Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Pupillenweitung lässt im Alter nach
Schlechte Lichtverhältnisse können Unfallgefahr erhöhen und Lebensqualität mindern
Mit dem Alter sinkt die Sehkraft unserer Augen.
- Schlechte Beleuchtung oder starke Hell-Dunkel-Kontraste können die Reaktionsfähigkeit älterer Menschen im Alltag einschränken und den Schlaf-Wach-Rhythmus beeinträchtigen.
Wie Neurowissenschaftler am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen und der Universität Basel bestätigen, liegt das auch an der nachlassenden Fähigkeit der Pupille, sich ausreichend zu öffnen.
Ihre Studienergebnisse haben sie nun in der Zeitschrift Royal Society Open Science veröffentlicht.
Mit zunehmendem Alter reagieren wir empfindlicher auf Veränderungen der Schlaf-Wach-Zyklen. Daher muss die tägliche Lichtdosis altersabhängig angepasst werden. Adobe Stock
Man ist abends mit dem Auto unterwegs und fühlt sich durch entgegenkommende Fahrzeuge in der Sicht beeinträchtigt. Manchmal so stark, dass nur noch schemenhaft Randbegrenzungen, Mittelstreifen oder Personen erkennbar bleiben.
Situationen wie diese betreffen zwar nicht
ausschließlich ältere Menschen, ihre Pupillen aber scheinen im Vergleich
zu jüngeren Personen auf dynamisch verändernde Lichtreize weniger agil
zu reagieren.
Zur Überprüfung ihrer Annahme haben die Wissenschaftler Frauen und
Männer im Alter zwischen 18 und 87 Jahren in einem Feldexperiment unter
natürlichen Lichtbedingungen mit einem kompakten und mobilen Messgerät
ausgestattet und darüber hinaus in einem Laborexperiment unter
kontrollierbaren Lichtverhältnissen untersucht. „Viele Erkenntnisse über
die Pupille stammen aus reinen Laboruntersuchungen. Uns war es wichtig,
dass die Ergebnisse vergleichbar und direkt auf den Alltag übertragbar
sind. Deshalb haben wir die Studie so alltagsnah wie möglich gestaltet“,
erklärt Rafael Lazar, Doktorand am Zentrum für Chronobiologie der
Universität Basel. Diese Untersuchung ist übrigens in ihrer Form bisher
einmalig, weil es soweit technisch noch nicht möglich war, Messungen
unter Alltagsbedingungen mit einem Headset durchzuführen.
So wurden die Teilnehmenden verschiedenen Alltagssituationen bei
typischen Beleuchtungsbedingungen am Tag ausgesetzt: in Innenräumen mit
künstlichem und natürlichem Licht, bei der Arbeit am Computer mit
LED-Bildschirm und draußen beim Spaziergang unter natürlichem Licht. Im
Labor wurden dann alle Versuchspersonen auch mit künstlichem Licht
unterschiedlicher Wellenlängen (rot, grün, blau und weiß) bestrahlt und
ihre Pupillenweitung zugunsten der Vergleichbarkeit und
Kontrollierbarkeit mit anderen Studien gemessen.
- Pupillenweitung nimmt pro Lebensjahrzehnt um 0,4 Millimeter ab
„Unsere Ergebnisse bestätigen die Hypothese, dass im Alter die Fähigkeit der Pupille, sich auf unterschiedliche Lichtsituationen einzustellen, nachlässt.
Anhand unserer breit angelegten Stichprobe können wir
feststellen, dass in jedem Jahrzehnt die Pupillenweite um rund 0,4
Millimeter abnimmt. Junge Menschen sehen schon aufgrund der höheren
Agilität ihrer Pupillen schwach ausgeleuchtete Umgebungen bei Nacht
besser als ältere Menschen“, erklärt Projektleiter Manuel Spitschan, der
als Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für biologische
Kybernetik sowie an der Technischen Universität München, School of
Medicine and Health, als Professor tätig ist.
