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ChroMo: Verlaufskontrollen bei chronischen Erkrankungen

Expert*innentreffen diskutiert die optimierte Verlaufskontrolle bei chronischen Erkrankungen

Chronische Erkrankungen sind in der Bevölkerung je nach Alter, Region und Krankheitstyp unterschiedlich verbreitet.


Dass 45 Prozent der deutschen Bevölkerung an mindestens einer chronischen Erkrankung leiden, zeigt die große Dimension des Problems. 


Die erfolgreiche Therapie von beispielsweise Asthma, Diabetes oder Bluthochdruck erfordert eine kontinuierliche Verlaufskontrolle durch Ärzt*innen. 


Zu diesem sogenannten Monitoring haben sich nun 20 Expert*innen am Institut für Allgemeinmedizin der Philipps-Universität Marburg zusammengefunden, um die aktuellen Therapieroutinen zu diskutieren. 

„Es ging uns darum, die Überwachung und Kontrolle von Patient*innen mit chronischen Erkrankungen zu analysieren und zu hinterfragen, mit dem Ziel, die Therapiequalität weiter zu verbessern“, berichten Prof. Dr. Annika Viniol und Dr. Veronika van der Wardt. Beide Forscherinnen leiten in der Marburger Uni-Medizin das Projekt „Monitoring bei chronischen Erkrankungen (ChroMo)“.

Der Fokus der Veranstaltung lag auf der sogenannten evidenzbasierten Medizin: 


Hier geht es um klinische Therapien und Routinen, für die es einen belegbaren Nutzen für die Patient*innen gibt. 


„Oftmals werden Kontrolluntersuchungen durchgeführt, ohne dass ihre tatsächliche Wirksamkeit belegt ist“, erklärt Annika Viniol. 


Das könne für Patient*innen zu erheblichen Belastungen führen. Das Projekt ChroMo soll hierin Transparenz für Ärzt*innen und Patient*innen schaffen und zu einer verbesserten Versorgung beitragen.


„Ein aktuelles Behandlungsschema bei Verengung der Herzkranzgefäße ist zum Beispiel, dass jedes halbe Jahr eine Ultraschalluntersuchung des Herzens durchgeführt wird“, sagt Annika Viniol. 


„Hier ist der Nutzen völlig unklar und nicht durch Studien belegt.“

Da lohnt sich auch ein Blick über den Tellerrand. 


Sprich: ins Ausland. Neben Teilnehmenden des Kölner Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, des Netzwerks Evidenzbasierte Medizin nahmen auch Expert*innen aus England und den Niederlanden an der Marburger Veranstaltung teil.

„Das System der Verlaufskontrollen ist verbesserungswürdig,“ sagt Veronika van der Wardt. 


„Wir wollen nun im Anschluss an das Treffen die gewonnenen Erkenntnisse in konkrete Empfehlungen zur Bewertung von Verlaufskontrollen einfließen lassen. 

Wir hoffen damit, Entscheidungsträger im Gesundheitssystem zu erreichen.“

MaAB - Medizin am Abend Berlin Fortbildung en VOR ORT


Prof. Dr. Annika Viniol
Fachbereich Medizin, Institut für Allgemeinmedizin
Philipps-Universität Marburg
Tel.: 06421 28-65120
E-Mail: annika.viniol@staff.uni-marburg.de

Anpassung der Darmbakterien

Neue experimentelle Studien zahlreicher Forschungsgruppen, darunter des Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie (MPI-EB) in Plön und der Christian-Albrecht-Universität Kiel (CAU), deuten darauf hin, dass die Evolutionsmedizin die Zukunft der Gastroenterologie prägen könnte. 

Sie eröffnet neue Wege für die Behandlung von Entzündungserkrankungen wie chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED).

