Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Frühkindlicher Stress hinterlässt lebenslange Spuren im Gehirn
Forschende der Universitätsmedizin Mainz entdecken bisher unbekannten neurobiologischen Mechanismus - Belastende Erfahrungen in der frühen Kindheit, wie beispielsweise eine gestörte Eltern-Kind-Bindung, gelten als Hauptrisikofaktoren für die Entwicklung von psychischen Erkrankungen im Erwachsenenalter.
Die zugrundeliegenden neurobiologischen Mechanismen sind jedoch bisher nicht hinreichend geklärt.
Ein interdisziplinäres Team von Wissenschaftler:innen der Universitätsmedizin Mainz hat in einem Mausmodell gezeigt, dass frühkindliche Stresserfahrungen die Funktion von bestimmten Gehirnzellen, den sogenannten ‚NG2+‘-Gliazellen, langanhaltend beeinträchtigen können.
- Diese neue Erkenntnis ist Grundlage für die Entwicklung neuer Therapieansätze bei stressbedingten psychischen Störungen wie der Depression.
Die Forschungsergebnisse werden in der Novemberausgabe der
Fachzeitschrift „Neurobiology of Stress“ unter dem Titel „Early life
adversity targets the transcriptional signature of hippocampal NG2+ glia
and affects voltage gated sodium (Nav) channels properties“
veröffentlicht.
„Unsere Studienergebnisse ermöglichen neue Einblicke in die
Pathophysiologie von frühkindlichem Stress und zeigen, dass die
Kommunikation zwischen ‚NG2+‘-Zellen und Neuronen bei stressbedingten
Störungen von großer Bedeutung ist.
Wir haben damit einen bisher unbekannten Mechanismus entdeckt, der Stress-assoziierten psychischen Erkrankungen wie der Depression zugrunde liegt.
Insbesondere die Idee,
dass wir durch die Modulation spannungsgesteuerter Natriumkanäle die
Netzwerkaktivität wieder ins Gleichgewicht bringen und somit die
regelrechte Funktion des Gehirns wiederherstellen können, birgt ein
großes Potential für die Entwicklung neuartiger therapeutischer Ansätze
in der Zukunft“, betont PhD Giulia Treccani, Arbeitsgruppenleiterin am
Institut für Mikroskopische Anatomie und Neurobiologie (IMAN) der
Universitätsmedizin Mainz und Erstautorin der Studie.
- Das menschliche Gehirn besteht etwa zur Hälfte aus Gliazellen.
- Dabei handelt es sich um Zellen im Nervengewebe, die zusammen mit den Nervenzellen (Neurone) das Nervensystem bilden.
Die bisherige
neurobiologische Forschung zu den Ursachen und Therapien von psychischen
Erkrankungen konzentriert sich vor allem auf die Neurone.
„Es wurde lange übersehen, dass die Gliazellen nicht nur das neuronale
Netzwerk stützen, sondern auch Signale senden und mit den Neuronen
kommunizieren.
Das Hauptziel unserer Untersuchungen war es daher, nun erstmals die molekularen und funktionellen Auswirkungen von frühkindlichem Stress auf eine bestimmte Gliazellpopulation, die Oligodendrozyten-Vorläuferzellen, auch bekannt als ‚NG2+‘-Zellen, zu charakterisieren“, erklärt Treccani.
„Wir wollten verstehen, inwieweit Stress in der frühen Kindheit die ‚NG2+‘-Zellen und ihre Funktion beeinflusst und wie diese Veränderungen zu langanhaltenden negativen gesundheitlichen Folgen im späteren Leben führen können.“Das Forscherteam hat in einem Mausmodell gezeigt, dass frühkindlicher Stress das Transkriptom von ‚NG2+‘-Zellen im Hippocampus, einer speziellen Gehirnregion, beeinflusst.
Das Transkriptom spiegelt den aktuellen Zustand aller aktiven Gene innerhalb der Zelle wider.
- Die Transkriptionseffekte korrelierten dabei stark mit der Konzentration des Stresshormons Corticosteron.
