Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Höher, schneller, lauter: Studie zeigt, wie Stress im Job die Stimme verändert
Zeitdruck, eine Abfuhr vom Chef, ständige Ablenkung:
Im Berufsleben gibt es viele Faktoren, die Stress auslösen.
Stress objektiv nachzuweisen, ist allerdings gar nicht so einfach.
Psychologinnen und Psychologen der Universität des Saarlandes konnten nun Einflüsse von Alltags-Stress in der Stimme messen.
Damit haben sie möglicherweise einen Weg gefunden, Stress besser aufzuspüren, um ihn besser bewältigen zu können.
Die Studie wurde im Fachmagazin „Psychological Science“ veröffentlicht.
Dr. Markus Langer Thorsten Mohr Universität des Saarlandes/Thorsten Mohr
Die Uhr tickt gnadenlos, seit Wochen bereitet der Mitarbeiter den
Projektbericht vor, den er morgen der Geschäftsführung präsentieren
soll. Seine Abteilungsleiterin macht Druck, weil sie den Bericht vorher
nochmal lesen möchte, und unentwegt klingelt das Telefon, weil weitere
Kunden Details zum Stand ihrer eigenen Projekte haben möchten. Klingt
nach Stress, ist es für die meisten auch. Denn nur wenige Zeitgenossen
dürften in solchen Situationen gelassen bleiben. Doch auch in normalen
Arbeitssituationen kann Stress entstehen, den man oft nicht so leicht
entdeckt. Manche sind belastbarer als andere, die bereits während der
normalen Arbeitsroutine schnell Stress empfinden. Dennoch ist der Stress
da, und er sorgt im schlimmsten Fall für psychische und körperliche
Probleme. Das ist schlecht für die Betroffenen selbst, aber auch für die
Arbeitgeber, denn sie bezahlen viel Geld für Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter, die nicht die volle Leistung bringen können.
Doch Stress tatsächlich objektiv zu messen, sagen zu können: „Diese
Person hat Stress, die in der Nachbarabteilung jedoch nicht“, das war
bisher gar nicht so leicht. Bisher war das zum Beispiel möglich, indem
man den Cortisolspiegel durch einen Abstrich im Mund misst.
In der Forschung gab es außerdem Experimente mit Freiwilligen, deren Hand zeitweise in eisgekühltes Wasser getaucht wurde, um Stress über körperlichen Schmerz zu simulieren.
Im Anschluss konnte man ein gewisses Stressniveau in der Stimme feststellen.
„Es gab auch Auswertungen der
Stimmen von Piloten, kurz vor einem Flugzeugabsturz. Deren Stimmen haben
Stressanzeichen gezeigt, was vielleicht nicht weiter überraschend ist“,
erklärt Dr. Markus Langer vom Lehrstuhl für Arbeits- und
Organisationspsychologie der Universität des Saarlandes. Insbesondere
dieses letzte, extreme Beispiel zeigt: Die bisherigen Untersuchungen
waren alles, aber nicht alltäglich.
Markus Langer und ein Team aus weiteren Psychologinnen und Psychologen
des Lehrstuhls von Professor Cornelius König konnten diese Wissenslücke
nun füllen: Sie haben mit der Hilfe von 111 berufstätigen Probanden
eindeutige Zusammenhänge zwischen tatsächlichem Alltagsstress auf der
Arbeit und Veränderungen in der Stimme messen können. „Wir konnten
anhand von Sprachnachrichten, die die Teilnehmer uns eine Woche lang
jeden Abend nach ihrer Arbeit geschickt haben, leichte
Stimmveränderungen nachweisen, wenn sie einen stressigen Tag hatten.
Dabei haben wir auch nach Stressoren, also beispielsweise zu vielen
Terminen, Konflikte, Zeitdruck, gefragt.“
Gaben die Studienteilnehmer an, an einem Tag tatsächlich von einem
Termin in den anderen gehetzt zu sein oder vom Chef einen Rüffel
bekommen zu haben, konnten die Wissenschaftler um Markus Langer
signifikante Veränderungen in der Stimme messen: „Zum einen stieg die
Intensität der Stimme, das heißt, die Menschen haben etwas lauter
gesprochen. Darüber hinaus war die Stimme höher, und sie haben schneller
gesprochen als üblich“, erklärt der Psychologe.
Um das festzustellen, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
die physikalisch messbaren Stimmdaten – also Höhe, Geschwindigkeit,
Lautstärke – jedes einzelnen Sprechers über die Woche gemittelt und dann
Abweichungen zu diesem Mittelwert pro Tag gemessen. „Die kleinen
Veränderungen, die wir so messen konnten, sind oft für menschliche Ohren
gar nicht auffällig, aber im Computer sind die Unterschiede signifikant
messbar“, fasst Markus Langer zusammen. So spricht jemand
beispielsweise im Mittel mit 60 Dezibel Lautstärke bzw. Schalldruck.
Wenn die Person gestresst ist, hingegen mit 61 Dezibel. Dieser
Unterschied fällt Menschen eher nicht auf, sehr wohl kann aber eine
Software diesen erkennen.
Die Antwort auf Frage „Fühlen Sie sich gestresst?“, welche ebenfalls
gestellt wurde, zeigte übrigens keinen Zusammenhang mit dem in der
Stimme nachgewiesenen Stresslevel. Das zeigt, dass die eigene
Wahrnehmung sich oft nicht hundert Prozent mit dem tatsächlichen Zustand
deckt. „Das ist eine wichtige Erkenntnis, denn: Fragt man die Leute, ob
sie gestresst sind, sagen viele ‚Ach, nein, das geht schon‘, obwohl es
schon längst an der Zeit wäre, etwas an der Arbeitsorganisation zu
ändern. Oft ist das Belastungslevel dann schon so hoch, dass die
Personen nicht mehr wirklich mit dem täglichen Stress umgehen können –
bis hin zu Fällen, die dann schon fast im klinischen Bereich anzusiedeln
sind“, erläutert Markus Langer die drohenden gesundheitlichen Folgen
von Stress, der nicht richtig wahrgenommen wird.
Künftig könnte dieser Ansatz, Stress über die Stimme objektiv messen zu
können, ein Weg sein, um für weniger Stress im Arbeitsumfeld und damit
gesündere Arbeit zu sorgen.
Mikrofone und Aufzeichnungsmöglichkeiten sind inzwischen ja überall, sei es im Handy, im Headset, am Bürotelefon, in „smarten“ Lautsprechern zuhause und so weiter. Datenschutzprobleme, ethische Fragestellungen und Missbrauchsmöglichkeiten müssten hier natürlich an erster Stelle ausgeräumt werden, „schließlich liefert die Stimme als Biomarker sehr sensible Daten“, weiß auch Markus Langer. Falls sich jedoch eine Methode findet, diese Risiken auszuschließen, gäbe es neue Möglichkeiten, Stress zu erforschen und letzten Endes auch zu vermeiden.
Thorsten Mohr Universität des Saarlandes
Telefon: 0681/302-2648
Fax: 0681/302-2609
Dr. Markus Langer
Tel.: (0681) 3024767
E-Mail: markus.langer@uni-saarland.de
Originalpublikation:
Langer M, König CJ, Siegel R, et al. Vocal-Stress Diary: A Longitudinal Investigation of the Association of Everyday Work Stressors and Human Voice Features. Psychological Science. May 2022. doi:10.1177/09567976211068110
Weitere Informationen für international Medizin am Abend Berlin Beteiligte
https://doi.org/10.1177/09567976211068110
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