Medizin am Abend Berlin - MaAB - Fazit: Wenn die Blutplättchen außer Kontrolle geraten
- Das akute Lungenversagen (ARDS für Acute Respiratory Distress Syndrom) ist ein lebensbedrohlicher Zustand.
- Eine von Thrombozyten befeuerte überschießende Immunreaktion verschlechtert zusätzlich die Lungenfunktion.
Forschende der Universitätsmedizin Würzburg haben nun herausgefunden, wie diese schwere Entzündungsreaktion unterdrückt werden kann.
Fluoreszenzmikroskopische Aufnahme zeigt die Interaktion von Thrombozyten (cyan) mit Entzündungszellen (gelb) im Lungengewebe, sowie eine eingewanderte Entzündungszelle außerhalb des Blutgefäßes (magenta) innerhalb des Lungenbläschens. RVZ, Uni Würzburg, AG Nieswandt
In der von Prof. Dr. Bernhard Nieswandt geleiteten Studie wird ein
bedeutender Fortschritt in dem Verständnis des akuten Lungenversagens
aufgezeigt. Die Ergebnisse wurden im renommierten Fachjournal Blood
veröffentlicht.
Eine von zehn intensivmedizinisch behandelten Personen entwickelt ein
akutes Lungenversagen (ARDS).
- Die meisten dieser Atemnotsyndrome, von denen die milde Form auch als ALI (Acute Lung Injury) bekannt ist, werden durch eine Lungenentzündung verursacht, aber auch
- Blutvergiftungen,
- äußere Verletzungen,
- Blutkrebs- und Autoimmun-Erkrankungen oder eine sogenannte
- Fremdkörperaspiration können die Lungenfunktion lebensbedrohlich beeinträchtigen.
Allen Ursachen gemeinsam sind entzündliche Prozesse, welche das Lungengewebe schädigen.
Trotz verbesserter Behandlungsmöglichkeiten ist das Sterberisiko hoch.
Die therapeutischen Ansätze zur Bekämpfung des ARDS sind hauptsächlich
unterstützend und konzentrieren sich auf eine lungenschonende
mechanische Beatmung.
Schädigung des Lungengewebes unaufhaltsam
- Selbst mit vermeintlich wirksamen Antibiotika hält die Entzündung oft an und schadet der Schutzbarriere der Blutgefäße in der Lunge, was zu einer immunvermittelten Verletzung des Lungengewebes führt.
Die Hauptverantwortlichen für diesen schädigenden Prozess sind Neutrophile Granulozyten.
Diese Art der weißen Blutkörperchen hilft dem Körper eigentlich dabei, Infektionen zu bekämpfen und Verletzungen zu heilen.
Beim akuten Lungenversagen dringen die Neutrophilen in einem mehrstufigen Prozess in das Lungengewebe ein und durchbrechen die Auskleidung der Blutgefäße schon früh in der Entzündungsphase.
- Dabei unterstützen Thrombozyten die Rekrutierung und Aktivierung der Neutrophilen maßgeblich.
Thrombozyten können akute Entzündungsprozesse vorantreiben
Einer der die komplexen Funktionen von Blutplättchen schon seit Jahren
erforscht und nun einen Ansatz gefunden hat, die Infiltration von
Neutrophilen ins Lungengewebe zu unterbinden, ist Prof. Dr. Bernhard
Nieswandt, Leiter des Lehrstuhls für Experimentelle Biomedizin I und
Forschungsgruppenleiter am Rudolf-Virchow-Zentrum – Center for
Integrative and Translational Bioimaging (RVZ) der Universität Würzburg
und Direktor des Instituts für Experimentelle Biomedizin am
Universitätsklinikum Würzburg.
„Die kleinen kernlosen Blutzellen können sehr viel mehr als Blutungen stillen und Infarkte auslösen, zum Beispiel Entzündungsprozesse in Gang bringen.
