Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Alkohol mit 16 schadet Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien
- Mit 16 Jahren darf man in deutschsprachigen Ländern Alkohol trinken.
Ein Ökonomen-Team aus Passau und Linz hat in einer umfassenden Datenanalyse erstmals die Wirkung dieses – international eher niedrigen – gesetzlichen Mindestalters am Beispiel von Österreich untersucht.
Prof. Dr. Stefan Bauernschuster und Hannah Lachenmaier (beide Universität Passau) haben die Studie gemeinsam mit Forschern der JKU Linz durchgeführt. Universität Passau
Ein niedriges gesetzliches Mindestalter beim Alkoholkonsum schadet ganz besonders Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien.
Zu
diesem Ergebnis kommt ein Ökonom*innen-Team der Universität Passau und
der Johannes Kepler Universität Linz in der Studie „Minimum Legal
Drinking Age and the Social Gradient in Binge Drinking“, die kürzlich
als JKU Working Paper erschienen ist.
Die Forschenden haben am Beispiel Österreich erstmals eine umfassende
Datenanalyse durchgeführt, die die Wirkung der gesetzlichen Regelung
untersucht. Sie kombinierten dazu Daten aus Befragungen von Jugendlichen
mit Daten der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse zu
Krankenhauseinweisungen von 91.208 Jugendlichen im Alter von 13 bis 21
Jahren. Dazu nutzten sie Daten einer Feldstudie, bei der minderjährige
Testkäuferinnen und -käufer versuchten, eine Flasche Wodka in Geschäften
zu kaufen.
Unmittelbar nach dem 16. Geburtstag zeigen die Auswertungen einen
sprunghaften Anstieg im Alkoholkonsum und in der Zahl der
Alkoholvergiftungen.
Interessanterweise deuten die Analysen aber darauf
hin, dass sich diese Effekte kaum mit einem einfacheren Zugang zu
Alkohol erklären lassen. Vielmehr ändern die Jugendlichen nach dem 16.
Geburtstag einfach ihre Einschätzung, wie schädlich Komasaufen am
Wochenende ist. „Offenbar herrscht das Motto: Wenn es der Gesetzgeber
erlaubt, dann kann es gar nicht mehr so tragisch sein“, fasst Stefan
Bauernschuster, Professor für Public Economics an der Universität
Passau, zusammen.
Die wichtigsten Erkenntnisse im Überblick
Sobald das Alter von 16 erreicht ist, macht das Forschungsteam folgende Schätzungen:
• Die Menge an Alkohol, die die Jugendlichen in der vergangenen Woche
konsumierten, steigt sprunghaft – und zwar von 55 Gramm Alkohol pro
Woche auf 105 Gramm. Das entspricht etwa drei 0,5l-Flaschen Bier mehr im
Durchschnitt.
• Die Wahrscheinlichkeit, im vergangenen Monat bei mindestens einer oder
zwei Gelegenheiten fünf alkoholische Getränke oder mehr getrunken zu
haben, steigt jeweils um zehn Prozentpunkte.
• Die Wahrscheinlichkeit, mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus
eingewiesen zu werden, steigt unmittelbar nach dem 16. Geburtstag um 42
Prozent.
„Männliche Jugendliche und Teenager aus Familien mit niedrigem
sozioökonomischem Status reagieren am stärksten auf die gesetzliche
Erlaubnis, Alkohol zu trinken“, sagt die Passauer Doktorandin Hannah
Lachenmaier, die die Idee zu der Studie hatte. Bei ihrer von Professor
Bauernschuster betreuten Masterarbeit, in der sie sich mit Alkoholkonsum
und Kriminalität befasste, fiel ihr auf, dass es kaum Studien aus
Europa zu diesem Thema gibt. Und das, obwohl Europa in Sachen
Alkoholkonsum weltweit an der Spitze steht und das Mindestalter für
Alkoholkonsum deutlich niedriger ist als in den USA, woher die meisten
Studien stammen.
Keinen Effekt zeigten die Daten bei Jugendlichen, die Alkoholmissbrauch
bei den Eltern erleben.
Das heißt allerdings nicht, dass diese Jugendlichen keinen Alkohol konsumieren würden. Eher im Gegenteil:
Der
Alkoholkonsum sei bei dieser Risikogruppe bereits vor dem Erreichen des
gesetzlichen Mindestalters hoch gewesen. Die Jugendlichen würden das
Verhalten der Eltern imitieren, so die Interpretation der Forschenden.
Wenn die Politik Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien besser
vor Alkoholmissbrauch schützen möchte, könnte man laut den Forschenden
eine schrittweise Anhebung des gesetzlichen Mindestalters in Erwägung
ziehen. Alternativ solle aber auch über Maßnahmen nachgedacht werden,
die sich speziell an die Risikogruppe der Teenager aus
alkoholvorbelasteten Familien richten. Genau für diese Risikogruppe
helfe eine Anhebung des gesetzlichen Mindestalters nämlich nicht.
Über die Autoren und die Autorin
Prof. Dr. Stefan Bauernschuster ist Inhaber des Lehrstuhls für Public
Economics an der Universität Passau. Er ist Forschungsprofessor am ifo
Institut München, Research Fellow des CESifo Netzwerks, Research Fellow
des IZA Netzwerks und Mitglied des Ausschusses für Sozialpolitik beim
Verein für Socialpolitik. In seiner Forschung verwendet er
mikroökonomische Methoden, um politikrelevante Fragen aus den Bereichen
Arbeitsmarkt-, Bevölkerungs-, Gesundheit- und Bildungsökonomik zu
beantworten.
Hannah Lachenmaier hat International Economics and Business studiert und
promoviert an der Universität Passau am Lehrstuhl von Prof. Dr.
Bauernschuster. Die Studie ist der erste Teil ihrer kumulativen
Dissertation.
Prof. Dr. Martin Halla leitet die Abteilung für Wirtschaftspolitik an
der Johannes Kepler Universität Linz. Er ist Research Fellow des IZA
Netzwerks und wissenschaftlicher Berater der Gesundheit Österreich GmbH.
Prof. Dr. Alexander Ahammer ist Assistenzprofessor (tenure track) für
Applied Econometrics und Big Data am Institut für Volkswirtschaftslehre
an der Johannes Kepler Universität Linz.
Prof. Dr. Stefan Bauernschuster
Lehrstuhl für Public Economics
Universität Passau
Innstrasse 27, 94032 Passau
+49 (0)851-509-2540
stefan.bauernschuster@uni-passau.de
Kathrin Haimerl Universität Passau
Telefon: 0851 / 509-1448
E-Mail-Adresse: kathrin.haimerl@uni-passau.de
Innstraße 41
94032 Passau
Deutschland
Bayern
Originalpublikation:
http://www.economics.jku.at/papers/2020/wp2025.pdf
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