Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Schönere Beine, längeres Leben?
Forschende der Universitätsmedizin Mainz gewinnen neue Erkenntnisse zur chronischen Venenschwäche - Die chronisch-venöse Insuffizienz (CVI) ist eine Erkrankung der Beinvenen, die zu schweren Venen- und Hautveränderungen bis hin zu chronischen Wunden führen kann.
Bislang wurde die Erkrankung vorwiegend als ein ästhetisches und lokales Problem der Venen betrachtet.
- Jedoch zeigen neue Daten, dass die chronische Venenschwäche mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie einer höheren Sterblichkeit einhergeht.
Neue Daten aus Mainz zeigen, dass die chronische Venenschwäche mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie einer höheren Sterblichkeit einhergeht. (v.l.n.r.: Univ.-Prof. Dr. Philipp Wild, Dr. Jürgen Prochaska) Thomas Böhm Universitätsmedizin Mainz
Diese bisher unbekannten Erkenntnisse von Wissenschaftler:innen des Centrums für Thrombose und Hämostase (CTH) der Universitätsmedizin Mainz und des Deutschen Zentrums für Herzkreislaufforschung (DZHK) legen nahe, die CVI zukünftig als Vorhersagekriterium für das Auftreten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu nutzen.
Die Ergebnisse der Mainzer Studie
wurden jetzt in der Fachzeitschrift „European Heart Journal“
veröffentlicht.
„Unsere Untersuchung ist die erste und umfangreichste
bevölkerungsbezogene Studie, die systematisch das gesamte Spektrum der
Veneninsuffizienz untersucht und in Verbindung mit etablierten
Herz-Kreislauf-Erkrankungen auswertet“, erläutert Dr. Jürgen Prochaska,
Oberarzt am Zentrum für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz und
Arbeitsgruppenleiter am CTH.
„Wir konnten zeigen, dass die chronisch-venöse Insuffizienz
ausgesprochen verbreitet ist:
Bei rund 41 Prozent der 40- bis 80-jährigen Probanden der bevölkerungsbasierten Gutenberg-Gesundheitsstudie (GHS) wurde eine symptomatische chronische Venenschwäche mit Ödemen, Hautveränderungen oder offenen Wunden der unteren Gliedmaßen diagnostiziert.“
Die Studiendaten belegen, dass die Häufigkeit der chronisch-venösen Insuffizienz mit zunehmendem Alter deutlich ansteigt.
Während bei den 40- bis 50-Jährigen mehr als jeder Fünfte betroffen ist, sind es bei den 70- bis 80-Jährigen sogar mehr als zwei Drittel.
Eine weitere Erkenntnis der Studie: Frauen erkranken
etwas häufiger als Männer.
- Zudem stellte das Mainzer Forscherteam fest, dass Personen mit einer chronisch-venösen Insuffizienz mit einer etwa 60 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit gleichzeitig eine schwere Herz-Kreislauf-Erkrankung aufweisen als Personen mit gleichem Alter und Geschlecht ohne CVI.
- Die Wissenschaftler:innen konnten darüber hinaus zeigen, dass das Risiko, in den nächsten zehn Jahren an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Herzschwäche oder der Herzrhythmusstörung Vorhofflimmern zu erkranken, bei Personen mit CVI fast doppelt so hoch ist wie bei Personen ohne Zeichen einer Venenschwäche.
„Unsere Daten offenbaren eine weitere alarmierende Erkenntnis“, betont
Univ.-Prof. Dr. Philipp Wild, Leiter der Präventiven Kardiologie am
Zentrum für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz und Leiter der
Klinischen Epidemiologie und Systemmedizin am CTH. „Wir haben in der
Studie nachgewiesen, dass die Gesamtsterblichkeit über alle
Todesursachen hinweg bei Menschen mit chronisch-venöser Insuffizienz
unabhängig von allen anderen Faktoren, wie etwa Alter, Geschlecht,
Risikofaktoren und Begleiterkrankungen, deutlich erhöht ist.
