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Schlaganfall - Laufband-Trainingstherapie - Entspannungseinheiten

Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Schlaganfall-Reha: Entspannung besser als Laufbandtraining?

Fortschritte in der Schlaganfalltherapie führen zu einem immer besseren Überleben. 

Es steigt dadurch aber auch die Zahl der Patienten, die nach Schlaganfall mit bleibenden Behinderungen leben müssen. Somit kommt der Rehabilitation eine wachsende Bedeutung zu. 

Derzeit ist die Datenlage dazu, welche Trainingsmethode am erfolgversprechendsten ist, widersprüchlich. 

Medizin am Abend Berlin ZusatzFachThema: Pflegeheime  

  • Das von den amerikanischen Fachgesellschaften empfohlene Ausdauertraining zeigte sich in einer aktuellen, prämierten Studie [1] gegenüber einer Entspannungstherapie als nicht überlegen. 

Die neuen Daten deuten darauf, dass in der Frühphase nach einem Schlaganfall „weniger vielleicht mehr“ ist.
 
Weltweit erleiden jährlich 10 Millionen Menschen einen Schlaganfall [2]. Davon erholt sich mindestens ein Drittel funktionell nicht wieder vollständig [3, 4]. Medikamente zur effektiven Unterstützung der Rehabilitation stehen nicht zur Verfügung – das Vorgehen der Wahl besteht in Physio- und Ergotherapie, – im Falle von Sprachstörungen – in der Logopädie sowie in neuropsychologischen Maßnahmen. Laufband-Training kann Geschwindigkeit und Ausdauer beim Gehen und Treppensteigen verbessern und einer zunehmenden Dekonditionierung vorbeugen.

Zusätzlich könnte die Neuroplastizität des Gehirns gefördert und somit das Outcome verbessert werden. Daher empfiehlt die „American Heart Association/American Stroke Association” Schlaganfallpatienten ab der subakuten Phase 3-5 x wöchentlich 20-60 Minuten aerobes Training (Ausdauertraining) bei 55-80% der maximalen Herzfrequenz [5].

Die Datenlage zu den Ergebnissen einer solchen Schlaganfall-Reha ist allerdings widersprüchlich. 

Manche Studien zeigten eine Verbesserung des maximalen Gehtempos oder einen Anstieg des „Barthel Index“, eines Scores zur Objektivierung von Behinderungen in grundlegenden Alltagsfunktionen.

Metaanalysen lieferten dagegen uneinheitliche Ergebnisse eines körperlichen Trainings [6]. Auch die LEAPS-Studie [7] („Locomotor Experience Applied Post-Stroke“) zeigte keine Outcome-Unterschiede für die Laufband-Trainingstherapie versus eines häuslichen Übungsprogramms – allerdings wurde in dieser Studie kein aerobes Training in der Frühphase nach Schlaganfall eingesetzt. „Generell lassen sich die Studien wegen der Unterschiede im Hinblick auf Art, Intensität und Zeitpunkt des Trainingsbeginns schwer vergleichen“, erklärt Frau Prof. Dr. Agnes Flöel, Direktorin der Klinik für Neurologie, Universitätsmedizin Greifswald.

„Insbesondere für Patienten in der Frühphase nach einem Schlaganfall bestehen Unsicherheiten, welches Training optimal ist.“

Die deutsche, multizentrische Studie „PHYS-STROKE“ („Physical Fitness Training in Patients with Subacute Stroke“) [1], die innerhalb des Center for Stroke Research Berlin (CSB) an der Charité gefördert wurde, untersuchte unter der Leitung von Frau Prof. Flöel daher randomisiert, kontrolliert und endpunktverblindet die Effekte eines aeroben Laufband-Trainings mit Beginn in der Frühphase nach einem Schlaganfall.

Die PHYS-STROKE-Studie wurde zwischen 2013-2017 an sieben deutschen, stationären Rehabilitationskliniken durchgeführt. Evaluiert wurde die Sicherheit und Effektivität der frühen Lokomotionstherapie mit dem Laufband (5-45 Tage nach dem Ereignis, median 28). 200 erwachsene Schlaganfallpatienten wurden 1:1 in zwei Gruppen randomisiert. Das mittlere Alter lag bei 69 Jahren, 41% waren Frauen. Die Patienten waren mittelschwer bis schwer betroffen (medianer National Institutes of Health Stroke Scale [NIHSS] 8 [IQR 5-12]).

Die Studiengruppe (n=105) absolvierte zusätzlich zu den Standard-Rehamaßnahmen ein aerobes Laufband-Training, die Kontrollgruppe (n=95) nahm neben den Standard-Rehamaßnahmen an Entspannungs-Einheiten teil (n=95). Jede Gruppe absolvierte das jeweilige Training fünfmal wöchentlich, jeweils 25 Minuten, über insgesamt vier Wochen. Nach dieser Zeit nahmen die Patienten weiter an der Standardtherapie teil. Primäres Outcome waren die maximale Gehgeschwindigkeit (in m/s über eine 10-m-Strecke) und Alltagsaktivität der Patienten (Barthel Index 0-100, wobei ein höherer Wert weniger Behinderung bedeutet) – gemessen drei Monate nach dem Schlaganfall. Als schwere unerwünschte Ereignisse galten kardiovaskuläre Ereignisse einschließlich erneutem Schlaganfall, Rückverlegung in ein Akutkrankenhaus und Tod. Im Ergebnis hatte das Laufband-Training nach drei Monaten nicht zur signifikanten Verbesserung des maximalen Gehtempos oder des Barthel Index geführt. Insgesamt gab es in der Laufband-Gruppe jedoch 1,8-mal mehr schwere Ereignisse (22/105 vs. 9/95 Patienten in der Kontrollgruppe) und 2,5-mal mehr Klinikaufnahmen (14/105 vs. 5/95). Zu erneuten Schlaganfällen kam es bei 8/105 vs. 3/95 Patienten, Herzinfarkte traten keine auf, dagegen kam es in der Laufband-Gruppe häufiger zu Stürzen (36/105 vs. 14/95), wenn auch ohne Knochenbrüche. In der Kontrollgruppe gab es einen Todesfall.

„Zusammenfassend war das frühe vierwöchige Laufband-Training hinsichtlich des maximalen Gehtempos und der Alltags-Fitness nach drei Monaten dem Entspannungstraining nicht überlegen“, so Prof. Martin Ebinger, Medical Park Berlin Humboldtmühle, der an der Planung und Durchführung der Studie beteiligt war.

„Die vorliegenden Daten sprechen also dafür, bei mittel- bis schwer betroffenen Patienten in der subakuten Phase nach Schlaganfall aerobes Training nicht zu forcieren.

  • Möglicherweise könnten aber leichter betroffene Patienten schon früher profitieren. 
Dieser Frage muss in künftigen Studien nachgegangen werden, damit konkrete Empfehlungen für diese Gruppe gegeben werden können.“

Die Arbeit vom Team des CSB [1] wurde aktuell mit dem „QUEST Award for Null Results“ vom „Berlin Institute of Health“ (BIH), einer biomedizinischen Forschungseinrichtung der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin, ausgezeichnet [8]. Das „Quest Center“ des BIH hat zum Ziel, Qualität und Nutzen der medizinischen Forschung zu fördern – unter anderem durch Publikation gut durchgeführter, aber „negativer“ Studien, d. h. sogenannter NULL-Ergebnisse. Denn negative Studienergebnisse haben eine oft unterschätzte Bedeutung, sie sind ein wichtiger Bestandteil der wissenschaftlichen Diskussion über die Effizienz verschiedener Therapieansätze. Werden negative Studienergebnisse nicht veröffentlicht, entsteht ein verzerrtes Gesamtbild in der wissenschaftlichen Literatur (Publikationsbias).

Literatur
[1] Nave AH, Rackoll T, Grittner U et al. Physical Fitness Training in Patients with Subacute Stroke (PHYS-STROKE): multicentre, randomised controlled, endpoint blinded trial. BMJ 2019; 366: l5101, doi: https://doi.org/10.1136/bmj.l5101 (Published 18 September 2019)
[2] Feigin VL, Norrving B, Mensah GA. Global Burden of Stroke. Circ Res 2017; 120: 439-48
[3] Wolfe CDA, Crichton SL, Heuschmann PU et al. Estimates of outcomes up to ten years after stroke: analysis from the prospective South London Stroke Register. PLoS Med 2011; 8: e1001033
[4] Crichton SL, Bray BD, McKevitt C et al. Patient outcomes up to 15 years after stroke: survival, disability, quality of life, cognition and mental health. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2016; 87: 1091-8
[5] Billinger SA, Arena R, Bernhardt J et al. Physical activity and exercise recommendations for stroke survivors: a statement for healthcare professionals from the American Heart Association/American Stroke Association. Stroke 2014; 45: 2532- 53
[6] Saunders DH, Sanderson M, Hayes S et al. Physical fitness training for stroke patients. Cochrane [7] Duncan PW, Sullivan KJ, Behrman AL et al. LEAPS Investigative Team. Body-weight-supported treadmill rehabilitation after stroke. N Engl J Med 2011; 364: 2026-36
[8] https://www.bihealth.org/de/forschung/quest-center/initiativen/null-und-replikat...

