Medizin am Abend Berlin Fazit: Zum europäischen Kardiologiekongress (ESC) 2015 in London
Bei Fieber (40,5°C) hat der Körper einen doppelt so hohen Energiebedarf wie bei einer Kühlung (33°C). Die Kühlung von Patienten mit akutem Herzversagen bedeutet also für das Herz eine Entlastung, weil der Stoffwechsel durch die Kühlung weniger Herzleistung benötigt. Das ist ein Ergebnis einer experimentellen Studie, an der die Charité Berlin und die Medizinische Universität Graz beteiligt waren, und die auf dem Kongress der Europäischen Kardiologischen Gesellschaft (ESC) in London vorgestellt wurde.Berliner Forscher: Kühlung als neue Therapie-Option beim akuten Herzversagen?
„Wir konnten auch zeigen, dass Fieber die Herzkraft schwächt und umgekehrt eine Abkühlung die Herzkraft erhöht. Dieser Effekt erreicht ein Ausmaß, das ansonsten nur mit starken Medikamenten, den Katecholaminen, erzielt wird, die allerdings das Herz schon auf kurze Sicht schädigen können“, so Studienleiter PD Dr. Heiner Post. Ob sich damit das Überleben beim akuten Herzversagen verbessern lässt, sei Gegenstand aktueller klinischer Studien.
Die Wissenschaftler verfolgen in ihrer Studie die Hypothese, dass die Abkühlung des Körpers auch bei einem akuten Herzversagen, etwa bei einem schweren Herzinfarkt, eingesetzt werden kann.
Stoffwechselprozesse sind temperaturabhängig. Bei einem Infekt entwickeln Menschen Fieber zur Steigerung der Immunabwehr und verbrauchen dafür zusätzliche etwa 1000 kcal pro Grad pro Tag.
Umgekehrt verfallen einige Tiere bei knappem Nahrungsangebot zum Jahresende in eine Winterruhe oder einen Winterschlaf mit Abfall der Körpertemperatur um mehrere Grad, dabei ist der Energiebedarf des Körpers pro Grad Celsius um sechs bis sieben Prozent reduziert. Eine Abkühlung wirkt, im Gegensatz zum entzündungsfördernden Fieber, einer Entzündung entgegen. PD Post: „In der Intensivmedizin macht man sich das seit mehreren Jahren bei wiederbelebten Patienten zu Nutze, indem diese Patienten abgekühlt werden und so auch eine Hirnschädigung begrenzt werden kann.“
Quelle: ESC 2015 Abstract Effects of hyperthermia and mild hypothermia on myocardial function in pigs: comparison to dobutamine; A. Alogna, M. Manninger-Wuenscher, M. Schwarzl, B. Zirngast, J. Verderber, D. Zweiker, P. Steendijk, H. Maechler, B. Pieske, H. Post
Diabetiker mit Bluthochdruck: Hohe Messwerte in Arztpraxen häufig bagatellisiert und unterbehandelt
Das Herz-Kreislauf-Risiko von Typ-II-Diabetiker mit Bluthochdruck wird nach Blutdruckmessungen bei niedergelassenen Allgemeinmedizinern und Internisten sehr oft unterschätzt, außerdem wird Bluthochdruck häufig unterbehandelt. In den Praxen wurde bei nur elf Prozent von 919 Untersuchungspersonen das 10-Jahres-Risiko als sehr hoch klassifiziert. Eine nachträgliche unabhängige Analyse des 10-Jahres Risikos gemäß den geltenden Leitlinien der europäischen Fachgesellschaften ergab jedoch ein sehr hohes Risiko bei 97 Prozent der untersuchten Patienten. Das zeigt die Auswertung der Daten aus dem deutschen T2TARGET Register, in das 919 Typ-II-Diabetiker mit behandeltem arteriellem Bluthochdruck eingeschlossen wurden. Die Studie wurde auf dem Kongress der Europäischen Kardiologischen Gesellschaft (ESC) in London vorgestellt.
