Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Blutverdünnung als Ursache für Hirnblutung sekundär
In Zusammenarbeit mit dem University College London hat das Inselspital, Universitätsspital Bern in zwei gekoppelten Studien die Rolle einer Blutverdünnung bei Hirnblutungen geklärt.
Dem Team ist es gelungen die zerebrale Mikroangiopathie, eine Erkrankung der kleinen Blutgefässe im Hirn, als primäre Ursache nachzuweisen.
- Die Verhinderung von Hirnblutungen muss sich also auf die Lokalisierung und Therapie von Mikroangiopathien konzentrieren.
- Blutverdünnung zum Schutz vor Hirnschlag ist somit in Zukunft grundsätzlich wieder eine Option.
PD Dr. med. David Julian Seiffge, Oberarzt Klinik für Neurologie, Inselspital, Universitätsspital Bern Insel Gruppe
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind in der Regel komplex und betreffen mehrere Organe gleichzeitig.
- Behandlungen von Gefässkrankheiten im Hirn können deshalb Auswirkungen auf die Behandlung von Herzerkrankungen haben.
Es ist deshalb wichtig, die jeweiligen Ursachen und Wirkungen genau zu verstehen.
- Die vorliegende Studie geht den Ursachen von Hirnblutungen auf den Grund und stellt einen Zusammenhang mit dem Risiko von Hirnschlag bei Vorhofflimmern her.
Sie regt eine grundsätzliche neue Einschätzung der Wirkungen von Blutverdünnung auf Hirnblutungen an.
In der Schweiz werden pro Jahr etwa 1000 Patientinnen und Patienten mit
Hirnblutungen an Stroke Zentren behandelt. Hirnblutungen verlaufen öfter
tödlich, als andere Formen von Hirnschlägen und ihre Häufigkeit hat in
den vergangenen 30 Jahren nicht abgenommen. Bisher galt der Einsatz von
Blutverdünnern als Risikofaktor und potentieller Auslöser einer
Hirnblutung.
Blutverdünner nicht primäre Ursache
Die vorliegende Publikation schliesst die Ergebnisse von zwei Studien
ein. Sie stellt den Beitrag einer Blutverdünnung mit demjenigen einer
Mikroangiopathie im Gehirn bei Hirnblutungen gegenüber.
- Es zeigt sich, dass eine mittlere bis schwere Erkrankung der Kleinstgefässe im Hirn eng mit dem Auftreten von Hirnblutungen einhergeht.
David Seiffge fasst die Ergebnisse Studien so zusammen: «Unsere Ergebnisse zeigen, dass das Vorhandensein von Mikroangiopathien eine Grundvoraussetzung für eine Hirnblutung unter Blutverdünnern ist.
Der Grad der Mikroangiopathie im Gehirn eignet sich zur Vorhersage einer Hirnblutung.
Ohne Mikroangiopathie ist dagegen das Hirnblutungsrisiko verschwindend gering
Daraus folgert, dass Blutverdünnung nicht mehr als primäre Ursache für Hirnblutungen angesehen werden sollte.»
Warum ist das wichtig? Der Schutz vor Hirnschlag bei Vorhofflimmern
Blutverdünnung ist ein wichtiger Schutz vor ischämischem Hirnschlag bei Patientinnen und Patienten mit Vorhofflimmern.
Antikoagulation senkt das Risiko eines ischämischen Hirnschlages hier um zwei Drittel.
Bisher wurde bei einer Hirnblutung sofort die Antikoagulation abgebrochen und die Patientinnen und Patienten waren dem Risiko eines Hirnschlages schutzlos ausgeliefert.
Die neuen Studienergebnisse weisen nun einen neuen Weg:
Durch die Therapie der Erkrankung der Kleinstgefässe im Hirn können Hirnblutungen ursächlich vermieden werden und dank einer angepassten Fortsetzung der Blutverdünnung kann ein gewisser Schutz vor Hirnschlag aufrechterhalten werden.
Das genaue zeitliche Vorgehen und
die Abstufung der beiden Therapien ist Gegenstand weiterer
Untersuchungen.
Ein anspruchsvoller methodischer Ansatz: Kombination zweier multizentrischer Studien
Der Publikation liegen zwei unabhängige, multizentrische
Observationsstudien zugrunde. Zum einen wurde eine Querschnittstudie mit
1030 Patientinnen und Patienten mit Hirnblutungen ausgeführt. Mittels
CT und MRI wurden Marker für Mikroangiopathien im Hirn gesucht. In einer
zweiten, prospektiven Studie wurden 1447 Patientinnen und Patienten mit
Vorhofflimmern und Durchblutungsstörungen des Hirns aufgenommen. In
dieser Gruppe wurde das Auftreten von Hirnblutungen und ischämischem
Hirnschlag in Abhängigkeit zur Blutverdünnung betrachtet.
Mit diesem Ansatz konnte gezeigt werden, dass eine Mikroangiopathie eine
Voraussetzung für eine Hirnblutung darstellt.
Patienten ohne eine solche Erkrankung hatten keine einzige Hirnblutung im Rahmen der Studie, trotzdem sie mit einer Blutverdünnung behandelt wurden.
Dagegen war das
Risiko bei einer mittleren bis schweren Mikroangiopathie bei 1.56% pro
Jahr deutlich erhöht.
Eine neue Sichtweise wird nötig
Die Studienergebnisse legen nahe, dass Blutverdünnung alleine nicht mehr
als Ursache für Hirnblutungen angesehen werden kann.
Prof. Marcel Arnold streicht heraus:
- «Neu sollten zur Verhinderung von Hirnblutungen daher Mikroangiopathien systematisch gesucht und gezielt behandelt werden.
Geeignete Spezialsprechstunden stehen heute zur Verfügung.
So würde das Risiko von Hirnblutungen bei Vorhofflimmern ursächlich und wirksam vermindert.»
Derzeit läuft eine grosse, internationale, randomisierte Studie
(ENRICH-AF), die in der Schweiz von David Seiffge koordiniert wird, mit
dem Ziel, die Therapien der Antikoagulation und der Behandlung von
Mikroangiopathien aufeinander abzustimmen.
- PD Dr. med. David Julian Seiffge, Oberarzt Klinik für Neurologie, Inselspital, Universitätsspital Bern
- Prof. Dr. med Marcel Arnold, Chefarzt Stroke Center, Inselspital, Universitätsspital Bern
- Prof. Dr. med. Urs Fischer, Leiter Stationäre Akutneurologie, Inselspital, Universitätsspital Bern
- Prof. Dr. David Werring, Queen Square Institute of Neurology, University College London
3010 Bern
Schweiz
Bern
Marcel Wyler
Telefon: 0041 31 632 3720
E-Mail-Adresse: marcel.wyler@insel.ch
Originalpublikation:
Seiffge DJ, et al. J Neurol
Neurosurg Psychiatry 2021;0:1–10. Small vessel disease burden and
intracerebral haemorrhage in patients taking oral anticoagulants;
doi:10.1136/jnnp-2020-325299