Medizin am Abend Berlin Fazit: Hohe Verordnungszahlen auch aufgrund von Pharmamarketing?
Die Techniker Krankenkasse (TK) weist auf die
steigenden Verordnungen von modernen Antibabypillen bei jungen Frauen
hin. Präparate der sogenannten 3. und 4. Generation haben häufig ein
wesentlich größeres Risiko für die Bildung von Thrombosen
(Blutgerinnseln) als die Pillen der 2. Generation.
Medizin am Abend Berlin Fachlink Pillenreport 2015
- Trotzdem werden die
moderneren Pillen als vermeintlich besser angesehen und wesentlich
häufiger verschrieben.

"Alle derzeit verfügbaren Antibabypillen sind
zuverlässige Verhütungsmittel, aber die verschiedenen Präparate haben
unterschiedliche Risiken und Nebenwirkungen" so Dr. Jens Baas,
Vorstandsvorsitzender der TK. "Derzeit sehen wir die Informationshoheit
eindeutig bei der pharmazeutischen Industrie und engagieren uns deswegen
dafür, dass sich junge Frauen besser über Risiken und Nebenwirkungen
informieren. Denn:
Medizin am Abend Berlin PillenREPORT Film
- Es handelt sich um ein verschreibungspflichtiges
Arzneimittel und nicht um ein Lifestyle-Produkt."
"Sie haben eine
Zulassung, also werden sie verschrieben. Vor allem bei jungen Frauen,
die nicht rauchen und kein Übergewicht haben, spricht auf den ersten
Blick auch nichts gegen die neuen Präparate", so Professor Gerd Glaeske
von der Universität Bremen. "Aber neu ist nicht immer gleich besser, im
Gegenteil:
- Die Pillen der früheren Generationen schützen genauso gut vor
einer ungewollten Schwangerschaft und haben ein geringeres
Thromboserisiko."
Die häufig als modern und niedrig dosiert
beschriebenen Pillen sind zudem häufig gar nicht mehr so neu. Professor
Petra Thürmann, Direktorin des Philipp-Klee-Instituts für klinische
Pharmakologie: "Als Professorin habe ich Schwierigkeiten, meine jungen
Medizinstudentinnen überhaupt für das Thema Pille zu sensibilisieren,
weil viele sie selber seit Jahren bedenkenlos nehmen."
Pharmamarketing im Internet verantwortungslos
Die
Entscheidung für eine Pille wird häufig im Teenageralter getroffen.
Meist bleiben die Anwenderinnen dann über viele Jahre beim gleichen
Präparat und,
bis zur Vollendung des 20. Lebensjahrs ist die Pille auch
zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnungsfähig. Gründe,
weswegen die Pharmaindustrie gezielt junge Frauen umwirbt.
- In
Deutschland ist die Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel
bei Verbrauchern durch das Heilmittelwerbegesetz (HWG) verboten.
Aber
über Internetportale wie zum Beispiel
www.pille.de (MSD) oder
www.schoen-sicher.de
(Dr. Kade Pharma) kann ganz allgemein über Verhütung und die Pille
informiert werden. "Es muss hinterfragt werden, ob nicht zwischen
Beauty- und Lifestyletipps in Wahrheit ein ungefilterter
Informationsfluss der Marketing- und Werbebotschaften der
Pharmaindustrie an die Teenager stattfindet", so Glaeske. Auch auf
Facebook-Seiten, wie zum Beispiel LiebeSLeben (Jenapharm) und YouTube
sind pharmazeutische Unternehmen aktiv.
Zwar wird bei den Angeboten auch
auf das Thromboserisiko hingewiesen, aber im Vordergrund stehen neben
der Verhütung meist die vermeintlich positiven Nebenwirkungen auf Haut
oder Haare. Dass ein Pharmaunternehmen die Inhalte verantwortet, steht
oft nur im Impressum oder ist durch ein Logo gekennzeichnet. Ob die
jungen Menschen alle Logos der Pharmaindustrie kennen, ist jedoch
fraglich.
"Die Hersteller von Pillen haben offensichtlich
herausgefunden, wie man gerade für die Zielgruppe der jungen Frauen neue
Medien nutzt, um diese spezifisch und mit ihrer Sprache zu erreichen",
so Thürmann.
"Die Warnhinweise hingegen sowohl von Behörden als auch die
Stimmen kritischer Ärzte und Wissenschaftler verhallen offenbar im
Raum."
Die Pille hat seit ihrer Einführung maßgeblich zur
sexuellen Befreiung der Frauen beigetragen. In den Achtzigerjahren
gehörte sie zum selbstbestimmten Leben einer Frau.
- "Jetzt beobachten
wir, dass sie gezielt weiterentwickelt wird, um bestimmten
Schönheitsidealen näherzukommen und zu einem Lifestylepräparat wird", so
Thürmann. "Mit Selbstbestimmung und Unabhängigkeit hat das nichts mehr
zu tun."
Glaeske ergänzt: "Auch bei den Namen, wie z.B. Yasmin
und Yasminelle und den Verpackungen besteht ein großer Unterschied zu
anderen verschreibungspflichtigen Arzneimitteln."
- TK schafft
Informationsangebot für Ärzte und junge Frauen Der nun vorgestellte
"Pillenreport", widmet sich der Frage, ob die neuen und modernen Pillen
der 3. und 4. Generation wirklich ein medizinischer Fortschritt sind.
Er
geht auf Nutzen und Risiken der neueren Gestagene ein und untersucht
Verordnungscharakteristika genauer. Er ist ein Ableger des diesjährigen
Innovationsreports von der TK und dem SOCIUM, Forschungszentrum
Ungleichheit und Sozialpolitik, an der Universität Bremen.
Für
junge Frauen steht ab sofort die Seite pille.tk.de zur Verfügung.
Die
Seite bietet eine Übersicht der verschiedenen Präparate und soll bei der
Wahl der richtigen Pille helfen. Zudem hat die TK einen Film
produziert, der als Informationsangebot auf YouTube und Facebook für das
Thema sensibilisieren soll.
Thürmann: "Letztendlich sind hier
verantwortungsbewusste Ärztinnen und Ärzte und deren Fachgesellschaften
gefordert, in ihren Leitlinien Stellung zu beziehen."
"Wenn sich
Frauen für die Pille entscheiden, sollten sie gemeinsam mit den Ärzten
hinter die Marketingbotschaften der Pharmaindustrie schauen und eine
sorgfältige Wahl für die Pille treffen, die für sie am besten geeignet
ist", so Baas.
Hintergrund:
Das Bundesministerium für
Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat schon im März 2014
verkündet,
dass in den Fachinformationen für einige Pillen der dritten
und vierten Generation auf das höhere Thromboserisiko hingewiesen werden
muss.
Gleichzeitig forderte es weitere Studien von den Herstellern für
Produkte, bei denen das Risiko unklar ist. Am Verordnungsverhalten hat
sich trotz dieser Warnung nichts geändert.
Junge Frauen können sich auf
www.pille.tk.de zu dem Thema informieren.
Der
Pillenreport ist eine Auskoppelung aus dem diesjährigen
Innovationsreport, den TK jährlich mit der Universität Bremen erstellt,
um die Arzneimittelinnovationen eines Jahrgangs zu bewerten.
Medizin am Abend Berlin DirektKontakt
Techniker Krankenkasse
Dennis Chytrek
Tel. 040 - 6909 3020
dennis.chytrek@tk.de