Medizin am Abend Berlin Fazit: Wunden aus der Kindheit - Biochemischer Fingerabdruck weist auf belastende Erfahrungen hin
Missbrauch, Misshandlung und Vernachlässigung in der Kindheit hinterlassen Spuren bis ins Erwachsenenalter.
Dadurch steigt nicht nur das Risiko der Betroffenen für psychische Erkrankungen, sondern auch die Wahrscheinlichkeit, körperlich zu erkranken.
Ulmer Wissenschaftler konnten nun spezifische Stoffwechselprodukte im Blut identifizieren, die wie ein biochemischer Fingerabdruck auf belastende Kindheitserfahrungen hinweisen.
Dr. Alexander Karabatsiakis (Foto: Elvira Eberhardt / Uni Ulm)
Prof. Dr. Iris-Tatjana Kolassa (Foto: Elvira Eberhardt / Uni Ulm)
„Wenn Kinder sexuell missbraucht oder emotional misshandelt, wenn sie geschlagen oder vernachlässigt werden, führt dies zu chronischen Stressbelastungen.
- Diese können in späteren Jahren nicht nur psychische Erkrankungen hervorrufen, sondern sind auch für den Körper sehr belastend.
- Denn sie erhöhen das Risiko für weitere Krankheiten wie Herzkreislauferkrankungen und Diabetes, insbesondere wenn nicht versucht wird, durch einen besonders gesunden Lebensstil entgegenzuwirken“, erklärt Dr. Alexander Karabatsiakis, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung für Klinische und Biologische Psychologie an der Universität Ulm.
Eine Schlüsselrolle spielen dabei molekulare Stress-Signale und deren
biologische Auswirkungen:
So ist bereits bekannt, dass sich bei
dauerhaftem oder extremem Stress – ausgelöst durch kritische und
belastende Lebensereignisse – im Körper vermehrt freie
Radikalverbindungen bilden. Diese führen in Form von oxidativem Stress
zu Schäden in der Zelle.
Außerdem gibt es Hinweise, dass sich der
Energie- und der Phospholipid-Stoffwechsel verändert, und dass auch
chronische niederschwellige Entzündungsprozesse häufiger auftreten.
Die
Ulmer Wissenschaftler haben nun in Zusammenarbeit mit australischen
Krebsforschern und Biotechnologen untersucht, ob sich bestimmte
Stoffwechselprodukte identifizieren lassen, die als biochemischer
Fingerabdruck einen Hinweis auf solche aversiven Kindheitserfahrungen
geben könnten. Und zwar bei Erwachsenen, die bislang körperlich gesund
sind.
Für ihre Studie, die in der Fachzeitschrift Scientific Reports publiziert wurde, haben die Wissenschaftler das Blutserum von 105 jungen Müttern untersucht, darunter waren 59 Frauen mit und 46 ohne aversive Kindheitserfahrungen.
Für ihre Studie, die in der Fachzeitschrift Scientific Reports publiziert wurde, haben die Wissenschaftler das Blutserum von 105 jungen Müttern untersucht, darunter waren 59 Frauen mit und 46 ohne aversive Kindheitserfahrungen.
Dabei stieß das Forscherteam im Blutserum auf acht
spezielle Stoffwechselprodukte (Metabolite), deren Spiegel sich bei
beiden Gruppen deutlich unterschied.
Diese Metabolite stehen in
Verbindung mit dem zellulären Energiestoffwechsel sowie mit
entzündlichen Prozessen und oxidativem Stress.
Darunter waren sogenannte
Phospholipide sowie Substanzen aus der Endocannabinoidfamilie oder auch
Abbauprodukte des Hämoglobins, einem sehr potenten körpereigenen
Antioxidanz.
- „Wir fanden eine ganz spezielle Biomarker-Signatur, die es ermöglicht, mit fast 90-prozentiger Genauigkeit in unserer Stichprobe festzustellen, ob diese Frauen als Kind misshandelt, missbraucht oder vernachlässigt wurden“, erläutert Professorin Iris-Tatjana Kolassa, Leiterin der Abteilung für Klinische und Biologische Psychologie an der Universität Ulm.
