Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Fingerschweiß zeigt individuelles Stoffwechsel-Profil des Menschen
Nicht-invasive Methode eröffnet neue Möglichkeiten für personalisierte Diagnostik und Therapie
Die Analyse von Blut, Plasma oder Urin eines Menschen dient dazu, seinen oder ihren Stoffwechsel sowie körpereigene Schadstoffbelastungen zu bestimmen.
In "Nature Communications" stellt nun ein Team um Christopher Gerner von der Fakultät für Chemie der Universität Wien eine Methode vor, die Fingerschweiß für die Messung individueller metabolomischer Profile und Stoffwechselprozesse nutzt.
- Beispielhaft werden über die Analyse von Fingerschweiß die Aufnahme und Verstoffwechslung von Koffein sowie dessen Entzündungs-hemmende Effekte beschrieben.
In einer weiteren Studie konnten die Autor*innen bereits zeigen, dass sich aus Fingerschweiß auch Inhaltsstoffe aus Nahrung, Medikamenten, bis hin zu Umweltschadstoffen und deren Verstoffwechslung bestimmen lassen.
Individuelles Stoffwechsel-Profil in Fingerschweiß ablesbar © pixabay
Lebensmittel, die wir zu uns nehmen, werden im Magen-Darm-Trakt verdaut.
Die Moleküle, ob stabil oder enzymatisch ab- und umgebaut, wandern ins Blut und verteilen sich im ganzen Körper.
Erstaunlicherweise findet man sehr vieles von dem, was an kleinen Molekülen im Blut transportiert wird, auch im Schweiß.
"Im Fingerschweiß kann man Biomoleküle wie
Metabolite sehr präzise messen, präziser als etwa im Speichel", sagt
Christopher Gerner, analytischer Chemiker der Universität Wien und
Leiter der Joint Metabolome Facility der Universität Wien und
Medizinischen Universität Wien.
"Der wichtigste Vorteil gegenüber Blut- oder Urinanalysen besteht in der sehr einfachen Risiko- und schmerzlosen Probengewinnungsmöglichkeit.
So können wir metabolische Zeitreihenanalysen durchführen, die so bisher noch nicht möglich waren", so der Chemiker.
Die Gewinnung der Schweißproben erfolgt durch ein spezielles Filterpapier, das für nur eine Minute zwischen Daumen und Zeigefinger gehalten wird.
Die im Schweiß enthaltenen Moleküle werden dann
extrahiert und mittels massenspektrometrischer Analysen innerhalb von
wenigen Minuten prozessiert.
Stoffwechselprozesse sind sichtbar
In der aktuellen Studie verabreichten die Forscher*innen ihren
Testpersonen Kaffee oder Koffein-Kapseln.
Die entsprechenden Zeitreihenanalysen zeigten unterschiedliche kinetische Verläufe der Koffein-Metaboliten und erlaubten eine bioinformatische Netzwerkmodellierung.
Daraus konnte das Team schließlich individuelle
Profile in Bezug auf Koffeinaufnahme und -Verstoffwechselung erstellen
und sogar auf die Aktivität von Leberenzymen schließen.
Der Stoffwechsel ist ein höchst dynamischer Prozess.
Daher, so die
Studienautor*innen, sind Zeitreihenanalysen, wie sie nun erstmals über
die Fingerschweißmethode unkompliziert am Menschen ermöglicht wurden,
sehr wichtig. Aus der Methode könnten sich verschiedene Anwendungen für
die medizinische Praxis patentieren lassen, die z.B. zur leichteren
Erkennung von bestimmten Erkrankungen oder zur Unterstützung von
klinischen Studien beitragen. Verschiedene Ansätze werden bereits in
Zusammenarbeit mit der Medizinischen Universität Wien im AKH erprobt.
Individuelle Signaturen
In einer begleitenden Studie hatte das Team der Joint Metablome Facility
bereits weitere Beispiele dafür gezeigt, welche Daten aus Fingerschweiß
ablesbar sind: "Man kann damit unmittelbar verfolgen, was jemand
gegessen hat", so Studienautorin Julia Brunmair: "Es ist zum Teil auch
verblüffend: Nach dem Konsum von Erdbeeren war etwa ein nicht mehr
zugelassenes Insektizid nachweisbar. Nach konsumierten Orangen konnten
wir – im Fall von Bio-Orangen – gesunde Flavonoide und – im Fall von
nicht-biologischem Anbau – zudem entsprechende Pestizide nachweisen."
Auch Nikotinkonsum und Metabolismus konnten die Forscher*innen über
gemessenes Nikotin und Anatabin im Fingerschweiß von Testpersonen
unmittelbar nachweisen. Es ist nicht nur messbar, wie stark ein Mensch
Fremdstoffen ausgesetzt ist, sondern auch, wie sein oder ihr Organismus
darauf reagiert. Die Forscher*innen nehmen an, dass im Fingerschweiß
tausende Metabolite greifbar sind, wobei von ihnen bisher rund 250
identifiziert und mit Standards verifiziert wurden. "Hier werden in
absehbarer Zeit noch sehr viele hinzukommen", so Brunmair.
Wegweisend für personalisierte Medizin?
"Das Verfahren hat sich als hoch empfindlich erwiesen und zeigt neue
Möglichkeiten auf, individuelle Stoffwechselprozesse sichtbar zu machen,
um personalisierte Diagnostik und Therapie zu begleiten", sagt
Christopher Gerner. Es könnte etwa Mediziner*innen helfen zu beurteilen,
ob Medikamente von Patient*innen so wie vorgeschrieben eingenommen
wurden und auch ob die erwarteten Konzentrationswerte im Körper
tatsächlich erreicht werden.
Eine solche Compliance-Kontrolle könnte speziell für klinische Studien relevant sein, zu deren Durchführung die Joint Metabolome Facility nun durch Fingerschweiß-Analysen beitragen kann.
Die vertiefte Anwendung "Artificial Intelligence"-basierter bioinformatischer Verfahren wird wahrscheinlich noch sehr viel mehr molekulare Details über Teilnehmer*innen solcher Studien zutage fördern und verweist auch auf das Zukunftspotenzial dieser multidisziplinären Forschungsbestrebungen.
Univ.-Prof. Dr. Christopher Gerner
Joint Metabolome Facility
Währinger Straße 38, 1090 Wien
T +43-1-4277-523 02
christopher.gerner@univie.ac.at
www.jmef.univie.ac.at
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E-Mail-Adresse: alexandra.frey@univie.ac.at
Originalpublikation:
Publikation in Nature Communications
Finger Sweat Analysis Enables Short Interval Metabolic Biomonitoring in
Humans: Julia Brunmair, Laura Niederstaetter, Benjamin Neuditschko,
Andrea Bileck, Astrid Slany, Lukas Janker, Max Lennart Feuerstein,
Clemens Langbauer, Mathias Gotsmy, Jürgen Zanghellini, Samuel M.
Meier-Menches, Christopher Gerner (2021)
DOI: 10.1038/s41467-021-26245-4
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