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN) sieht sich als neurologische Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren über 9800 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org
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Originalpublikation:
doi: https://doi.org/10.1136/bmj.l5101

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Internetbasierte Schreibtherapie für Ärzte www.belastung-im-arztberuf.de

Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Internettherapie für traumatisierte Ärztinnen und Ärzte

Studie am UKL untersucht neue Hilfsoption für professionelle medizinische Helfer 
 
Ein Trauma kann seelische Wunden hinterlassen, die nicht immer ohne Unterstützung heilen – auch bei Medizinern.

Medizin am Abend Berlin ZusatzFachThema: Myokardszintigrafie 

Die Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Leipzig hat eine internetbasierte Schreibtherapie für Ärztinnen und Ärzte entwickelt, die nach einem traumatischen Ereignis im Beruf unter posttraumatischem Stress leiden.

Ein Trauma ist ein Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung, welches die Verarbeitungsfähigkeiten einer Person übersteigt und extreme Angst und Hilflosigkeit auslöst. „Ärzte und Ärztinnen haben ein erhöhtes Risiko, traumatische Erfahrungen zu erleben, da sie täglich mit Schmerz, Leid, schweren Erkrankungen oder Tod konfrontiert sind“, erklärt Prof. Dr. Anette Kersting, Direktorin der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Leipzig (UKL). Zudem tragen sie eine große Verantwortung im Hinblick auf das Wohl ihrer Patientinnen und Patienten.

Fehlentscheidungen können schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen.
„Ein traumatisches Ereignis kann unterschiedliche Folgen haben“, so Kersting. „Neben sozialem Rückzug und Schwierigkeiten in der Alltagsbewältigung können auch posttraumatische Stresssymptome auftreten: Das Ereignis kann sich als belastende Erinnerung aufdrängen, es werden Orte, Menschen oder Situationen vermieden, die an das traumatische Ereignis erinnern, oder eine überhöhte Reizbarkeit entsteht.“ Auch die Gedanken oder die Stimmung können sich negativ verändern und mit einem Gefühl der Entfremdung oder der Unfähigkeit, positive Emotionen zu empfinden, einhergehen. Solche Situationen seien kein Einzelfall, sagt Prof. Kersting.

Ärztinnen und Ärzte leiden etwa vier Mal häufiger an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) verglichen mit der erwachsenen Allgemeinbevölkerung.

Um hier Abhilfe zu schaffen, haben die Psychotherapie-Experten am UKL ein besonderes Angebot entwickelt - eine Internettherapie.

Die Wirksamkeit konventioneller Psychotherapien bei posttraumatischem Stress (PTS) ist gut belegt.

„Einer Behandlung von Ärztinnen und Ärzten mit PTS stehen jedoch einige Hürden entgegen“, beschreibt die Expertin vom Universitätsklinikum Leipzig. Lange und unregelmäßige Arbeitszeiten sowie die Angst vor negativen Auswirkungen auf die berufliche Karriere erschweren die Inanspruchnahme therapeutischer Unterstützung.

Internetbasierte Interventionen lassen sich dagegen flexibel in den Alltag integrieren und bieten eine höhere Anonymität als herkömmliche Therapien.

Die angebotene Internettherapie für Mediziner wird nun im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie durchgeführt und besteht aus 10 Schreibaufgaben, die über einen Zeitraum von fünf Wochen bearbeitet werden. 

Die im Oktober startende Studie soll die Wirksamkeit der Internettherapie zur Verarbeitung von posttraumatischem Stress nach einem belastenden Ereignis im Arztberuf untersuchen.

Interessenten finden mehr Informationen zum Therapieangebot unter  

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Prof. Dr. med. Anette Kersting

Department für Psychische Gesundheit
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Weitere Informationen für international Medizin am Abend Berlin Beteilige
http://ipsa.studie@medizin.uni-leipzig.de

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Hohe psychische Belastung Geflüchteter: Bitte Gesundheitsplanung und Versorgung starten

Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Leipziger Uni-Studie: Die Hälfte aller Geflüchteten ist psychisch belastet

Rund 68,5 Millionen Menschen waren 2017 weltweit auf der Flucht vor Gefahren, Armut und Krieg in ihren Herkunftsregionen, 970.400 kamen nach Deutschland. 

Unmittelbar nach ihrer Ankunft befragten Wissenschaftler der Universität Leipzig einen Teil der Geflüchteten in einer Erstaufnahmeeinrichtung. 

Die Studienergebnisse unterstreichen die hohe psychische Belastung Geflüchteter und liefern wichtige Informationen für die weitere Versorgung. 

Flüchtlinge vor der Leipziger Ernst-Grube-Halle 2016

Die Hälfte aller Geflüchteten ist psychisch belastet Flüchtlinge vor der Leipziger Ernst-Grube-Halle 2016 Universität Leipzig, Swen Reichhold 

Die Studie wurde in einer Leipziger Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende von Mai 2017 bis Juni 2018 durchgeführt. Insgesamt nahmen 569 erwachsene Geflüchtete aus über dreißig verschiedenen Ländern teil. Etwa die Hälfte wurde innerhalb der ersten Woche nach der Ankunft befragt. Die Studie von Wissenschaftlern um Prof. Dr. Heide Glaesmer und Dr. Yuriy Nesterko von der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie ergab, dass um die 50 Prozent der befragten Geflüchteten deutliche Zeichen einer psychischen Störung zeigen. Ein Drittel der Befragten hat eine posttraumatische Belastungsstörung, ein Drittel berichtet von psychosomatischen Symptomen wie Herzrasen und Angstzuständen. Viele Betroffene wiesen außerdem Symptome einer Depression auf und leiden unter mehr als einer psychischen Störung.

„Die Ergebnisse sind für uns grundsätzlich nicht überraschend. Die Geflüchteten hatten zum Zeitpunkt der Befragung fast immer eine lange Flucht hinter sich, viele hatten Krieg und Gewalt erfahren und waren von ihren Familien und Angehörigen getrennt“, fasst Prof. Glaesmer die Studienergebnisse zusammen.

Durch die traumatischen Erfahrungen und die psychischen Störungen ist die Leistungsfähigkeit der Betroffenen oft in wichtigen Lebensbereichen eingeschränkt und das Risiko für die Entwicklung weiterer psychischer Erkrankungen beziehungsweise deren Chronifizierung steigt stark an.

  • „Die Studienergebnisse weisen zum einen auf die Dringlichkeit einer professionellen Behandlung der Betroffenen hin. 
  • Zum anderen sind psychosoziale Entlastungs- und Beratungsangebote vor Ort von Nöten, insbesondere für kürzlich angekommene Geflüchtete, um Symptomverschlechterungen und der Entwicklung von psychischen Störungen vorzubeugen“, resümiert Co-Autor Dr. Yuriy Nesterko. 

Die Studie ist eine Momentaufnahme kurz nach der Ankunft in der Erstaufnahmeeinrichtung.

Es ist zu erwarten, dass bei einigen Personen psychische Belastungen erst noch zum Tragen kommen, während andere möglicherweise in einer sicheren und ruhigen Umgebung diese überwinden können.

Entscheidend ist, dass ohne eine zeitnahe und bedarfsorientierte Versorgung die Gefahr einer stetigen Verschlechterung der psychischen Gesundheit als sehr hoch einzustufen ist.

Die Studie liefert wichtige Informationen für die Gesundheitsplanung und weitere Versorgung. Sie macht deutlich, wie wichtig es ist, eine frühzeitige psychosoziale Unterstützung für Geflüchtete bereitzustellen. Die Roland Ernst Stiftung für Gesundheitswesen förderte die Studie mit 61.800 Euro.

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Prof. Dr. P.H. Heide Glaesmer und Dr. Yuriy Nesterko
Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie
Universitätsmedizin Leipzig
Philipp-Rosenthal-Str. 55
04103 Leipzig
Tel.: 0049 341 9715417
Fax: 0049 341 9718809
E-Mail: Heide.Glaesmer@medizin.uni-leipzig.de
yuriy.nesterko@medizin.uni-leipzig.de

Ritterstraße 26
04109 Leipzig
Deutschland
Sachsen 

Peggy Darius
Telefon: 0341-9715798
Fax: 0341-9715789
E-Mail-Adresse: peggy.darius@medizin.uni-leipzig.de

Originalpublikation:
https://doi.org/10.1017/S2045796019000325

 

Adhedonie - Innere Leere

Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Mehr als nur ein Bauchgefühl – Gehen Depressionen durch den Magen?

Regensburger Forscher finden heraus: 
  • Antibiotikum vermindert Depressions-Verhalten über Veränderungen der Zusammensetzung der Darmflora und hemmt dadurch einen "Entzündungsprozess" im Gehirn. 

Laborratten im Heimatkäfig
Laborratten im Heimatkäfig © Marianella Masis
 
Die Depression gehört zu den häufigsten psychischen Krankheiten.

Fast jeder Fünfte wird einmal im Leben davon betroffen.

Weltweit leiden mindestens 350 Millionen Menschen an Depressionen.  

Die Erkrankten schildern eine alarmierende Gemütslage gezeichnet von Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Apathie, einem Gefühl innerer Leere und oft dem Verlust an den schönen Dingen des Lebens, genannt Anhedonie.  

