Medizin am Abend Berlin Fazit: „Gehirngesunde“ Ernährung: wie Essen vor Demenz schützen kann
Altersforscher haben Nahrungsinhaltsstoffe identifiziert, die
Selbstreinigungsprozesse in den Gehirnzellen ankurbeln und vor
neurodegenerativen Erkrankungen wie der Alzheimer- oder der
Parkinson-Krankheit schützen könnten.
„Bisherige Daten lassen vermuten,
dass sogenannte Polyamine, insbesondere das Spermidin, sich positiv auf
die Gehirnfunktion und geistige Fähigkeiten auswirken“, berichtet
Professor Agnes Flöel von der Neurologischen Universitätsklinik
Greifswald.
Aktuell untersucht eine Studie an der Charité in Berlin
unter der Leitung von Professor Flöel den Einfluss des Wirkstoffs aus
Weizenkeimen auf Lernfähigkeit und Gedächtnis.
Professor Agnes Flöel von der Neurologischen Universitätsklinik
Greifswald berichtet vor dem Welt-Alzheimertag über den Einfluss der
Ernährung auf das Gehirn
DGN/Hauss
Über potenzielle Wirkungen von Nährstoffen und „Smart Drugs“ auf die
geistige Fitness wird viel berichtet – und viel spekuliert. Die
Demenzforscherin erklärte, zum Auftakt des Kongresses der
Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) in Leipzig, was die moderne
neurologische Forschung über den Einfluss des Essens auf die
Leistungsfähigkeit des Gehirns weiß. Am 21. September, war Welt-Alzheimertag.
Mit der Berliner „SmartAge“-Studie untersuchen die Forscher die Wirkung
einer
zwölfmonatigen Gabe von natürlichem Spermidin aus Weizenkeimen auf
Lernen und Gedächtnis sowie auf die Struktur des Gehirns.
An der Studie
nehmen ältere, noch gesunde Menschen teil, deren Gedächtnis sich nach
eigener Einschätzung verschlechtert hat.
Noch werden Studienteilnehmer
gesucht (siehe ganz unten).
„Man weiß aus anderen Studien, dass Menschen mit subjektiv empfundener
Gedächtnisverschlechterung, die sich Sorgen wegen einer Demenz machen,
tatsächlich ein erhöhtes Risiko für eine Alzheimer-Krankheit aufweisen“,
erklärt Professor Flöel, Direktorin der Universitätsklinik für
Neurologie in Greifswald.
Die Neurologin erforscht, wie sich Demenz und
kognitive Einschränkungen durch den Lebensstil beeinflussen lassen. Vor
Kurzem wechselte sie von der Charité in Berlin nach Greifswald, leitet
aber nach wie vor die Berliner Studie.
Lifestyle-Studien liegen im
Trend, denn vor dem Hintergrund der alternden Gesellschaft rückt die
Gesunderhaltung des Gehirns immer mehr in den Fokus der Wissenschaft.
Epidemiologen erwarten weltweit eine Verdopplung bis Vervierfachung der
Zahl der Demenzerkrankungen bis 2050, und die bisherigen Bemühungen um
kausale Therapien bei bereits ausgebrochener Alzheimer-Demenz waren,
trotz weltweiter Forschung und milliardenschwerer Investitionen, nicht
erfolgreich. Die Suche nach Präventionsstrategien hat deshalb hohe
medizinische, gesundheitspolitische und wirtschaftliche Relevanz.
Spermidin reduziert Zell-Schrott
-
Großes Potenzial, geistigem Abbau vorzubeugen, schreiben
Neurowissenschaftler aktuell Spermidin zu.
- Spermidin ist ein
körpereigenes Produkt des Zellstoffwechsels und spielt eine wichtige
Rolle bei der Aufrechterhaltung von Zellprozessen.
Externe
Spermidinzufuhr über die Nahrung verlängert die Lebensspanne von
sogenannten Modell-Organismen wie Hefen, Würmern und Fruchtfliegen und
stoppt den altersbedingten Erinnerungsverlust bei Fruchtfliegen –
ein
Effekt, den Forscher auf die Zunahme von sogenannten
Autophagie-Prozessen zurückführen.