Für diese Untersuchung haben die Wissenschaftler einen sogenannten ungerichteten Ansatz gewählt, bei dem die Gesamtheit aller bekannten Stoffwechselprodukte, also das sogenannte „Metabolom“, mit Hilfe ausgefeilter laboranalytischer und biostatistischer Methoden durchsucht wird. Dabei werden die Ergebnisse biochemischer Analyseverfahren aus der kombinierten Anwendung von Flüssigkeits-Chromatographie und time-of-flight Massenspektrometrie multivariat ausgewertet, um nach spezifischen Biomarker-Mustern zu suchen. „Mit Hilfe des biomolekularen Fingerabdruckes, den wir gefunden haben, lassen sich in Zukunft möglicherweise weitere pathophysiologische Prozesse aufdecken, die für die langfristige Entstehung stressbedingter Erkrankungen verantwortlich sind“, hofft auch Alexandra König, Doktorandin in der Abteilung. Für die betroffenen Frauen heiße dies, dass sie ein erhöhtes Risiko haben, irgendwann einmal im Leben psychisch zu erkranken oder eine alters-assoziierte Erkrankung zu entwickeln – auch wenn sie momentan gesund sind.
„Insbesondere bei chronischem oder exzessivem Stress sowie
bei einem ungünstigen Lebensstil kann dies gravierende Folgen für die
Gesundheit haben“, warnt Karabatsiakis. Umso wichtiger für die
Betroffenen ist es, hier rechtzeitig gegenzusteuern.
- So könnten geeignete Psychotherapien noch im Erwachsenenalter dabei helfen, die gesundheitlichen Langzeitfolgen von belastenden Kindheitserfahrungen zu vermindern, meint Kolassa.
Einen günstigen
Effekt habe auch ein gesunder Lebensstil mit viel Bewegung und
ausgewogener, am besten mediterraner Ernährung. Außerdem helfen
regelmäßige Entspannung und ein stützender Freundeskreis. „Unsere
Arbeitsgruppe will sich in Zukunft noch stärker mit der Frage befassen,
welche Lebensstil-Faktoren eine besonders schützende Wirkung haben“, so
die Leiterin der Abteilung für Klinische und Biologische Psychologie
Kolassa.
Die Ulmer Wissenschaftler haben bei diesem Projekt eng zusammen gearbeitet mit australischen Forschern aus der Cancer Research Group von Dr. Michelle M. Hill vom Translational Research Institute (TRI) in Brisbane. Für gemeinsame Experimente im dortigen Labor reiste Dr. Alexander Karabatsiakis eigens von Ulm aus für einen sechswöchigen Aufenthalt nach Down Under. Ein weiterer Projektpartner kommt ebenfalls aus Australien: Dr. Thomas Hennessy von der Firma Agilent Technologies.
Die Studie entstand aus dem Verbundprojekt „Meine Kindheit – Deine Kindheit“. Im Fokus dieser vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützten interdisziplinären Forschungsinitiative stand die Frage, wie positive und negative Beziehungserfahrungen auf psychobiologischer Ebene von Müttern an ihre Kinder weitergegeben werden.
Weitere Informationen im Netz zum Rahmenprojekt „Meine Kindheit – Deine Kindheit“
https://www.uni-ulm.de/in/psy-kbio/forschung/forschung/ag-molekulare-psychotraum...
Literaturhinweis:
Koenig AM, Karabatsiakis A, Stoll Th, Wilker S, Hennessy Th, Hill MM & Kolassa IT: Serum profile changes in postpartum women with a history of childhood maltreatment: a combined metabolite and lipid fingerprinting study. Scientific Reports (2018) 8:3468; DOI:10.1038/s41598-018-21763-6;
Die Ulmer Wissenschaftler haben bei diesem Projekt eng zusammen gearbeitet mit australischen Forschern aus der Cancer Research Group von Dr. Michelle M. Hill vom Translational Research Institute (TRI) in Brisbane. Für gemeinsame Experimente im dortigen Labor reiste Dr. Alexander Karabatsiakis eigens von Ulm aus für einen sechswöchigen Aufenthalt nach Down Under. Ein weiterer Projektpartner kommt ebenfalls aus Australien: Dr. Thomas Hennessy von der Firma Agilent Technologies.
Die Studie entstand aus dem Verbundprojekt „Meine Kindheit – Deine Kindheit“. Im Fokus dieser vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützten interdisziplinären Forschungsinitiative stand die Frage, wie positive und negative Beziehungserfahrungen auf psychobiologischer Ebene von Müttern an ihre Kinder weitergegeben werden.
Weitere Informationen im Netz zum Rahmenprojekt „Meine Kindheit – Deine Kindheit“
https://www.uni-ulm.de/in/psy-kbio/forschung/forschung/ag-molekulare-psychotraum...
Literaturhinweis:
Koenig AM, Karabatsiakis A, Stoll Th, Wilker S, Hennessy Th, Hill MM & Kolassa IT: Serum profile changes in postpartum women with a history of childhood maltreatment: a combined metabolite and lipid fingerprinting study. Scientific Reports (2018) 8:3468; DOI:10.1038/s41598-018-21763-6;
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https://www.uni-ulm.de/in/psy-kbio/forschung/forschung/ag-molekulare-psychotraum...
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