Neue Analyse des IMK
Lockerung der Schuldenbremse nur für Verteidigung wäre ökonomisch falsch
Aktuell wird diskutiert, durch eine Änderung des Grundgesetzes schnell mehr Verschuldungsspielraum für höhere Verteidigungsausgaben zu schaffen, ohne zugleich mehr öffentliche Investitionen zu ermöglichen.
Dieser Ansatz ist ökonomisch falsch und gefährdet den Wohlstand Deutschlands.
Ein kreditfinanziertes öffentliches Investitionsprogramm ist in Zeiten von höheren Verteidigungserfordernissen durch eine veränderte geopolitische Lage sogar noch wichtiger als ohnehin schon, weil es für die Zukunft mehr Wirtschaftsleistung und daraus folgend höhere Staatseinnahmen schafft.
Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Kurzstudie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.*
Dabei unterstreichen aktuelle Berechnungen des IMK für ein kreditfinanziertes Investitionsprogramm, das über die kommenden zehn Jahre insgesamt 600 Milliarden Euro für Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, Energienetze, Digitalisierung und Bildung mobilisiert:
Bis 2045 ergibt sich durch dieses Programm ein kumulierter Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um bis zu 4750 Milliarden Euro.
Für die öffentliche Hand ergeben sich daraus zusätzliche Einnahmen von bis zu gut 2300 Milliarden Euro. Die Staatsverschuldung im Vergleich zum BIP würde wegen des großen Wachstumsimpulses trotz der zusätzlichen Kredite weiter sinken.
„Wenn man es ernst meint mit der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands, dann sollte zwingend der Aufwuchs der Verteidigungsausgaben auch mit einer – ohnehin lange notwendigen – kreditfinanzierten öffentlichen Investitionsoffensive einhergehen. Läuft beides Hand in Hand, lassen sich die finanziellen Möglichkeiten Deutschlands nachhaltig erweitern“, sagt Prof. Dr. Sebastian Dullien, Studienautor und wissenschaftlicher Direktor des IMK. „Angesichts der im internationalen Vergleich niedrigen deutschen Staatsverschuldung ist auch kurzfristig Spielraum für beides. Das einzige, was uns hindert, ist die dysfunktionale Schuldenbremse.“ Für den Fall, dass eine Form der Wehrpflicht wieder eingeführt würde, könnte zudem eine höhere Produktivität durch bessere Infrastruktur einem verschärften Arbeitskräftemangel entgegenwirken.
Mit dem Antritt der neuen US-Regierung ist klar: Deutschland und Europa werden sich nicht wie bisher darauf verlassen können, dass die USA bei einem Angriff auf die EU-Staaten Unterstützung bei der Verteidigung leisten würde – und das in einer zugespitzten Situation nach dem russischen Überfall auf die Ukraine. Deutschlands Verteidigungsausgaben werden für diese neuen Herausforderungen bislang als unzulänglich angesehen. Grundsätzlich lasse sich eine gewisse Kreditfinanzierung der notwendigen Erhöhung rechtfertigen, betont Ökonom Dullien. „Die nun notwendig gewordenen Ausgaben sind Ergebnis jahrzehntelanger Unterinvestitionen in die Verteidigung und dürften auch künftigen Generationen zugutekommen.“
Allerdings zeichne sich aktuell die Gefahr ab, dass über die Kreditfinanzierung höherer Verteidigungsausgaben andere, volkswirtschaftlich und gesellschaftlich mindestens ebenso zentrale Zukunftsausgaben, etwa zur Modernisierung der Infrastruktur, ins Hintertreffen geraten, warnt der IMK-Direktor. So kursiert im politischen Berlin die Idee, mit Mehrheiten des alten Bundestages noch schnell das Grundgesetz dahingehend zu ändern, dass mit einem neuen Sondervermögen Bundeswehr – beziehungsweise einer Aufstockung des existierenden Sondervermögens – eine zusätzliche Verschuldung für Verteidigungsausgaben von 200 Milliarden Euro ermöglicht wird. Zugleich wurde allerdings vom designierten Kanzler Friedrich Merz eine zügige, grundlegende Reform der Schuldenbremse abgelehnt.
Zusammen mit dem Institut der deutschen Wirtschaft hat das IMK die zusätzlichen Bedarfe für eine Modernisierung des öffentlichen Kapitalstocks über die kommenden zehn Jahre auf 600 Milliarden Euro geschätzt. Da diese Summen zum einen nicht realistisch durch Einsparungen in den laufenden öffentlichen Haushalten zu finanzieren sind, zugleich aber diese Investitionen künftig Wachstum und Steuereinnahmen generieren und künftigen Generationen zugutekämen, haben sich IMK und IW für eine Kreditfinanzierung ausgesprochen und dazu – ebenso wie zahlreiche andere Wirtschaftswissenschaftler*innen – eine Reform der Schuldenbremse angemahnt.
