Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Patienten mit chronischer Lungenerkrankung optimal behandeln
Patienten mit der Lungenerkrankung COPD erhalten Medikamente zur Verbesserung der Atmungsfähigkeit kombiniert mit Kortikosteroiden, die das Risiko einer akuten Verschlechterung der Lunge verringern.
Die Balance zwischen dieser Verringerung und der Zunahme schädlicher Nebenwirkungen hängt von der Dosierung und Patientenmerkmalen ab, wie Forschende der Universität Zürich nun zeigen. Dank den Erkenntnissen können COPD-Betroffene gezielter behandelt werden.
Patientinnen und Patienten mit chronisch obstruktiver
Lungenerkrankung (COPD) leiden unter einer dauerhaften Verengung der
Atemwege, was die Atmung erschwert. Die Verengung wird durch eine
Entzündung der kleinen Atemwege verursacht, die zu Schleimproduktion
führt und das Lungengewebe zerstört. Kortikosteroide zum Inhalieren
werden in der Regel in Kombination mit lang wirkenden Bronchodilatatoren
eingesetzt, um bei COPD-Patienten eine akute Verschlechterung des
Lungenzustands zu verhindern. Während Kortikosteroide eine Entzündung
bzw. eine Zustandsverschlechterung reduzieren, verbessern
Bronchodilatatoren die Atmung, indem sie die Bronchien erweitern.
Nutzen von Kortikosteroiden hängt von drei Hauptfaktoren ab
Seit Jahren wird über den Einsatz von Kortikosteroiden bei der sehr
heterogenen Gruppe von COPD-Patienten debattiert. In Leitlinien wird
zwar ein personalisierter Behandlungsansatz vorgeschlagen. Doch bleiben
diese recht vage, da unklar ist, für wen der Nutzen die schädlichen
Nebenwirkungen überwiegt. Eine Studie unter der Leitung von Henock
Yebyo, Postdoktorand am Institut für Epidemiologie, Biostatistik und
Prävention der Universität Zürich (UZH), bringt nun Licht in diese
Frage. «Unsere Ergebnisse zeigen, dass drei Hauptfaktoren die Balance
zwischen Therapienutzen und Nebenwirkungen unterschiedlich dosierter
Kortikosteroide beeinflussen: das Risiko einer akuten Verschlechterung,
die Menge bestimmter Blutzellen und das Alter des Patienten», sagt
Erstautor Yebyo.
Systematische Betrachtung von Behandlungs- und Patientenmerkmalen
Die Forscher berücksichtigten zahlreiche Merkmale von Therapien und
Patientinnen, die einen Einfluss auf das Nutzen-Risiko-Verhältnis haben.
Sie führten umfassende statistische Analysen durch, um zu berechnen,
wie hoch das Risiko für akute Verschlechterungen bei den Patienten sein
muss, damit der Nutzen, dieses Risiko zu reduzieren, die Nebenwirkungen
überwiegt: eine schwere Lungenentzündung, Pilzbefall der Mundschleimhaut
und Heiserkeit. Sie fanden heraus, dass Patientinnen von niedrig bis
mittelstark dosierten Kortikosteroiden nicht profitieren, wenn ihr
Risiko, in den nächsten zwei Jahren eine akute Verschlechterung zu
erleiden, weniger als 32 Prozent beträgt. Was typischerweise jene
Patienten sind, deren Lungenzustand in der Vergangenheit stabil war.
In den Leitlinien wurde die Dosierung der Kortikosteroide bisher nicht
berücksichtigt. Die UZH-Studie zeigt nun deutlich, dass hohe Dosen mit
erheblichen Nebenwirkungen verbunden sind, die den Nutzen nicht
rechtfertigen. Patienten über 80 Jahren profitieren von der Therapie
ebenfalls kaum, da ihr Risiko, eine Lungenentzündung zu entwickeln,
höher ist als die Verringerung einer akuten Verschlechterung.
Patientinnen mit grösseren Mengen bestimmter, für Asthma typischer
Blutzellen –sogenannte Eosinophile – profitieren dagegen eher.
Systematischer Ansatz ermöglicht individuellere Behandlungen
Als die Wissenschaftler ihre Ergebnisse anhand von Daten von zwei
Patientengruppen aus der Schweiz und den Niederlanden überprüften,
zeigte sich, dass einige Patienten mit Kortikosteroiden überbehandelt
werden, während andere unterbehandelt werden. «Unsere Ergebnisse führen
nicht unbedingt dazu, dass weniger Kortikosteroide eingesetzt werden.
Aber sie helfen, die Über- und Unterversorgung zu minimieren, indem die
Therapie hinsichtlich Dosierung und Patientenmerkmalen zugeschnitten
wird», erklärt Henock Yebyo.
Die Präzisionsmedizin wird oft auf einzelne Faktoren wie einen
genetischen Marker reduziert, doch die Realität ist meist komplizierter.
Mit ihrem systematischen Ansatz haben die Forschenden drei Kategorien
von Faktoren, die das Behandlungsergebnis beeinflussen, berücksichtigt
und sie umfassend kombiniert: Faktoren, die Behandlungseffekte
verändern, Faktoren, die mit den Risiken für Nutzen und Nebenwirkungen
ohne Behandlung verbunden sind, und Patientenpräferenzen. «Unsere Studie
dient als Beispiel dafür, wie die Komplexität der
Nutzen-Schaden-Balance systematisch angegangen werden kann, damit
medizinische Richtlinien klare und nützliche Empfehlungen für
personalisierte Behandlungen geben können", sagt UZH-Professor Milo
Puhan.
Über Google: Medizin am Abend Berlin
idw - Informationsdienst Wissenschaft e. V.
Dr. Henock Yebyo
Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention
Universität Zürich
Tel. +41 44 634 48 53
E-Mail: henock.yebyo@uzh.ch
Prof. Dr. Milo Puhan
Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention
Universität Zürich
Tel. +41 44 63 44610
E-Mail: miloalan.puhan@uzh.ch
Originalpublikation:
Yebyo HG, Braun J, Menges D, Riet Gt, Sadatsafavi M, Puhan MA. Personalising add-on treatment with inhaled corticosteroids in patients with chronic obstructive pulmonary disease: a benefit-harm modelling study. Lancet Digital Health. 25 August 2021. DOI: 10.1016/S2589-7500(21)00130-8
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