Während Licht in die Augen fällt, funktioniert die Pupille ähnlich der
Blende einer Kamera und die Netzhaut vergleichbar des lichtempfindlichen
Sensors: Bei starker Helligkeit schließt sich die Pupille auf bis zu
zwei Millimeter im Durchmesser und lässt so wenig Licht auf die
reizempfindlichen Lichtrezeptoren der Netzhaut im Augeninneren fallen.
Bei schwachem Licht weitet sie sich auf bis zu acht Millimeter, so dass
die helligkeits- und farbempfindlichen Zellen der Netzhaut mit mehr
Licht versorgt werden können. Wäre der Lichteinfall zu hoch, würde die
visuelle Wahrnehmung der einer Überbelichtung entsprechen, bei zu wenig
Licht der einer Unterbelichtung.
„Im Wohnbereich oder am Arbeitsplatz kann die abnehmende Sehfähigkeit
aufgrund der geringeren Pupillenweitung eine Rolle zulasten der
allgemeinen Lebens- und Arbeitsqualität spielen.
Muss das Auge schnell auf sich verändernde Helligkeiten reagieren, kann zum Beispiel eine zu kontrastierende Beleuchtung im nächtlichen Außenbereich eines Hauses oder auf einem Treppenaufgang zu Stolperfallen führen.
Am Arbeitsplatz
hilft ein gut ausgeleuchtetes Umfeld ohne Blendwirkung, wenn man schnell
handeln muss oder hohe Konzentration erforderlich ist. Ganz
entscheidend ist dies in Arbeitsumfeldern mit erhöhter
Verletzungsgefahr“, empfiehlt Chronobiologe Manuel Spitschan.
Einfluss auf den Schlaf-Wach-Rhythmus älterer Menschen
- Die ausreichende Ausleuchtung der Netzhaut hat darüber hinaus für unsere innere Uhr eine wichtige Bedeutung, da sie durch den Hell-Dunkel-Wechsel immer wieder aufs Neue mit der Umgebung synchronisiert wird.
- In der aktuellen Studie konnten die Wissenschaftler zeigen, dass der inneren Uhr bei älteren Personen deutlich weniger Licht zur Verfügung steht.
- Dies hat Auswirkungen auf das körperliche Wohlbefinden, insbesondere auf einen gesunden Schlaf:
„Wir wissen, dass Menschen mit zunehmendem Alter empfindlicher auf eine Veränderung der Schlaf-Wach-Zyklen reagieren.
Unsere Studie zeigt, dass die tägliche Lichtdosis, die wir für ein gesundes Leben brauchen, altersabhängig angepasst werden muss.
Im Zusammenhang unserer nächsten Untersuchungen
werden wir Handlungsempfehlungen für junge wie für ältere Menschen zur
Verfügung stehen haben“, so Manuel Spitschan weiter.
Interessant ist auch:
Augenfarbe, Geschlecht oder Koffeinkonsum haben keinen Einfluss auf eine mit der Pupillenweitung im Zusammenhang stehenden Sehfähigkeit im Alter.
Pupillenweitung lässt im Alter nach
Dr. Daniel Fleiter Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik
Max-Planck-Ring 8
72076 Tübingen
Deutschland
Baden-Württemberg
Dr. Daniel Fleiter
Head of Communication
Telefon: 07071 / 601-777
E-Mail-Adresse: daniel.fleiter@tuebingen.mpg.de
Prof. Dr. Manuel Spitschan
Max-Planck-Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik
Telefon: +49 7071 601 1670
E-Mail: manuel.spitschan@tuebingen.mpg.de
Originalpublikation:
Lazar R, Degen J, Fiechter A-S, Monticelli A, Spitschan M. 2024 Regulation of pupil size in natural vision across the human lifespan. R. Soc. Open Sci. 11: 191613. https://doi.org/10.1098/rsos.191613