Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Ekelerregende Videos mit Krankheitsbezug lösen Immunantwort aus
Personen, die mit krankheitsbezogenen ekelerregenden Videos konfrontiert werden, weisen eine erhöhte Konzentration der Antikörper Immunglobulin A im Speichel auf.
Das zeigt eine Studie von Forschenden des Fachbereichs Biologie der Universität Hamburg mit 116 Testpersonen.
Die Erkenntnisse deuten darauf hin, dass das physiologische Immunsystem, das bisher hauptsächlich als reaktiv galt, bereits antwortet, bevor ein Pathogen in den Körper gelangt.
Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Brain, Behavior & Immunity – Health“ veröffentlicht.
Die Probandinnen und Probanden sahen unter anderem ekelerregende Videos mit Bezug zu ansteckenden Atemwegserkrankungen. Pexels/Piacquadio
- Das Verhaltensimmunsystem (engl. behavioral immune system, BIS) unterstützt das physiologische Immunsystem (PIS) bei der Bekämpfung von Infektionen und kann sogar das Risiko einer Ansteckung verringern, indem es Menschen dazu bringt, sich vor Krankheitserregern zu schützen.
- Es
hilft zum Beispiel, Hinweise auf Krankheitserreger (etwa Gerüche oder
sichtbare Krankheitsanzeichen) in der Umgebung zu erkennen oder löst
Vermeidungsverhalten sowie Gefühle wie Abneigung oder Ekel aus.
Frühere Studien haben Hinweise auf mögliche Wechselwirkungen zwischen dem BIS und dem PIS gefunden.
Die meisten dieser Ergebnisse konnten jedoch nicht wiederholt werden. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Fachbereichs Biologie der Universität Hamburg haben nun in einer Studie weitere Erkenntnisse über die Wechselwirkungen der beiden Systeme und den Einfluss von Ekel- und krankheitsbezogenen Reizen auf Immunreaktionen gewonnen.
- Die Veränderungen wurden durch die
Konzentration des sekretorischen Immunglobulins A (sIgA) im Speichel
gemessen.
Dazu ließen die Forscherinnen 116 Testpersonen (47 männlich, 69 weiblich) verschiedene ekel-auslösende Videos schauen.
Zwei der Videos
zeigten Situationen, die mit ansteckenden Virusinfektionen der Atemwege
in Verbindung gebracht wurden. Das dritte Video enthielt kein Risiko
einer Ansteckung, sondern Situationen, die im Kern Ekel hervorrufen, wie
z. B. verdorbene Lebensmittel, verwesende Tierkadaver oder Kakerlaken.
Ein viertes Video diente als Kontrolle und zeigte Landschaftseindrücke.
Die Forschenden nahmen Speichelproben, um die Konzentration von
Antikörpern (sIgA) zu messen und ließen die Probandinnen und Probanden
Fragebögen zu ihrem Empfinden ausfüllen.
„Es zeigte sich, dass die sIgA-Konzentration bei Testpersonen nach der
Stimulation – vor allem bei Videos, die Menschen mit Krankheitssymptomen
zeigen – anstieg“, sagt Judith Keller, Erstautorin der Studie und
Doktorandin in der Arbeitsgruppe Neuroendokrinologie am Fachbereich
Biologie der Universität Hamburg.
Im Durchschnitt erhöhte sich die
sIgA-Konzentration nach dem Schauen des Krankheitsvideos um 83,15
Prozent und nach dem Schauen von Videos mit verdorbenen Lebensmitteln um
44,79 Prozent.
- „Dies ist besonders, da das physiologische Immunsystem bisher als hauptsächlich reaktiv gilt, also sonst eher auf ein Pathogen im Körper reagiert.
- Der Anstieg in unserer Studie spricht dafür, dass es auch reagiert, bevor das Pathogen in den Körper kommt“, so Keller.
- Die
Forscherinnen nehmen an, dass das BIS also nicht nur psychologische
Maßnahmen auslöst, sondern in diesem Fall auch eine Antwort des PIS
stimuliert.
„Allerdings müssen wir einschränken, dass unsere Studie keine direkten Beweise für eine erhöhte Immunität bei Personen liefert“, sagt Juniorprofessorin Dr. Esther Diekhof, Leiterin der Arbeitsgruppe Neuroendokrinologie am Fachbereich Biologie der Universität Hamburg.
„Ein solcher proaktiver Abwehrmechanismus scheint jedoch wahrscheinlich,
da sIgA im Speichel eine wichtige Rolle beim Immunausschluss spielt.“
Zukünftige Studien müssen weiter untersuchen, ob dieser Anstieg von sIgA
tatsächlich eine Immunantwort auslöst und somit eine erhöhte Immunität
von zum Beispiel Atemwegsviren widerspiegelt, noch bevor die
Schleimhäute mit einem Erreger in Kontakt gekommen sind.
Prof. jun. Dr. Esther K. Diekhof
Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften
Fachbereich Biologie
Neuroendokrinologie
Tel.: +49 40 42838-3931
E-Mail: esther.diekhof@uni-hamburg.de
Judith Keller
Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften
Fachbereich Biologie
Neuroendokrinologie
Tel.: +49 40 42838-9213
E-Mail: judith.keller@uni-hamburg.de
Mittelweg 177
20148 Hamburg
Deutschland
Hamburg
Anna Priebe
Telefon: 040 42838-8203
E-Mail-Adresse: anna.priebe@uni-hamburg.de
Originalpublikation:
Disease-related disgust promotes
antibody release in human saliva, J. K. Keller, C. Wülfing, J. Wahl,
and E. K. Diekhof, Brain, Behavior, & Immunity – Health 24, 100489
(2022).
https://doi.org/10.1016/j.bbih.2022.100489
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