Die Evolutionsmedizin untersucht, wie evolutionäre Prozesse Gesundheit und Krankheit beeinflussen können. Erkenntnisse aus dieser Forschung könnten genutzt werden, um innovative Ansätze zur Therapie chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen (CED) zu entwickeln. Neueste Studien von Mitgliedern des Exzellenzclusters „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie (MPI-EB) in Plön und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) zeigen, dass eine evolutionäre Perspektive erhebliches Potenzial hat, um die Behandlungsoptionen für Erkrankungen wie CED zu erweitern.

In einer 2023 im Fachmagazin Gut Microbes veröffentlichten Studie zeigte das Forschungsteam, dass sich Darmbakterien wie Escherichia coli in entzündlichen Umgebungen rasch genetisch anpassen und dadurch beweglicher und aggressiver werden. 

Diese Anpassungen fördern das Überleben und die Verbreitung der Bakterien im Darm und könnten bei Patient*innen mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen eine zentrale Rolle spielen. In einer aktuellen Übersichtsarbeit, in der die Studie mit weiteren Arbeiten internationaler Forschungsgruppen verglichen wird, verdeutlichen die Forschenden nun das Potenzial der Evolutionsmedizin für die Behandlung chronischer Darmentzündungen. Die Übersichtsarbeit wurde kürzlich in der Zeitschrift Gastroenterologie veröffentlicht.

Schnelle Anpassung der Darmbakterien
Die aktuellen Ergebnisse zeigen, wie rasch sich Darmbakterien an entzündliche Umgebungen anpassen können. Sie verändern sowohl ihr genetisches Erbgut als auch ihre äußeren Eigenschaften—Veränderungen, die sowohl in Laborexperimenten als auch bei Patient*innen mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) beobachtet wurden. 


Eine zentrale Erkenntnis ist, dass bestimmte Bakterien, wie Escherichia coli, genetische Anpassungen durchlaufen, wenn sie entzündlichen Bedingungen ausgesetzt sind, wodurch sie beweglicher und aggressiver werden. 


Diese Veränderungen helfen den Bakterien, sich im Darm besser auszubreiten und zu überleben—Eigenschaften, die auch bei Patient*innen mit chronischen Darmentzündungen festgestellt wurden.

Ebenso zeigt sich, dass Bakterien in entzündlichen Umgebungen stressresistente Eigenschaften entwickeln, die durch genetische Anpassungen gefördert werden. Dies deutet darauf hin, dass Entzündungen Bakterien begünstigen, die widerstandsfähiger gegenüber harschen Bedingungen sind. 


„Interessanterweise zeigten Experimente mit Mäusen, dass bestimmte Nährstoffe wie Vitamin B6 schädliche Anpassungen der Bakterien verhindern können“, sagt Prof. Dr. John Baines, Vorstandsmitglied des Exzellenzclusters PMI, Leiter der Arbeitsgruppe „Evolutionsmedizin“ am MPI-EB und Professor für Evolutionäre Medizin an der Medizinischen Fakultät der CAU. 


Bei Mäusen mit entzündungsfördernden Darmbakterien führte die Gabe von Vitamin B6 zur Entstehung weniger aggressiver, stressresistenter Bakterienstämme. Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass gezielte Ernährung eine Möglichkeit bieten könnte, unerwünschte Bakterien zu kontrollieren.

Ein weiterer vielversprechender Ansatz besteht darin, Schwachstellen auszunutzen, die durch die genetischen Anpassungen der Bakterien entstehen. Forschende haben herausgefunden, dass sich angepasste Bakterien zwar besser in einem entzündeten Darm behaupten können, jedoch auch anfälliger für bestimmte Antibiotika werden—ein Phänomen, das als „kollaterale Empfindlichkeit“ bekannt ist. Dies eröffnet neue Perspektiven für gezielte Behandlungen, die CED-Symptome lindern könnten.

