Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Blick ins Herz der zellulären Müllabfuhr
- Damit die Zellen unseres Körpers nicht vor Müll überquellen und gesund bleiben, wird der Abfall in ihrem Inneren ständig entsorgt.
Dieser Reinigungsprozess nennt sich Autophagie.
Wissenschaftler*innen haben jetzt erstmals die komplexe Nanomaschine im Labor nachgebaut, die diesen Vorgang startet – und diese arbeitet ganz anders als andere zelluläre Maschinen.
Die neuen Einsichten der Forschenden könnten zukünftig dazu beitragen, neue Ansätze in der Behandlung von Krebs, Immunstörungen und neurodegenerativen Erkrankungen zu eröffnen und künftig möglicherweise sogar das Altern verzögern.
Fluoreszierende Lipide machen sichtbar, wie die Nanomaschine den Lipidtransfer bei Bedarf beschleunigt. Anh Nguyen & Pouya Hosnani Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften & Universitätsmedizin Göttingen
Mal wieder den Hausputz aufgeschoben, der Kellerraum läuft von Sperrmüll über?
Diese Aufschieberitis beim klar Schiff machen können sich lebende Zellen nicht erlauben.
Winzige Müllschlucker sind dort ständig aktiv, um ausgediente Proteine, fehlerhafte Zellbausteine oder defekte Organellen zu beseitigen.
Diese Müllschlucker, Autophagosomen genannt, fischen die ausgedienten Bestandteile heraus, bevor sie sich in der Zelle anhäufen und Schaden anrichten.
Der zelluläre Müll wird dann an die zelleigene Recycling-Maschinerie, das Lysosom, weitergegeben, dort verdaut und wiederverwertet.
So hat die Zelle rasch wieder Bausteine verfügbar für neue Zellkomponenten.
Der Autophagie-Prozess,
wörtlich Selbstfressen, trägt so auch dazu bei, dass Zellen Stress oder
Hungerszeiten überstehen.
Die Autophagie erfüllt aber noch einen anderen wichtigen Zweck.
Sie macht Viren und Bakterien unschädlich, die die Abwehr des Immunsystems erfolgreich umgehen und bis ins Zellplasma gelangen.
Entsprechend fatal sind die Folgen, wenn der Autophagie-Prozess fehlerhaft, zu langsam oder zu schnell abläuft.
- Es können sich neurodegenerative Erkrankungen und Krebs entwickeln oder Störungen des Immunsystems auftreten.
- Auch Alterungsprozesse scheinen sich zu beschleunigen.
„Die Autophagie ist ein hochkomplexer Vorgang, an dem viele verschiedene
Proteine und Proteinkomplexe beteiligt sind.
Viele davon kennen wir,
doch es gibt noch fundamentale Wissenslücken“, berichtet Alex Faesen,
Forschungsgruppenleiter am Göttinger Max-Planck-Institut (MPI) für
Multidisziplinäre Naturwissenschaften. „Wie arbeiten die
Proteinkomponenten zusammen? Wie wird der Prozess der Autophagie
gestartet und gestoppt? Wann und wo wird das Autophagosom
zusammengebaut? Das wollen wir herausfinden.“
Nanomaschine am Werk
Seinem Team gelang es nun erstmals, sämtliche in den Autophagie-Prozess
involvierten Proteine im Labor zu produzieren und sie beim Zusammenbau
der Autophagosomen direkt zu beobachten. Ein mehrjähriges Mammutprojekt
der gesamten Forschungsgruppe, die dazu mit den Teams um Björn Stork von
der Universität Düsseldorf und Michael Meinecke, jetzt am Heidelberg
University Biochemistry Center, kooperierte. „Herausforderungen gab es
dabei viele“ berichtet der Göttinger Biochemiker. Im ersten Schritt
stellten die Wissenschaftler*innen jede einzelne Proteinkomponente im
Labor her. Standardmäßig nutzt man hierbei Bakterien, die genetisch so
umprogrammiert werden, dass sie das gewünschte Protein in größerer Menge
herstellen. „Doch die Proteinherstellung mit Bakterien funktionierte
für keines unserer Proteine“, sagt Faesen. Stattdessen wechselten die
Forschenden auf Insektenzellen als molekulare Helfer – der Durchbruch.