  • Dazu kommen Müdigkeit, Antriebslosigkeit und ein vermindertes Selbstwertgefühl sowie in den schlimmsten Fällen Suizidgedanken und Suizidversuche. 

Die Behandlung einer klinisch manifesten Depression erfolgt heutzutage mittels sogenannter Antidepressiva, die bei vielen Patienten zu einer zuverlässigen Verbesserung der Symptome führt.

Der Heilungsprozess wird jedoch häufig durch Nebenwirkungen erschwert, und 30 Prozent der Patienten sprechen entweder sehr spät oder gar nicht auf die Behandlung an.

Reguliert wird unsere Psyche durch verschiede Einflüsse: dem Immunsystem, dem Zusammenspiel unserer Hormone, aber auch der Darmflora, dem Mikrobiom.

  • In der Tat besteht unser Körper aus mehr Bakterienzellen im Darm als „eigenen“ Körperzellen. 

Die Bakterien der Darmflora sind nicht nur – wie lange angenommen – für die Verdauung wichtig, sondern die Zusammensetzung des Mikrobioms entscheidet sogar maßgeblich über unser emotionales Wohlbefinden und scheint in depressiven Patienten verändert zu sein.

In einer Studie, die in der Online-Zeitschrift Translational Psychiatry erschienen ist, untersuchten nun Neurobiologen um Prof. Dr. Inga Neumann, Lehrstuhl für Tierphysiologie und Neurobiologie der Universität Regensburg, in Kooperation mit den Teams von Prof. Dr. Rainer Rupprecht, Lehrstuhl für Psychiatrie und Psychotherapie des Bezirksklinikums Regensburg, Prof. Dr. Andre Gessner vom Institut für Klinische Mikrobiologie und Hygiene des Universitätsklinikums Regensburg, sowie Prof. Dr. Isabella Heuser, Charite Berlin den genauen Zusammenhang zwischen Emotionalität, Depression und Mikrobiom bei Laborratten. Dabei konnte die Doktorandin Anna-Kristina Schmidtner nachweisen, dass sich bei den Ratten, die besonders ängstlich sind und zudem ein behandlungsresistentes Depressions-Verhalten zeigen, die Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms stark von normalen, nicht-ängstlichen Tieren unterscheidet.

Werden die ängstlichen Tiere mit dem Antibiotikum Minozyklin behandelt, wird nicht nur die Darmflora erwartungsgemäß stark verändert.

Die Tiere verhalten sich auch aktiver und zeigen weniger Depressions-ähnliches Verhalten.

Wie kann es sein, dass ein Antibiotikum das Verhalten von Tieren beeinflusst?

Neben seiner Wirkung auf die Darmbakterien veränderte Minozyklin im Gehirn sogenannte Glia-Zellen, vormals als „Kitt“ des Gehirns bezeichnet, die zahlreiche Gehirn-Funktionen regulieren.

  • Depressionen gehen mit einer Aktivierung der Mikroglia einher, was auch als Entzündungsprozess des Gehirns interpretiert wird.

Dem Team um Prof. Neumann gelang nun der Nachweis, dass sich nach einer Minozyklin-Behandlung die Zusammensetzung des Mikrobioms ändert:

Manche Bakterienfamilien werden seltener, andere werden häufiger, insbesondere solche Bakterienfamilien, die kurzkettige Fettsäuren produzieren 

Diese gelangen in die Blutbahn und können auf diesem Weg auch Einfluss auf das Gehirn nehmen.

Eine dieser Substanzen –Butyrat – kann sogar die Aktivierung von Mikroglia im Gehirn verhindern, also entzündungshemmend wirken. 

Der antidepressive Effekt von Minozyklin ist daher mit großer Wahrscheinlichkeit auf diese Wirkung zurückzuführen.

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Prof. Dr. Inga Neumann
Lehrstuhl für Tierphysiologie und Neurobiologie
Universität Regensburg
Tel.: 0941 943-3053
E-Mail: Inga.neumann@ur.de

Christina Glaser Universität Regensburg
Universitätsstr. 31
93053 Regensburg
Deutschland
Bayern

E-Mail-Adresse: christina.glaser@ur.de

Originalpublikation:
Anna K. Schmidtner, David A. Slattery, Joachim Gläsner, Andreas Hiergeist, Katharina Gryksa, Victoria A. Malik, Julian Hellmann-Regen, Isabella Heuser, Thomas C. Baghai, André Gessner, Rainer Rupprecht, Barbara Di Benedetto and Inga D. Neumann, “Minocycline alters behavior, microglia and the gut microbiome in a trait-anxiety-dependent manner”, Translational Psychiatry (2019).
DOI: https://doi.org/10.1038/s41398-019-0556-9

Die Nachtarbeit - gesundheitliche Auswirkungen von Schichtarbeit

Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Nachtschicht verringert die Aufmerksamkeit

  • Nachtarbeit verlängert deutlich die Reaktionszeiten. 

Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie über die gesundheitlichen Auswirkungen von Schichtarbeit bei Beschäftigten im Pflegedienst. 

Durchgeführt hat die Studie das Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IPA), Institut der Ruhr-Universität Bochum (RUB). 

Die Forscherinnen und Forscher untersuchten insbesondere die Auswirkungen von Nachtarbeit auf die Aufmerksamkeit mittels des „Psychomotorischen Vigilanz-Tests“. 

  • Die Ergebnisse können Grundlage für Präventionsmaßnahmen zur Vermeidung negativer Effekte von Schichtarbeit sein. 
 
Das Forschungsteam von Prof. Dr. Thomas Behrens berichtet in der Zeitschrift Plos One vom 5. Juli 2019.

Risiken durch Nachtarbeit

  • Beschäftigte in Nachtarbeit, die ihren Schlafzyklus an die Arbeitszeiten anpassen müssen, leiden während der Arbeit häufig unter Schläfrigkeit. 
  • Sie haben deshalb ein erhöhtes Risiko für Arbeits- und Wegeunfälle auf dem Weg nach Hause. 
  • Auch die Versorgung von Patienten könnte unter der verminderten Aufmerksamkeit leiden.

Die Studie des IPA ist eine der wenigen epidemiologischen Felduntersuchungen, die die psychomotorische Vigilanz in Tag- und Nachtschichten an denselben Personen und zu verschiedenen Zeitpunkten untersucht hat. In der Studie verglichen die Forscher über mehrere aufeinanderfolgende Tag- beziehungsweise Nachtschichten die Wachheit – Experten sprechen von psychomotorischer Vigilanz – bei 74 weiblichen Beschäftigten im Pflegedienst eines Klinikums.

Eulen leiden besonders

„Wir konnten nach einer Nachtschicht eine deutlich verlängerte mittlere Reaktionszeit, aber auch eine höhere Zahl von Fehlern, im Test beobachten“, erklärt Thomas Behrens.

  • „Eine schlechtere Testleistung beobachteten wir vor allem bei älteren Probandinnen, Frauen mit einer spät getakteten inneren Uhr – sogenannten Eulen –, und Frauen mit häufigen Atemaussetzern während des Schlafs“, erläutert die Studienleiterin Dr. Sylvia Rabstein. 

„Für uns überraschend war, dass sich die Fehlerwerte und Reaktionszeiten schon ab der zweiten Nachtschicht verbesserten und sich der Testleistung nach einer Tagschicht annäherten“.

„Obwohl wir einen Trainingseffekt nicht ausschließen können, scheint es so zu sein, dass unregelmäßige oder schnell wechselnde Schichtpläne vermieden werden sollten“, so Thomas Behrens.

Beleuchtung könnte helfen

„Für uns sind diese Ergebnisse insbesondere wichtig im Hinblick auf die Planung zukünftiger Studien“, so Prof. Dr. Thomas Brüning, Direktor des IPA. „Möglicherweise kann eine individuell verbesserte Beleuchtung am Arbeitsplatz die Aufmerksamkeit steigern.“ In der Feldstudie wurde auch eine Reihe weiterer biologischer Parameter untersucht.  

Dazu gehörten verschiedene Hormone, deren Veränderung im Tagesverlauf jetzt in Abhängigkeit von den Lichtverhältnissen am Arbeitsplatz untersucht werden soll.

„Einfache Präventionsmaßnahmen zur Verbesserung der Aufmerksamkeit während einer Nachtschicht könnten:
  • erlaubte Kurzschlafperioden, 
  • eine ausreichende Erholungszeit zwischen einzelnen Nachtschichten, 
  • kürzere Nachtschichten,
  • ein Wechsel der Beleuchtung am Arbeitsplatz umfassen“, 

sagt Thomas Behrens.

Die Wirksamkeit solcher Maßnahmen müsse jedoch noch wissenschaftlich untersucht werden.

Originalveröffentlichung

Thomas Behrens, Katarzyna Burek, Dirk Pallapies, Leoni Kösters, Martin Lehnert, Alexandra Beine, Katharina Wichert, Thomas Kantermann, Celine Vetter, Thomas Brüning, Sylvia Rabstein: Decreased psychomotor vigilance of female shift workers after working night shifts. Plos One 2019, DOI: 10.1371/journal.pone.0219087

Über das Institut

Das IPA – Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung ist als Institut der Ruhr-Universität Bochum (RUB) an der Schnittstelle zwischen arbeitsmedizinischer Forschung und der Praxis für den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und in Bildungseinrichtungen positioniert.