Der Mechanismus wird als Thrombo-Inflammation bezeichnet“, schildert Bernhard Nieswandt die Funktionen der Thrombozyten, die in unserem Knochenmark kontinuierlich aus Megakaryozyten gebildet werden. In der neuesten, im Fachjournal Blood publizierten, Untersuchung hat die Arbeitsgruppe von Bernhard Nieswandt einen vielversprechenden Angriffspunkt gefunden, um die akute Entzündung, die ALI/ARDS verursacht, zu reduzieren.
Das aktivierende
Thrombozytenrezeptor-Glykoprotein VI (GPVI) könnte nämlich eine
entscheidende Rolle bei der Aktivierung und Ausbreitung von
Thrombo-Inflammation spielen.
GPVI ist ein vielversprechender Angriffspunkt
„Unsere Daten zeigen, dass die gezielte Hemmung von GPVI, das sich auf der Oberfläche von Blutplättchen befindet, durch einen Antikörper den verheerenden Einstrom von Neutrophilen ins Lungengewebe und die daraus resultierende Gewebeschädigung der entzündeten Lunge deutlich reduziert, ohne das Risiko von Entzündungsblutungen zu erhöhen", erläutert Bernhard Nieswandt und resümiert:
„Die Ergebnisse könnten den Weg für
neue therapeutische Ansätze zur Bekämpfung dieser lebensbedrohlichen
Erkrankungen ebnen.“
Philipp Burkard, Wissenschaftler am Würzburger Institut für
Experimentelle Biomedizin und Erstautor der Studie fügt hinzu:
„Wenn wir
GPVI gezielt mit einem Antikörper unterdrücken, können wir das Ausmaß
der überschießende Immunreaktion unterbinden, wodurch sich die
Barrierefunktion der Blut-Luft-Schranke und damit auch das klinische
Ergebnis verbessert.“
In einer weiteren Studie werden die Forschenden die Wirkung eines
blockierenden GPVI-Antikörpers in einem humanisierten Mausmodell
untersuchen, in dem die Blutplättchen die menschliche Version von GPVI
exprimieren. Dies bringt sie näher an die Situation beim Menschen heran
und wird den Nutzen einer Anti-GPVI-Behandlung noch besser bestätigen.
Abbildung links zeigt die unkontrollierte Entzündungsreaktion in der
Lunge mit vermehrter Einwanderung von Entzündungszellen (Neutrophile
Granulozyten) in die Lungenbläschen, was zur Zerstörung des
Lungengewebes im akuten Atemnotsyndrom (ARDS) führt. RVZ, Uni Würzburg, AG Nieswandt
Förderung
Diese Arbeit wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert (Projekt SFB/TR240 und SFB 1525).
Dr. Daniela Diefenbacher, Pressestelle, Rudolf Virchow Center - Center
for Integrative and Translational Bioimaging, University Würzburg, +49
931 31-88631, daniela.diefenbacher@uni-wuerzburg.de
Kirstin Linkamp, Universitätsklinikum Würzburg, +49 931 201 59 458, Linkamp_K@ukw.de
Josef-Schneider-Str. 2, Haus D15
97080 Würzburg
Deutschland
Bayern
Telefon: +49 (0) 931 31 85822
E-Mail-Adresse: judith.flurer@uni-wuerzburg.de
Prof. Dr. Bernhard Nieswandt (Rudolf-Virchow-Zentrum, Universität Würzburg & Leiter des Lehrstuhls für Experimentelle Biomedizin I, Universitätsklinikum Würzburg) Tel.: + 49 931 31-80405, bernhard.nieswandt@virchow.uni-wuerzburg.de
Originalpublikation:
A key role for platelet GPVI in neutrophil recruitment, migration and NETosis in the early stages of acute lung injury. Burkard P, Schonhart C, Vögtle T, Köhler D, Tang L, Johnson D, Hemmen K, Heinze KG, Zarbock A, Hermanns HM, Rosenberger P, Nieswandt B. Blood. 2023 Jul 13 / doi: 10.1182/blood.2023019940. Online ahead of print. PMID: 37441848
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