Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Weniger Nebenwirkungen als befürchtet: Kortison in niedrigen Dosen
- Bei rheumatoider Arthritis – oft ungenau als Rheuma bezeichnet – ist Kortison sehr wirksam, medizinische Leitlinien raten aber von einer längerfristigen Einnahme ab.
- Grund sind eine Reihe von Nebenwirkungen – die allerdings vor allem bei den früher üblichen hohen Dosierungen beobachtet wurden.
Zur Verabreichung von kleinen Mengen Kortison über einen längeren Zeitraum gibt es dagegen wenig aussagekräftige Daten.
Eine Studie der Charité – Universitätsmedizin Berlin in Annals of Internal Medicine* zeigt jetzt:
- Zumindest der Blutdruck steigt nach zweijähriger Therapie mit niedrig dosiertem Kortison nicht an.
- Und die oft befürchtete Gewichtszunahme fällt mit rund einem Kilogramm moderat aus.
Als Kortison wird umgangssprachlich die Gruppe der Glukokortikoide bezeichnet.
Das sind körpereigene und auch synthetische Wirkstoffe, die unter anderem das Immunsystem hemmen.
- Kortison-Präparate werden deshalb schon seit Langem gegen eine ganze Reihe von entzündlichen Erkrankungen eingesetzt, darunter Autoimmunkrankheiten wie die rheumatoide Arthritis.
Und sie wirken:
- Kortison-Präparate helfen gegen die Entzündung in den Gelenken, mindern Schmerzen und lindern die krankheitsbedingte körperliche Behinderung.
- Außerdem werden die Gelenke deutlich weniger geschädigt.
Kortison wird entgegen Leitlinien verwendet
„Weil Kortison-Präparate so gut gegen die rheumatoide Arthritis helfen,
nehmen 30 bis 50 Prozent der Betroffenen sie auch zwei Jahre nach der
Diagnose noch – und zwar entgegen den aktuellen medizinischen Leitlinien
und Empfehlungen“, erklärt Dr. Andriko Palmowski, Erstautor der Studie
von der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Rheumatologie und Klinische
Immunologie der Charité.
„Die Leitlinien und Empfehlungen raten eigentlich, Kortison – wenn überhaupt – nur vorübergehend zu verabreichen, weil sonst relevante Nebenwirkungen zu befürchten sind.“
Allerdings: Viele dieser Nebenwirkungen sind für die früher viel häufiger verabreichten hohen Kortison-Dosierungen gut belegt, für die heute bevorzugten geringeren Mengen ist die Datenlage weniger eindeutig. Dr. Palmowski:
„So genau wissen wir also gar nicht, wie stark die Nebenwirkungen bei niedrig dosierten Kortison-Präparaten sind.“In der Vergangenheit hatten einige Beobachtungsstudien beispielsweise darauf hingedeutet, dass eine langfristige Einnahme von geringen Mengen Kortison bei rheumatoider Arthritis den Blutdruck ansteigen lässt und zu einer Gewichtszunahme führt.
„Allerdings haben Beobachtungsstudien aufgrund verschiedener verzerrender Effekte nur eine begrenzte Aussagekraft“, betont Prof. Dr. Frank Buttgereit, stellvertretender Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Rheumatologie und Klinische Immunologie der Charité und Leiter der Studie.
„Für eine
stärkere Beweiskraft benötigt man ein höherwertiges Untersuchungsdesign,
die sogenannten randomisierten kontrollierten Studien.“ Von dieser Art
der Studien, bei der der Zufall entscheidet, ob die Teilnehmenden das
Medikament oder ein Scheinpräparat erhalten, gab es sogar schon eine
Handvoll. Für eine statistisch verlässliche Analyse der beiden
Nebenwirkungen hatte jede für sich genommen jedoch zu wenige
Patient:innen eingeschlossen.
Charité-Studie analysiert Daten von über 1.100 Personen
Das Charité-Forschungsteam holte deshalb von fünf der bereits
abgeschlossenen randomisierten kontrollierten Studien die Messwerte zu
Blutdruck und Körpergewicht ein und analysierte diese gemeinsam. So
kamen Daten von insgesamt mehr als 1.100 Menschen mit rheumatoider
Arthritis aus zwölf europäischen Ländern zusammen, die über zwei Jahre
hinweg niedrig dosierte Kortison-Präparate oder ein Scheinpräparat
beziehungsweise Kontrollmedikamente erhalten hatten. Alle Patient:innen
hatten zudem, wie üblich, eine dauerhafte Begleitmedikation zur besseren
Eindämmung der Erkrankung bekommen.
- Das Ergebnis: Unter der Kortison-Therapie veränderte der Blutdruck sich nicht signifikant, und die Betroffenen nahmen im Schnitt nur 1,1 Kilogramm mehr zu als die Teilnehmenden in der Kontrollgruppe. Ähnliches galt auch für Risikopatient:innen, die zu Studienbeginn bereits übergewichtig waren oder einen hohen Blutdruck hatten.
- „Die Ergebnisse unserer Studie machen die Leitlinien nicht obsolet, denn Glukokortikoide können auch andere schwerwiegende Nebenwirkungen wie Osteoporose, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder eine Neigung zu Infektionen mit sich bringen“, resümiert Prof. Buttgereit.
„Aber für viele Rheuma-Betroffene und auch ihre behandelnden Ärztinnen und Ärzte ist die Sorge vor einem Blutdruckanstieg und einer Gewichtszunahme ein wichtiges Entscheidungskriterium für oder gegen eine Kortison-Therapie.
Das sollte sie jedoch nicht sein, weil beide Effekte – wie unsere Ergebnisse zeigen – keine große Relevanz haben.
Stattdessen sollte die
Entscheidungsfindung eher die anderen Nebenwirkungen in den Blick
nehmen.“
Um das Für und Wider einer Therapie mit niedrig dosiertem Kortison
künftig noch besser abwägen zu können, plant das Charité-Forschungsteam
nun, zu weiteren Nebenwirkungen hochqualitative Daten zu sammeln. Als
nächstes im Fokus: die Osteoporose.
*Palmowski A et al. The Effect of Low Dose Glucocorticoids Over Two
Years on Weight and Blood Pressure in Rheumatoid Arthritis: Individual
Patient Data from Five Randomized Trials. Ann Intern Med 2023 Jul 14.
doi: 10.7326/M23-0192
Charitéplatz 1
10117 Berlin
Deutschland
Berlin
Manuela Zingl
Telefon: 030 / 450 570 400
Fax: 030 / 450 570 940
E-Mail-Adresse: manuela.zingl@charite.de
Weitere Informationen für international Medizin am Abend Berlin Beteiligte:
https://www.acpjournals.org/doi/10.7326/M23-0192 Originalpublikation
https://rheumatologie.charite.de/ Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Rheumatologie und Klinische Immunologie
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