Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Woher kommen Rückenschmerzen? Neue DFG-Forschungsgruppe bewilligt
Schmerzen im unteren Rückenbereich gehören zu den häufigsten Erkrankungen des Muskel- und Skelettsystems.
Sie sind daher von großer medizinischer, sozialer und nicht zuletzt ökonomischer Bedeutung.
Die interdisziplinäre Forschungsgruppe „Die Dynamik der Wirbelsäule:
Mechanik, Morphologie und Bewegung für eine umfassende Diagnose von Rückenschmerzen“ will grundlegend neue Erkenntnisse darüber gewinnen, wie Rückenschmerzen entstehen, um die Diagnose und Therapie zu verbessern. Dazu vereint das Konsortium Forscher*innen verschiedener Disziplinen und plant, 3.000 Proband*innen mit und ohne Rückenproblemen zu untersuchen.
Zwei von drei Menschen sind im Verlauf ihres Lebens von Rückenschmerzen betroffen Unsplash / Chuttersnap
Außerdem sollen neue therapeutische Ansätze in experimentellen
Modellen entwickelt werden. Sprecher der neu bewilligten
DFG-Forschungsgruppe ist Professor Dr. Hendrik Schmidt vom Julius Wolff
Institut für Biomechanik und Muskuloskeletale Regeneration des Berlin
Institute of Health in der Charité (BIH).
„Zwei von drei Menschen sind im Verlauf ihres Lebens von Rückenschmerzen
betroffen“, sagt Professor Hendrik Schmidt, der Leiter der
Arbeitsgruppe „Biomechanik der Wirbelsäule“ am Julius-Wolff-Institut des
Berlin Institute of Health in der Charité (BIH). „Und wir können immer
noch nicht genau vorhersagen, wer davon betroffen sein wird. Denn
Rückenschmerzen haben viele Ursachen. Diesen wollen wir nun auf den
Grund gehen.“
Viele Gründe für Rückenschmerzen
Die Gründe, warum der Rücken zu schmerzen beginnt, sind in der Tat
vielfältig:
Zu den bekannten Ursachen zählen Bewegungsmangel und
Übergewicht, falsche Haltung am Arbeitsplatz, häufiges und falsches
Heben und Tragen von Lasten. Darüber hinaus können auch bestimmte
körperliche Erkrankungen Rückenschmerzen begünstigen. Auch Stress und
Alltagssorgen gehen an unserem Rücken nicht spurlos vorüber, denn neben
körperlichen Erkrankungen, können auch Stimmung, Lernvorgänge und
psychische Belastung mit Schmerzen im Rücken zusammenhängen. Weniger
weiß man über genetische Grundlagen, biochemische Mechanismen, soziale
Auslöser oder das Zusammenspiel mehrerer Faktoren.
„Entsprechend können wir auch noch nicht jedem Patienten und jeder
Patientin die individuell angepasste Therapie anbieten“, erklärt
Schmidt. Gegenwärtig wird bei Rückenbeschwerden auf der Grundlage einer
einmaligen körperlichen Untersuchung und/oder bildgebender Verfahren wie
MRT und Röntgen eine klinische Diagnose gestellt und damit bestimmte
Therapien empfohlen. Diese statischen „Momentaufnahmen“ in einer für die
Patienten fremden Umgebung geben jedoch keine ausreichende Information
über die zugrundeliegenden Mechanismen von Rückenbeschwerden. Daraus
ergeben sich sehr häufig falsche Diagnosen und Therapieentscheidungen,
die sich im späteren Verlauf als „Therapieversager“ herausstellen. „Wir
wollen diese unbefriedigende Situation durch wissenschaftliche Studien
verbessern. In Zukunft muss die Wirbelsäule als Organsystem „mit
dynamischer Funktion“ verstanden sowie biochemische und psychosoziale
Zusammenhänge miterfasst werden. Wir wollen von einer statischen
Kurzzeitanalyse („Momentaufnahme“) zu einem dynamischen Abbild der
Wirbelsäule gelangen und dazu Messwerte für die Haltung und das
Bewegungsprofil im Alltag erheben. Nur so können wir in Zukunft ein
„Therapieversagen“ vermeiden.“
3000 Proband*innen gesucht
Für ihr umfassendes Projekt haben Hendrik Schmidt und seine Co-Sprecher
Professorin Dr. Sara Checa vom Julius Wolff Institut für Biomechanik und
Muskuloskeletale Regeneration und Professor Dr. Christoph Stein von der
Klinik für Anästhesiologie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin am
Charité Campus Benjamin Franklin Vertreter*innen der Biomechanik,
Orthopädie und Unfallchirurgie, Trainings- und Bewegungswissenschaften,
Anästhesiologie, Pharmakologie, Mathematik und Gesundheitspsychologie
von der Charité – Universitätsmedizin Berlin, der Humboldt-Universität
zu Berlin, der Medical School Berlin und des Zuse Instituts zur neuen
DFG-Forschungsgruppe zusammengerufen. „Wir wollen eine gemeinsame
Herangehensweise entwickeln. Wir planen, zusammen mit Priv.-Doz. Dr.
