Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit:
Herzmuskelzellen hören früher auf zu schlagen - Omicron-Subvariante BA.5 schädigt Kardiomyozyten stärker als BA.1
Eine Studie des Universitätsklinikums Ulm hat untersucht, wie gut sich verschiedene Varianten des Coronavirus SARS-CoV-2 in kultivierten humanen Herzmuskelzellen vermehren.
Die Ergebnisse zeigen, dass sich zwar die ursprüngliche Omicron-Subvariante BA.1 nur sehr begrenzt in Herzmuskelzellen ausbreitet.
Die aktuelle BA.5 Subvariante hingegen kann Kardiomyozyten so effektiv infizieren wie die frühere Delta-Variante. Verantwortlich dafür sind zusätzliche Mutationen – vor allem im Spike-Protein, die die Infektiosität und zellschädigende Wirkung von BA.5 stärken. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse in der Nature-Zeitschrift „Signal Transduction and Targeted Therapy“.
Kultivierte humane Herzmuskelzellen: (links) nicht infiziert, (rechts) infiziert mit der Omicron Subvariante BA.1. Virales Spike-Protein wird in den gelben Punkten sichtbar
https://doi.org/10.1038/s41392-022-01256-9
Nimmt man gesunde Herzmuskelzellen in Kultur und vermehrt sie, fangen sie an, spontan zu schlagen.
„Dieser spontane ‚Herzschlag‘ von
Kardiomyozyten ist ein guter Indikator für die Gesundheit und
Funktionstüchtigkeit der Zellen“, erläutert Professor Steffen Just,
Leiter der Sektion für Molekulare Kardiologie an der Klinik für Innere
Medizin II. Just hat gemeinsam mit dem Ulmer Virologen Professor Frank
Kirchhoff eine Studie über die pathogene Wirkung verschiedener
SARS-CoV-2-Varianten auf den Weg gebracht. „Dafür haben wir spontan
schlagende Herzmuskelzellen mit Coronaviren infiziert und untersucht,
wie stark sich die Viren vermehren beziehungsweise wie groß deren
zellschädigende Wirkung ist,“ erklärt Kirchhoff, der am Ulmer
Uniklinikum das Institut für Molekulare Virologie leitet. Je pathogener
eine Virus-Variante oder -Subvariante ist, desto früher stoppt der
„Herzschlag“ der Zellen.
Die Forschenden haben frühe SARS-CoV-2-Varianten wie NL-02-2020 und
Delta mit verschiedenen Subvarianten von Omicron verglichen.
Erwartungsgemäß war die – gemeinhin als weniger aggressiv eingestufte –
frühe Omicron-Subvariante BA.1 deutlich weniger zellschädlich als die
frühen Varianten NL-02-2020 und Delta. Die Untersuchung von
Omicron-BA.5-Viren brachte dagegen ein anderes Ergebnis ans Licht: „Die
damit infizierten Herzmuskelzellen hörten deutlich früher auf zu
schlagen als Kulturen, die mit der frühen BA.1 Omicron-Subvariante
infiziert waren. Das Ergebnis glich der Infektion mit der Delta-Variante
– die Schläge stoppten nach 3 bis 5 Tagen“, so Rayhane Nchioua,
Erstautorin der Studie und Doktorandin am Institut für Molekulare
Virologie, die gemeinsam mit Federica Diofano aus der Sektion für
Molekulare Kardiologie die Herzzellen untersucht hat.
Herzmuskelzellen sind besonders anfällig für SARS-CoV-2
Verschiedene Zelltypen, Gewebe und Organe sind unterschiedlich
empfänglich für SARS-CoV-2. Herzmuskelzellen sind besonders anfällig,
weil diese viele ACE2-Rezeptoren präsentieren, über die die Viren an den
Zellen andocken. Dies erleichtert dem Virus die Vermehrung und erklärt
wahrscheinlich, warum Herzmuskelerkrankungen und Herzschäden zu häufigen
Komplikationen von COVID-19 gehören. Zu den klinischen
Erscheinungsbildern gehört insbesondere die Herzmuskelentzündung, aber
auch Herzrhythmusstörungen werden beobachtet. Autopsien verstorbener
COVID-19-Patienten wiesen in Herzmuskelzellen außerdem hohe Anteile an
viraler RNA und von Spike-Proteinen nach.
Das Ulmer Forschungsteam hat daher auch analysiert, wie hoch bei
unterschiedlichen Varianten die Virus-RNA-Konzentration und der Anteil
von Spike-Proteinen in viral infizierten Kardiomyozyten ist. Dabei kam
heraus, dass insbesondere die Herzmuskelzellen, die mit Viren der
Delta-Variante oder eben der späten Omicron-Subvariante BA.5 infiziert
wurden, besonders hohe Konzentrationen solcher Virus-Spuren aufwiesen.
Ein wesentliches Fazit der Studie ist, dass BA.5 nicht nur resistent
gegen viele neutralisierende Antikörper der adaptiven Immunantwort ist,
sondern sich auch sehr effektiv in menschlichen Zellen vermehren kann.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die effiziente Umgehung
adaptiver Immunantworten durch BA.1 zunächst auf Kosten der viralen
Infektiosität ging. Zusätzliche Mutationen im Spike-Protein von BA.5
stellten jedoch das volle Replikationspotential wieder her“, so die
Forschenden. Aktuelle Studien mit Tiermodellen zeigen ebenfalls eine
höhere Pathogenität von BA.5 im Vergleich zu BA.1 und bestätigen damit
das Ergebnis der Ulmer Studie. Ob dies auch beim Menschen der Fall ist,
müssen weitere Untersuchungen klären.
Gefördert wurde das Forschungsprojekt im Rahmen der
Sonderforschungsbereiche 1279 und 1506 von der Deutschen
Forschungsgemeinschaft (DFG). Weitere Fördergelder kommen aus dem
Fight-nCoV-Programm der EU sowie aus dem Ministerium für Wissenschaft,
Forschung und Kunst Baden-Württemberg und dem Bundesministerium für
Bildung und Forschung.
idw - Informationsdienst Wissenschaft e. V.
Prof. Dr. Frank Kirchhoff, Leiter des Instituts für Molekulare Virologie, Universitätsklinikum Ulm, E-Mail: frank.kirchhoff@uni-ulm.de
Prof. Dr. Steffen Just, Leiter der Sektion für Molekulare Kardiologie an
der Klinik für Innere Medizin II, Universitätsklinikum Ulm, E-Mail:
steffen.just@uniklinik-ulm.de
Andrea Weber-Tuckermann Universität Ulm
Helmholtzstraße 16
89081 Ulm
Deutschland
Baden-Württemberg
Telefon: 0731 - 5022024
E-Mail-Adresse: andrea.weber-tuckermann@uni-ulm.de
Originalpublikation:
Strong attenuation of SARS-CoV-2 Omicron BA.1 and increased replication of the BA.5 subvariant in human cardiomyocytes. Rayhane Nchioua, Federica Diofano, Sabrina Noettger, Pascal von Maltitz, Steffen Stenger, Fabian Zech, Jan Münch, Konstantin M. J. Sparrer, Steffen Just & Frank Kirchhoff. In: Signal Transduction and Targeted Therapy volume 7, Article number: 395 (2022), 25 December 2022, https://doi.org/10.1038/s41392-022-01256-9
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