Revolutionäre Behandlungen: Evolutionär informierte Strategien
Aus den Erkenntnissen der untersuchten Studien leiteten die Forschenden aus Plön und Kiel neuartige Behandlungsansätze ab, die auf einem besseren Verständnis der bakteriellen Anpassungsmechanismen basieren. Mithilfe gezielter Strategien könnten schädliche Veränderungen verhindert oder sogar rückgängig gemacht werden. Neben dem bereits erwähnten Ansatz—der Verwendung von Nahrungsergänzungsmitteln wie Vitamin B6 zur Hemmung ungünstiger Bakterienanpassungen—werden weitere innovative Konzepte erprobt.

Ein vielversprechender Ansatz ist die sogenannte Ancestral-State Restorative Therapy (ASRT). Diese Methode zielt darauf ab, ursprüngliche, nicht adaptierte Bakterienstämme in den Darm einzubringen, um schädliche, angepasste Varianten zu verdrängen. 


Für Patient*innen in Remissionsphasen—also in Phasen, in denen die Symptome zurückgegangen sind—könnte die ASRT eine natürliche und sichere Behandlungsmöglichkeit darstellen.

Darüber hinaus motivieren die neuen Erkenntnisse über bakterielle Anpassungen eine Neubewertung bestehender Antibiotika. Therapien, die gezielt auf Bakterien abzielen, die sich an entzündliche Bedingungen angepasst haben, könnten konventionelle Behandlungsansätze ergänzen und die Schwere von CED-Schüben deutlich reduzieren.

Ein Aufruf zu weiterer Forschung
„Trotz vielversprechender Fortschritte gibt es noch erhebliche Wissenslücken, besonders beim Verständnis der bakteriellen Entwicklung im Darm. Bisherige Studien haben sich meist auf Stuhlproben konzentriert, sodass unklar bleibt, wie sich Bakterien in verschiedenen Bereichen des Darms verhalten und anpassen. Doch genau diese Unterschiede sind wichtig, vor allem bei unterschiedlichen CED-Subtypen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa„, sagt Prof. John Baines. „Künftige Forschungen sollten daher gezielt untersuchen, wie sich Bakterien in verschiedenen Darmregionen entwickeln und welche Rolle diese Anpassungen bei den verschiedenen Krankheitsformen spielen,“ so Baines weiter. Auch der Einfluss anderer Mikroben wie Pilze und Viren ist noch nicht vollständig erforscht und bietet vielversprechende neue Ansätze für die Wissenschaft.

Auf dem Weg zu einer gesünderen Zukunft
Prof. Baines betont: „Wir sehen diese Entwicklungen als den Beginn einer Ära, in der die bakterielle Evolution im Darm berücksichtigt wird, was neuartige, evolutionär informierte Therapien ermöglichen wird.“ Durch die Anwendung evolutionärer Konzepte hoffen Wissenschaftler*innen und Ärzt*innen, Ansätze zu entwickeln, die nicht nur die Symptome chronischer Darmentzündungen lindern, sondern auch deren Ursachen gezielt bekämpfen. Aktuelle klinische Studien von Mitgliedern des Exzellenzclusters PMI, wie etwa zur Verabreichung von Vitamin B3 bei chronischen Entzündungserkrankungen, zeigen, dass diese innovativen Konzepte den Sprung vom Labor in die klinische Erprobung geschafft haben.

„Die Erkenntnisse der evolutionären Medizin zur Anpassung und genetischen Entwicklung von Bakterien im menschlichen Darm könnten einen wichtigen Wandel in der Behandlung chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen markieren. Mit weiterer Forschung könnte dieser Ansatz die Grundlage für eine echte Präzisionsmedizin, also personalisierte, effektivere und nachhaltigere Therapien für CED-Patient*innen weltweit schaffen,“ so Prof. Stefan Schreiber, Sprecher des Exzellenzclusters PMI, Direktor der Klinik für Innere Medizin I am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel, und Direktor des Instituts für Klinische Molekularbiologie (IKMB), CAU und UKSH. Die evolutionäre Medizin in Bezug auf chronische Entzündungserkrankungen ist daher auch ein wichtiger Bestandteil der Forschungsagenda des Exzellenzclusters PMI und wird dies auch in einer möglichen weiteren Förderphase sein, für die sich PMI aktuell in der Begutachtung befindet.