Zum einen ist es daher für die medizinisch-akademische Forschung und Lehre im Fach Arbeitsmedizin der Ruhr-Universität Bochum verantwortlich, zum anderen unterstützt das IPA die gewerblichen Berufsgenossenschaften, die Unfallkassen und die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) bei der Erfüllung ihrer Aufgaben.

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Meike Drießen Ruhr-Universität Bochum

Universitätsstr. 150
44780 Bochum
Postfach 10 21 48
44780 Bochum
Deutschland
Nordrhein-Westfalen
E-Mail-Adresse: info@ruhr-uni-bochum.de

Telefon: 0234/32-26952
Fax: 0234/32-14136
E-Mail-Adresse: meike.driessen@presse.rub.de

Prof. Dr. Thomas Behrens
Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung
Institut der Ruhr-Universität Bochum (IPA)
Tel.: 030 13001 4210
E-Mail: behrens@ipa-dguv.de

Originalpublikation:
Thomas Behrens, Katarzyna Burek, Dirk Pallapies, Leoni Kösters, Martin Lehnert, Alexandra Beine, Katharina Wichert, Thomas Kantermann, Celine Vetter, Thomas Brüning, Sylvia Rabstein: Decreased psychomotor vigilance of female shift workers after working night shifts. Plos One 2019, DOI: 10.1371/journal.pone.0219087

Untersucher-CAVE: Männer/Frauen-Herzfunktionen: Typischen kardiovaskulären Risikofaktoren

Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Die wenigsten Menschen leben herzgesund

Forscher aus dem Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI) und dem Institut für Klinische Epidemiologie und Biometrie (IKE-B) haben belegt, dass sich die typischen kardiovaskulären Risikofaktoren unterschiedlich auf die Herzfunktion auswirken können. 

Frauen scheinen anfälliger für Bluthochdruck und erhöhte Blutfettwerte zu sein. 

Medizin am Abend Berlin ZusatzfachThema: Harninkontinenz bei sportlichen Frauen  

  • Am gefährlichsten für den Herzmuskel, für den weiblichen und den männlichen, zeigte sich Übergewicht. 

Das weibliche Herz scheint zwar empfindlicher gegenüber kardiovaskulären Risikofaktoren zu sein, Frauen wiesen diese aber seltener auf. 

Generell hatten überraschend viele Menschen im mittleren Alter mindestens einen kardiovaskulären Risikofaktor. 

 Dr. Caroline Morbach leitet das Echokardiographie-Labor im Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI).
Dr. Caroline Morbach leitet das Echokardiographie-Labor im Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI). Gregor Schläger

 
Die Echokardiografie, auch als Herzecho bekannt, ist eine der wichtigsten Untersuchungen, um Veränderungen am Herzen zu erkennen.

In der Ultraschalluntersuchung wird die Bewegung des Herzmuskels sichtbar.

Das Verkürzungs- und Ausdehnungsprofil, das über strain (Maß der Längenveränderung) und strain rate (Geschwindigkeit der Längenveränderung) gemessen wird, liefert wichtige Informationen über die Pumpleistung des Herzens.

Doch das Erkennen „abnormaler“ Funktionen erfordert zunächst eine Definition von „normal“. Bislang gab es weder Referenzwerte für die diastolische strain rate noch ausreichende Erkenntnisse über die Auswirkungen von Alter und Geschlecht auf die Verformung des Herzmuskels.

Normwerte für Bewegungsprofil des Herzmuskels

Ein Forschungsteam am Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI) und dem Institut für Klinische Epidemiologie und Biometrie (IKE-B) um die Kardiologin Dr. Caroline Morbach hat jetzt Normwerte für die systolische und diastolische Verformung des Herzens erstellt.

Ferner haben sie die Auswirkungen von Alter, Geschlecht und klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren auf die Funktion des Herzmuskels untersucht.

Für die Referenzwerte haben die Echo-Spezialisten die Werte von 1818 Teilnehmern aus der STAAB-Studie untersucht. In der STAAB-Kohortenstudie am DZHI wurden und werden insgesamt 5.000 Probanden aus Würzburg im Alter von 30 bis 79 und ohne bekannte Herzinsuffizienz innerhalb von circa drei Jahren zweimal untersucht. Ziel der STAAB-Studie, die von den Professoren Peter Heuschmann (IKE-B) und Stefan Störk (DZHI) geleitet wird, ist es, herauszufinden, wie häufig eine noch unentdeckte Herzschwäche in der Bevölkerung auftritt und welche Faktoren die frühen Stadien A und B der Volkserkrankung auslösen. Die Subkohorte war im Schnitt 54 Jahre alt, 52 Prozent von ihnen war weiblich.

Überraschend viele Menschen haben Risikofaktoren

Bei der Stichprobe für die Erstellung der Normwerte, haben sich die Forscher auf die Probanden konzentriert, die keine bekannten Herzerkrankungen und keine kardiovaskulären Risikofaktoren hatten. „Überraschenderweise waren das sehr wenige“, bemerkt Caroline Morbach. „Von den 1818 Probanden waren lediglich 542 Personen augenscheinlich gesund, noch nicht einmal jeder dritte. Die anderen 1276 Personen hatten mindestens einen kardiovaskulären Risikofaktor.“ Zu den Risikofaktoren zählen Übergewicht (Adipositas = Body Mass Index von über 30kg/m2), Diabetes mellitus, Nikotinkonsum, Bluthochdruck (Hypertonie = Blutdruck höher als 140 / 90 mmHg oder eine blutdrucksenkende Therapie) und Fettstoffwechselstörungen (Dyslipidämie = LDL-Cholesterin-Wert von über 190 mg/dl oder fettsenkende Therapie).

„Allein diese Erkenntnis ist schon ein Alarmzeichen“, warnt Caroline Morbach. „Sehr viele Menschen haben vor allem schon in jüngeren Jahren mindestens einen kardiovaskulären Risikofaktor. Interessanterweise überwiegen in der gesunden Gruppe die Frauen. 58 Prozent der Probanden ohne Risikofaktoren waren Frauen und hatten ein Durchschnittsalter von 49 Jahren.“

Frauenherzen schlagen anders

In einem zweiten Schritt haben die Forscher den Einfluss kardiovaskulärer Risikofaktoren auf die Herzfunktion untersucht und dabei eine wichtige Entdeckung gemacht, die das weibliche Herz betrifft. 

  •  Denn Frauen scheinen zunächst zwar gesünder zu sein, liegt jedoch ein kardiovaskulärer Risikofaktor vor, reagieren ihre Herzen vermutlich empfindlicher als Männerherzen.
  •  „Unsere Ergebnisse lassen vermuten, dass der weibliche Herzmuskel anfälliger ist gegenüber hohem Blutdruck und erhöhten Blutfettwerten. 
Adipositas hatte einen geschlechtsunabhängigen und insgesamt den stärksten negativen Einfluss auf die Funktion des Herzmuskels“, erläutert Caroline Morbach.

Gesunder Lebensstil und Gesundheits-Check-ups beim Arzt

„Diese Ergebnisse belegen einmal mehr, wie wichtig ein gesunder Lebensstil und Achtsamkeit im Alltag sind“, kommentiert Prof. Dr. Stefan Störk, Leiter der Klinischen Forschung und Epidemiologie im DZHI.

„Versuchen Sie, Ihr Normalgewicht zu erreichen und zu halten, ernähren Sie sich gesund, meiden Sie Nikotin und dauerhaften Stress und lassen Sie regelmäßig Ihre Risikowerte wie Blutdruck, Blutzucker und Blutfette bei Ihrem Hausarzt kontrollieren.“

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Originalpublikation:
The Public Library of Science ONE (PLOS ONE): https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0221888

LDL-Zielwerte ab jetzt prüfen ..

Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: DGE: Erbliche und erworbene Fettstoffwechselstörung: Neue Leitlinie setzt auf noch niedrigere LDL-Zielwerte

Fettstoffwechselstörungen sind eine Hauptursache für Atherosklerose mit den möglichen Folgen Herzinfarkt, Schlaganfall oder Gefäßverschluss in den Beinen.

Wenn erhöhte Blutfette in der Familie liegen, also erblich bedingt sind, ist die Gefahr groß, schon in jungen Jahren kardiovaskuläre Ereignisse zu erleiden.

Diese Hochrisikopatienten müssen früh erkannt und therapiert werden.

Eine neue europäische Lipid-Leitlinie empfiehlt diesen und anderen Patientengruppen nun noch niedrigere Zielwerte beim LDL-Cholesterin als bisher. 

Welche Konsequenzen sich aus der neuen Leitlinie für die Therapie ergeben, diskutierten Experten auf einer Pressekonferenz am 12. September 2019 in Berlin. 
 
Hohe Cholesterinspiegel, auch Hypercholesterinämie genannt, haben einen großen Einfluss auf die Gefäße und die Entstehung von Atherosklerose. Es entstehen sogenannte Plaques, unter anderem durch Ablagerung von Cholesterin in der Gefäßwand, wodurch sich das Gefäß verengt und verhärtet („Verkalkung“). Zu den Folgeerkrankungen zählen Herzinfarkt und Schlaganfall.

Fettstoffwechsel-Störungen können primär (erblich) oder sekundär (erworben) sein.