Im nächsten Schritt brachte das Team die einzelnen Proteinkomplexe
zusammen. „Die Komplexe lagerten sich von selbst zu einem
Proteinsuperkomplex, dem Autophagie-Initiationskomplex, zusammen.
Tatsächlich ist bei der Autophagie eine ausgeklügelte, zelluläre
Nanomaschine am Werk – und sie arbeitet ganz anders als bisher gedacht“,
so der Gruppenleiter.
Um Autophagosomen herzustellen, schafft der
Autophagie-Initiationskomplex zunächst eine Verbindungsstelle zwischen
einer bestimmten Struktur der Zelle, dem Endoplasmatischen Retikulum,
und dem sich bildenden Autophagosom. Unter Stress oder in Hungerzeiten
wie beim Ausdauersport geschieht dies innerhalb von nur wenigen Minuten.
„Ab diesem Punkt gibt es kein Zurück mehr: Der Müllschlucker wird
zusammengebaut und sammelt den zellulären Abfall ein“, erklärt Anh
Nguyen, einer der beiden Erstautor*innen der jetzt in Molecular Cell
veröffentlichten Studie. Miterstautorin Francesca Lugarini ergänzt:
„Über die Kontaktstelle werden fettartige Moleküle, sogenannte Lipide,
in eine Vorläuferstufe der Autophagosomen transportiert und dort
eingebaut.“ Diese wachsen und umschließen dabei das abzubauende
Zellmaterial – es entsteht das fertige Mini-Organell. Innerhalb von nur
knapp 20 Minuten nach dessen Bildung liefert das Autophagosom bereits
seinen Abfall an das Lysosom, indem es mit diesem verschmilzt.
Protein-Origami für „An“ und „Aus“
Doch was startet den Zusammenbau der Autophagie-Maschine, was startet
und was stoppt sie? Einen molekularen „An“- und „Aus“-Schalter wie bei
anderen molekularen Maschinen fanden die Forschenden nicht. Diese wird
stattdessen mittels „Protein-Origami“ in Gang gesetzt und angehalten.
Bestimmte Moleküle, ATG13 und ATG101 genannt, ändern dafür ihre Form.
Dies beeinflusst, wie sie an andere Proteine der Nanomaschine binden.
„Diese Proteinumwandlung gibt auch den Startschuss für den Zusammenbau
des Autophagie-Initiationskomplexes zur richtigen Zeit und am richtigen
Ort“, beschreibt Faesen die Besonderheiten der Nanomaschine.
Die Wissenschaftler*innen erhoffen sich von den neuen Erkenntnissen, die
Entwicklung zukünftiger Wirkstoffe voranzubringen, mit denen sich
Erkrankungen behandeln lassen, die auf einem fehlerhaften
Autophagie-Prozess beruhen.
Dr. Alex Faesen
Leiter der Max-Planck-Forschungsgruppe Biochemie der Signaldynamik
Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften, Göttingen
Telefon: +49 551 201-1155
E-Mail: afaesen@mpinat.mpg.de
Dr. Carmen Rotte Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften
Am Fassberg 11
37077 Göttingen
Deutschland
Niedersachsen
E-Mail-Adresse: carmen.rotte@mpinat.mpg.de
Originalpublikation:
Nguyen, A.; Lugarini, F.; David,
C.; Hosnani, P.; Alagöz, Ç.; Friedrich, A.; Schlütermann, D.; Knotkova,
B.; Patel, A.; Parfentev, I.; Urlaub, H.; Meinecke, M.; Stork, B.;
Faesen, A. C.: Metamorphic proteins at the basis of human autophagy
initiation and lipid transfer. Mol Cell 83, 1-14 (2023).
https://doi.org/10.1016/j.molcel.2023.04.026
Weitere Informationen für international Medizin am Abend Berlin
https://www.mpinat.mpg.de/de/faesen – Webseite der Max-Planck-Forschungsgruppe Biochemie der Signaldynamik, Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften, Göttingen
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