Medizin am Abend Berlim MaAB - Fazit: Phantomberührungen: Wenn das Tastgefühl trügt
Studie von Forschenden der Universitäten Bielefeld, Hamburg und New York
Ohne es zu wissen, nehmen Menschen manchmal Berührungen falsch war.
Eine neue Studie in der Fachzeitschrift „Current Biology“ zeigt:
- Gesunde Menschen ordnen Berührungen mitunter der falschen Körperseite oder einem völlig falschen Körperteil zu.
Die Untersuchung stammt von Forschenden des Exzellenzclusters CITEC der Universität Bielefeld, der Universität Hamburg und der New York University.
Auch wenn die Hände und Füße überkreuzt sind, kann es passieren, dass die Berührung der rechten Hand am rechten Fuß gespürt wird. Foto: Universität Bielefeld
„Die bisherigen Erklärungen dazu, wie und wo unser Gehirn Berührungen verarbeitet, kommen zum Beispiel dann an ihre Grenze, wenn es um Personen geht, denen Körperteile amputiert wurden, oder die von neurologischen Erkrankungen betroffen sind“, sagt Professor Dr. Tobias Heed, einer der Autoren der Studie.
Seine Forschungsgruppe Biopsychologie und Kognitive Neurowissenschaften gehört zu CITEC und der Abteilung für Psychologie der Universität Bielefeld.
- „Menschen, denen eine Hand oder ein Bein amputiert wurde, berichten häufig von Phantomempfindungen in diesen Gliedmaßen.
- Doch wie kommt diese fehlerhafte Wahrnehmung zustande?“
Um sich der Frage zu nähern, hat Heed zusammen mit Dr. Stephanie Badde (New York University, USA) und Professorin Dr. Brigitte Röder (Universität Hamburg) untersucht, ob sich Phantomberührungen auch bei gesunden Menschen nachweisen lassen.
„Dabei konnten wir zeigen, dass gesunde Erwachsene tatsächlich systematisch Berührungen ihrer Hände fälschlicherweise ihren Füßen zuordnen und umgekehrt“, sagt Heed.
Die Ausgangslage
Im Gehirn antworten benachbarte Neurone auf benachbarte Stellen der Haut.
„Man hat bislang gedacht, dass aus solch einer Art Landkarte im Gehirn auch unsere bewusste Wahrnehmung darüber stammt, an welchem Körperteil eine Berührung stattgefunden hat. Gemäß dieser Annahme sind dort Körperteile wie Hände, Füße oder auch Gesicht repräsentiert.
Die neuen Befunde zeigen hingegen, dass andere Charakteristika einer Berührung genutzt werden, um Berührungen unseren Körperteilen zuzuordnen“, sagt Heed.
Er bezeichnet die „Landkarte“ als anatomisches Referenzsystem. Bislang wurde außerdem angenommen, dass auch die räumliche Wahrnehmung einen Einfluss auf Berührungsverarbeitung habe, also wo im Raum die Berührung erfolgt – ob zum Beispiel links, vorne oder unten, sagt Heed.
Viele frühere Ergebnisse wurden so interpretiert, dass das Gehirn vermutlich eine weitere Karte verwendet, die als externes Referenzsystem bezeichnet wird.
- „Wenn Körperteile sich auf einer anderen Seite als üblich befinden – etwa wenn die Beine überkreuzt liegen – geraten die beiden Koordinatensysteme in Konflikt.“
- Das externe Koordinatensystem verortet dadurch zum Beispiel das linke Bein auf der rechten Seite – und das passt nicht zur im Gehirn abgespeicherten Körperseite des Beins.
„In unserer Studie wollten wir klären, welche Rolle die anatomische Wahrnehmung des Gehirns und welche Rolle die räumliche Wahrnehmung spielt“, sagt Heed.
Wie täuschen sich Menschen, wenn sie ihren Körper wahrnehmen? Das untersucht der Psychologe Prof. Dr. Tobias Heed vom Exzellenzcluster CITEC. Foto: Universität Bielefeld
Die Untersuchung
Für die Experimente wurden die Hände und Füße der Versuchspersonen jeweils mit einem taktilen Stimulator beklebt, der per Fernsteuerung eine Berührung an die Haut geben kann. Die Forschenden berührten dann die Testperson mittels dieser Impulsgeber kurz nacheinander an zwei Stellen – zum Beispiel am linken Fuß und an der linken Hand. Im nächsten Schritt berichtete oder zeigte die Testperson, wo sie die erste Berührung gespürt hatte. Dieser Ablauf wurde pro Person viele Male wiederholt. Mal musste die Testperson ihre Füße oder Hände überkreuzen und mal lagen die Körperteile in ihrer gewohnten Stellung.
„Bemerkenswert ist, dass Probandinnen und Probanden die erste Berührung in acht Prozent aller Fälle einem Körperteil zuordnen, das überhaupt nicht berührt wurde – eine Art Phantomempfindung“, sagt Stephanie Badde, Erstautorin der Studie.
Die Gründe
„Die bisherige Vorstellung, dass die Verortung von Berührungen auf Körperteilen von Körperkarten abhängt, kann diese neuen Befunde nicht erklären. Wir zeigen, dass die Phantomberührungen von drei Eigenschaften abhängen“, sagt Tobias Heed.
„Am wichtigsten ist die Identität des Körperteils – ob es sich etwa um eine Hand oder einen Fuß handelt. Deswegen passiert es häufig, dass die Berührung der einen Hand an der anderen Hand wahrgenommen wird.“
Den zweitgrößten Einfluss hat die Körperseite des berührten Körperteils – das erklärt, warum die Berührung am linken Fuß manchmal fälschlicherweise an der linken Hand gespürt werden kann.
- Ein weiterer Einflussfaktor ist die gewohnte, anatomische Position des Körperteils, also wo sich Hände und Füße am Körper befinden.
Das beweisen die Forschenden im Experiment mit den überkreuz liegenden Körperteilen:
Die linke Hand liegt im Experiment auf der rechten Seite. Wird die linke Hand nun berührt, kommt es immer wieder vor, dass das Gehirn die Berührung irrtümlich dem rechten Fuß zuordnet – also einem anderen Körperteil, das weder zur gleichen Körperseite gehört, noch gerade auf der gleichen Raumseite liegt wie der berührte Körperteil. „Maßgeblich ist also der Stammplatz des berührten Körperteils: die linke Hand führt zu einer Antwort mit einem Körperteil, das gerade dort liegt, wo sich die berührte Hand normalerweise befinden sollte“, sagt Stephanie Badde.
Die Erkenntnisse der Studie werfen einen neues Licht auf die Art und Weise, mit der unser Gehirn den eigenen Körper abbildet.
„Die Ergebnisse können beispielsweise neue Forschung zur Entstehung von Phantomschmerzen anstoßen“, sagt Tobias Heed.
„Auch Entwicklungen von Berührung in künstlichen Systemen gehen derzeit fest davon aus, dass dies über eine oder mehrere Karten gelöst werden sollte.
Aber vielleicht sind für manches Verhalten andere Verarbeitungsprinzipien deutlich effizienter.“
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Prof. Dr. Tobias Heed, Universität Bielefeld
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