Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Wie Infekte unser soziales Mitgefühl beeinflussen
- Wenn Menschen krank sind, empfinden sie weniger Empathie für andere als im gesunden Zustand.
Das zeigt eine Studie der Ruhr-Universität Bochum und der Universität Duisburg-Essen.
- Die Forschenden untersuchten das sogenannte Sickness Behavior, einen Prozess, bei dem der Körper seine biologischen Prioritäten im Rahmen eines akuten Infekts neu ordnet.
Er wurde bisher hauptsächlich in Zusammenhang mit sozialem Rückzug und sozialer Entfremdung erforscht.
Aber wie beeinflusst Krankheit unser Einfühlungsvermögen, unsere Empathie?
Die aktuelle Studie wirft ein neues Licht auf die Zusammenhänge zwischen Infekten mit Entzündungen im Körper und der Fähigkeit, den Schmerz anderer mitzufühlen.
Das Team aus Bochum und Essen, das im Rahmen der Universitätsallianz
Ruhr kooperiert, veröffentlichte seine Ergebnisse am 28. März 2024 in
der Fachzeitschrift „Brain, Behavior, and Immunity“.
Provozierter Infekt durch Gabe von bakteriellem Endotoxin
Experimentell können die verschiedenen Facetten des Sickness Behavior
durch die Gabe von bakteriellem Endotoxin, kurz LPS für
Lipopolysaccharid, ausgelöst werden. Genau diesen Mechanismus machten
sich die Forschenden aus Bochum und Essen zu Nutze. Sie verabreichten 52
freiwilligen weiblichen Testpersonen eine niedrige Dosis LPS oder – als
Placebo – eine Injektion von Kochsalzlösung. Im Anschluss wurden die
Frauen gebeten, verschiedene soziale Interaktionen zu bewerten. Dazu
wurden ihnen Bilder von Frauen gezeigt, die entweder körperlichen oder
psychischen Schmerzen ausgesetzt oder in einer emotional neutralen
Interaktion mit einem männlichen Gegenüber zu sehen waren.
„Die Ergebnisse haben uns überrascht“, schildert Erstautorin Vera
Flasbeck vom LWL-Universitätsklinikum Bochum. „Während das Mitgefühl für
körperlichen Schmerz bei der LPS- und der Placebo-Gruppe weitgehend
gleich war, zeigte sich hingegen für psychischen Schmerz bei den
Probandinnen unter LPS-Einwirkung eine signifikant verringerte
Empathie.“ Akute Entzündungen führten in der Studie somit dazu, dass
Menschen den psychischen Schmerz anderer weniger mitfühlten.
Ergebnisse mit gesellschaftspolitischer Relevanz
„Wir vermuten, dass die verringerte Empathie dazu dient, im
Krankheitsfall Energie im Hinblick auf soziales Engagement zu sparen“,
erläutert Prof. Dr. Martin Brüne vom LWL-Universitätsklinikum Bochum,
der die Studie zusammen mit den Professoren Manfred Schedlowski und
Harald Engler vom Institut für Medizinische Psychologie und
Verhaltensimmunbiologie der Medizinischen Fakultät der Universität
Duisburg-Essen leitete.
- „Die Erkenntnisse der Studie deuten darauf hin, dass Entzündungen – wie beispielsweise bei körperlichen Infekten – sowohl unsere körperliche Gesundheit als auch unsere zwischenmenschlichen Beziehungen beeinflussen.“
Das Thema sei gerade vor dem Hintergrund der abgelaufenen
Pandemie von allgemeinem Interesse, ergänzt Schedlowski und ordnet ein:
„Die Ergebnisse haben unter Umständen gesellschaftspolitische Relevanz.
Wie wirkt sich ein allgemeines Krankheitsgefühl beispielsweise auf die
Entscheidungsfindung aus, etwa auch in Bezug auf politische
Entscheidungen?“
Und ein weiterer Aspekt hat das Forschungsinteresse des
interuniversitären Teams geweckt.
- Bisherige Studien haben gezeigt, dass Individuen mit ansteckenden Krankheiten von Mitgliedern der sozialen Gruppe gemieden, manchmal aber auch umsorgt werden.
„Dieses Verhalten zeigt sich vermutlich in Abhängigkeit vom Verwandtschaftsgrad“, so Brüne.
„Interessant wäre zu untersuchen, wie Bindung und Vertrautheit
die Empathie für Schmerzen beeinflussen.“
Forschungskooperation im Rahmen der Universitätsallianz Ruhr
Die Forschungskooperation zwischen Bochum und Essen fand im Rahmen der
Universitätsallianz Ruhr (UA Ruhr) statt. Seit 2007 arbeiten die drei
Ruhrgebietsuniversitäten unter diesem Dach strategisch eng zusammen.
Durch Bündelung der Kräfte werden die Leistungen der
Partneruniversitäten systematisch ausgebaut. Unter dem Motto „gemeinsam
besser“ gibt es inzwischen über 100 Kooperationen in Forschung, Lehre
und Verwaltung. Mit mehr als 120.000 Studierenden und nahezu 1.300
Professorinnen und Professoren gehört die UA Ruhr zu den größten und
leistungsstärksten Wissenschaftsstandorten Deutschlands.
Förderung
Die Publikation wurde durch die FoRUM Forschungsförderung der
Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum sowie die
Sonderforschungsbereiche SFB 1280 und SFB/TRR 289 der Deutschen
Forschungsgemeinschaft gefördert.
Prof. Dr. Martin Brüne
Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Präventivmedizin
Medizinische Fakultät, LWL-Universitätsklinikum Bochum
Tel: +49 234 5077 4410
E-Mail: martin.bruene@ruhr-uni-bochum.de
Prof. Dr. Manfred Schedlowski
Prof. Dr. Harald Engler
Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensimmunbiologie
Universitätsklinikum Essen
Tel: +49 201 723 4501
E-Mail: manfred.schedlowski@uk-essen.de
Meike Drießen Ruhr-Universität Bochum
Universitätsstr. 150
44780 Bochum
Postfach 10 21 48
44780 Bochum
Deutschland
Nordrhein-Westfalen
E-Mail-Adresse: info@ruhr-uni-bochum.de
Meike DrießenTelefon: +49 234 32 26952
E-Mail-Adresse: meike.driessen@rub.de
Originalpublikation:
Vera Flasbeck, Nele Dersch, Harald Engler, Manfred Schedlowski, Martin Brüne: Acute Experimental Inflammation in Healthy Women Attenuates Empathy for Psychological Pain, in: Brain, Behavior, and Immunity, 2024, DOI: 10.1016/j.bbi.2024.03.032, http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0889159124003131?via%3Dihub
Keine Kommentare :
Kommentar veröffentlichen