Obwohl in der Gesamtgruppe 784 Patienten gemäß ABDM (Ambulantes 24-Stunden Blutdruck-Monitoring)-Profil einen nicht kontrollierten Bluthochdruck aufwiesen, wurde bei nur 59 Prozent der Patienten eine Therapie-Steigerung vorgenommen, berichtet Studien-Erstautor Prof. Dr. Thomas Mengden (Bad Nauheim).
Eine leitliniengerechte Anti-Bluthochdruck-Therapie mit dem Ziel einer Blutdrucknormalisierung kann das sehr hohe kardiovaskuläre Risiko von Hypertonikern mit Typ-II-Diabetes deutlich reduzieren.
Die Leitlinien der Fachgesellschaften empfehlen die Durchführung einer ambulanten 24-Stunden-Blutdruckmessung zur Therapiekontrolle.
Die prognostische Aussagekraft so einer Blutdruckmessung ist der Praxis-Blutdruckmessung deutlich überlegen, da nur mit der Langzeit-Blutdruckmessung Weißkittel-Effekte, eine versteckte Hypertonie oder eine isolierte nächtliche Hypertonie ausgeschlossen bzw. diagnostiziert werden können.
Prof. Mengden: „Mittels Langzeit-Blutdruckmessung konnte unter Praxisbedingungen im Rahmen unserer Registerstudie ein hoher Prozentsatz von unkontrollierten Hypertonikern mit Typ-II-Diabetes identifiziert werden. 15 Prozent hatten eine isolierte nächtliche Hypertonie, 14 Prozent eine Praxisnormotonie („masked treated hypertension“) und acht Prozent eine Praxishypertonie – Diagnosen, die nur durch die ABDM gesichert werden können.“
Die Zielbereiche für Hypertoniker mit Typ-II-Diabetes orientieren sich immer noch an der Praxis-Blutdruckmessung, die aufgrund verschiedener Limitationen eine nur eingeschränkte prognostische Bedeutung hat, so Prof. Mengden: „Es gibt bislang noch keine Empfehlungen welchem ABDM-Wert der Zielwert <140 b="" mmhg="" praxisblutdruck="">entspricht. Aus diesem Grunde werden wir in dem T2TARGET Register für die Praxisblutdruckwerte entsprechende Äquivalenzwerte für die Langzeit-Blutdruckmessung berechnen. Dies sollte es den hypertensiologisch tätigen Ärzten ermöglichen, ihre therapeutischen Ziele auch mittels Langzeit-Blutdruckmessung zu überprüfen. Des Weiteren schließt sich an die aktuelle Studie eine Langzeitbeobachtung unseres Registers an, um das errechnete kardiovaskuläre Risiko mit den tatsächlichen Ereignisraten zu vergleichen.“
Quelle: ESC 2015 Abstract Classification of blood pressure by office and ambulatory readings in hypertensive type 2 diabetic patients- results of the German T2Target registry in primary care; T. Mengden, U. Ligges, P. Bramlage, W. Sehnert140>
Neue Studie: In-vitro-Fertilisation ist neuer Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Krankheiten
Neuere Studien liefern Hinweise darauf, dass In-vitro-Fertilisation ein neuer wichtiger Risikofaktor für Herz-Kreislauf- und Stoffwechsel-Erkrankungen sein könnte. Das berichtete Dr. Emrush Rexhaj (Inselspital Bern) auf dem Kongress der Europäischen Kardiologischen Gesellschaft (ESC) in London.
Eine kürzlich publizierte Studie über „Retortenbabies“ zeigte eine ausgeprägte generalisierte Funktionsstörung der Gefäße und eine deutlich erhöhte Gefäßwanddicke (Intima-Media Dicke, IMT) der Halsschlagader im Vergleich zu Kontrollkindern. Im Gegensatz dazu war die Gefäß-Funktion zum Beispiel der Eltern dieser IVF-Kinder und bei natürlich gezeugten Geschwistern der IVF-Kinder normal. Dr. Rexhaj:
„Das erlaubt den Schluss, dass IVF per se die Funktionsstörung der Gefäße verursacht.“ Die Funktionsstörung der Gefäße zusammen mit der erhöhten IMT entsprach bereits dem ersten Stadium einer vorzeitigen Arteriosklerose.