80 Prozent des Cholesterins bildet der Körper selber, nur 20 Prozent werden über die Nahrung zugeführt.

Bei der erblichen Form sprechen Mediziner von einer familiären Hypercholesterinämie (FH).

Dr. med. Ulrike Schatz, Fettstoffwechsel-Expertin an der Technischen Universität Dresden erklärt: „Die familiäre Hypercholesterinämie wird häufig erst diagnostiziert, wenn es zu einem ‚Ereignis‘ – also Herzinfarkt oder Schlaganfall in jungen Jahren – kommt.

Die FH führt von Geburt an zu sehr hohen Cholesterinwerten im Blut, woraus ein hohes Risiko für vorzeitige Gefäßverkalkungen entsteht.“

  • Bei der reinerbigen (homozygoten) Form könnten Herzinfarkte bereits im Kindesalter auftreten, bei der heterozygoten Form (Genmutation nur von einem Elternteil geerbt), schon vor dem 55. Lebensjahr, weiß die Expertin.

In Deutschland wird die Neuerkrankungsrate auf eins zu 300 geschätzt, das sind circa 270 000 Menschen mit FH.

„Nur etwa zehn Prozent der Fälle werden diagnostiziert, 80 Prozent davon erreichen ihre Behandlungsziele nicht“, so Schatz. 

 Die FH gilt als Hochrisikokonstellation für Herzinfarkt und Schlaganfall.


Um herauszufinden, ob eine familiäre Hypercholesterinämie vorliegt, empfiehlt die Expertin ein sogenanntes Kaskaden-Screening.

Bei diesem untersuchen Ärzte die Verwandten ersten Grades (Eltern, Großeltern, Geschwister) des „Indexpatienten“, da die Erkrankung autosomal dominant, also von Generation zu Generation vererbt wird. 

 „Durch eine frühzeitige effektive Therapie lässt sich die Prognose dieser Patienten ausschlaggebend verbessern“, so die Expertin.

Fettstoffwechsel-Störungen behandeln Mediziner, indem sie das individuelle Risiko des Patienten bewerten und dann mit ihm die Zielwerte des LDL-Cholesterins definieren. Die Behandlung folgt einer sogenannten Stufentherapie, die auf Lebensstil- und Diätmaßnahmen basiert, gefolgt von Medikamenten mit verschiedenen Wirkmechanismen und als letzte Möglichkeit die Lipoproteinapherese, also eine Blutwäsche von den Fetten.

Welche Zielwerte mit Medikamenten und Lebensstiländerungen erreicht werden sollten, beantwortete die am 31. August 2019 auf dem Kongress der Europäischen Gesellschaften für Kardiologie (ESC) und Atherosklerose (EAS) präsentierte und im European Heart Journal publizierte Lipid-Leitlinie jetzt neu. Sie empfiehlt eine „aggressivere“ Herangehensweise als bisher mit noch tieferen Zielwerten für LDL-Cholesterin – nach der Maxime „je niedriger, desto besser“. Dabei werden vier Patientenklassen gebildet, je nach ihrem Herz-Kreislauf-Risiko durch Komorbiditäten und dem Zehn-Jahres-Risiko für eine tödliche kardiovaskuläre Erkrankung. Der Zielwert für das LDL-C soll bei Höchstrisikopatienten – darunter auch Menschen mit familiärer Hypercholesterinämie und kardiovaskulärer Erkrankung oder mit weiteren Risikofaktoren – < 55 mg/dl (< 1,4 mmol/l) betragen. Der alte Wert lag bei < 70 mg/dl (<1,8 mmol/l). Gab es innerhalb von zwei Jahren trotz maximaler lipidsenkender Therapie ein zweites vaskuläres Ereignis (damit ein Progress), soll noch weiter gesenkt werden, auf < 40 mg/dl (<1,0 mmol/l). Für Patienten mit hohem Risiko rutscht der Zielwert für das LDL-C von 2016 noch <100 mg/dl (<2,6 mmol/l) definiert auf nun < 70 mg/dl (<1,8 mmol/l). Patienten mit moderatem Risiko haben nun nicht mehr den Zielwert < 116 mg/dl (<3,0 mmol/l), sondern < 100 mg/dl (<2,6 mmol/l). Bei Menschen mit einem niedrigen kardiovaskulären Risiko ist der Zielwert gleichgeblieben und liegt bei < 116 mg/dl (<3,0 mmol/l).

Professor Dr. med. Matthias M. Weber, Mediensprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, ergänzt: „Wir müssen vor allem das Bewusstsein für diese Form der Fettstoffwechsel-Störung steigern. Die FH ist eine gut therapiebare Erkrankung. Früh erkannt, können schwere Komplikationen wie ein Herzinfarkt in jungen Jahren verhindert werden.“ Schatz ergänzt: „Wenn wir frühzeitig die Diagnose stellen und die Hypercholesterinämie sowie alle weiteren Risikofaktoren strikt einstellen, so können wir das Risiko dieser Patienten auf das der Allgemeinbevölkerung senken.“ Entsprechend der neuen LL-Empfehlungen heißt es nun: „Je niedriger und je früher, desto besser“.

Literatur:
Mach F, Baigent C, Catapano AL. et al.: 2019 ESC/EAS Guidelines for the management of dyslipidaemias: lipid modification to reduce cardiovascular risk: The Task Force for the management of dyslipidaemias of the European Society of Cardiology (ESC) and European Atherosclerosis Society (EAS)
European Heart Journal, ehz455, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehz455.

Schatz H: Fettstoffwechselstörungen aggressiv behandeln – die Lipid-Leitlinien 2019 der Europäischen Gesellschaften für Kardiologie und Atherosklerose. DGE-Blogbeitrag vom 5. September 2019

Endokrinologie ist die Lehre von den Hormonen, dem Stoffwechsel und den Erkrankungen auf diesem Gebiet. Hormone werden von endokrinen Drüsen, zum Beispiel Schilddrüse oder Hirnanhangdrüse, aber auch bestimmten Zellen in Hoden und Eierstöcken, „endokrin“ ausgeschüttet, das heißt nach „innen“ in das Blut abgegeben. Im Unterschied dazu geben „exokrine“ Drüsen, wie Speichel- oder Schweißdrüsen, ihre Sekrete nach „außen“ ab.

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Nierenschäden: Gicht, Bluthochdruck und erhöhten Cholesterinwerten

Medizin am Abend Berin - MaAB-Fazit: Neue Risikogene für Nierenschäden entdeckt

  • Erhöhte Eiweißwerte im Urin sind ein Anzeichen für eine chronische Nierenerkrankung. 
Darunter leiden mehr als zehn Prozent aller Erwachsenen. 

Außerdem erhöhen sie das Risiko von Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. 

Ein internationales Team von mehr als 180 Forschenden, an dem die Universität Greifswald maßgeblich beteiligt war, hat in umfangreichen Studien 68 bisher größtenteils unentdeckte Genorte nachgewiesen, welche die Menge der Eiweißausscheidung im Urin beeinflussen. 

Die Erkenntnisse liefern Ansatzpunkte für neue Therapieverfahren zur Verringerung von Nierenschäden. Die Ergebnisse sind im Fachmagazin Nature Communications (DOI: 10.1038/s41467-019-11576-0) veröffentlicht. 
 
Im Laufe der Evolution haben sich erbliche Veränderungen entwickelt, die unter anderem zu einer erhöhten Eiweißausscheidung im Urin führen, der sogenannten Mikroalbuminurie. 

Um den Zusammenhang zwischen Varianten der Erbanlage und der Mikroalbuminurie zu finden, wurden die genetischen Informationen von weltweit mehr als 550 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus 54 Studien untersucht.

In die aktuelle Studie flossen neben Daten aus Studien des Forschungskonsortiums CKDGen Consortium (Chronic Kidney Disease Genetics) auch Daten der britischen UK Biobank Gesundheitsstudie, des US-amerikanischen „Million Veteran Program“ sowie genetische Informationen von mehr als 4 000 Menschen aus den beiden Greifswalder Bevölkerungsstudien SHIP und SHIP-Trend ein.


  • Die gefundenen genetischen Variationen stehen nicht nur im Zusammenhang mit Nierenschäden, sondern auch mit Gicht, Bluthochdruck und erhöhten Cholesterinwerten. 

41 der insgesamt 68 entdeckten Genorte wurden bisher noch nicht in Zusammenhang mit erhöhter Eiweißausscheidung im Urin gebracht.

Die genetischen Veränderungen wurden anschließend hinsichtlich ihrer Funktion in verschiedenen Organen näher untersucht.

Abschließend konnte für zwei Risikogene im Tiermodell gezeigt werden, wie genau sie zur Entstehung von Mikroalbuminurie beitragen. 

Die Ergebnisse liefern neue Ansatzpunkte für die Medikamentenentwicklung zur Behandlung von Nierenerkrankungen.


Dr. Alexander Teumer, Erstautor der Studie und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universitätsmedizin Greifswald und dem Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung e.V. (DZHK) betont die Bedeutung der fachübergreifenden, internationalen Kooperation für das Gelingen der Studie:

„In unserer Studie haben wir umfangreiche Daten verschiedener genetischer Ebenen erfolgreich mit klinischen Daten großer Gesundheitsstudien verknüpft.

