Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Koronare Herzkrankheit sicher und risikoarm diagnostizieren
Führt eine Computertomografie (CT) des Herzens bei stabilen Patient:innen mit Verdacht auf eine koronare Herzkrankheit zu ähnlich zuverlässigen Ergebnissen wie eine Katheteruntersuchung?
Dieser Frage sind Forschende in 31 europäischen Einrichtungen unter Leitung der Charité – Universitätsmedizin Berlin nachgegangen.
Ziel der DISCHARGE-Studie: mit der CT eine nicht-invasive Methode zur Ergänzung der aktuellen Standarddiagnostik bei Patient:innen mit mittlerem Krankheitsrisiko zu prüfen.
Die Hauptauswertung der Studie ist jetzt im New England Journal of Medicine* erschienen und legt nahe, dass die Erkrankung mittels CT ähnlich sicher erkannt werden kann, bei geringerem Komplikationsrisiko.
Europäisches Konsortium prüft Computertomografie als Alternative zum Herzkatheter
Die koronare Herzkrankheit (KHK) ist weitverbreitet. Insbesondere in
entwickelten und alternden Gesellschaften zählt sie zu den häufigsten
Todesursachen. Die Erkrankung ist mit einem verminderten Blutfluss in
den Herzkranzgefäßen, den Koronararterien, verbunden. Diese versorgen
das Herz mit Sauerstoff. Schmerzen in der Brust, Kurzatmigkeit oder eine
verminderte Belastbarkeit weisen auf eine chronische oder eine akute
Erkrankung hin. In beiden Fällen besteht ein erhöhtes Risiko für einen
Herzinfarkt, Schlaganfall oder einen Herzkreislauftod, insgesamt
kardiovaskuläre Ereignisse genannt. Ursache der Beschwerden sind im
Laufe der Jahre entstehende Ablagerungen in den Gefäßen.
Standard für die Diagnose einer koronaren Herzkrankheit ist die
minimal-invasiv durchgeführte Katheteruntersuchung. Sie zeigt, ob das
Herz ausreichend über die Kranzgefäße versorgt wird oder ob Engstellen
den Blutfluss behindern. Ist das der Fall, können diese während der
Untersuchung sofort beseitigt werden – beispielsweise mithilfe kleiner,
aufblasbarer Ballone und hauchdünner Gefäßstützen, sogenannter Stents.
In Europa werden derzeit jährlich mehr als 3,5 Millionen solcher
Untersuchungen in Herzkatheterlaboren durchgeführt, mit steigender
Tendenz. Deutlich mehr als die Hälfte, rund zwei Millionen dieser
minimal-invasiven Eingriffe, bleiben ohne Behandlung im Labor.
Verengungen oder Verschlüsse der Herzkranzgefäße konnten in diesen
Fällen ausgeschlossen werden.
- Die zentrale Frage des Vorhabens DISCHARGE: Kann die risikoarme und nicht-invasive Methode der CT für bestimmte Patientinnen und Patienten mit Verdacht auf eine KHK eine sichere Alternative zur Katheteruntersuchung darstellen?
Beide vorhandenen diagnostischen Bildgebungsstrategien bei stabilen Brustschmerzen sind im Projekt über vier Jahre hinweg an einer Stichprobe von mehr als 3500 Teilnehmenden mit mittlerer Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung hinsichtlich ihrer Wirksamkeit ausgewertet worden.
Dazu wurden die Verfahren randomisiert in zwei Gruppen angewendet, Patientinnen und Patienten erhielten also im Zufallsverfahren entweder eine Computertomographie oder einen Herzkatheter.
Blieb die Eingangsuntersuchung ohne Befund einer KHK, wurden Teilnehmende zurück an die überweisenden Ärztinnen und Ärzte zur weiteren Behandlung entlassen – daher der Name der Studie „DISCHARGE“, der englische Begriff für „Entlassung“.
Patientinnen und Patienten mit
nachgewiesener Erkrankung dagegen wurden gemäß den europäischen
Leitlinien während der Studie behandelt.
