Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: „Wir werden nicht einfach etwas durchwinken“
Zwei Mitglieder der Ständigen Impfkommission kommen aus Erlangen und entscheiden mit über die bundesweite COVID-19-Impfstrategie – Impfstart „wahrscheinlich Anfang 2021“
Prof. Dr. Christian Bogdan ist Direktor des Mikrobiologischen Instituts – Klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene des Uni-Klinikums Erlangen und seit 2011 Mitglied der STIKO. Bild: Franzsika Männel/Uni-Klinikum Erlangen Franzsika Männel/Uni-Klinikum Erlangen
Medizin am Abend Berlin ZusatzFachLink: Therapie Patienten COVID-19
In der Berufungsperiode von 2020 bis 2023 hat die Ständige
Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut 18 Mitglieder – zwei von
ihnen kommen aus dem Universitätsklinikum Erlangen der
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU): Prof. Dr.
Christian Bogdan, Direktor des Mikrobiologischen Instituts – Klinische
Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene, und Prof. Dr. Klaus Überla,
Direktor des Virologischen Instituts – Klinische und Molekulare
Virologie. In der STIKO arbeiten die beiden Erlanger Wissenschaftler mit
an einer COVID-19-Impfstrategie für Deutschland. Diese könnte noch in
diesem Jahr feststehen.
Die STIKO entwickelt Impfempfehlungen für ganz Deutschland. Sie ist ein
unabhängiges Expertengremium, das von der Geschäftsstelle im
Fachgebiet Impfprävention des Robert-Koch-Instituts koordiniert und
unterstützt wird. Erst wenn die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA)
und das deutsche Paul-Ehrlich-Institut (PEI) einen Impfstoff zugelassen
haben – wenn er also aufgrund klinischer Phase-III-Studien als wirksam,
sicher und qualitativ hochwertig gilt –, kann die STIKO eine
Impfempfehlung aussprechen.
- Die Kommission berücksichtigt dabei nicht nur gesundheitliche Nutzen-Risiko-Aspekte für den Einzelnen, sondern bewertet Impfungen auch hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die gesamte Bevölkerung.
Arbeitsgruppe „COVID-19-Impfung“
In der STIKO-Arbeitsgruppe „COVID-19-Impfung“ leisten Prof. Bogdan und Prof. Überla
die Vorarbeit für eine bundesweite Impfstrategie.
- Neben Virologen und Mikrobiologen gehören auch Kinderärzte, niedergelassene Allgemeinmediziner, Vertreter des Öffentlichen Gesundheitsdiensts, Ethiker, Statistiker und andere Fachleute zur AG.
„In der Arbeitsgruppe analysieren wir die umfangreiche Literatur zu COVID-19. Es geht vor allem um die Frage, was man mit der COVID-19-Impfung erreichen will und wer geimpft werden soll“, erklärt Prof. Bogdan – seit 2011 STIKO-Mitglied.
Die Arbeitsgruppe entwirft eine Empfehlung, über die dann wiederum die gesamte STIKO abstimmt. Dabei können jederzeit Korrekturen vorgenommen werden – die AG bekommt also ein neutrales Feedback.
- Dann geht die Beschlussvorlage an den Gemeinsamen Bundesausschuss der Krankenkassen (G-BA).
- Der befindet darüber, ob die Impfung in die Schutzimpfungs-Richtlinie aufgenommen wird und damit von den Krankenkassen erstattet werden muss.
„Wir sind angenehm überrascht“ – erste Impfstoffzulassung im Dezember 2020 wahrscheinlich
Derzeit trifft sich die COVID-19-AG der STIKO alle zwei Wochen online.