Funktionale Zusammenhänge unserer weitestgehend am Computer ermittelten Ergebnisse konnten anschließend exemplarisch am Tiermodell nachgewiesen werden.“


Sahar Ghasemi, Ko-Erstautorin und Doktorandin an der Universitätsmedizin Greifswald und wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe von Dr. Teumer, ergänzt: „Aufgrund der strukturierten und gut organisierten Arbeit in dem fachübergreifenden, internationalen Team haben wir in relativ kurzer Zeit relevante Ergebnisse erhalten.“

WEITERE INFORMATIONEN
Publikation
Teumer et al. (2019): „Genome-wide association meta-analyses and fine-mapping elucidate pathways influencing albuminuria”. Nature Communications, September 2019, DOI: 10.1038/s41467-019-11576-0.

CKDGen-Konsortium
Das Forschungskonsortium CKDGen Consortium (Chronic Kidney Disease Genetics) ist ein Zusammenschluss auf Kooperationsbasis von weltweit führenden epidemiologischen Studien und erforscht maßgeblich den genetischen Hintergrund komplexer Nierenerkrankungen. Die Forschungsarbeit des Konsortiums wird von Prof. Dr. Anna Köttgen (Universitätsklinikum Freiburg, Deutschland) zusammen mit Dr. Cristian Pattaro (Europäische Akademie Bozen (EURAC), Italien) koordiniert.

Weiterführende Links


UK Biobank: http://www.ukbiobank.ac.uk

Greifswalder Bevölkerungsstudien SHIP und SHIP-Trend: 

http://www.medizin.uni-greifswald.de/cm/fv/ship.html
 
Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung e.V. (DZHK): 

http://www.dzhk.de/standorte/greifswald/

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Universität Greifswald
Dr. Alexander Teumer
Universitätsmedizin Greifswald
Institut für Community Medicine, Abteilung SHIP-KEF
Walther-Rathenau-Str. 48, 17489 Greifswald
Telefon 03834 86 19579
ateumer@uni-greifswald.de
http://www.publons.com/researcher/1280085/

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Jan Meßerschmidt
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Rheumatoide Arthritis (RA) - Gelenkbeschwerden als Nebenwirkungen

Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Checkpoint-Inhibitoren und Autoimmunreaktionen: Rheuma als Nebenwirkung von neuer Krebsbehandlung

Sogenannte Checkpoint-Inhibitoren können Krebserkrankungen heilen, indem sie die körpereigene Immunabwehr verstärken. 

Diese Medikamente aktivieren dabei jedoch dieselben Zellen, die an der Entstehung der rheumatoiden Arthritis (RA) und anderer Autoimmunerkrankungen beteiligt sind, körpereigene T-Zellen. 

  • Gelenkbeschwerden gehören deshalb zu häufigen Nebenwirkungen der Checkpoint-Inhibitoren – Krebspatienten benötigen immer häufiger eine rheumatologische Behandlung. 

Was dabei zu beachten ist, diskutierten Experten der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie e.V. (DGRh) bei ihrer Jahrestagung in Dresden. 


Seit 2011 wurden in Deutschland sechs Checkpoint-Inhibitoren zugelassen.

Die Antikörper Ipilimumab, Nivolumab, Pembrolizumab, Atezolizumab, Durvalumab und Avelumab verhindern auf unterschiedliche Weise, dass Krebszellen sich der Abwehr durch T-Zellen entziehen können.

 „Die Angriffsbereitschaft der T-Zellen wird gesteigert und vormals unheilbare Krebserkrankungen wie das Melanom und Lungenkrebs drängt das Immunsystem des Körpers zurück“, erläutert Professor Dr. med Hendrik Schulze-Koops, Präsident der DGRh und Leiter der Rheumaeinheit des Klinikums der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Die Angriffslust der T-Zellen bleibt jedoch nicht auf die Tumoren beschränkt. 

Sie können auch gesunde körpereigene Zellen angreifen und sind wichtiger Akteur bei Autoimmunerkrankungen wie der RA.

„Folge ist, dass es während der Behandlung mit Checkpoint-Inhibitoren häufig zu Autoimmunphänomenen kommt“, sagt Professor Schulze-Koops.

  • Bis zu 70 Prozent der Patienten erleiden während einer Therapie beispielweise Muskel- oder Gelenkschmerzen oder auch eine Entzündung der Tränen- oder Speicheldrüsen, wodurch es zu einer Trockenheit der Schleimhäute kommt.
  • In Einzelfällen werden auch die Blutgefäße angegriffen oder es kommt zu Autoimmunerkrankungen von Drüsen, des Darmes, der Haut oder von anderen inneren Organen. 
  • Männer sind dabei ebenso häufig betroffen wie Frauen.
Da die Antikrebswirkung der Checkpoint-Inhibitoren von der Aktivierung der T-Zellen abhängt, sind auch die Immunnebenwirkungen umso stärker, je besser die Medikamente wirken.

Professor Schulze-Koops sagt:

„Etwa zwei Drittel der Patienten, bei denen sich der Tumor teilweise oder ganz zurückbildet, leiden unter den Immunnebenwirkungen.“ 

  • Starke Gelenkbeschwerden oder andere Autoimmunphänomenen seien deshalb im Prinzip ein gutes Zeichen für die Patienten, so der Experte 

„Wir wissen inzwischen auch, wie wir ihnen helfen können, ohne zu schaden“, so der Rheumatologe.

Die Patienten würden heute mit den gleichen Medikamenten behandelt, die auch bei Rheuma-Erkrankungen zum Einsatz kommen. 

  • Schwere Schübe werden mit Kortison abgefangen, danach erhalten die Patienten Methotrexat, das seit langem ein Standardmedikament in der Behandlung von rheumatischen Erkrankungen ist. 

„Entscheidend ist, dass im Rahmen einer Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren rechtzeitig ein Rheumatologe hinzugezogen wird, sobald es zu entsprechenden Symptomen kommt“, so der Präsident der DGRh.

Umgehend behandelt, können Langzeitfolgen der modernen Krebstherapie so gut verhindert werden.

CAVE: Dafür arbeiten Krebsspezialisten und Rheumatologen in der Therapie dieser Patienten eng zusammen.

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CAVE: Neurotransmitter Serontonin: Suizidgedanken - Selbsttötung

Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Fettsäuremangel an Serotoninrezeptoren kann Depressionen auslösen

MHH-Forscher: 

Palmitat offenbar für Regulation von Serotoninrezeptoren im Gehirn wichtig / Veröffentlichung im Journal Nature Communications 

Dr. Nataliya Gorinski und Professor Dr. Evgeni Ponimaskin.
Dr. Nataliya Gorinski und Professor Dr. Evgeni Ponimaskin.
Quelle „MHH / Karin Kaiser".

Fettsäuremangel an Serotoninrezeptoren kann Depressionen auslösen
 
Depression ist eine häufig unterschätzte, schwere seelische Erkrankung. 

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind weltweit etwa 350 Millionen Menschen betroffen.  

In Deutschland leiden etwa 5,4 Millionen Menschen unter depressiven Störungen, fühlen sich niedergeschlagen, erschöpft und antriebslos.

  • Viele Untersuchungen deuten darauf hin, dass bei Depressionen typische Veränderungen im Gehirn vorliegen. 
  • Dabei scheinen bestimmte Botenstoffe, so genannte Neurotransmitter wie etwa Serotonin, aus dem Gleichgewicht geraten zu sein. 

Die genauen molekularen Abläufe im Gehirn Betroffener sind bislang jedoch nur unzureichend erforscht.

Ein Team um Professor Dr. Evgeni Ponimaskin vom Institut für Neurophysiologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) hat jetzt gezeigt, dass die Fettsäure Palmitat offenbar eine entscheidende Rolle spielt.

„Fehlt die Fettsäure, funktioniert ein wichtiger Serotoninrezeptor nicht mehr richtig“, sagt Professor Ponimaskin.

Die MHH-Forscherinnen und -Forscher haben nicht nur das zuständige Enzym gefunden, das Palmitat auf den Serotonin-Rezeptor überträgt. Sie konnten auch die Steuerungsmechanismen identifizieren, die für eine genaue Diagnose und Therapie entscheidend sein könnten. Die Forschungsergebnisse der internationalen Studie sind jetzt in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ erschienen. Erstautorin ist Dr. Nataliya Gorinski, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team.

„Bisher ist die Behandlung von Depressionen leider sehr unspezifisch“, sagt Professor Ponimaskin.

Medikamente, die den Serotoninspiegel erhöhen, zeigen bei etwa 40 Prozent der Patientinnen und Patienten gar keine Wirkung und haben oft schwere Nebenwirkungen.

Mitunter verstärken sie das Krankheitsbild sogar.

Und das ist gefährlich, denn ein sehr häufiges Symptom bei Depression sind Suizidgedanken. 

  • „In Deutschland sterben jährlich etwa 10.000 Menschen durch Selbsttötung, wobei die Zahl der Suizidversuche schätzungsweise 15- bis 20-mal höher ist“, sagt Professor Ponimaskin.

