Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Stabiles Herz – stabiler Geist
- Patienten mit einer Herzschwäche weisen häufig Gedächtnisstörungen und Aufmerksamkeitsdefizite auf.
- Über die Verlaufsdynamik dieser kognitiven Leistungsschwäche und begleitende Veränderungen im Gehirn bei Herzinsuffizienz-Patienten war bislang wenig bekannt.
Ein Würzburger Forschungsteam aus Kardiologen, Neurologen, Neuroradiologen und Psychologen fand im Rahmen der Studie „Cognition.Matters-HF“ heraus, dass sich die zum Studienstart vorhandenen kognitiven Defizite binnen drei Jahren bei optimaler Herzinsuffizienztherapie kaum verschlechtert haben.
Die Beobachtungsstudie zeigt einmal mehr, wie wichtig eine intensive und individuelle Betreuung bei einer Herzinsuffizienz ist.
Mirko Pham, Stefan Störk, Anna Frey, Guido Stoll (vlnr) waren federführend an der Studie Cognition.Matters-HF beteiligt. Kirstin Linkamp DZHI
Eine
ermutigende Erkenntnis für die Patienten. Die Studienteilnehmer wurden
mehrfach in vier Disziplinen untersucht. Eine Besonderheit der Studie
war die gleichzeitige Erfassung der Hirnstruktur mittels
Magnetresonanztomographie (MRT), um Einblicke über zugrundeliegende
Herz-Hirn-Interaktionen zu bekommen. Die Studie ist jetzt im
renommierten European Heart Journal veröffentlicht worden.
148 Männer und Frauen mittleren Alters mit einer mindestens ein Jahr
zuvor diagnostizierten Herzschwäche wurden über den Verlauf von drei
Jahren im interdisziplinären Ansatz durch vier verschiedene
Fachrichtungen – Neurologie, Psychologie, Neuroradiologie und
Kardiologie – dreimal untersucht. Das Programm war umfangreich: von EKG
und Herzultraschall, über neurologische Untersuchungen und
neuropsychologische Tests bis hin zur Kernspintomographie (MRT). Das
Kopf-MRT stellte eine besondere Herausforderung dar. „Da bei alleinig zu
Studienzwecken durchgeführten MRTs keine Patienten mit metallischen
Implantaten zugelassen sind, durften sie weder einen Herzschrittmacher
oder Defibrillator haben, noch durfte die Gefahr bestehen, dass sie ein
solches Implantat im Verlauf der Studiendauer benötigen werden.
Diese Geräte sind bei vielen Herzschwächepatienten bereits implantiert, insbesondere bei fortgeschrittener Erkrankung.
Wir untersuchten demnach
eine vergleichsweise leichter betroffene Herzinsuffizienz-Kohorte“,
berichtet die Studienleiterin Privatdozentin Dr. Anna Frey. „128
Patienten nahmen an der zweiten Untersuchung nach einem Jahr teil, 105
noch an der dritten nach drei Jahren.“
Stabiler klinischer Verlauf und Kognition unter optimierter Herzinsuffizienz-Therapie
Die Anzahl der Studienteilnehmer blieb bis zum Studienabschluss über den
geplanten Erwartungen. Erfreulicherweise verstarben im Zeitraum von
drei Jahren nur vier Patienten, und nur zehn Patienten mussten
mindestens einmalig wegen Verschlechterung der Herzschwäche stationär
behandelt werden. Die am Anfang der Studie vorhandenen kognitiven
Einschränkungen waren im zeitlichen Verlauf im Mittel stabil. Teilweise
fanden sich sogar geringfügige Verbesserungen.
Lediglich die Defizite in
der Aufmerksamkeit nahmen im Verlauf von drei Jahren etwas zu.
Prof. Dr. Stefan Störk, Leiter der Klinischen Forschung am Deutschen
Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg erklärt diese Stabilität unter
anderem mit den optimalen Studienbedingungen: „Mit einer optimierten
Herzinsuffizienz-Therapie und der besonderen Unterstützung durch das
Studienteam mit speziell ausgebildeten Herzinsuffizienz-Schwestern
scheinen sich die zum Studienstart vorhandenen Defizite kaum zu
verschlechtern.“ Das belegt einmal mehr die Notwendigkeit einer
intensiven und individuellen Betreuung.
- Denn die durch die verminderte Herz- und Hirnleistung betroffenen Patienten befinden sich in einem Dilemma.
Eine Herzinsuffizienz erfordert eine umfassende Therapie und exakte Medikamenteneinnahme. Demgegenüber stehen allerdings die Störungen des Gedächtnisses und der Aufmerksamkeit.
Viele Patienten können aus diesem Grunde den Therapieplan nicht einhalten.
Eine
individuelle Betreuung durch eine Herzinsuffizienz-Schwester wirkt dem
entgegen.
- Verminderte Hirnleistung und verkleinerter Hippocampus bei schwachem Herzen
Es stellte sich unmittelbar die Frage, welche strukturellen
Hirnveränderungen den kognitiven Leistungseinbußen zugrunde liegen. Die
Basisuntersuchungen hatten bereits gezeigt, dass die Mehrzahl der
Patienten mit Herzschwäche im Vergleich zu einer herzgesunden
Kontrollgruppe der Grazer Universitätsklinik eine deutlicher ausgeprägte
Atrophie des Hippocampus aufwiesen.