Dies unterstreicht in Verbindung mit der hohen Verbreitung die Notwendigkeit, die Krankheit ernst zu nehmen und als möglichen Indikator für das Vorliegen einer kardiovaskulären Erkrankung zu nutzen.“
Die
Sterblichkeit von Personen mit fortgeschrittener Venenschwäche war im
Beobachtungszeitraum von etwas mehr als sechs Jahren um etwa das
1,7-fache höher als bei Personen ohne diese Erkrankung.
Der Direktor des Zentrums für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz,
Univ.-Prof. Dr. Thomas Münzel, sieht die gemeinsamen kardiovaskulären
Risikofaktoren als eine mögliche Ursache für die Verbindung zwischen
arterieller und venöser Erkrankung: „Unsere Daten weisen darauf hin,
dass klassische Risikofaktoren für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung,
beispielsweise Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Übergewicht oder
Rauchen, zu einer fortgeschrittenen Venenschwäche beitragen. Mit der
Diagnose einer chronisch-venösen Insuffizienz sollte daher immer auch
nach Risikofaktoren und Herz-Kreislauf-Erkrankungen gesucht werden.“
Die Wissenschaftler:innen teilten die erhobenen Befunde zu den
Venenveränderungen systematisch nach Schweregraden ein.
Diese reichten von keinen Zeichen einer Venenveränderung bis hin zum Vorliegen einer sehr fortgeschrittenen Veneninsuffizienz. Bei einer deutlichen Mehrheit von rund 90 Prozent zeigte sich eine Venenveränderung: 36,5 Prozent der Personen hatten eine sogenannte Varikosis (z. B. Besenreiser) und 13,3 Prozent wiesen Varizen (Krampfadern) auf.
- Beides sind Venenveränderungen, die häufig im Laufe des Lebens zu einer fortgeschrittenen Venenschwäche führen.
Mit einem Anteil von 40,8
Prozent aller untersuchten Personen wies ein hoher Anteil eine manifeste
chronisch-venöse Insuffizienz auf.
Für die Untersuchung wurden die Daten von rund 12.400 Teilnehmenden der
Gutenberg-Gesundheitsstudie (GHS) aus Mainz und dem Landkreis
Mainz-Bingen sowie von mehr als 2.400 Teilnehmenden der MyoVasc-Studie
berücksichtigt. Die Bestimmung des Schweregrads einer Venenveränderung
wurde mittels standardisierter digitaler Bildaufnahme, einer klinischen
Untersuchung der Beine und per Befragung zu typischen Symptomen erhoben.
Zudem lagen Daten zu kardiovaskulären Risikofaktoren und
Begleiterkrankungen für alle Studienteilnehmenden vor.
Originalpublikation:
Prochaska JH, Arnold N, Falcke A, Kopp S, Schulz A, Buch G, Moll S,
Panova-Noeva M, Jünger C, Eggebrecht L, Pfeiffer N, Beutel M, Binder H,
Grabbe S, Lackner KJ, Ten Cate-Hoek A, Espinola-Klein C, Münzel T, Wild
PS. Chronic venous insufficiency, cardiovascular disease, and mortality:
a population study. Eur Heart J. 2021 Aug 13:ehab495. Online ahead of
print. PMID: 34132336.
DOI: 10.1093/eurheartj/ehab495
Über die Gutenberg-Gesundheitsstudie (GHS):
Die Gutenberg Gesundheitsstudie (GHS) ist eine interdisziplinäre,
populationsbasierte, prospektive, monozentrische Kohorten-Studie, die
seit 2007 an der Universitätsmedizin Mainz durchgeführt wird. Bei der
GHS handelt es sich um eine der weltweit größten Studien ihrer Art, in
die über 15.000 Frauen und Männer aus der rheinland-pfälzischen
Landeshauptstadt und dem Landkreis Mainz-Bingen im Alter zwischen 35 und
74 Jahren eingeschlossen wurden. Im Rahmen der Studie werden
Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebserkrankungen, Augenerkrankungen,
metabolische Erkrankungen sowie Erkrankungen des Immunsystems und der
Psyche untersucht. Ziel der Studie ist es, die Risikovorhersage für den
Einzelnen für diese Erkrankungen zu verbessern. Hierzu werden
Lebensstil, psychosoziale Faktoren, Umwelt, laborchemische Parameter
sowie das Ausmaß der subklinischen Erkrankung berücksichtigt. Eine
umfangreiche Biomaterialbank ermöglicht molekularbiologische
Untersuchungen, unter anderem auch in einem systembiologischen Ansatz.