MaAB - Medizin am Abend Berlin Fortbildung en VOR ORT


Prof. Dr. John Baines
Forschungsgruppenbleiter
Gastgruppe Evolutionsmedizin

Originalpublikation:
Evolutionary Medicine for Chronic Inflammatory Diseases of the Gut: More Than a Clinical Fantasy? (2024)
Andreani NA, Unterweger D, Schreiber S, Baines JF
Gastroenterology
10.1053/j.gastro.2024.10.016

Craniomandibulärer Dysfunktion (CMD)

Kopfschmerzen, Muskelverspannungen, ein Knacken im Kiefergelenk – dies alles können Folgen einer Funktionsstörung des Kaugelenks sein, einer sogenannten Craniomandibulären Dysfunktion (CMD).

 Am Zentrum der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (ZZMK, Carolinum) der Goethe-Universität geht man der Problematik auf den Grund. 

Ein Beitrag in der neuen Ausgabe von „Forschung Frankfurt“ berichtet über die Arbeit der CMD-Ambulanz.

Allein in Deutschland leiden schätzungsweise rund sieben Millionen Menschen unter Craniomandibulärer Dysfunktion (CMD). 


Und die wenigsten haben bislang von dieser Krankheit gehört, ja, sogar vielen Ärzten sind die Zusammenhänge nicht bekannt. 


So haben viele Patienten mit ihren Beschwerden eine wahre Odyssee hinter sich, wenn endlich die richtige Diagnose gestellt wird – zum Beispiel in der CMD-Ambulanz der Goethe-Universität. 

Hier ist in Diagnostik und Therapie ein interdisziplinäres Team aus Zahnärzten, Fachärzten und Therapeuten eingebunden. Wie Oberärztin Dr. Steffani Görl und ihr Team bei der Diagnose vorgehen und welche Möglichkeiten der Heilung und Schmerzlinderung es gibt, lesen Sie in der neuesten Ausgabe von „Forschung Frankfurt“, dem Wissenschaftsmagazin der Goethe-Universität.

Atherosklerose - Arterienverkalkung

Der Kardiologe Dr. Kai-Uwe Jarr erforscht, warum das körpereigene Immunsystem die Ablagerungen in Blutgefäßen, die zu lebensgefährlichen Durchblutungsstörungen führen können, nicht erkennt und beseitigt. 

Für seine Forschung zur Immuntherapie bei Atherosklerose und den Aufbau seiner eigenen Nachwuchsforschungsgruppe an der Medizinischen Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg wird er in den kommenden fünf Jahren von der Corona-Stiftung im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft mit insgesamt einer Million Euro gefördert.


Bei Atherosklerose, umgangssprachlich Arterienverkalkung, verengen sich fortschreitend wichtige Blutgefäße, weil sich an ihrer Innenseite Fette, Kalk und abgestorbene Zellen ablagern. 


Diese sogenannten atherosklerotischen Plaques entzünden sich und dehnen sich weiter aus, es drohen schließlich Herzinfarkt und Schlaganfall. Dr. Kai-Uwe Jarr, Oberarzt an der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie am Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD), geht der Frage nach, wie das körpereigene Immunsystem für die Therapie der lebensgefährlichen Gefäßverengungen rekrutiert werden könnte. 


Sein Ziel ist es, neue Behandlungsansätze zu entwickeln, um Herzinfarkt und Schlaganfall vorzubeugen. 


Die Corona-Stiftung fördert den Aufbau seiner eigenen Forschungsgruppe zum Thema „Immuntherapie bei Atherosklerose“ an der Medizinischen Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg über einen Zeitraum von fünf Jahren mit einer Million Euro.