Insgesamt 31 Partnereinrichtungen in 18 europäischen Ländern haben sich
an dem Projekt beteiligt, die Leitung hatte ein Team um Prof. Dr. Marc
Dewey, stellvertretender Direktor der Klinik für Radiologie am Campus
Charité Mitte. „Es hat sich gezeigt, dass die CT-Untersuchung ein
sicheres Verfahren für Patientinnen und Patienten mit stabilen, also
nicht akuten Brustschmerzen und dem Verdacht auf eine KHK ist“, so
Gesamtprojektleiter Prof. Dewey zu den klinischen Langzeitergebnissen
der Studie. Zur Bewertung herangezogen wurde in erster Linie das
Auftreten schwerer kardiovaskulärer Ereignisse über einen Zeitraum von
bis zu vier Jahren. „Bei Patientinnen und Patienten, die im Zuge der
Studie zu einem Herzkatheter überwiesen wurden, war das Risiko für
schwere kardiovaskuläre Ereignisse in der CT-Gruppe und der
Herzkatheter-Gruppe mit 2,1 und 3 Prozent ähnlich. Die Häufigkeit
schwerer verfahrensbedingter Komplikationen war bei einer anfänglichen
CT-Strategie geringer“, so der Radiologe.
Prof. Dr. Henryk Dreger, stellvertretender Direktor der Medizinischen
Klinik mit Schwerpunkt Kardiologie und Angiologie der Charité, hat die
Untersuchungen an der Charité im Herzkatheterlabor begleitet. Sein Fazit
der Auswertung: „Für ausgewählte Patientinnen und Patienten kann die CT
eine sichere Alternative zum Herzkatheter sein. Bei Patientinnen und
Patienten mit geringer Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein einer
KHK kann sie helfen, unnötige Herzkatheter zu vermeiden.“ In die
Gesamtbetrachtung eingeflossen sind weiterhin Kriterien wie die
Verbesserung der Brustschmerzen und der Lebensqualität im Verlauf. Der
neue Ansatz könnte dazu beitragen, die hohe Zahl der
Herzkatheteruntersuchungen zu reduzieren und auf diese Weise die
Gesundheitssysteme entlasten zu helfen: „Die durch uns in der
DISCHARGE-Studie standardisierte und qualitätsgesichert durchgeführte
Methode könnte in der Routineversorgung für Menschen mit mittlerem
Krankheitsrisiko verstärkt angeboten werden“, resümiert Prof. Dewey. Ein
Nutzenbewertungsverfahren wurde vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA)
bereits auf den Weg gebracht. Zudem muss die für die Studie entwickelte
Methode zur Einschätzung der klinischen Wahrscheinlichkeit einer KHK in
einem nächsten Schritt daraufhin geprüft werden, ob sie zur Verbesserung
der Routineversorgung von Patientinnen und Patienten beitragen kann.
Über das europäische DISCHARGE-Projekt
DISCHARGE ist ein multinationales Konsortium, bestehend aus 31
Mitgliedern in 18 europäischen Ländern. Kernstück des Projekts ist eine
randomisierte kontrollierte Studie, die seit 2015 an 26 klinischen
Einrichtungen durchgeführt wird. Das Vorhaben untersucht, für welche
Patientinnen und Patienten mit Verdacht auf eine koronare Herzkrankheit
(KHK) aufgrund von stabilen Brustschmerzen eine Computertomografie (CT)
oder eine Herzkatheteruntersuchung am besten geeignet ist, basierend auf
vorangegangenen Erfahrungen in der CAD-Man Studie an der Charité. Das
DISCHARGE-Projekt wurde unter anderem im 7. Rahmenprogramm der
Europäischen Union gefördert (Grant No. 603266 l
ClinicalTrials.gov-Nummer, NCT02400229), mit einer Laufzeit von 2014 bis
2020.
Prof. Dr. Marc Dewey
Stellvertretender Direktor der Klinik für Radiologie (mit dem Bereich Kinderradiologie)
Campus Charité Mitte
Charité – Universitätsmedizin Berlin
t: +49 30 450 527 353
E-Mail: marc.dewey@charite.de
Charitéplatz 1
10117 Berlin
Deutschland
Berlin
Manuela Zingl
Telefon: 030 / 450 570 400
Fax: 030 / 450 570 940
E-Mail-Adresse: manuela.zingl@charite.de
Originalpublikation:
*The DISCHARGE Trial Group. CT or Invasive Coronary Angiography in Stable Chest Pain. N Engl J Med. March 4, 2022. DOI: 10.1056/NEJMoa2200963
Weitere Informationen für beteiligte Medizin am Abend Berlin:
https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2200963
https://radiologie.charite.de/
https://www.dischargetrial.eu/
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