Medizin am Abend Berlin Fazit: Epigenetische Veränderung macht anfälliger für Übergewicht und sagt spätere Leberverfettung voraus
Wie Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung
(DZD) unter Führung des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung
(DIfE) am Mausmodell zeigen, kündigt bereits eine im Jungtier zu
beobachtende, epigenetische* Veränderung des Igfbp2**-Gens eine spätere
Leberverfettung im erwachsenen Tier an.
Zudem haben Jungtiere mit dieser
Veränderung einen gestörten Zuckerstoffwechsel und sind deutlich
anfälliger für krankhaftes Übergewicht.
„Auch bei krankhaft
übergewichtigen Menschen mit einer beginnenden Zuckerkrankheit konnten
wir diese Veränderung im entsprechenden Gen nachweisen.
Sie käme daher
vielleicht künftig als Risikomarker in Frage“, so Annette Schürmann vom
DIfE.
Epigenetische Mechanismen
Das Wissenschaftlerteam um Studienleiterin Annette Schürmann, Robert
Schwenk und Anne Kammel vom DIfE veröffentlichte seine Ergebnisse
kürzlich in der Fachzeitschrift Human Molecular Genetics (Kammel et al.;
2016; doi: 10.1093/hmg/ddw121;
http://hmg.oxfordjournals.org/content/early/2016/04/27/hmg.ddw121.long).
Nach Aussage der Weltgesundheitsorganisation ist die Zahl der
übergewichtigen Menschen weltweit auf über eine halbe Milliarde
angestiegen und wird auch künftig weiter zunehmen.
- Ein Trend, der
besorgniserregend ist, denn Übergewicht erhöht das Risiko für
Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, die nichtalkoholische Fettleber,
Herzinfarkt, Schlaganfall und bestimmte Krebsarten.
Dennoch ist nicht
jeder Mensch gleichsam anfällig für Übergewicht und seine
Folgeerkrankungen. Das heißt, auch
die familiäre Herkunft beeinflusst
das individuelle Risiko für Übergewicht.
Allerdings erklären die bislang
identifizierten Genvarianten nur etwa fünf Prozent der familiären
Vorbelastung. Diese Diskrepanz legt nahe, dass auch noch andere
vererbbare Faktoren eine Rolle spielen, wie zum Beispiel
epigenetische
Veränderungen des Erbguts.
- Hierzu zählen unter anderem
DNA-Methylierungen.
Diese verändern den genetischen Code nicht. Sie
können aber dazu beitragen, d
ass beispielsweise Gene weniger stark
abgelesen werden, so dass die Zellen geringere Mengen der entsprechenden
Proteine produzieren. Hierdurch kann es unter anderem zu
Stoffwechselstörungen kommen.
-
Bereits im Jahr 2013 zeigte ein Forscherteam aus Dresden, dass Personen,
die unter Typ-2-Diabetes und einer Fettleber leiden, geringere Mengen
des Proteins IGFBP2** in der Leber produzieren.
- Gleichzeitig konnten sie
nachweisen, dass die verminderte IGFBP2-Freisetzung mit einer erhöhten
DNA-Methylierungsrate verschiedener Gene einhergeht.
Um zu prüfen,
inwieweit die verringerte Proteinfreisetzung auf die epigenetischen
Veränderungen zurückzuführen ist, untersuchten die Wissenschaftler um
Annette Schürmann die Zusammenhänge nun an einem geeigneten Mausmodell,
der sogenannten C57BL/6J-Maus.
Ähnlich wie eineiige Zwillinge sind alle Tiere dieses Zuchtstamms
genetisch identisch. Dennoch nehmen einige der Mäuse unter einer
fettreichen Ernährung viel stärker zu als andere und entwickeln im
Erwachsenenalter mit etwa 20 Wochen eine Fettleber. Wie die Forscher
zeigen, war bei diesen Tieren bereits im Alter von 6 Wochen das
Igfbp2-Gen stärker methyliert, also epigenetisch verändert, und
gleichzeitig die IGFBP2-Synthese in der Leber deutlich verringert.
Ebenso traten bei diesen Mäusen schon sehr früh erste
Zuckerstoffwechselstörungen auf. Wie weitere molekularbiologische
Untersuchungen der Wissenschaftler zeigten, trägt die Methylierung im
nicht-codierenden Bereich des Igfbp2-Gens zu der verminderten
IGFBP2-Synthese bei.
Auch in menschlichen Blutzellen von Personen, die
unter krankhaftem Übergewicht litten und deren Zuckerstoffwechsel
bereits gestört war, wiesen die Forscher dieselbe epigenetische
Veränderung im humanen Gen nach.
„Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass die von uns untersuchte
epigenetische Veränderung Mäuse sowie Menschen für Übergewicht
anfälliger macht und gleichzeitig deren Risiko erhöht, mit
fortschreitendem Lebensalter eine Fettleber zu entwickeln“, sagt Anne
Kammel, Erstautorin der Studie.
„Da die Methylierung des Gens bereits
sehr früh auftritt, weit bevor sich eine Fettleber entwickelt hat, wäre
es denkbar, dieses Wissen zu nutzen, um das Erkrankungsrisiko bereits
bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen besser einzuschätzen. Man hätte
so die Möglichkeit, der Erkrankung durch geeignete Maßnahmen rechtzeitig
vorzubeugen“, ergänzt Schürmann.
Hintergrundinformation:
* Die Epigenetik ist ein relativ junges Forschungsgebiet. Es untersucht
veränderte Gen-Funktionen, die nicht auf eine Änderung der DNA-Sequenz
zurückzuführen sind, aber dennoch vererbt werden können. Studien der
letzten Zeit weisen verstärkt darauf hin, dass auch die Ernährung als
Umweltfaktor den Aktivitätszustand von Genen nachhaltig beeinflussen
kann, z.B. durch chemische Veränderung (Methylierung) der DNA-Bausteine.
Erklärungen zur Abbildung:
DNA-Methylierungen entstehen, wenn Methylgruppen an die DNA binden. Diese können Gene entweder aktivieren oder deaktivieren.
Nukleosom: Acht Histonproteine bilden den Kern eines Nukleosoms, auf das 147 Basenpaare eines DNA-Stranges aufgewickelt sind.
Histon-Ende: Die Enden der Histone ragen aus dem Nukleosom heraus und
können durch epigenetische Faktoren modifiziert werden. Hierdurch wird
die Bindung der DNA an das entsprechende Nukleosom verändert, so dass
die DNA z.B. für Transkriptionsenzyme zugänglich und ein bestimmtes Gen
aktiviert wird.
Epigenetische Faktoren verändern Histon-Enden indem sie z.B. Methyl-
oder Acetylgruppen auf Lysin-Seitenketten übertragen. Dies kann die
Aktivierung eines Gens erschweren bzw. erleichtern. Die direkte
Methylierung der DNA verändert dann dauerhaft die Genexpression, wenn
sie in Steuerbereichen von Genen erfolgt (sogenannten CpG-Inseln), die
durch die Modifikation der Histone zugänglich gemacht wurden.
** Das Igfbp2-Gen codiert das insulin-like growth factor binding protein 2 (IGFBP2).
Die nichtalkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD) ist mittlerweile in
Europa und den USA die häufigste chronische Lebererkrankung. Unbehandelt
kann sich aus einer Fettleber eine Leberzirrhose entwickeln, die
lebensbedrohliche Folgen haben kann. Eine komplette Rückbildung ist
möglich, wobei die Gewichtsreduktion die wichtigste Rolle spielt
(Quelle: Deutsches Ärzteblatt; Jg. 111; Heft 26; 27. Juni 2014).
Das Deutsche Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE)
ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Es erforscht die Ursachen
ernährungsassoziierter Erkrankungen, um neue Strategien für Prävention,
Therapie und Ernährungsempfehlungen zu entwickeln. Zu seinen
Forschungsschwerpunkten gehören die Ursachen und Folgen des
metabolischen Syndroms, einer Kombination aus Adipositas (Fettsucht),
Hypertonie (Bluthochdruck), Insulinresistenz und
Fettstoffwechselstörung, die Rolle der Ernährung für ein gesundes Altern
sowie die biologischen Grundlagen von Nahrungsauswahl und
Ernährungsverhalten. Mehr unter www.dife.de. Das DIfE ist zudem ein
Partner des 2009 vom BMBF geförderten Deutschen Zentrums für
Diabetesforschung (DZD). Weitere Informationen zum DZD finden Sie unter
http://www.dzd-ev.de.
Die Leibniz-Gemeinschaft vereint 88 Einrichtungen, die
anwendungsbezogene Grundlagenforschung betreiben und wissenschaftliche
Infrastruktur bereitstellen. Insgesamt beschäftigen die
Leibniz-Einrichtungen rund 18.100 Menschen – darunter 9.200
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – bei einem Jahresetat von
insgesamt knapp 1,64 Milliarden Euro. Die Leibniz-Gemeinschaft zeichnet
sich durch die Vielfalt der in den Einrichtungen bearbeiteten Themen und
Disziplinen aus. Die Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft bewahren
und erforschen das natürliche und kulturelle Erbe. Darüber hinaus sind
sie Schaufenster der Forschung, Orte des Lernens und der Faszination für
die Wissenschaft. Mehr unter
http://www.leibniz-gemeinschaft.de.
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Prof. Dr. Annette Schürmann
Abteilung Experimentelle Diabetologie
Deutsches Institut für Ernährungsforschung
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