Atherosklerose ist aufgrund ihrer gravierenden Folgen die weltweit häufigste Todesursache, obwohl wichtige Risikofaktoren wie ein hoher Cholesterinspiegel und Bluthochdruck mit Medikamenten beeinflusst werden können. 


Viele biologische Mechanismen der Erkrankung sind bisher noch nicht verstanden. 


MaAB Fazit: 

„Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass die Müllabfuhr des Körpers, bestehend aus Fresszellen des Immunsystems, bei Atherosklerose Ablagerungen sowie erkrankte und sterbende Zellen nicht richtig erkennt und beseitigt. 


Das ist ein wesentlicher Faktor für einen lebensbedrohlichen Verlauf der Erkrankung“, sagt Dr. Jarr.

Atherosklerotische Plaques werden in der Regel von einer schützenden Schicht aus Bindegewebe bedeckt. 


Reißt diese Schicht jedoch ein, lockt das Blutgerinnungszellen (Thrombozyten) an, um den Riss zu reparieren. Das entstehende Blutgerinnsel verstopft die ohnehin schon verengten Gefäße, was bei Herzkranzgefäßen zum Herzinfarkt führt. 


Löst sich das Gerinnsel und gelangt mit dem Blutstrom zum Beispiel ins Gehirn, kommt es zum Schlaganfall.

Neue Hoffnung durch Immuntherapie aus der Krebsbehandlung

Dr. Jarr und sein Team möchten besser verstehen, warum Makrophagen, die „Fresszellen“ des Immunsystems, die erkrankten Zellen nicht beseitigen, welche Mechanismen hierbei gestört sind und wie man diese Schwachstelle therapeutisch beeinflussen könnte. 


„Wir hoffen, über gezielt eingesetzte Appetithäppchen das gestörte Fressverhalten von Makrophagen zu reaktivieren und so das Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern“, so der Kardiologe. 

Einen innovativen Ansatz bieten bestimmte Krebsmedikamente, sogenannte Immuntherapien: 


„Unsere Forschungsarbeiten zeigen erstmals den potenziellen Nutzen einer gezielten Immuntherapie bei Gefäßentzündungen. Jetzt gilt es, in weiterführenden Studien unser Wissen über die Zusammenhänge zu vertiefen und diesen Behandlungsansatz weiter auszuarbeiten“, so Dr. Jarr.

Über die Corona-Stiftung im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft

Das Förderprogramm "Nachwuchsforschungsgruppe Kardiovaskuläre Erkrankungen" der Corona-Stiftung ist eine personenbezogene Förderung für promovierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich während des Förderzeitraumes von fünf Jahren auf eine Leitungsposition vorbereiten möchten.

MaAB - Medizin am Abend Berlin Fortbildung en VOR ORT


Dr. med. Kai-Uwe Jarr
Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie
(Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. med. Norbert Frey)
Universitätsklinikum Heidelberg
Medizinische Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg
Tel. 06221 56-8676
E-Mail: kai-uwe.jarr@med.uni-heidelberg.de
Weitere Informationen finden Sie unter
https://jarrlab.owlstown.net

Gang-Freezing bei Parkinson

Neue Erkenntnisse bezüglich Gang-Freezing bei Parkinson offenbaren mögliche Therapieoptionen

Einschränkungen der Mobilität sind eine häufige Begleiterscheinung des Alterns.


Gerade Gangstörungen bergen das Risiko von sturzbedingten Verletzungen und Einschränkung der Eigenständigkeit.


Besonders relevant sind diese bei der Parkinsonkrankheit in Form des sogenannten Gang-Freezings, bei dem Betroffene eine Gangblockade entwickeln und „wie eingefroren“ stehen bleiben.


