Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit:
https://www.myvroni.de/
Das Bundesgesundheitsministerium hat mehrere Maßnahmen initiiert, um die Prävention von Herz- Kreislauferkrankungen in Deutschland zu fördern.
Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie und die Deutsche Herzstiftung diskutieren vermeintliche Kritikpunkte am Vorhaben des Gesundheitsministeriums.
Sie kommen zu dem Schluss, dass der Nutzen die Kosten deutlich überwiegt.
Prof. Dr. Stephan Baldus, Past-Präsident der DGK Romy Martínez HKM/Romy Martínez
Schon länger fordern
kardiovaskuläre Fachgesellschaften eine Verbesserung von
Forschungsbedingungen und Präventionsmaßnahmen in Deutschland. Zu diesem
Zweck schlossen sich die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz-
und Kreislaufforschung e. V. (DGK) und weitere herzmedizinische
Fachgesellschaften und die Herzstiftung als Patientenvertretung zur
Nationale Herz-Allianz zusammen. Die Initiative hat das Ziel, die
Forschung und Patientenversorgung im Bereich Herzgesundheit zu
verbessern.
Die Themen Vorbeugung und Früherkennung haben in diesem Jahr durch die
Gesundheitspolitik viel Aufmerksamkeit erfahren. Zu den Auslösern
gehörte unter anderen der aufmerksamkeiterregende Artikel „The
underwhelming German life expectancy“, erschienen im April beim European
Journal of Epidemiology. Darin heißt es, die in Deutschland lebenden
Menschen hätten im Vergleich zu anderen OECD-Ländern die geringste
Lebenserwartung (mit Ausnahme der USA) bei gleichzeitig hohen
Gesundheitsausgaben. Die Autoren schreiben diesen Umstand einer hohen
Sterblichkeit bei Herz-Kreislauferkrankungen sowie mangelnder
Früherkennung und Prävention derselbigen zu.
Im Zuge dieser Entwicklungen teilte das Bundesministerium für Gesundheit
(BMG) Anfang Oktober mit, ein neues Bundesinstitut für Prävention und
Aufklärung in der Medizin (BIPAM) aufbauen zu wollen, welches mit der
Vermeidung nicht übertragbarer Erkrankungen beauftragt werden soll.
Neben Krebs und Demenz werden hier erstmals auch Koronare
Herzkrankheiten in den Mittelpunkt gestellt. Zudem veröffentlichte das
BMG ein Impulspapier mit Plänen, die Früherkennung und Prävention
kardiovaskulärer Ereignisse zu forcieren. Mittelfristig sollen diese in
eine Gesetzesinitiative überführt werden.
Die vorgeschlagenen Maßnahmen umfassen unter anderen eine Verbesserung der Früherkennung bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zur Identifizierung der familiären Hypercholesterinämie (FH). Warum ist das bemerkenswert?
- FH ist eine erbliche Stoffwechselkrankheit, bei der LDL-Cholesterin nicht richtig abgebaut wird, was schon im mittleren Lebensalter zu Arteriosklerose und Herzinfarkten führen kann.
Die aktuelle Früherkennungsmaßnahme, nämlich ein simples Anamnesegespräch beim Kinderarzt, hat versagt.
95% der Fälle werden hierzulande nicht entdeckt.
Etwa eins von 250 Kindern wird in Deutschland mit FH geboren. “Damit ist die familiäre Hypercholesterinämie die häufigste vererbbare Krankheit in Deutschland“, sagt Prof. Stephan Baldus, Past-Präsident der DGK.
„Bei diesen Zahlen müssen wir davon ausgehen, dass heute über
315.000 Menschen in Deutschland mit dieser Stoffwechselkrankheit leben,
die bei ihnen nicht diagnostiziert ist. Das bedeutet, 315.000 Menschen
haben aktuell ein deutlich erhöhtes Risiko, vor ihrem 40. Geburtstag
einen Herzinfarkt zu erleiden, und wissen es nicht einmal.“
Ein einfaches und kostengünstiges Lipid-Screening mittels
Kapillarblutentnahme im Rahmen der U9-Untersuchungen beim Kinderarzt
könnte schon in frühen Jahren Gewissheit bringen.
Das würde die Möglichkeit eröffnen, diese Menschen frühzeitig zu therapieren.
Aktuell
laufen die beiden Vroni-Studien in Bayern und Niedersachsen, die den
Nutzen dieser Früherkennungsmaßnahme untersuchen und bestätigen werden.
Erste Zwischenergebnisse zeigen einen deutlichen Anstieg der Zahl
leitliniengerecht behandelter Kinder seit Februar 2023 von 49 auf 84
Prozent [1]. Schon jetzt zeigen Langzeit-Daten von Kindern mit FH, die
mit Statinen behandelt wurden, im Vergleich zu unbehandelten eine
erhebliche Risikoreduktion für das Auftreten einer kardiovaskulären
Erkrankung: Von den 156 unbehandelten Patient:innen starben 11 vor dem
40. Lebensjahr an Herzinfarkten. Aus der behandelten Gruppe starb
niemand. FH frühzeitig zu erkennen und therapieren, rettet also Leben.
