Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Ein Molekül als Keil im Kanal: Forschungsgruppe entschlüsselt Wirkungsweise kardiologischer Medikamentenkandidaten
Medikamente gegen Herzerkrankungen:
Viele nehmen sie, doch kaum jemand weiß, wie sie wirken.
Deren „Hebel“ sind meist die Ionenkanäle.
- Diese steuern nicht nur Zahl und Länge der Herzschläge, sondern auch die Schlagkraft.
Ist die Funktion der Kanäle beeinträchtigt, kann es zu Herzerkrankungen kommen.
Experte auf diesem Gebiet ist Prof. Dr. Guiscard Seebohm von der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster, der mit seiner internationalen Arbeitsgruppe nun einen möglichen Therapieansatz für Ionenkanalerkrankungen entwickelt hat.
Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift „Communications Biology“ veröffentlicht.
Prof. Dr. Guiscard Seebohm zeigt ein 3D-Modell des Ionenkanals Kv7.1/KCNE1. M. Heine WWU - M. Heine
Viele nehmen sie, doch kaum jemand weiß, wie sie wirken – und was sie im Körper auslösen.
Die Rede ist von Medikamenten gegen Herzerkrankungen.
Deren „Hebel“ sind meist die Ionenkanäle, denn über
die steuert der menschliche Organismus die Zahl und Länge der
Herzschläge, aber auch die Schlagkraft. Ist die Funktion der Kanäle
beeinträchtigt, kann es neben anderen Erkrankungen auch zu Problemen am
Herzen kommen. Um möglichst präzise herzwirksame Medikamente zu
entwickeln, bedarf es genauer Kenntnisse über die Wirkweise auf
molekularer Ebene – weshalb Prof. Dr. Guiscard Seebohm von der
Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster schon seit Jahren auf
diesem Gebiet forscht. Mit seiner internationalen Arbeitsgruppe hat er
nun im Fachmagazin Communications Biology einen möglichen Therapieansatz
für Ionenkanalerkrankungen beschrieben. Dieser basiert auf einer
gezielten Korrektur der zugrundeliegenden Ionenkanalfehlfunktion.
Ionenkanäle, die nicht so arbeiten, wie von der Natur vorgesehen,
verursachen laut Guiscard Seebohm eine ganze Reihe von potenziell
tödlichen Erkrankungen.
„Da verwundert es nicht, dass etwa die Hälfte aller Medikamente direkt oder indirekt über die Ionenkanäle wirksam sind“, erläutert der Leiter der Abteilung für Zelluläre Elektrophysiologie und Molekularbiologie am Institut für Genetik von Herzerkrankungen.
Die Kanäle kontrollieren zum Beispiel den Fluss von Natrium- und Calciumionen ins Zellinnere und den Austritt von Kaliumionen aus Herzmuskelzellen.
- Diese Ionenverschiebungen erzeugen, vereinfacht gesagt, eine Differenz zwischen dem „Drinnen“ und dem „Draußen“ und ermöglichen es dem Herzen, seine Pumparbeit auszuführen.
Viele herzwirksame Medikamente funktionieren dadurch, dass sie direkt an
diese Ionenkanäle andocken und dadurch deren räumliche Form und somit
ihre Funktion beeinflussen.
Bei der Entwicklung von derartigen Ionenkanal-wirksamen Medikamenten
ergibt allerdings ein großes Problem:
Zwar lässt sich die Funktionsveränderung des Ionenkanals durch das Molekül nachweisen, doch sind die dafür verantwortlichen Mechanismen bislang nur sehr eingeschränkt vorhersagbar.
„Ein detailliertes Verständnis auf atomarer
Ebene würde nicht nur die gezieltere Entwicklung wirksamer Medikamente
ermöglichen“, betont Guiscard Seebohm. „Es könnte zugleich dabei helfen,
unerwünschte Nebenwirkungen frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden.“
Im Zentrum der Forschungen seiner Arbeitsgruppe steht ein Molekül aus
der Gruppe der Benzodiazepine, das sich an den Kaliumionenkanal
Kv7.1/KCNE1 bindet und dessen Funktion erhöht. Fachleute sprechen von
einem Aktivator. „Der Nutzen des von uns untersuchten Moleküls lässt
sich mit einem Bild veranschaulichen:
Es hält die Kanäle offen – ähnlich einem Keil, der verhindert, das eine geöffnete Tür wieder zufällt“, sagt Guiscard Seebohm.
Eine solche Substanz, die einen Kanal stimuliert, könnte sich als Medikament gegen Herzrhythmusstörungen eignen.
Allerdings, betont Dr. Julian Schreiber, Erstautor der publizierten Studie:
„Derartige Medikamente bergen immer auch die Gefahr, selbst Herzrhythmusstörungen zu fördern – daher ist es wichtig, ganz genau zu verstehen, wie der Medikamentenkandidat seine Wirkung auf den Ionenkanal erzielt.
Unsere Arbeit hilft, Nebenwirkungen zu reduzieren“.
Die Gruppe um Guiscard Seebohm griff neben molekularbiologischen
Methoden auf komplexe Computersimulationen zurück. „Unsere Ergebnisse
erweitern das molekulare Verständnis und liefern eine solide Basis für
die computergestützte Medikamentenentwicklung“, resümiert Guiscard
Seebohm. Kooperiert hat der Molekularbiologe mit Forscherinnen und
Forschern der WWU-Graduiertenschule Chembion, aus Düsseldorf und den
USA.
Prof. Dr. Guiscard Seebohm
Institut für Genetik von Herzerkrankungen (IfGH) an der WWU Münster
Abteilungsleiter Zelluläre Elektrophysiologie und Molekulabiologie
T: +49 (0)251/83-58255
E-Mail: guiscard.seebohm@ukmuenster.de
Dr. Thomas Bauer Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Schlossplatz 2
48149 Münster
Deutschland
Nordrhein-Westfalen
Norbert Robers
Telefon: 0251 83-24773
Fax: 0251 83-22258
E-Mail-Adresse: norbert.robers@uni-muenster.de
Originalpublikation:
Schreiber, J.A., Möller, M., Zaydman, M. et al. A benzodiazepine activator locks Kv7.1 channels open by electro-mechanical uncoupling. Commun Biol 5, 301 (2022). DOI: 10.1038/s42003-022-03229-8
Weitere Informationen für international Medizin am Abend Berlin Beteiligte
https://www.medizin.uni-muenster.de/ifgh/abteilung-zellulaere-elektrophysiologie... Abteilung Zelluläre Elektrophysiologie und Molekulabiologie
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