Arbeitsgruppenmeetings finden damit viel häufiger statt als vor der Corona-Pandemie. „Ich gehe davon aus, dass die Zulassung eines oder mehrerer COVID-19-Impfstoffe noch im Dezember 2020 erfolgen wird und dass wir auch zeitnah unsere Strategie veröffentlichen. Verabreicht werden könnte der Impfstoff wahrscheinlich schon Anfang 2021“, schätzt Prof. Bogdan. Das Besondere: Normalerweise beurteilt die STIKO einen Impfstoff erst dann, wenn dieser bereits zugelassen ist. „Eine Impfstoffentwicklung hat in der Vergangenheit manchmal 10 bis 15 Jahre gedauert“, erklärt Prof. Überla, der seit 2017 Mitglied der STIKO ist. Bei der Corona-Impfung ist es anders: Die STIKO evaluiert die Impfstoffe parallel zum Zulassungsverfahren von EMA und PEI. Viele Verwaltungs- und Entscheidungsprozesse wurden extrem beschleunigt. „Wir wollen keine Zeit verlieren. Trotzdem werden wir nicht einfach irgendetwas durchwinken“, versichert Prof. Bogdan. Die Zahlen zur Wirksamkeit seien momentan aber „sehr vielversprechend“. „Von drei verschiedenen Impfstoffherstellern wurden jetzt Schutzraten von 90 Prozent und höher berichtet, was uns angenehm überrascht hat.“
Bei der Grippeimpfung gebe es zum Beispiel einen deutlich niedrigeren Schutz von nur 50 bis 60 Prozent, je nach Saison.
„Trotzdem müssen wir auch für die
Corona-Impfung eine detaillierte Nutzen-Risiko-Bewertung vornehmen. An
den Regeln und Sicherheitsanforderungen hat sich trotz des rasanten
Tempos nichts geändert“, so Prof. Bogdan weiter.
Zulassung mehrerer Impfstoffe für unterschiedliche Personengruppen möglich
Die Daten aus klinischen Phase-I- und Phase-II-Studien mit ersten
Impfstoffkandidaten liegen bereits vor und auch die Ergebnisse aus den
Phase-III-Studien soll die STIKO in Kürze erhalten. In den derzeit
laufenden Phase-III-Studien wird überprüft, ob Geimpfte neutralisierende
Antikörper gegen das Virus SARS-CoV-2 bilden und ob bei den Probanden
zudem eine spezifische Immunantwort aufgebaut wird, die durch
T-Lymphozyten – also bestimmte weiße Blutzellen – vermittelt wird.
„In den Studien wird erfasst, wie viele COVID-19-Infektionen bei den Geimpften im Vergleich zu einer ungeimpften Kontrollgruppe auftreten.
So
kann die Wirksamkeit eines Impfstoffs abschließend beurteilt werden“,
erklärt Prof. Überla. „Wenn die Studienunterlagen dann zur STIKO kommen,
prüfen wir, ob Wirksamkeit und Sicherheit ausreichend nachgewiesen
wurden und ob der Nutzen der Impfung für die Bevölkerung so groß ist,
dass wir eine Empfehlung aussprechen können. Wir müssen auch darüber
entscheiden, welche Personengruppen den Impfstoff überhaupt erhalten
sollen bzw. wer ihn zuerst bekommt. Oberste Ziele sind, Risikogruppen
wie Ältere und Menschen mit Grunderkrankungen bestmöglich zu schützen
und eine Weiterverbreitung des Virus zu verhindern.“
Dabei kann es auch passieren, dass die STIKO über verschiedene
zugelassene Impfstoffe befinden muss und dass diese eventuell für
unterschiedliche Personengruppen infrage kommen. Da es noch viele Monate
dauern wird, bis größere Bevölkerungsgruppen geimpft sind, sollten sich
die Menschen nach Ansicht der Erlanger Experten nicht vorschnell in
Sicherheit wiegen. „Ein Impfstoff wird uns nicht erlauben, alle
Hygienemaßnahmen schlagartig über Bord zu werfen“, betont Prof. Bogdan.
