Medizin am Abend Berlin: Friedhofspflicht, Friedhofsflucht?
Zukunft der Bestattungs- und Erinnerungskultur
Die Situation ist alltäglich und doch außergewöhnlich:
Der Tod eines Menschen trifft die Angehörigen hart. Zur Trauer kommt die Pflicht, den Verstorbenen innerhalb kurzer Zeit bestatten zu lassen.
Vieles muss dann bedacht, entschieden und erledigt werden. „Es ist hilfreich, sich rechtzeitig mit dem Thema zu befassen und im Gespräch mit Angehörigen vorzusorgen“, empfiehlt Professor Thomas Klie von der Universität Rostock. Der Theologe ist Experte für moderne Trauerkultur.
Er hat das Thema auf ganz große Beine gestellt und in Kooperation mit der Theologischen Fakultät Bern sowie Aeternitas, Verbraucherinitiative Bestattungskultur Königswinter, eine dreitägige Tagung zum Thema „Friedhofspflicht/Friedhofsflucht“ an der Uni Rostock ins Leben gerufen. Vom 3. bis 5. November diskutierten Experten auch darüber, was es hieße, die typisch deutsche Friedhofpflicht aufzugeben, um sich rechtsförmig, beispielsweise am schweizerischen und niederländischen Modell zu orientieren. Zu der wissenschaftlichen Tagung hatten sich etwa 50 Gäste aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen und Friedhofsverwaltungen deutscher Städte angemeldet.
Professor Thomas Klie auf dem Neuen Friedhof von Rostock, der zunehmend durch neue Bestattungsformen sein Gesicht verändert. Foto: Universität/ Julia Tetzke
In Nordrhein-Westfalen und in Bremen sind unlängst schon Veränderungen in Richtung auf eine (partielle) Freigabe der Friedhofspflicht vorgenommen worden.
Auch private Friedhöfe sind in Nordrhein-Westfalen erlaubt.
Und es gibt den ersten privaten Friedhofsbetreiber in Bergisch Gladbach, Fritz Roth.
Er hat in der Kreisstadt „Gärten der Bestattung" gegründet. Werden bald weitere Bundesländer folgen? Welche Konsequenzen hat das für die Bestattungs-, Trauer-und Erinnerungskultur?
Viele Friedhöfe verändern augenfällig ihr Gesicht, weil sich immer weniger Menschen in einem Sarg bestatten lassen.
Dadurch wird viel Platz frei. „Die Trauerkultur hat sich in den letzten Jahren deutlich gewandelt“, sagt Prof. Klie. „Die Träger der Friedhöfe müssen sich darauf einstellen.“
In Rostock wird gegenwärtig eine neue Friedhofskonzeption für Bestattungen erarbeitet.
So wolle die Hansestadt sich mit den veränderten Bestattungsformen und ihren Ansprüchen an Fläche und grünräumlicher Ausstattung auseinandersetzen, sagt Ute Fischer-Gäde, Amtsleiterin für Stadtgrün. „Erdbestattungen haben deutlich abgenommen, betragen nur noch fünf Prozent von der Gesamtbestattungszahl. Schwerpunkt bilde die Urnenbestattung, die sich auch in unterschiedlichen Formen und damit Flächeninanspruchnahmen auswirke, betont die Amtsleiterin.Ein Beispiel dafür seien die Partnergemeinschaftsanlagen, die im Gegensatz zum klassischen Urnengemeinschaftsgrab eine größere Flächenausweisung erfordern. „Wir werden dafür auch künftig weiter Flächen ausweisen“, unterstreicht Ute Fischer-Gäde. Beachtet würden dabei Ansprüche an Naturschutz und Denkmalpflege.
„In Rostock ist die Aschestreuwiese als besondere Bestattungsform einmalig in Deutschland und gilt als weiterhin erhaltenswert“, sagt die Amtsleiterin. Neben dem Ort als letzte Ruhestätte stehen die Friedhöfe der Hansestadt Rostock der Öffentlichkeit auch als Parkanlage zur Verfügung. Ein Einklang von naturnaher Erholung und Bestattungsflächen spricht ein Parkkonzept an, das bereits in anderen Städten erfolgreich geführt wird. Selbstverständlich, so Fischer-Gäde, sei der parkähnliche Charakter von den Bestattungsflächen zu trennen. Jedoch mit gestalterischen Mitteln im Einklang mit Denkmalschutz und Naturschutz spiegele dieses Freiraumkonzept einen wichtigen Baustein des öffentlichen Grüns wider.
Aber wie sieht der Friedhof der Zukunft aus? Die Rostocker Tagung will gesellschaftliche und kirchliche Chancen und Herausforderungen aus kulturwissenschaftlicher, soziologischer, juristischer und theologischer Perspektive ausloten. Fest steht: Die Urne im eigenen Garten oder auf dem Bücherregal in der Wohnung wird es jedenfalls auf absehbare Zeit in Mecklenburg-Vorpommern nicht geben. Ein Reformvorschlag der Linksfraktion zur Liberalisierung des Bestattungswesens ist im Januar 2016 im Landtag gescheitert.
Wald- oder Baumbestattungen sind nur im Zusammenhang mit einer Einäscherung möglich.
Auch bei Seebestattungen wird die Urne im Meer versenkt.
Aber was bedeutet das für die Angehörigen? Prof. Klie weiß nur zu gut, dass sie im Trauerfall unter Zeitdruck stehen. „Dann sind sie oft nicht in der Lage, eine richtige Entscheidung im Sinne des verstorbenen Angehörigen zu treffen“, gibt der Wissenschaftler zu bedenken. Das Verstreuen der Asche auf einer anonymen Grabstätte oder die Seebestattung seien dann nicht mehr rückgängig zu machen. „Es fehlt dann ein Ort, an dem man trauern kann“. Und dennoch beobachtet Thomas Klie einen deutlichen Trend zur anonymen Bestattung.
Als aktuelle Entwicklung sieht der evangelische Theologe die Tendenz zur Wahl von Nicht-Orten:
Die Asche wird auf Streuwiesen, ähnlich wie bei der Seebestattung, verteilt, und ein konkreter Ort ist dann nicht mehr auszumachen. Klie vermutet, dass eine solche Form der Bestattung Langzeitwirkung für den Einzelnen, aber auch für eine Kultur hat. Denn je länger, je mehr werde diese Kulturform Friedhof nicht mehr von allen bevorzugt.
Doch viele, die mit der Bestattung auch noch Sinn verbinden, wünschen sich ein individuelleres Eingehen.
Dies umso mehr, weil die Kirchen ja auch vielfach, zumal auf den Dörfern, Träger der Friedhöfe sind, sie könnten also über die Friedhofsordnungen viel individueller, viel freier damit umgehen.
Professor Klie verweist auf einen weiteren Trend: „Seit geraumer Zeit wird bereits im Cyberspace bestattet und getrauert“.
In dem Maße, wie sich Bestattungskultur verändere und ausdifferenziere, besetze sie mit großer Selbstverständlichkeit auch die modernen Repräsentationsmedien. „Computer-mediatisierte Kommunikationen eröffnen dabei neue Wege zur Visualisierung des Umgangs mit Tod und Trauer“, sagt Prof. Klie.
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Ingrid Rieck Universität Rostock
Wolfgang Thiel
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