„Halten wir uns weiterhin die Schäden vor Augen, die ein Herzinfarkt bei
den Patientinnen und Patienten verursacht. Ein Herzinfarkt erhöht nicht
nur die Gefahr eines plötzlichen Herztods, sondern er erhöht auch das
Risiko für irreparable Schäden am Herzmuskel und damit für Einbußen an
Herzfunktion in Form der Herzinsuffizienz (Herzschwäche). Hinzu kommen
die Einweisung sowie Behandlung im Krankenhaus und der damit verbundene
Ausfall von Arbeitskraft, was zwangsläufig auch negative Konsequenzen
für Betriebe, die Volkswirtschaft und die Krankenkassen hat“, so Prof.
Thomas Voigtländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung. Im
Jahr 2020 beliefen sich die Krankheitskosten für Erkrankungen des
Herz-Kreislaufsystems laut Statistischem Bundesamt auf 56,7 Milliarden
Euro. Allein der akute Herzinfarkt hatte daran einen Anteil von 2,81
Milliarden Euro. Dagegen belaufen sich die Kosten für die
Lipid-Screenings auf 2.090 Euro pro verhinderten Todesfall. „Vor diesem
Hintergrund sind die überschaubaren Mehrkosten für diese
Präventionsmaßnahme mehr als vertretbar. Bereits die Vroni-Studie in
Bayern konnte zeigen, dass ein Behandlungsbeginn im Kindesalter
bedrohliche koronare Folgeereignisse kosteneffizient verhindern, die
Lebensqualität verbessern und die Sterblichkeit senken kann“, so
Voigtländer.
Unabhängig vom finanziellen Aspekt könnte man die Frage nach personellen
Hürden stellen.
So steht berechtigterweise zu befürchten, dass dieser zusätzliche Aufwand von den Ärztinnen und Ärzten aufgrund des Fachkräftemangels im Gesundheitswesen derzeit nicht gestemmt werden kann.
Der Politik liegen aber bereits entsprechende Konzepte vor, um
diesem Umstand zu begegnen. Konkret sollten zum einen die Chancen der
Digitalisierung stärker genutzt und schnellstmöglich flächendeckend
umgesetzt werden, um bestimmte Prozesse effizienter zu gestalten. Zum
anderen können Screening-Untersuchungen problemlos in den
nicht-ärztlichen Bereich ausgelagert werden. Diese Konzepte gilt es nun
zum Wohle einer gesamtheitlich positiven Entwicklung unseres
Gesundheitssystems umzusetzen.
Die Primärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen ist sicherlich kein
Allheilmittel. Vor allem in Verbindung mit anderen Maßnahmen, wie der
Verhältnisprävention, ist sie aber ein wichtiger, komplementärer
Baustein zur Verbesserung der Herzgesundheit der Bürgerinnen und Bürger
in Deutschland. Diese Chance sollte dringend genutzt werden.
Weitere Informationen zu Vroni
Anfang 2021 startete die Vroni-Studie in Bayern unter der
wissenschaftlichen Leitung von Prof. Heribert Schunkert vom Deutschen
Herzzentrum München (DHM). Aufgrund des bisherigen Erfolgs wurde
beschlossen, die Studie auf Niedersachsen unter dem Namen „Vroni im
Norden“ auszuweiten. Im Rahmen der Studie können Eltern ihre Kinder im
Alter von 5 bis 14 Jahren kostenlos auf die erbliche
Stoffwechselkrankheit familiäre Hypercholesterinämie testen lassen.
Die Studie folgt einer aktuellen evidenzbasierten Leitlinie der
International Atherosclerosis Society [2]. Auf europäischer Ebene wurde
das pädiatrische FH-Screening im Jahr 2021 vom Best-Practice-Portal der
Europäischen Kommission im Bereich der öffentlichen Gesundheit als eine
der besten Strategien zur gezielten Prävention von
Herz-Kreislauf-Erkrankungen anerkannt [3].
Weitere Informationen zur Studie und zu den Möglichkeiten für eine Teilnahme unter www.myvroni.de.
Referenzen:
[1] Pressemitteilung vom 14.11.2023: „Große Akzeptanz für Früherkennung
der Familiären Hypercholesterinämie in Deutschland: die VRONI Studie
identifiziert in Bayern über 160 Familien in nur 3 Jahren“
URL: https://www.myVroni.de/wp-content/uploads/2023/11/Vroni_Studie_Pressemitteilung_...
[2] Watts et al., International Atherosclerosis Society guidance for
implementing best practice in the care of familial
hypercholesterolaemia. Nat Rev Cardiol. 2023 Dec. 2023. doi:
10.1038/s41569-023-00892-0
[3] Gidding, S.S., et al., Paediatric familial hypercholesterolaemia
screening in Europe: public policy background and recommendations. Eur J
Prev Cardiol, 2022. 29(18): p. 2301-2311.
Michael Böhm Deutsche Gesellschaft für Kardiologie - Herz- und Kreislaufforschung e.V.
Grafenberger Allee 100
40237 Düsseldorf
Deutschland
Nordrhein-Westfalen
Kerstin Kacmaz
Telefon: 0211/ 600 692 43
Weitere Informationen für international Medizin am Abend Berlin Beteiligte
http://Vollständige Stellungnahme: http://Langzeit-Daten von Kindern mit FH:
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