Als erste Folge der arteriellen Funktionsstörung der Gefäße manifestiert sich bei IVF-Kindern bereits in jungen Jahren ein erhöhter Blutdruck im Vergleich zu Kontrollgruppen, sagt Dr. Rexhaj: „In unserer 5-Jahre Folge-Studie bestand bei IVF-Kindern die Funktionsstörung der Gefäße weiter, und 24h-Blutdruckmessungen zeigten signifikant erhöhte systolische und diastolische Blutdruckwerte. Diese Daten sprechen für eine wahrscheinliche Zunahme der Häufigkeit von arteriellem Bluthochdruck in der IVF-Population bereits in jungen Jahren.“
Zusammengefasst zeigen die vorliegenden Daten, dass beim Menschen und im Tiermodell IVF per se zu vorzeitiger Gefäßalterung und arteriellem Bluthochdruck führt. Im Mausmodell ist ein sogenannter epigenetischer Mechanismus für diese Veränderungen verantwortlich, erklärt Dr. Rexhaj. Epigenetik befasst sich mit der Vererbung von nicht genetisch festgelegten Eigenschaften. Männliche IVF-Mäuse vererben zum Beispiel die Funktionsstörung der Gefäße an die nächste Generation. Ein Zusammenhang zwischen schädlichen Einflüssen während der Foetalzeit und einer erhöhten Häufigkeit von kardiovaskulären und metabolischen Erkrankungen im späteren Leben konnte bereits vielfach gezeigt werden, so Dr. Rexhaj. IVF umfasst die Manipulation des frühen Embryos in einer möglicher Weise besonders empfindlichen Phase: „Ein ähnlicher Mechanismus wird bei IVF-Kindern angenommen.“
„Die IVF-Population ist noch sehr jung, vorzeitige kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität tritt normalerweise ab dem fünften Lebensjahrzehnt auf.
Es werden deshalb weitere 20 bis 30 Jahre vergehen, ehe sich genaue Zahlen zu den IVF-induzierten kardiovaskulären Endpunkten herauskristallisieren werden“, so Dr. Rexhaj.
„Das bedeutet, dass die pränatale Anamnese integraler Bestandteil jeder Anamnese sein und bei der Implementation von kardiovaskulärer Prävention und/oder der Behandlung kardiovaskulärer Krankheiten Berücksichtigung finden sollte.“Die weltweite Infertilitäts-Häufigkeit wird konstant auf etwa neun Prozent geschätzt.
Bereits heute werden in westlichen Ländern zwei bis fünf Prozent aller Geburten mit Hilfe von IVF ermöglicht.
„Diese neuen Daten machen deutlich, dass sich hier mittelfristig wohl ein Faktor entwickelt, der künftig einen relevanten Einfluss auf die Herz-Kreislaufmorbidität haben wird und daher in der Versorgungsplanung berücksichtigt werden sollte“, so der Pressesprecher der DGK Prof. Eckart Fleck (Berlin).
Quelle: ESC 2015 Abstract Assisted reproductive technologies-induced premature vascular ageing persists and evolves into arterial hypertension in adolescents; E. Rexhaj, R. Von Arx, D. Cerny, R. Soria, E. Bouillet, C. Sartori, U. Scherrer, SF. Rimoldi
Medizin am Abend Berlin DirektKontakt:
Deutsche Gesellschaft für Kardiologie
Prof. Dr. Eckart Fleck (Berlin)
Hauptstadtbüro der DGK: Leonie Nawrocki, Tel.: 030 206 444 82
Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz und Kreislaufforschung e.V. (DGK) mit Sitz in Düsseldorf ist eine wissenschaftlich medizinische Fachgesellschaft mit über 9.000 Mitgliedern. Ihr Ziel ist die Förderung der Wissenschaft auf dem Gebiet der kardiovaskulären Erkrankungen, die Ausrichtung von Tagungen und die Aus-, Weiter- und Fortbildung ihrer Mitglieder. 1927 in Bad Nauheim gegründet, ist die DGK die älteste und größte kardiologische Gesellschaft in Europa. Weitere Informationen unter www.dgk.org.
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