Matthias Pumberger vom Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie insgesamt
3000 Probandinnen und Probanden mit und ohne Rückenschmerzen gründlich
zu untersuchen, um herauszufinden, woher die Probleme rühren“, so
Christoph Stein.
Zum Programm zählen u.a. eine Aufnahme mit dem
Magnetresonanztomographen (MRT), orthopädische Untersuchungen,
Ganganalysen, Kurz- und Langzeit-Funktionsanalysen und Fragebögen zur
Ernährung, zum Bewegungsprofil, zur psychologischen und sozialen
Situation, experimentelle Studien sowie biometrische Messungen, etwa der
Körpergröße und des Gewichts.
Individuelle Behandlung als Ziel
„Unser erstes Ziel ist es, die Rolle und das Zusammenwirken von
Morphologie, Bewegung und Mechanik im Bereich des unteren Rückens, also
der Lendenwirbelsäule und des Beckens, aufzuklären“, erklärt Sara Checa.
„Im nächsten Schritt möchten wir dann herausfinden, wie die
individuellen Parameter wie Alter, Geschlecht und Anatomie sowie die
biochemischen und psycho-sozialen Faktoren zur Entwicklung von
Rückenschmerzen beitragen.“ Tierexperimentelle sowie mathematische
Modelle sollen die Studien mit menschlichen Probanden ergänzen. Für das
Zusammenführen und die Analyse der so erhobenen großen Mengen an
unterschiedlichen Daten werden die Wissenschaftler*innen moderne
„Machine learning“ Systeme mit künstlicher Intelligenz einsetzen.
„Wir hoffen natürlich, dass uns diese aufwändigen Untersuchungen neue
Möglichkeiten eröffnen, Rückenschmerzen klinisch zu diagnostizieren und
individuell die Behandlung zu planen“, sagt Hendrik Schmidt. „Und damit
der Volkskrankheit „Rückenschmerz“ erfolgreich begegnen zu können.“
Für die Studie werden Proband*innen im Alter von 18 bis 64 Jahren mit
und ohne Rückenschmerzen gesucht.
Die Studie beginnt voraussichtlich am 01.01.2022.
Informationen unter
Medizin am Abend Berlin StudienEinladung
Zu den DFG-Forschungsgruppen:
Forschungsgruppen ermöglichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern,
sich aktuellen und drängenden Fragen ihrer Fachgebiete zu widmen und
innovative Arbeitsrichtungen zu etablieren. Im Ganzen fördert die DFG
zurzeit 173 Forschungsgruppen, 14 Klinische Forschungsgruppen und 13
Kolleg-Forschungsgruppen. Klinische Forschungsgruppen sind zusätzlich
durch die enge Verknüpfung von wissenschaftlicher und klinischer Arbeit
charakterisiert, während Kolleg-Forschungsgruppen speziell auf geistes-
und sozialwissenschaftliche Arbeitsformen zugeschnitten sind.
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Über das Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité:
Die Mission des Berlin Institute of Health (BIH) ist die medizinische
Translation: Erkenntnisse aus der biomedizinischen Forschung werden in
neue Ansätze zur personalisierten Vorhersage, Prävention, Diagnostik und
Therapie übertragen, umgekehrt führen Beobachtungen im klinischen
Alltag zu neuen Forschungsideen. Ziel ist es, einen relevanten
medizinischen Nutzen für Patient*innen und Bürger*innen zu erreichen.
Dazu etabliert das BIH als Translationsforschungsbereich in der Charité
ein umfassendes translationales Ökosystem, setzt auf ein
organübergreifendes Verständnis von Gesundheit und Krankheit und
fördert einen translationalen Kulturwandel in der biomedizinischen
Forschung. Das BIH wurde 2013 gegründet und wird zu 90 Prozent vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und zu zehn Prozent
vom Land Berlin gefördert. Die Gründungsinstitutionen Charité –
Universitätsmedizin Berlin und Max-Delbrück-Centrum für Molekulare
Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) waren bis 2020 eigenständige
Gliedkörperschaften im BIH. Seit 2021 ist das BIH als so genannte
dritte Säule in die Charité integriert, das MDC ist Privilegierter
Partner des BIH.
Dr. Stefanie Seltmann
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