Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Rote Blutzellen von Covid-Patienten mit schwerem Verlauf nehmen krankhafte Formen an
Rote Blutzellen transportieren den eingeatmeten Sauerstoff durch den Körper, um den Stoffwechsel am Laufen zu halten.
Werden sie geschädigt, kann das Auswirkungen auf ihre Funktionstüchtigkeit haben.
- Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität des Saarlandes konnten nun beobachten, dass die roten Blutzellen von Covid-Patienten mit schwerem Verlauf krankhaft verformt sind, so dass sie nicht mehr so gut fließen können.
Das könnte Auswirkungen auf den Sauerstofftransport im Körper haben. Die Studie wurde im Fachjournal „eLife“ veröffentlicht.
Dr. Steffen Recktenwald + Universität des Saarlandes/Thorsten Mohr
Im Körper ist es wie auf der Autobahn:
Wenn der LKW-Verkehr ins Stocken gerät, ist die Versorgung des gesamten „Körpers“ bedroht.
Dann
gibt’s im Supermarkt nichts mehr zu essen. Geraten in der Blutbahn die
roten Blutzellen ins Stocken, gerät die Sauerstoffversorgung des Körpers
in Gefahr. Denn die roten Blutzellen sind hier die LKW für den
Sauerstofftransport.
Unter der Federführung von Forschern der Universität des Saarlandes und
dem Start-up Cysmic GmbH hat ein internationales Team nun beobachten
können, wie sich rote Blutzellen von schwer an Covid erkrankten Personen
deformieren und infolgedessen nicht mehr richtig fließen können, wenn
sie in sehr feinen Blutgefäßen ankommen.
- „Entscheidend für Funktionstüchtigkeit der roten Blutzellen ist ihre Eigenschaft sich zu verformen und somit an die Fließbedingungen in Gefäßen anzupassen.
Bei gesunden Menschen nehmen Blutzellen dazu bestimmte Formen an, je nach Fließgeschwindigkeit des Blutes“, erklärt Dr. Steffen Recktenwald, Postdoktorand am Lehrstuhl von Professor Christian Wagner.
So gibt es zum Beispiel „Croissants“ oder „Slipper“, da die gesunden Blutzellen dann an das Aussehen von leckerem Gebäck oder bequemen Schuhen erinnern.
„Bei schwer an Covid erkrankten Patienten sehen wir aber, dass sich
diese Zellen pathologisch verformen“, so der Experte für Mikrofluidik,
also für das Flussverhalten in kleinen Maßstäben.
Zwar gibt es auch bei den krankhaft veränderten Zellen „Croissants“ und
„Slipper“.
Aber diese sind pathologisch verändert, bilden Spitzen aus oder verwandeln sich in stachelige Kugeln. Das hat Auswirkungen auf die Fließfähigkeit des Blutes. „Im Laborexperiment konnten wir beobachten, dass diese Zellen sich nicht normal verformen können“, erklärt Dr. Greta Simionato, Coautorin der Studie.
An engen Stellen, also beispielsweise in den Kapillaren, wo der Sauerstoff aufgenommen bzw. abgegeben wird, kann das dazu führen, dass die Zellen sich nicht mehr so gut deformieren können; sie verhaken sich ineinander und bleiben hängen, es kann eventuell zu einer Thrombose kommen.
Kurz gesagt: Es gibt Stau auf der „Blutautobahn“.
- Die Zellen können den Sauerstoff nicht mehr so gut aufnehmen und ihn auch nicht mehr so schnell transportieren wie im gesunden Zustand.
- Darin könnte ein weiterer Grund liegen, weshalb Covid-Patienten in vielen Fällen schwere Probleme mit der Atmung und der Sauerstoffsättigung im Blut haben.
Es gibt aber eine interessante Beobachtung, welche möglicherweise einen
neuartigen Ansatz bietet, wie schwere Covid-Verläufe abgemildert werden
können:
„Wir haben die Blutproben der Patienten, die aus den roten Blutzellen und dem Blutplasma bestanden, mit den Proben einer gesunden Kontrollgruppe vermischt:
Gesunde Blutzellen in das Plasma der Patienten und Blutzellen der Patienten in gesundes Plasma“, erklären Simionato und Recktenwald ein weiteres Experiment.
„Dabei konnten wir sehen, dass die gesunden Zellen im ‚krankhaften‘ Plasma ebenfalls krankhafte Formen annahmen und sich daher schlechter deformieren lassen.
Die krankhaften
Blutzellen jedoch, die wir in das Plasma der gesunden Kontrollgruppe
gegeben haben, sind wieder ‚gesund‘ geworden“, berichten die
Wissenschaftler weiter.
- Letzten Endes könnte dies bedeuten, dass eine Transfusion von gesundem Blutplasma in schwer erkrankte Covid-Patienten den Verlauf der Krankheit abmildern könnte, da sich die Transportfähigkeit für den Sauerstoff wieder verbessern würde.
Bis man dies jedoch gesichert sagen kann,
müssten noch weitere Experimente an Patienten selbst vorgenommen werden,
nicht nur an Blutproben im Labor.
Die Arbeit "Cross-talk between red blood cells and plasma influences
blood flow and omics phenotypes in severe COVID-19" ist eine
internationale Kooperation unter Leitung der Universität des Saarlandes
und dem saarländische Biotech-Start-up Cysmic GmbH aus Saarbrücken, das
eine KI-basierte Analyse der Blutzellen durchgeführt hat. Ebenfalls
beteiligt sind unter anderem das Universitätsklinikum Frankfurt am Main,
das Universitätsklinikum Würzburg, die Universität von Colorado
(Denver, USA) und das Universitätsklinikum des Saarlandes.
Dr. Steffen Recktenwald
Tel.: 0681 302 – 3943
E-Mail: steffen.recktenwald@uni-saarland.de
Campus A2 3
66123 Saarbrücken
Deutschland
Saarland
Fax: 0681/302-2609
Originalpublikation:
Steffen M Recktenwald, Greta Simionato, Marcelle GM Lopes, Fabia Gamboni, Monika Dzieciatkowska, Patrick Meybohm, Kai Zacharowski, Andreas von Knethen, Christian Wagner, Lars Kaestner, Angelo D'Alessandro, Stephan Quint (2022) Cross-talk between red blood cells and plasma influences blood flow and omics phenotypes in severe COVID-19 eLife 11:e81316
Weitere Informationen für international Medizin am Abend Berlin Beteiligte
https://doi.org/10.7554/eLife.81316
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