„Wir werden zunächst nur einen Teil der Gesellschaft durch eine Impfung
schützen können und müssen dann sehen, wie gut es mit der Produktion und
Verteilung der Impfstoffe und mit der Durchführung der Impfungen
vorangeht.“
- „Persönlich hoffe ich dennoch, dass es uns als Gesellschaft gelingt, innerhalb von 90 Tagen nach Zulassung 90 Prozent der Hochrisikogruppen mit einem Impfstoff zu schützen, der mindestens eine Wirksamkeit von 90 Prozent aufweist.
Für mich sind das die 90-90-90-Ziele der COVID-19-Impfung“, so Prof. Überla.
„Damit könnten wir einen großen Teil
der COVID-19-Todesfälle vermeiden und das Risiko der Überlastung des
Gesundheitssystems bannen. Wenn wir das erreichen, kann eine
Neubewertung der Kontaktreduktionsmaßnahmen erfolgen, die natürlich auch
die vielen negativen Folgen für jeden Einzelnen, die Wirtschaft und die
Gesellschaft berücksichtigt.“
Nebenwirkungen umfassend dokumentieren – „Langzeitfolgen sind sehr selten“
Das Gute: Die Phase-III-Studien für den Corona-Impfstoff sind deutlich
größer angelegt als bei vielen früher zugelassenen Impfstoffen. „Wir
sprechen schon jetzt von über 43.000 Personen, die einen der sogenannten
COVID-19-mRNA-Impfstoffe im Rahmen einer Phase-III-Studie erhalten
haben.
Im Rahmen der laufenden Phase-III-Studie zu einem der Adenovirus-basierten COVID-19-Impfstoffe ist der Einschluss von bis zu 60.000 Probanden vorgesehen.
Bei so großen Gruppen können wir auch seltene Nebenwirkungen erkennen, die zum Beispiel bei weniger als einem von 1.000 Geimpften auftreten.
Dabei ist immer auch zu prüfen, ob Nebenwirkungen kausal auf die Impfung zurückzuführen sind oder ob sie einfach zufällig mit einer Impfung zusammentrafen.
Deshalb muss es eine langfristige gründliche Dokumentation von unerwünschten Ereignissen geben, die möglicherweise mit der Impfung in Verbindung stehen“, erklärt Prof. Bogdan.
„Es geht letztlich immer um eine Nutzen-Risiko-Abwägung. Sehr seltene Nebenwirkungen werden wir erst beobachten können, wenn der Impfstoff längerfristig genutzt wird und wenn wir Anwendungsstudien machen können. Langzeitfolgen sind aber sehr selten. Die meisten unerwünschten Ereignisse treten schon zwei, drei Wochen nach einer Impfung auf“, ergänzt Prof. Überla.
Prof. Dr. Klaus Überla ist Direktor des Virologischen Instituts – Klinische und Molekulare Virologie des Uni-Klinikums Erlangen und seit 2017 STIKO-Mitglied. Bild: Franzsika Männel/Uni-Klinikum Erlangen Franzsika Männel/Uni-Klinikum Erlangen
STIKO: strenge Regularien und Unabhängigkeit
Alle STIKO-Mitglieder arbeiten komplett ehrenamtlich als unabhängige
Experten. Für die Aufnahme in die Kommission gelten strenge
Befangenheitsregeln. Bei STIKO-Mitgliedern dürfen keine
Interessenkonflikte in Bezug auf eine Impfstoffentwicklung bestehen –
etwa, weil jemand ein Pharmaunternehmen berät, entsprechende Aktien
besitzt oder an einer Universität Industrieforschung betreibt. Alles
muss offengelegt werden. „Wenn es da irgendeinen Anschein der
Befangenheit gibt, wird man für Jahre für STIKO-Abstimmungen über
Impfstoffe des entsprechenden Unternehmens gesperrt“, betont Klaus
Überla. „Als Mitglieder der STIKO sind wir nur unserem Gewissen und der
unparteiischen Erfüllung unserer Aufgaben verpflichtet.“
Franziska Männel
Tel.: 09131/ 85-46670
presse@uk-erlangen.de
Dr. Susanne Langer Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Schlossplatz 4
91054 Erlangen
Deutschland
Bayern
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