- Das heißt, genau die Hirnregion war verkleinert, die für unterschiedliche kognitive Funktionen, wie Gedächtnis, Erkennen und Verarbeiten von Inhalten, entscheidend ist.
Der
Gewebeschwund in dieser Hirnregion stand im Zusammenhang mit der
kognitiven Beeinträchtigung der Studienteilnehmer: 41 Prozent der
untersuchten Patienten zeigten Defizite in der Reaktionszeit, 46 Prozent
im verbalen Gedächtnis und 25 Prozent im Arbeitsgedächtnis. Diese
Ergebnisse aus der Studie „Cognition.Matters-HF“ wurden bereits im Jahr
2018 im Journal of the American College of Cardiology: Heart Failure
veröffentlicht. Neu und bislang einzigartig ist die Analyse des
Langzeitverlaufs von Kognition und bildmorphologischen
Gehirnveränderungen, die jetzt im European Heart Journal publiziert
wurde.
Automatisierte Auswertung der Kopf-MRTs
„Dabei kam eine computergestützte Analysetechnik der MRT-Gehirnbilder
zum Einsatz die von Dr. György Homola im neuroradiologischen Team
entwickelt wurde“, wie Prof. Dr. Mirko Pham, Leiter des Instituts für
Neuroradiologie berichtet. „Dieses Auswerteprogramm erlaubt die auf
Kubikmillimeter genaue Vermessung der Volumina einzelner Hirnregionen,
wie dem Hippocampus. Damit kann vollautomatisiert ein objektiver Befund
erhoben werden, der allerdings erheblichen Rechenaufwand erfordert. Mit
Hilfe dieses Programms lassen sich dann feinste Veränderungen im
zeitlichen Verlauf eindeutig bestimmen.“ Dabei bestätigte sich zunächst,
dass Herzinsuffizienz-Patienten ein vermindertes Volumen des
Hippocampus im Vergleich zu publizierten Normwerten aufweisen.
Neu ist allerdings der Befund, dass der im Verlauf von drei Jahren zu beobachtende globale und lokale Verlust von Hirnsubstanz das Ausmaß des physiologischen Alterns nicht übersteigt.
- Die Schwere der Hippocampusatrophie korrelierte mit kognitiven Leistungseinbußen bei Studieneintritt, aber – eine beruhigende Nachricht für die Patienten – Betroffene zeigen keinen beschleunigten Abbau von Hirnsubstanz, zumindest solange das Ausmaß der Herzinsuffizienz stabil blieb.
Führt akutes Ereignis zu kognitiven Einschränkungen?
„Die Studienergebnisse legen die Hypothese nahe, dass wesentliche
pathologische Prozesse in der Herz-Hirn-Interaktion, die zur
umschriebenen Hirnatrophie und kognitiven Einschränkungen führen,
vielleicht bereits weit vor der Entwicklung der Herzschwäche selbst im
Rahmen der ursächlichen Grunderkrankungen, wie zum Beispiel einem akuten
Myokardinfarkt entstehen“, vermutet Prof. Dr. Guido Stoll, leitender
Oberarzt der Neurologischen Klinik und Poliklinik am Uniklinikum
Würzburg.
Dies ermutigt die Forscher zu weiteren interdisziplinären
Untersuchungen, wie sie nur in einem Verbund unter dem Dach des
Deutschen Zentrums für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI) möglich sind.
An der Studie waren federführend beteiligt: PD Dr. Anna Frey
(Medizinische Klinik und Poliklinik I; DZHI), Prof. Dr. Stefan Störk
(DZHI), Prof. Dr. Mirko Pham (Neuroradiologie) und Prof. Dr. Guido Stoll
(Neurologie, DZHI). „Wir danken ganz herzlich unseren zahlreichen
Mitarbeitern und natürlich unseren Patienten. Sie alle haben mit viel
Kooperation und Einsatz die erfolgreiche Durchführung der Studie erst
möglich gemacht“, so Anna Frey.
Das interdisziplinäre Studienteam aus Kardiologie, Neuroradiologie, Neurologie und Psychologie. Kirstin Linkamp DZHI
Anna Frey, frey_a@ukw.de
97080 Würzburg
Deutschland
Bayern
Telefon: 0931/201-59447
Fax: 0931/201-60 59447
E-Mail-Adresse: just_s@ukw.de
Originalpublikation:
Die Arbeit ist am 26. Januar 2021 im European Heart Journal erschienen:
Anna Frey, György A Homola, Carsten Henneges, Larissa Mühlbauer, Roxane
Sell, Peter Kraft, Maximilian Franke, Caroline Morbach, Marius Vogt,
Wolfgang Müllges, Georg Ertl, László Solymosi, Lukas Pirpamer, Reinhold
Schmidt, Mirko Pham, Stefan Störk, Guido Stoll, Temporal changes in
total and hippocampal brain volume and cogniti-ve function in patients
with chronic heart failure—the COGNITION.MATTERS-HF cohort study,
European Heart Journal, 2021;, ehab003, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehab003
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