Weitere Informationen im Internet unter
www.gutenberg-gesundheitsstudie.de
Über die MyoVasc-Studie
Die MyoVasc-Studie ist eine epidemiologische, prospektive Kohortenstudie
zur Untersuchung der Herzinsuffizienz und der Interaktion mit
Gefäßerkrankungen. Die Studie wird seit 2012 durch die Präventive
Kardiologie und Medizinische Prävention (Leitung: Univ.-Prof. Dr.
Philipp Wild) am Zentrum für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz
durchgeführt. Insgesamt werden mehr als 3.200 Personen mit verschiedenen
Formen der Herzinsuffizienz und Kontrollpersonen ohne Herzinsuffizienz
über jeweils sechs Jahre regelmäßig untersucht. Ziel ist, den Verlauf
der Herzinsuffizienz noch besser zu verstehen und Risikofaktoren zu
identifizieren. Weitere Informationen im Internet unter Präventive
Kardiologie und Medizinische Prävention | MyoVasc (unimedizin-mainz.de)
Über das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK)
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat im Rahmen
seiner Bemühungen, optimale Forschungsbedingungen zur Bekämpfung von
Volkskrankheiten zu schaffen, die Deutschen Zentren der
Gesundheitsforschung (DZG) gegründet. Eines dieser sechs Zentren ist das
Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK). Dieses Zentrum
setzt sich aus insgesamt 29 Institutionen zusammen, die auf sieben
Standorte verteilt sind. Die Ziele des Zentrums sind die Verbesserung
von Prävention, Diagnostik und Therapie von kardiovaskulären
Erkrankungen. Die Universitätsmedizin Mainz gehört dem Standort
RheinMain des DZHK an und hat im Netzwerk den Schwerpunkt in der
patientenorientierten Forschung zu kardiovaskulären Erkrankungen.
Über die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist die
einzige medizinische Einrichtung der Supramaximalversorgung in
Rheinland-Pfalz und ein international anerkannter Wissenschaftsstandort.
Sie umfasst mehr als 60 Kliniken, Institute und Abteilungen, die
fächerübergreifend zusammenarbeiten und jährlich mehr als 300.000
Menschen stationär und ambulant versorgen. Hochspezialisierte
Patientenversorgung, Forschung und Lehre bilden in der
Universitätsmedizin Mainz eine untrennbare Einheit. Rund 3.000
Studierende der Medizin und Zahnmedizin sowie mehr als 600 Fachkräfte in
den verschiedensten Gesundheitsfachberufen, kaufmännischen und
technischen Berufen werden hier ausgebildet. Mit rund 8.600
Mitarbeitenden ist die Universitätsmedizin Mainz zudem einer der größten
Arbeitgeber der Region und ein wichtiger Wachstums- und
Innovationsmotor. Weitere Informationen im Internet unter
www.unimedizin-mainz.de.
Univ.-Prof. Dr.
Philipp Wild, Zentrum für Kardiologie und Centrum für Thrombose und
Hämostase (CTH) der Universitätsmedizin Mainz, Telefon 06131 17-7439,
E-Mail: philipp.wild@unimedizin-mainz.de
Veronika Wagner M.A. Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Langenbeckstraße 1
55131 Mainz
Deutschland
Rheinland-Pfalz
Fax: 06131 17-3496
E-Mail-Adresse: veronika.wagner@unimedizin-mainz.de
Originalpublikation:
Prochaska JH, Arnold N, Falcke
A, Kopp S, Schulz A, Buch G, Moll S, Panova-Noeva M, Jünger C,
Eggebrecht L, Pfeiffer N, Beutel M, Binder H, Grabbe S, Lackner KJ, Ten
Cate-Hoek A, Espinola-Klein C, Münzel T, Wild PS. Chronic venous
insufficiency, cardiovascular disease, and mortality: a population
study. Eur Heart J. 2021 Aug 13:ehab495. Online ahead of print. PMID:
34132336.
https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehab495
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