Als mögliche Ursache für die Entwicklung
von stressbedingten psychischen Störungen identifizierten die
Wissenschaftler:innen im Rahmen ihrer Untersuchungen das durch den
frühkindlichen Stress induzierte Kandidatengen Scn7a (Sodium channel
protein type 7 subunit alpha).
Das Gen Scn7a kodiert für eine Untereinheit von spannungsaktivierten
Natriumkanälen, die von ‚NG2+‘-Zellen während ihrer gesamten Lebensdauer
häufig gebildet (exprimiert) wird. Die Kanäle sind von grundlegender
Bedeutung für die Übertragung von neuronalem Input auf ‚NG2+‘-Zellen und
daher für die Kommunikation zwischen Neuronen und ‚NG2+‘-Zellen
relevant.
Bei den gestressten Tieren erhöhte sich die Stromdichte der spannungsaktivierten Natriumkanäle in den ‚NG2+‘-Zellen des Hippocampus.
Das bestätigt die funktionelle Bedeutung des Kandidatengens Scn7a.
Darüber hinaus blieb Scn7a bis zum Erwachsenenalter in gestressten
Tieren hochreguliert. Die Tiere zeigten zudem eine beeinträchtigte
kognitive Leistung.
Allerdings waren nicht alle Tiere in gleichem Maße von den Auswirkungen
durch die frühkindliche Stresserfahrung betroffen. „Diese Erkenntnis
spiegelt die Situation in der menschlichen Bevölkerung sehr gut wider“,
erläutert Treccani.
Die Wissenschaftler:innen verfolgten bei ihrer Studie einen
interdisziplinären methodischen Ansatz. Dieser umfasste unter anderem
elektrophysiologische Analysen sowie gezielte Transkriptomanalysen in
Kombination mit Verhaltensphänotypisierungen. Neben der Klinik für
Psychiatrie und Psychotherapie und dem Institut für Mikroskopische
Anatomie und Neurobiologie (IMAN) waren weitere Mainzer
Forschungseinrichtungen sowie internationale Partner an der Studie
beteiligt.
Originalpublikation:
Treccani G, Yigit H, Lingner T, Schleußner V, Mey F, van der Kooij MA,
Wennström M, Herzog DP, Linke M, Fricke M, Schmeisser MJ, Wegener G,
Mittmann T, Trotter J, Müller MB. Early life adversity targets the
transcriptional signature of hippocampal NG2+ glia and affects voltage
gated sodium (Nav) channels properties. Neurobiol Stress. Volume 15, Nov
2021, Article 100338.
DOI: 10.1016/j.ynstr.2021.100338
Über die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
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Rheinland-Pfalz und ein international anerkannter Wissenschaftsstandort.
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fächerübergreifend zusammenarbeiten und jährlich mehr als 300.000
Menschen stationär und ambulant versorgen. Hochspezialisierte
Patientenversorgung, Forschung und Lehre bilden in der
Universitätsmedizin Mainz eine untrennbare Einheit. Rund 3.300
Studierende der Medizin und Zahnmedizin sowie mehr als 600 Fachkräfte in
den verschiedensten Gesundheitsfachberufen, kaufmännischen und
technischen Berufen werden hier ausgebildet. Mit rund 8.600
Mitarbeitenden ist die Universitätsmedizin Mainz zudem einer der größten
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Innovationsmotor. Weitere Informationen im Internet unter https://www.unimedizin-mainz.de.
Giulia Treccani, PhD, Institut für Mikroskopische Anatomie und Neurobiologie (IMAN), Universitätsmedizin Mainz, Telefon: 06131 39-21345, E-Mail: gtreccan@uni-mainz.de
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E-Mail-Adresse: veronika.wagner@unimedizin-mainz.de
Originalpublikation:
Treccani G, Yigit H, Lingner T,
Schleußner V, Mey F, van der Kooij MA, Wennström M, Herzog DP, Linke M,
Fricke M, Schmeisser MJ, Wegener G, Mittmann T, Trotter J, Müller MB.
Early life adversity targets the transcriptional signature of
hippocampal NG2+ glia and affects voltage gated sodium (Nav) channels
properties. Neurobiol Stress. Volume 15, Nov 2021, Article 100338.
https://doi.org/10.1016/j.ynstr.2021.100338
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