Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Schlaganfall: Erstmals Hinweise auf wirksame Therapie bei schweren Hirnblutungen
Blutungen in tiefen Gehirnbereichen sind meist lebensbedrohlich / Bislang kaum Therapiefortschritte / Internationales Team unter Leitung des Universitätsklinikums Freiburg findet erstmals Hinweise auf positiven Effekt durch temporäre Schädelöffnung/ Veröffentlichung am 15.5.2024 in The Lancet und zeitgleiche Vorstellung auf dem European Stroke Organisation Congress (ESOC)
Um schwere Druckschäden nach einer Hirnblutung zu verhindern, haben die Ärzt*innen in der Studie temporär einen Teil des Schädelknochens entfernt. Nach dem Abschwellen – meist nach einigen Wochen – wurde der Knochen wieder implantiert. Universitätsklinik für Neurochirurgie, Inselspital Bern
Mehr als 50.000 Menschen in Deutschland erleiden jährlich eine spontane Blutung im Gehirn.
Ein solcher hämorrhagischer beziehungsweise blutiger Schlaganfall ist akut lebensgefährlich.
- Gerade tief im Gehirn liegende Blutungen haben meist massive Konsequenzen.
- Die Blutung und folgende Schwellungen üben Druck auf das umgebende Gehirngewebe aus und führen so zu weitreichenden Schäden im Gehirn.
Eine wirksame Therapie gibt es bislang nicht.
Nun gibt es erstmals wertvolle Hinweise auf einen
wirksamen neurochirurgischen Ansatz, wie ein internationales Team um
Ärzt*innen der Universitätskliniken Freiburg und Bern, Schweiz, zeigt.
Sie fanden Hinweise, dass ein Öffnen der Schädeldecke und damit eine
Druckminderung im Gehirn zu weniger schweren Verläufen führt Die
sogenannte SWITCH-Studie erschien am 15. Mai 2024 im führenden
Fachmagazin The Lancet und wurde zeitgleich auf dem Kongress der
European Stroke Organisation (ESOC) in Basel vorgestellt.
„In dieser Studie stecken 14 Jahre Arbeit und Herzblut“, sagt Prof. Dr.
Jürgen Beck, Ärztlicher Direktor der Klinik für Neurochirurgie des
Universitätsklinikums Freiburg. Er hat die Studie gemeinsam mit Prof.
Dr. Urs Fischer vom Inselspital des Universitätsklinikums Bern, Schweiz,
geleitet. „Die SWITCH-Studie liefert erstmals starke Hinweise für einen
wirksamen Therapieansatz beim tiefen hämorrhagischen Schlaganfall.
Künftig wird es darum gehen, die Ergebnisse individuell auf die
einzelnen Patient*innen anzuwenden.“
Tiefliegende Blutungen sind besonders gefährlich
- Blutungen in tiefliegenden Regionen des Gehirns sind für Patient*innen besonders gefährlich.
- Sie führen oft zu schweren Behinderungen, Pflegebedürftigkeit und hoher Sterblichkeit.
- Die Behandlungsmöglichkeiten sind derzeit auf blutdrucksenkende und blutungsstillende Medikamente begrenzt und oft nicht ausreichend – eine durch Studien gesichert wirksame Therapie gibt es gar nicht.
Gleichzeitig ist die Forschung im Bereich der tiefen Hirnblutungen besonders anspruchsvoll, da die betroffenen Gehirnareale schwer zugänglich sind und Blutungen schnell lebensbedrohlich werden.
Bisherige
Studien zu verschiedenen Operationsmethoden scheiterten daran, einen
klaren Vorteil für Patient*innen zu zeigen.
Die SWITCH-Studie untersuchte daher gezielt die Wirkung einer
Kraniektomie zur Druckentlastung bei besonders schwer betroffenen
Patient*innen.
- Dabei wurde ein Teil der Schädeldecke entfernt und nach Rückgang der Schwellung wieder implantiert. Die Patient*Innen erhielten entweder die bisherige Standardtherapie oder die Standardtherapie in Kombination mit der Dekompressions-Kraniektomie.
Ergebnisse machen Hoffnung – weitere Forschung nötig
In die SWITCH-Studie wurden über 9,5 Jahre hinweg 197 Teilnehmer*innen
aufgenommen, die alle einen schweren tiefliegenden hämorrhagischen
Schlaganfall hatten. Die Patient*innen waren zwischen 18 und 75 Jahren
und im Schnitt 61 Jahre alt. Die Behandlung fand in 42
Schlaganfallzentren in Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich,
Niederlanden, Österreich, Schweden, der Schweiz und Spanien statt.
Aufgrund einer auslaufenden Finanzierung konnte das ursprüngliche
Studienziel von 300 Teilnehmenden nicht erreicht werden. Bewertet wurden
die Effekte insbesondere anhand einer etablierten Skala zur
neurologischen Einschätzung nach Schlafanfall, der modifizierten
Rankin-Skala von 0 (keine Beschwerden) bis sechs (Tod).
Ein halbes Jahr nach dem Eingriff wurden 44 Prozent der Patient*innen
nach Kombinationstherapie den schlechtesten Stufen 5-6 zugeordnet, ohne
neurochirurgischen Eingriff waren es 58 Prozent. Negative Effekte traten
in den Gruppen gleich häufig auf. Auch wenn die statistische
Signifikanz (p=0,057) knapp verfehlt wurde, sehen die Autor*innen darin
immerhin einen schwachen Beweis, dass die Intervention der bisherigen
Therapie überlegen sein könnte. „Es ist ein wertvoller
Hoffnungsschimmer, dass durch den Eingriff das Leiden dieser
Patient*innen gemildert werden kann“, sagt Beck. Allerdings waren
Überleben und eine starke Einschränkung in beiden Gruppen hoch, so dass
weitere Forschung notwendig ist.
Risikofaktoren und Anzeichen
- Typische Risikofaktoren für einen hämorrhagischen Schlaganfall sind ein hoher Blutdruck und die Einnahme blutverdünnender Medikamente. Auch Alkoholkonsum und Rauchen erhöhen das Risiko.
Die Anzeichen eines hämorrhagischen Schlaganfalls hängen von der betroffenen Region im Gehirn ab.
Typische Beschwerden sind:
- plötzliche, einseitige Muskelschwäche in Arm, Bein und Gesicht
- Gleichgewichtsstörungen
- verwaschene Sprache
- Übelkeit, Erbrechen, Schläfrigkeit und Bewusstseinsverlust.
Beim Verdacht auf einen Schlaganfall muss sofort der Rettungsdienst unter 112 alarmiert werden.
Prof. Dr. Jürgen Beck
Ärztlicher Direktor
Klinik für Neurochirurgie
Universitätsklinikum Freiburg
Telefon: 0761 270-50060
juergen.beck.nch@uniklinik-freiburg.de
Johannes Faber Universitätsklinikum Freiburg
Breisacher Straße 153
79110 Freiburg
Deutschland
Baden-Württemberg
E-Mail-Adresse: kommunikation@uniklinik-freiburg.de
Johannes FaberTelefon: 0761 270-84610
E-Mail-Adresse: johannes.faber@uniklinik-freiburg.de
Originalpublikation:
Original-Titel der Studie:
Decompressive craniectomy plus best medical treatment versus best
medical treatment alone for spontaneous severe deep supratentorial
intracerebral haemorrhage: a randomised controlled clinical trial. The
Lancet. 2024;
DOI: 10.1016/S0140-6736(24)00702-5
Link zur Studie: https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(24)00702-5/fullt...