- Mit diesem Selbstreinigungsprozess
verdaut und vernichtet die Zelle ihren Schrott, zum Beispiel
krankheitserregende Eiweiß-Ablagerungen.
Für die Erforschung der
Mechanismen der Autophagie wurde 2016 der Nobelpreis für Physiologie
verliehen.
Diese Eiweiß-Ablagerungen liegen fast allen
neurodegenerativen Erkrankungen zugrunde, auch der Alzheimer- oder der
Parkinson-Krankheit. Eine Ankurbelung dieses Selbstreinigungsprozesses
könnte somit diesen Erkrankungen vorbeugen.
Wirkstoff aus Weizenkeimen
Spermidin in der Nahrung scheint auch dem menschlichen Gehirn gutzutun.
„Wir haben in einer eigenen kleinen Studie, die ebenso wie die jetzt
laufende größere Studie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung
gefördert wird, die Wirkung von natürlichem Spermidin, das aus
Weizenkeimen gewonnen und in Kapseln verpackt worden war, auf Lernen und
Gedächtnis untersucht“, erklärt Professor Flöel.
„Wir konnten zeigen,
dass sich Gedächtnisleistungen bereits nach dreimonatiger Einnahme
tendenziell verbessern, bei sehr guter Verträglichkeit der Kapseln.“
Wissenschaftler zählen Spermidin zu den sogenannten
Kalorienreduktions-Mimetika.
„Kalorienreduktions-Mimetika sind
Substanzen, die Effekte des Fastens nachahmen. Der Körper produziert sie
beim Abnehmen, man kann sie aber auch mit der Nahrung aufnehmen“,
erklärt Flöel. Weltweit wurde bereits eine Reihe von Mimetika
untersucht: zum
Beispiel Resveratrol, das aus Trauben gewonnen werden
kann und daher u. a. im Rotwein zu finden ist, oder der sogenannte
Grüntee-Extrakt, mit Fachnamen als Epigallocatechingallat bezeichnet.
- „Für Resveratrol konnten wir positive Effekte auf die Gedächtnisleistung
nachweisen, andere Gruppen fanden Auswirkungen auf die Durchblutung des
Gehirns“, sagt Professor Flöel.
Gesund essen und gelegentlich fasten
Kommt also bald die Super-Pille fürs Gehirn? „Nahrungsergänzungsmittel
können nie eine ausgewogene Ernährung ersetzen“, betont die Professorin.
Grundsätzlich sei es günstig, viel Obst, Gemüse und ungesättigte
Fettsäuren zu sich zu nehmen und beim Zucker zu sparen. „Außerdem spielt
es eine Rolle, wie viel man isst“, ergänzt Flöel. „In Studien führte
eine Kalorienrestriktion, vor allem der Reiz des Fastens, zu besseren
Gedächtnisleistungen.“
Um Demenzerkrankungen vorzubeugen, empfiehlt die S3-Leitlinie der
Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), Diabetes, Bluthochdruck und
Übergewicht im Auge zu behalten und diesen Risikofaktoren frühzeitig
medizinisch entgegenzuwirken. Außerdem scheinen ein aktives soziales
Leben, körperliche Bewegung und ein aktiver und gesunder Lebensstil das
Risiko einer Erkrankung zu mindern.
Patienten gesucht
-
Für die „SmartAge“-Studie, die derzeit an der Charité in Berlin unter
der Leitung von Professor Agnes Flöel durchgeführt wird, werden noch
weitere Studienteilnehmer im Alter zwischen 60 und 90 Jahren gesucht,
die nach eigener Einschätzung an einer Gedächtnisverschlechterung leiden
und sich diesbezüglich Sorgen machen.
- Interessenten können sich gerne
per E-Mail unter smartage@charite.de oder unter der Telefonnummer (0)30
450660395 melden.
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Prof. Dr. med. Agnes Flöel
Direktorin der Klinik und Poliklinik für Neurologie
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Verantwortung, mit ihren mehr als 8000 Mitgliedern die neurologische
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Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der
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Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der
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