Ausgangszustands, um die Veränderungen
durch die Stimulation direkt zu messen und sie zwischen
Untersuchungstagen vergleichen zu können.
Ergebnis
Als Folge der Vagusnerv-Stimulation wurde eine deutliche Verlangsamung
der Schrittmacherzellen des Magens beobachtet, was zu einer langsameren
Verdauung führen sollte.
Auf den Grundumsatz hatte die Stimulation keine
akute Auswirkung.
Die Ergebnisse zeigen, dass man die Aktivität des
Magen über eine Hirnstimulation ausgehend vom Ohr beeinflussen kann,
wohingegen der Grundumsatz an Energie vermutlich erst über einen
längeren Zeitraum und in Wechselwirkung mit der Verdauung verändert
werden kann.
Ausblick
Die Ergebnisse weisen auf das große Potenzial der Methode der
Vagusnerv-Stimulation hin. Die Schaltstelle zwischen Körper und Gehirn
ist wichtig für unsere Gesundheit, da Veränderungen in der
Wahrnehmung
von körpereigenen Signalen häufig ein Merkmal von psychischen Störungen
wie Depressionen oder Essstörungen sind. In der Zukunft könnte es
denkbar sein, mit einem Stimulationsgerät körpereigene Signale
„vorzutäuschen“, beispielsweise, um dem Körper bei leerem Magen zu
signalisieren, dass Nahrung vorhanden ist. Oder – bei Depressionen –
durch diese körpereigene Stellschraube die Motivation und die Stimmung
zu verbessern. Diese Nachahmung von körpereigenen Signalen könnte
folglich bei der Behandlung von Erkrankungen wie Depression und
Essstörungen helfen, da diese in den Symptomen auch oft eine enge
Verknüpfung aus Ernährung, Energiestoffwechsel und Stimmung zeigen. Dr.
Kroemer, Studienleiter im Forschungsbereich Translationale Psychiatrie
der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Uniklinikum Tübingen:
„Unser Ziel ist es, zu verstehen, wie man dieses Tor zum motivationalen
System des Gehirns für mögliche Therapien am besten nutzbar machen
kann.“
Probanden gesucht
Weitere Studien sind geplant, u.a. für Untersuchungen mittels
funktioneller Magnetresonanztomographie (Kernspin) zu den Veränderungen
im Gehirn in Folge der Stimulation und dem Einfluss auf den Magen.
Teilnehmer, die unter Depressionen und/oder Essstörungen leiden und
gesunde Teilnehmer (u.a. als Vergleichsgruppe für die Studien mit
Patienten) können sich melden unter 07071/29-62496 oder
neuromadlab@klinikum.uni-tuebingen.de.
Weitere Informationen gibt es
auch unter www.neuromadlab.com
Titel der Originalpublikation
Non-invasive stimulation of vagal afferents reduces gastric frequency
Autoren: Vanessa Teckentrup, Sandra Neubert, João C.P. Santiago, Manfred Hallschmid, Martin Walter, Nils B. Kroemer
Brain Stimulation, 01.03.2020
https://doi.org/10.1016/j.brs.2019.12.018
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Universitätsklinikum Tübingen
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Bereich Translationale Psychiatrie
Dr. rer. nat. Nils Kroemer, Dipl.-Psych.
Tel. 07071 29-82021
E-Mail: nils.kroemer@uni-tuebingen.de
Website: www.neuromadlab.com
Twitter: @cornu_copiae
Originalpublikation:
Non-invasive stimulation of vagal afferents reduces gastric frequency
Autoren: Vanessa Teckentrup, Sandra Neubert, João C.P. Santiago, Manfred Hallschmid, Martin Walter, Nils B. Kroemer
Brain Stimulation, 01.03.2020
https://doi.org/10.1016/j.brs.2019.12.018
Weitere Informationen für international Medizin am Abend Berlin Beteiligte
http://www.neuromadlab.com