Um den fatalen Folgen depressiver Störungen auf die Spur zu kommen, haben die Neurophysiologen die Rolle des Palmitats und der dazugehörigen Steuermechanismen nicht nur in Zellkulturen sowie im Gehirn von Mäusen und Ratten untersucht. Dank einer Kooperation mit einer Psychiatrischen Klinik in den USA konnten sie auch Gehirnproben von Suizidopfern analysieren, die unter Depressionen litten.

„In unserer Studie haben wir gezeigt, dass die natürlich vorkommende Modifikation des Serotoninrezeptors 5-HT1ARs mit der Fettsäure Palmitat für die physiologischen Rezeptorfunktionen unbedingt notwendig ist“, erklärt der Neurophysiologe.

Wenn diese Modifikation fehlt, kann der Rezeptor nicht mehr aktiviert werden.

Auch das zuständige Enzym, welches Palmitat auf den Rezeptor überträgt, haben die MHH-Forscher identifiziert.

In zwei verschiedenen Nagetiermodellen konnten sie eine verringerte Expression dieses Enzyms sowie eine stark abgeschwächte Modifikation des 5-HT1AR mit dem Palmitat nachweisen.

Wird das Enzym etwa im Vorderhirn von Mäusen selektiv ausgeschaltet, entwickeln die Tiere spontan ein sehr starkes depressionsähnliches Verhalten.

Auf der Suche nach Mechanismen, die die genetische Umsetzung des Palmitat-übertragenen Enzyms steuern, hat das Forscherteam in Kooperation mit Professor Dr. Dr. Thomas Thum, Leiter des MHH-Instituts Institut für Molekulare und Translationale Therapiestrategien, einige regulatorische Moleküle – sogenannte MicroRNAs – identifiziert.

Diese waren im Gehirn von suizidalen Opfern deutlich häufiger zu finden als bei Gesunden, während gleichzeitig die Expression des Palmitat-übertragenden Enzyms sowie der Grad der Modifikation des 5-HT1ARs mit dem Palmitat verringert waren.

„Als nächstes hoffen wir einen passenden Biomarker zu finden, um suizidales Verhalten früh identifizieren zu können“, sagt Professor Ponimaskin.

In Zusammenarbeit mit Professor Dr. Kai Kahl, Geschäftsführender Oberarzt an der MHH-Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie, soll ein Bluttest entwickelt werden, der suizidale Neigungen bei depressiven Patienten frühzeitig zu erkennen hilft.

Langfristig wollen Professor Ponimaskin und sein Team außerdem eine MicroRNA-basierte Therapie entwickeln, mit deren Hilfe Depressionen künftig spezifisch und erfolgreich behandelt werden können.

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Originalpublikation:
Die Originalpublikation finden Sie unter https://www.nature.com/articles/s41467-019-11876-5 .

Hirnanhangdrüse (Hypophyse) - Hypohysenadenome - Mangel an Hormonen

Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit:  Erkrankungen der Hirnanhangdrüse – Entzündung oder hormonproduzierender Tumor?

Die Hirnanhangdrüse (Hypophyse) steuert viele hormonelle Funktionen im Körper. 

  • Erkrankt sie, etwa aufgrund von Tumoren oder Entzündungen, so kommt es zu einer Raumforderung, die durch lokale Kompression Symptome wie Kopfschmerzen und Sehstörungen hervorrufen kann. 

Häufigere Folge der Erkrankung sind jedoch hormonelle Veränderungen. 

Wie wichtig eine Differentialdiagnose zwischen Tumor und Entzündungsreaktion ist, die beide ähnliche Symptome auslösen, erklären Experten auf der Konferenz der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) am 12. September 2019 in Berlin anlässlich der 4. Deutschen Hormonwoche. 
 
Tumoren der Hirnanhangdrüse mit aggressivem Wachstumsverhalten oder Entzündungen der Hirnanhangsdrüse sind sehr selten.

Deshalb müssen sich behandelnde Ärzte bei Diagnose und Therapie aufgrund der eingeschränkten Studienlage auch auf Erkenntnisse aus Fallsammlungen stützen. Patienten profitieren zudem, wenn sich Behandelnde seltener Erkrankungen untereinander zum fachlichen Austausch vernetzen.

Die Hirnanhangdrüse hat die Größe einer Kirsche und liegt auf Nasenhöhe mitten im Kopf in einer knöchernen Aushöhlung an der Schädelbasis. Sie besteht aus zwei Lappen, die sich von ihrer Funktion her unterscheiden.  

  • Der Hypophysenvorderlappen ist kein Teil des Gehirns, sondern eine typische Hormondrüse, die über die Freisetzung von Hormonen die Funktionen von Wachstum, Keimdrüsen, Schilddrüse, Nebennieren und Brustdrüse steuert. 
  • Der Hypophysenhinterlappen besteht aus Nervenzellfortsätzen, in denen Hormone beispielsweise zur Regulation des Wasserhaushaltes gespeichert werden. 
„Verschiedene Erkrankungen können die Hormonbildung in der Hirnanhangdrüse stören, sodass diese zu viele Hormone und/oder zu wenige Hormone produziert“, sagt Privatdozent Dr. med. Ulf Elbelt von der Medizinischen Klinik B, Campus Ruppiner Kliniken an der Medizinischen Hochschule Brandenburg.

Werden durch einen Tumor der Hirnanhangdrüse umgebende Strukturen geschädigt, so kann dies zu Symptomen wie Gesichtsfeldeinschränkungen bis hin zur Erblindung und ausgeprägten Kopfschmerzen führen, werden die gesunden Anteile der Hirnanhangdrüse durch den Tumor komprimiert, können diese unter Umständen nicht mehr genügend Hormone bilden.

Mit Krankheitslast verbundene Tumoren im Bereich der Hirnanhangdrüse sind selten.

Die Krankheitshäufigkeit liegt bei knapp unter 100 pro 100 000 Einwohner. In über 80 Prozent handelt es sich bei den Tumoren um sogenannte Hypophysenadenome. Dies sind überwiegend hormonproduzierende Tumoren. „Problemtisch ist vor allem, dass Hypophysenadenome unreguliert und gesteigert Hormone produzieren und freisetzen können und gleichzeitig einen Mangel für andere Hormone verursachen können“, erklärt Elbelt.

  • Der häufigste Hypophysentumor ist das (gutartige) Prolaktinom, das bei Frauen zu Milchfluss und Zyklusstörungen und bei Männern zu Libidoverlust und Erektionsstörungen führen kann. 


Mit Ausnahme der Prolaktinome werden Hypophysenadenome häufig durch eine Operation entfernt.

  • Wenn das nicht möglich ist, kann eine medikamentöse Behandlung oder mitunter auch eine Strahlentherapie notwendig werden. 
  • Bei der Behandlung aggressiver Hypophysenadenome hat sich eine Behandlung mit dem Chemotherapeutikum Temozolomid als geeignet herausgestellt.

Eine weitere Erkrankung ist die Entzündung der Hirnanhangdrüse.

Sie kann ähnliche Symptome hervorrufen wie Tumoren.

Deshalb rät Elbelt dazu, vor jeder Operation die Möglichkeit einer Entzündung der Hirnanhangdrüse in Betracht zu ziehen. 

Sie ist mit geschätzt einem Neuerkrankungsfall auf sieben Millionen Einwohner äußerst selten. Die Ursache der primären Hypophysitis ist eine Abwehrreaktion des Immunsystems (Autoimmunerkrankung). Sie kann auch infolge anderer Erkrankungen auftreten.

 „Auch hier haben wir es mit Raumforderungen zu tun, die Kopfschmerzen, Sehstörungen, Hormonmangelzustände und insbesondere Harnflut und damit einhergehend ein starkes Durstgefühl hervorrufen“, sagt der Experte.

Für die sichere Abgrenzung von Adenom und Hypophysitis kann neben bildgebenden Verfahren im Einzelfall auch eine Gewebebiopsie erforderlich sein.

Die Therapie der Hypophysitis besteht im Ersatz der fehlenden Hormone.

  • Insbesondere bei sehr starken Kopfschmerzen kann zusätzlich zum Hormonersatz die Gabe von Glukokortikoiden notwendig werden, die fast immer zu einer deutlichen Besserung der Kopfschmerzen führen.

Die größte Herausforderung liegt für die Ärzte darin, dass es insgesamt nur wenige Fälle gibt. Umso wichtiger ist es, auf nationaler Ebene im Austausch zu sein. „Fallsammlungen sind auf Initiative der Arbeitsgemeinschaft Hypophyse und Hypophysentumore der DGE erstellt worden, deren Stellenwert ist sehr hoch“, sagt Elbelt. Professor Dr. med. Matthias M. Weber, Mediensprecher der DGE und Leiter der Endokrinologie der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ergänzt: „Wenn Erkrankungen sehr selten sind, ist der individuelle Erfahrungsschatz eines Arztes natürlich beschränkt. Für das Behandlungsteam sind daher aus Fallsammlungen abgeleitete Erkenntnisse ausgesprochen hilfreich.“

Wie Erkrankungen der Hirnanhangdrüse zu behandeln sind, ist ein Thema der Konferenz der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) am 12. September 2019 in Berlin. Weitere Themen sind familiäre Hypercholesterinämie, moderne Diagnostik bei Schilddrüsenknoten und Diabetesprävention durch unlösliche Ballaststoffe.

