Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Neue S2k-Leitlinie für Diagnostik und Therapie der Multiplen Sklerose
Vor kurzem wurde die aktualisierte und erweiterte S2k-Leitlinie der DGN zur Diagnostik und Therapie der Multiplen Sklerose (MS) publiziert.
Neu sind unter anderem konkrete Angaben, ob, wann und welche der verlaufsmodifizierenden Immuntherapien indiziert sind.
So werden zunehmend neue Substanzen der letzten Jahre Eingang in die tägliche Praxis finden, wodurch die individuell angepasste Behandlung der MS-Patienten weiter verbessert werden kann.
Adressaten sind alle mitbetreuenden Versorgungsbereiche.
Erstmals haben an der konsensbasierten Leitlinie auch zwei betroffene Patientenvertreterinnen mitgearbeitet. Herausgeber ist die Kommission Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.
Jährlich erhalten mehr als 10.000 Menschen in Deutschland die Erstdiagnose Multiple Sklerose (MS).
Insgesamt gibt es derzeit in Deutschland über 250.000 Betroffene.
- Die MS ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), die meistens zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr beginnt, zu Beginn in Schüben verläuft und im Verlauf von Jahren zu bleibenden neurologischen Einschränkungen führen kann.
Durch die intensive MS-Forschung in den letzten Jahren gibt es neue
Erkenntnisse zur Diagnostik und zahlreiche neue Therapieoptionen, so
dass eine Aktualisierung der Leitlinie von 2012 erforderlich wurde.
Herausgeber dieser vollständig überarbeiteten, erweiterten Leitlinie ist
die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) e. V. Beteiligte
Fachgesellschaften und Organisationen sind die Schweizerische
Neurologische Gesellschaft (SNG-SSN), Österreichische Gesellschaft für
Neurologie (ÖGN), Berufsverband Deutscher Neurologen (BDN) e. V.,
Berufsverband Deutscher Nervenärzte (BVDN) e. V., Deutsche
Fachgesellschaft für Aktivierend-therapeutische Pflege (DGATP) e. V.,
Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) e. V.,
Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) Bundesverband e. V.,
Deutscher Verband für Physiotherapie (ZVK) e. V., Gesellschaft für
Neuropädiatrie (GNP) e. V. , NeurologyFirst, eine unabhängige Initiative
von Neurologen, und die Neuromyelitis optica Studiengruppe (NEMOS).
Erstmals haben an der konsensbasierten S2k-Leitlinie auch Betroffene
bzw. Patientenvertreter mitgearbeitet, um deren Perspektiven besser zu
berücksichtigen. Leitlinienkoordinator und federführender Autor war
Prof. Dr. Bernhard Hemmer von der Universitätsklinik der TU München.
Was ist neu?
Die MS-Diagnostik wurde durch die Revision der
McDonald-Diagnosekriterien 2017 vereinfacht (Liquoruntersuchung sowie
MRT-Untersuchung mit definierten Sequenzen; erweiterte Labordiagnostik
nur bei entsprechendem klinischem Verdacht).
Neu wurden der MS verwandte
Erkrankungen wie die Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD)
und die MOG-IgG-assoziierten Erkrankungen als eigenständige
Krankheitsentitäten aufgenommen.
Die verlaufsmodifizierenden MS-Medikamente (DMT/„disease modifying
therapies“) wurden in drei Wirksamkeitskategorien eingeteilt – anstelle
des bisherigen Behandlungs-Stufenschemas. Die Eingruppierung erfolgte
anhand der Schubratenreduktion aus den Zulassungsstudien. Zur
Wirksamkeitskategorie 1 gehören Betainterferone, Dimethylfumarat,
Glatirameroide und Teriflunomid, zur Kategorie 2 Cladribin, Fingolimod
sowie Ozanimod und zur Kategorie 3 Alemtuzumab, CD20-Antikörper
(Ocrelizumab, off label Rituximab) und Natalizumab. Mit zunehmender
Wirksamkeit nehmen allerdings auch die seltenen unerwünschten schweren
Arzneimittelwirkungen zu.
Die immuntherapeutische Behandlung wird der Erkrankungsaktivität
zugeordnet. Auch werden definierte Einstiegs-, Wechsel- und auch
Ausstiegsszenarien vorgestellt, und es wird auf spezielle Situationen
eingegangen (z. B. Schwangerschaft und Stillzeit sowie MS bei Älteren
und Kindern/Jugendlichen).
Die Medikamenten-Neuzulassungen werden explizit benannt. Dazu gehören
drei sogenannte Sphingosin-1-Phosphat-(S1P-)Rezeptormodulatoren:
Fingolimod (auf dem Markt seit 12/2018) ist jetzt auch für Jugendliche
und Kinder ab zehn Jahren mit hochaktiver, schubförmige MS zugelassen.
Bei aktiver, sekundär progredienter MS (SPMS; Nachweis durch Schübe und
MRT) steht nun Siponimod (seit 1/2020) zur Verfügung und schließlich
Ozanimod (seit 5/2020) zur Behandlung bei aktiver
schubförmig-remittierender MS (RRMS).
Ocrelizumab, ein humanisierter monoklonaler Antikörper gegen CD20 (ein
Antigen der B-Lymphozyten) ist als erste Therapie der frühen PPMS
(primär progrediente MS) zugelassen (2/2018). Für schubförmige
Erkrankungen des Neuromyelitis-optica-Spektrums (NMOSD) mit positiven
AQP4-Antikörpern wird der humanisierte monoklonale Antikörper Eculizumab
empfohlen (verfügbar seit 8/2019).
„Durch die innovativen Medikamente können die Schubfrequenz und die
messbare Krankheitsaktivität erfolgreich gesenkt werden“, erläutert
Prof. Dr. Bernhard Hemmer, München, federführender Autor und
Leitlinienkoordinator. „Die heute verfügbaren Optionen erlauben eine
individuelle, nach Verlauf, Krankheitsaktivität und persönlichem
Risikoprofil adaptierte Therapie. Die neuen Leitlinien haben dabei
beratenden Charakter – natürlich ohne der ärztlichen Therapiefreiheit zu
enge Grenzen zu setzen.“
„Diese neuen, handlungsorientierten Empfehlungen waren dringend
notwendig, um die optimale Versorgung der MS-Patienten nach aktuellem
Wissensstand zu gewährleisten“, kommentieren Prof. Steinmetz, Frankfurt,
und Prof. Kastrup, Essen, die Vorsitzenden der Kommission Leitlinien
der DGN. „Durch die schnelle Entwicklung der neurologischen Forschung
und Implementierung der Studienergebnisse in die tägliche Routine kann
ein Verlust an Lebensqualität der Betroffenen zunehmend besser
aufgehalten oder sogar verhindert werden.“
Literatur
[1] Hemmer B et al. Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose,
Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen und MOG-IgG-assoziierten
Erkrankungen, S2k-Leitlinie, 2021, in: Deutsche Gesellschaft für
Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der
Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 10.05.2021)
Originalpublikation:
c/o Jakobstraße 38
99423 Weimar
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Thüringen
Dr. Bettina Albers
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