Tübinger Forschende der Neurologischen Universitätsklinik und des Instituts für Neuromodulation und Neurotechnologie konnten nun erstmals mittels Messung von Nervenzellaktivität aus tiefen Hirnstimulationselektroden zeigen, was bei Patientinnen und Patienten mit Parkinson während des Gang-Freezings im Gehirn passiert. 


Die Erkenntnisse offenbaren präzise Erkenntnisse über die Fehlsteuerung von Hirnaktivität vor und während des Freezings und eröffnen neue Konzepte für eine therapeutische Anwendung.

Parkinson beginnt schleichend. 


Die Erkrankung bleibt häufig über Jahrzehnte unbemerkt, während im Gehirn immer mehr Nervenzellen absterben. 


Typische Anzeichen der fortgeschrittenen Krankheit sind Störungen der Mobilität. 


Ein besonders tückisches Symptom: Gang-Freezing. 


Bei bis zu 80 Prozent aller Patientinnen und Patienten tritt diese plötzliche Bewegungsblockade mit fortschreitender Krankheit auf. 


Das unvorhersehbare "Einfrieren" kann nur wenige Augenblicke, aber auch bis zu mehreren Sekunden andauern.


Interessanterweise zeigt das Gangbild des Gehirn bereits wenige Schritte und Sekunden vor einer solchen Gangblockade bereits Auffälligkeiten – zu einer Zeit, in der der Patient aber noch mobil ist und eine Chance besteht, eine bevorstehende Blockade noch abzuwenden.

Dem Gehirn beim Gehen zuschauen

Welche neuronalen Grundlagen für die Entstehung von Gangblockaden verantwortlich sind, konnte bislang bei gehenden Patienten kaum untersucht werden. 


Eine neue Generation von Hirnstimulationselektroden erlaubte seit wenigen Jahren erstmals, Hirnaktivität aus der Tiefe des Gehirns in Echtzeit zu messen, während Patienten gingen und Gangblockaden zeigten.
Die Studie um Prof. Dr. Daniel Weiß, Dr. Philipp Klocke und Prof. Dr. Alireza Gharabaghi konnte mit dieser neuen Methode zeigen, dass die Gangblockaden – anders als das willkürliche Stoppen beim Gehen – spezifische Fehlaktivierungen des sogenannten Nucleus subthalamicus zeigten. 


Dieser Nervenkern in der Tiefe des Gehirns spielt eine entscheidende Rolle bei der Bewegungskontrolle und erklärt die Fehlsteuerung der Beinmuskulatur in Folge der fehlerhaften Hirnaktivierung.

Den Weg ebnen für die klinische Anwendung

„Interessanterweise konnten wir mit der neuen Methode bei Patientinnen und Patienten mit Parkinson nachweisen, dass diese Fehlsteuerung der eigentlichen Blockade bereits um wenige Schritte vorausging. 


Dies ist eine großartige Möglichkeit, die Neurostimulation gezielter einzusetzen, um eine sich ankündigende Gangblockade mittels Neurostimulation möglicherweise noch abzuwenden – zu einer Zeit, wenn sie sich bereits ankündigt, aber noch nicht definitiv eingetreten ist“, fasst Prof. Weiß zusammen. 


„Die aktuellen Hirnschrittmacher verfügen teilweise bereits über die technologischen Voraussetzungen für solche Therapieanwendungen. Bis eine solche adaptive Therapie allerdings hoffentlich in Zukunft einmal zur Verfügung gestellt werden kann, sind noch weitere Entwicklungsschritte und klinische Studien erforderlich“, ergänzt Prof. Weiß.

Die Zahl der Patientinnen und Patienten weltweit hat sich von 2,5 Millionen im Jahr 1990 auf 6,1 Millionen im Jahr 2016 erhöht. In Deutschland allein sind etwa 400.000 Menschen von der neurodegenerativen Erkrankung betroffen.

Originalpublikation:
https://doi.org/10.1093/brain/awae223