Literatur:
Honegger J, Schlaffer S, Menzel C, Droste M, Werner S, Elbelt U, Strasburger C, et al.: Pituitary Working Group of the German Society of Endocrinology. Diagnosis of Primary Hypophysitis in Germany. J Clin Endocrinol Metab. 2015 Oct;100(10):3841-9. doi: 10.1210/jc.2015-2152. Epub 2015 Aug 11.
Honegger J, Buchfelder M, Schlaffer S, Droste M, Werner S, Strasburger C, et al.: Pituitary Working Group of the German Society of Endocrinology. Treatment of Primary Hypophysitis in Germany. J Clin Endocrinol Metab. 2015 Sep;100(9):3460-9. doi: 10.1210/jc.2015-2146. Epub 2015 Jun 19.
Raverot G, Burman P, McCormack A, Heaney A, Petersenn S, Popovic V, et al.: European Society of Endocrinology. European Society of Endocrinology Clinical Practice Guidelines for the management of aggressive pituitary tumours and carcinomas. Eur J Endocrinol. 2018 Jan;178(1):G1-G24. doi: 10.1530/EJE-17-0796. Epub 2017 Oct 18. Review.

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Endokrinologie ist die Lehre von den Hormonen, dem Stoffwechsel und den Erkrankungen auf diesem Gebiet. Hormone werden von endokrinen Drüsen, zum Beispiel Schilddrüse oder Hirnanhangdrüse, aber auch bestimmten Zellen in Hoden und Eierstöcken, „endokrin“ ausgeschüttet, das heißt nach „innen“ in das Blut abgegeben. Im Unterschied dazu geben „exokrine“ Drüsen, wie Speichel- oder Schweißdrüsen, ihre Sekrete nach „außen“ ab.


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Neurotransmitters Noradrenalin und die Gedächtnisleistungen

Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Ein kleiner Kern im Gehirn hat große Auswirkungen auf Lernen und Gedächtnis im Alter

Der blaue Kern, auch Locus coeruleus genannt, ist eine winzige Region im Hirnstamm. 

Als Hauptquelle des Neurotransmitters Noradrenalin hat er einen großen Einfluss darauf, ob unser Gedächtnis auch im Alter noch gut funktioniert. 

Mithilfe der Magnetresonanztomografie (MRT) und neuartiger Analysemethoden konnten Forscher*innen des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und der University of Southern California nun nachweisen, dass ein gesünderer Locus coeruleus mit besseren Gedächtnisleistungen im späteren Erwachsenenalter einhergeht. 

Die Ergebnisse der Studie sind in der Zeitschrift Nature Human Behaviour erschienen. 


Warum lassen manche kognitiven Fähigkeiten – insbesondere das Erinnerungsvermögen – im Laufe des Erwachsenenalters nach?

Und wie kommt es, dass sich manche Menschen auch im hohen Alter Neues gut einprägen und merken können, andere jedoch nicht? Bei der Beantwortung dieser Fragen haben sich kognitive Neurowissenschaftler*innen in den letzten Jahrzehnten vornehmlich auf die Großhirnrinde und auf den Hippokampus konzentriert, der beim Lernen und Erinnern eine zentrale Rolle spielt.

Jedoch gerät in jüngster Zeit eine winzige Zellstruktur, tief unter der Großhirnrinde im Hirnstamm versteckt, in den Fokus der Forschung:

der Locus coeruleus oder blaue Kern. Dieser Kern ist nur etwa 15 Millimeter groß und über ein weitverzweigtes Netz von Nervenfasern mit nahezu dem gesamten Gehirn verbunden.

  • Die Nervenzellen, aus denen er besteht, sind die Hauptquelle des neuronalen Botenstoffs Noradrenalin. 

Als sogenannter Neuromodulator reguliert Noradrenalin die Kommunikation zwischen Nervenzellen und trägt damit wesentlich zur Kontrolle von Stress, Gefühlen und Aufmerksamkeit bei.

Zudem haben Tierstudien gezeigt, dass Noradrenalin auf zellulärer Ebene Umbauvorgänge unterstützt, die die langfristige Speicherung neuer Erinnerungen, Fähigkeiten und Kenntnisse ermöglichen. Deswegen beruhen erfolgreiche Lern- und Gedächtnisprozesse vermutlich auf einem gut funktionierenden Locus coeruleus.

  • Mit fortschreitendem Alter zeigt der Locus coeruleus zunehmend Verfallserscheinungen, welche wahrscheinlich auf die Ansammlung von Giftstoffen aus dem Blutkreislauf sowie aus der Flüssigkeit, die Gehirn und Rückenmark umgibt, zurückzuführen sind. 
  • Neuere Forschungsergebnisse weisen zudem darauf hin, dass krankhafte Veränderungen im Zuge der Alzheimer-Demenz zuerst im Locus coeruleus auftreten könnten und von dort aus Hirnregionen erreichen, die für das Gedächtnis zuständig sind, bevor sie schließlich in späteren Krankheitsstadien große Teile des restlichen Gehirns erfassen.

„Neue Studien, die das Hirngewebe Verstorbener untersuchten, zeigen, dass einer der wesentlichen Krankheitsindikatoren der Alzheimer-Demenz bei den meisten Menschen mittleren Alters im Locus coeruleus festgestellt werden kann. Wir sind nun unter den ersten, die einen Zusammenhang zwischen kognitiver Leistungsfähigkeit und der Gesundheit des Locus coeruleus beim lebenden Menschen belegen konnten“, sagt Mara Mather, Professorin für Gerontologie an der University of Southern California und Koautorin der Studie.

Markus Werkle-Bergner, Senior Scientist am Forschungsbereich Entwicklungspsychologie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, fügt hinzu: „Frühere Tierversuche legten eine Verbindung zwischen einem gesünderen Locus coeruleus und besseren Lern- und Gedächtnisleistungen nahe. Es ist daher wichtig zu verstehen, ob alterungsbedingte Veränderungen des Locus coeruleus auch bei Menschen mit Gedächtniseinbußen im Alter zusammenhängen.“

Aufgrund seiner geringen Größe und der Lage tief im Hirnstamm war es bislang nahezu unmöglich, den Locus coeruleus am lebenden Menschen zu untersuchen. Dank neuer Methoden der MRT-Bildgebung sowie weiterentwickelter Analyseverfahren kann diese Gehirnregion nun nicht-invasiv sichtbar gemacht werden. Mit diesen neuen Verfahren haben nun die Wissenschaftler*innen den Locus coeruleus von 66 jüngeren Menschen mit einem Altersdurchschnitt von 33 Jahren und 228 älteren Menschen mit einem Altersdurchschnitt von 72 Jahren näher untersucht. Alle Proband*innen haben zudem im Rahmen der Berliner Altersstudie II (BASE-II) eine Reihe neuropsychologischer Gedächtnistests bearbeitet. Beispielsweise sollten sie sich eine fünfzehn Worte umfassende Liste über mehrere Durchgänge hinweg einprägen und anschließend wiedergeben.

Wie erwartet lösten die jüngeren Proband*innen die Aufgaben im Mittel besser als die älteren. Auffällig war jedoch, dass diejenigen älteren Proband*innen, deren Locus coeruleus denen der jüngeren Proband*innen ähnelte, höhere Gedächtnisleistungen zeigten als ältere Proband*innen, deren Locus coeruleus deutliche Anzeichen alterungsbedingter Veränderungen aufwies.

„Der Locus coeruleus ist ein sehr empfindlicher Teil des Gehirns. Unsere Studie zeigt, dass alterungsbedingte Beeinträchtigungen seiner Struktur und Funktion weitreichende Folgen für Aufmerksamkeit und Gedächtnis haben.

Künftige Langzeitstudien müssen ergründen, ob auch krankheitsbedingte Prozesse die Alterung des Locus coeruleus beschleunigen – und wenn das der Fall ist, wie wir den Beginn beim einzelnen Betroffenen feststellen können“, sagt Martin Dahl, Erstautor der Studie und Doktorand am Forschungsbereich Entwicklungspsychologie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung.

  • Bei Erkrankungen wie der Alzheimer-Demenz sind im Locus coeruleus neuropathologische Veränderungen bereits sichtbar, bevor die ersten Verhaltensänderungen auftreten. 

Diese Periode könnte ein Zeitfenster darstellen, in dem die Krankheitsentwicklung noch beeinflusst werden kann.

Weitere Langzeitstudien, die sowohl den Locus coeruleus als auch krankheitsspezifische Biomarker erfassen, könnten ein neues Licht auf die Unterschiede und Gemeinsamkeiten gesunder und pathologischer Gedächtnisveränderungen im Alter werfen.

Das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung wurde 1963 in Berlin gegründet und ist als interdisziplinäre Forschungseinrichtung dem Studium der menschlichen Entwicklung und Bildung gewidmet. Das Institut gehört zur Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V., einer der führenden Organisationen für Grundlagenforschung in Europa.

Originalpublikation:
Dahl, M. J., Mather, M., Düzel, S., Bodammer, N. C., Lindenberger, U., Kühn, S., & Werkle-Bergner, M. (2019). Rostral locus coeruleus integrity is associated with better memory performance in older adults. Nature Human Behaviour. doi:10.1038/s41562-019-0715-2

https://www.nature.com/articles/s41562-019-0715-2

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