– Deutsche Schuldenquote wäre trotz Krediten für Infrastruktur und Verteidigung weiter sehr niedrig unter G7-Ländern –
Am Bedarf für ein rasch umzusetzendes massives Investitionsprogramm hat die Notwendigkeit höherer Verteidigungsausgaben nicht geändert, und auch nicht an der Finanzierbarkeit, betont IMK-Direktor Dullien. Auch bei einer zusätzlichen Verschuldung für die Bundeswehr von 200 Milliarden Euro wäre es ohne Probleme für die Schuldentragfähigkeit Deutschlands möglich, über die kommenden zehn Jahre die notwendigen 600 Milliarden Euro für öffentlichen Investitionen über neue Kreditaufnahme zu finanzieren.
Die Spielräume illustriert Dullien aufbauend auf einer kürzlich veröffentlichten Studie der IMK-Forscher PD Dr. Sebastian Watzka und Dr. Christoph Paetz. Diese hat in Simulationsrechnungen mit dem weit verbreiteten makroökonomischen Modell NiGEM gezeigt, dass auch bei einer zusätzlichen Kreditaufnahme für ein Investitionsprogramm von 600 Milliarden Euro über die kommenden zehn Jahre die Schuldenquote Deutschlands kontinuierlich weiter fallen würde und auch kurzfristig die aktuellen Werte von knapp über 60 Prozent des BIPs nicht überschreiten würde.
Eine zusätzliche Kreditaufnahme von 200 Milliarden Euro für Verteidigung würde nach Dulliens neuen, ergänzenden Berechnungen zwar für das Jahr 2035 (nach Verausgabung der Gesamtsummen) die Schuldenquote um etwa 3,5 Prozentpunkte erhöhen, diese bliebe aber deutlich unter 70 Prozent – und weit unter dem Niveau, das andere Länder der G7-Gruppe aktuell haben (siehe auch die Abbildung in der pdf-Version dieser PM; Link unten). „Angesichts dessen, dass wir mit dem Geld in einer Ausnahmesituation zwei zentrale Probleme des Landes entschlossen angehen können, ist das ein absolut vertretbarer Preis“, sagt der Wissenschaftler.
Mittel- und längerfristig würde ein solches kreditfinanziertes Investitionsprogramm sogar die nachhaltige Finanzierung von Verteidigungsausgaben erleichtern. Denn wie die Studie von Watzka und Paetz zeigt, erhöht es nach einigen Jahren massiv die Wirtschaftsleistung in Deutschland – und damit die Einnahmen der öffentlichen Hand und auch den Spielraum, mehr Verteidigungsausgaben zu tätigen, ohne an anderer Stelle kürzen zu müssen.
In einem konservativen Szenario, bei dem positive Zusammenhänge zwischen mehr öffentlichen und zusätzlichen privaten Investitionen nur rudimentär betrachtet werden, ergibt sich bis 2045 durch das Investitionsprogramm ein kumulierter Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts (in konstanten Preisen) um rund 2130 Milliarden Euro. In einem realistischen Szenario, das diese mittlerweile in der Forschung gut belegten Zusammenhänge einbezieht, sogar um gut 4750 Milliarden Euro. Bei einer Steuer- und Abgabenquote von knapp 50 Prozent ergeben sich so für die öffentliche Hand zusätzliche Einnahmen von gut 1000 Milliarden Euro nach konservativer Schätzung oder mehr als 2300 Milliarden im realistischen Szenario, rechnet Dullien vor. „Oder anders ausgedrückt: Selbst nach konservativer Schätzung ergäben sich etwa fünfmal so viel zusätzliche Staatseinnahmen, wie heute für ein neues Sondervermögen Bundeswehr diskutiert werden, im realistischen Szenario mehr als elfmal so viele Einnahmen.“
Schließlich wäre eine öffentliche Investitionsoffensive auch für eine andere Frage wichtig, die angesichts der veränderten geopolitischen Lage gestellt wird: Wie könnte die deutsche Wirtschaft eine – ebenfalls diskutierte – Wiedereinführung der Wehrpflicht verkraften? Schließlich könnte das zu verschärftem Fach- und Arbeitskräftemangel führen. Dullien geht auch bei diesem Thema von entlastenden Effekten aus: „Da eine Modernisierung der Infrastruktur die Produktivität der Beschäftigten in der Wirtschaft insgesamt erhöht, könnte der höhere Personalbedarf der Bundeswehr durch eine Wehrpflicht besser verkraftet werden.“
MaAB - Medizin am Abend Berlin Fortbildungen VOR ORT
Prof. Dr. Sebastian Dullien
Wissenschaftlicher Direktor des IMK
Tel.: 0211-7778-331
E-Mail: Sebastian-Dullien@boeckler.de
Rainer Jung
Tel.: 0211-7778-150
E-Mail: Rainer-Jung@boeckler.de
Originalpublikation:
*Sebastian Dullien: Eine Lockerung der Schuldenbremse nur für Verteidigung wäre ökonomisch falsch. IMK Kommentar Nr. 13, März 2025. Download: https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?produkt=HBS-009079
Die PM mit Abbildung (pdf): https://www.boeckler.de/data/pm_imk_2025_03_04.pdf