Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Chronische Nierenerkrankung bei Kindern: neue Medikamenten-Studie
Weltweit erste klinische Studie untersucht die Wirksamkeit und Sicherheit des nierenschützenden Medikaments Dapagliflozin bei Kindern mit chronischer Nierenerkrankung.
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert Studie unter Leitung der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) mit rund 1,3 Millionen Euro.
Prof. Dr. Oliver Gross, Oberarzt in der Klinik für Nephrologie und Rheumatologie der Universitätsmedizin Göttingen, UMG. SSK Photography
- Kinder mit der Erbkrankheit „Alport Syndrom“ leiden unter einer vorzeitigen Vernarbung und Alterung der Nieren.
- Die Folge: es kommt zu einer Entzündung der Nieren, die Nierenfunktion verschlechtert sich, mit dem Urin werden Blut und hohe Mengen Eiweiß ausgeschieden und oft können auch Schwerhörigkeit und Augenschäden auftreten.
- Die Betroffenen sind oft bereits mit Anfang dreißig auf regelmäßige Blutwäschen angewiesen und benötigen eine Spenderniere.
Die Lebensqualität und Lebenserwartung sind deutlich eingeschränkt.
In Deutschland sind aktuell rund 1.000 Kinder betroffen.
- Aus Mangel an alternativen Therapien behandeln Kinder-Nierenärzt*innen chronisch-nierenkranke Kinder mit Medikamenten wie Dapagliflozin, das bisher aber nur für Erwachsene zugelassen ist.
Mediziner*innen der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) unter Federführung von Prof. Dr. Oliver Gross, Oberarzt in der Klinik für Nephrologie und Rheumatologie der UMG, untersuchen erstmals die Wirksamkeit und Sicherheit von Dapagliflozin bei mehr als 100 jungen Patient*innen im frühen Stadium der chronischen Nierenerkrankung.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert die bundesweite DOUBLE PRO-TECT-Studie mit rund 1,3 Millionen Euro über drei Jahre. Die Studie hat das Ziel, eine effektive und sichere Behandlung zu etablieren, die das Nierenversagen verzögert und die Lebenserwartung von Kindern mit chronischer Nierenerkrankung erhöht. „Ich freue mich ganz besonders, dass unsere Studie nach fünf Jahren Planungsarbeit jetzt durchgeführt werden kann“, sagt Prof. Gross: „Der Einsatz von Erwachsenen-Medikamenten bei Kindern ist nicht unüblich.
- Die Zulassungsbehörden in den USA und Europa schreiben den Herstellern grundsätzlich die systematische Prüfung an Kindern vor.
Bei dieser
Substanzgruppe gilt diese Verpflichtung aufgrund einer Sonderregelung
jedoch nicht. Dies birgt Risiken, denn Kinder sind medizinisch gesehen
keine kleinen Erwachsenen. Wirkung, Nebenwirkungen und Spätfolgen lassen
sich nicht von Erwachsenen auf Kinder übertragen“, so Prof. Gross.
An der Studie werden über einen Gesamtzeitraum von drei Jahren insgesamt
102 junge Menschen mit Alport Syndrom im Alter von 10 bis 39 Jahren
teilnehmen. Sie werden in zwei Gruppen eingeteilt: die eine Gruppe wird
mit dem Medikament Dapagliflozin behandelt, während die andere Gruppe
eine wirkstofffreie Therapie, ein Placebo, erhält und als Kontrollgruppe
dient. Die nierenschützende Wirkung des Medikaments wird anhand der
Eiweißausscheidung der Niere nach 48 Wochen sowie der Erhalt der
Nierenfunktion nach 52 Wochen überprüft und die Ergebnisse anschließend
verglichen. „Eine Herausforderung der Studie bestand darin, dass die
Erkrankung selten ist und viele Teilnehmende noch Kinder sind. Deshalb
müssen wir mit einer relativ geringen Anzahl an Teilnehmenden auskommen.
Um trotzdem wissenschaftlich belastbare Studienergebnisse zu erhalten,
setzen wir hier besonders effiziente Verfahren in der Planung und
Auswertung ein“, sagt der leitende Statistiker der Studie Prof. Dr. Tim
Friede, Direktor des Instituts für Medizinische Statistik der UMG:
„Hierbei profitieren wir von der langjährigen und intensiven Kooperation
mit Prof. Gross und seinem Team, indem wir nun unsere Erfahrungen aus
verschiedenen anderen Projekten zu chronischen Nierenerkrankungen in die
neue Studie einbringen können“, ergänzt Prof. Friede.
„Die Zeit drängt für die klinische Studie: Je erfolgreicher die
Dapagliflozin-Behandlung von Erwachsenen mit schwerer Nierenerkrankung
ist, desto größer die Gefahr, dass mehr chronisch nierenkranke Kinder
ohne ausreichende Kenntnisse der Wirkung, Nebenwirkungen und Risiken mit
diesem Medikament behandelt werden,“ sagt Prof. Gross: „Das für die
Untersuchungen eingesetzte Dapagliflozin wie auch das Placebo werden
vollständig aus den Fördermitteln finanziert. Dies erlaubt uns, die
Studie komplett Industrie-unabhängig zu gestalten.“
Die Studie wurde gemeinsam mit Dr. Jan Boeckhaus, Assistenzarzt der
Klinik für Nephrologie und Rheumatologie der UMG, konzipiert und wird
durch das Studienzentrum der UMG koordiniert. Weiterhin sind
internationale Experten als Steuerungsgruppe beteiligt, die mit ihrem
Fachwissen die Planung der Studie auf höchstem internationalen Niveau
ermöglichen: Prof. Dr. Christoph Wanner, ehemaliger Leiter der
Nephrologie in der Medizinischen Klinik und Poliklinik I am
Universitätsklinikum Würzburg und Präsident der Europäischen
Gesellschaft für Nephrologie, Prof. Dr. Hiddo Heerspink, Klinischer
Pharmakologe in der Abteilung für klinische Pharmazie und Pharmakologie
am University Medical Center Groningen in den Niederlanden und
renommierter Experte für Dapagliflozin, Prof. Dr. Lutz Weber, Leiter
Kindernephrologie und Geschäftsführender Oberarzt der Kinder- und
Jugendmedizin der Uniklinik Köln sowie Präsident der Deutschen
Gesellschaft für Pädiatrische Nephrologie, Dr. James Simon,
Medizinischer Direktor an der Cleveland Clinic, Cleveland, USA, und
Alport-Experte, Andre Weinstock, Patient*innenvertreter der
amerikanischen Selbsthilfegruppe (Alport Syndrome Founda-tion), und
Christoph Wagner, Patient*innenvertreter der deutschen Selbsthilfegruppe
(Alport-Selbsthilfe).
Die DOUBLE PRO-TECT Alport-Studie knüpft an die vom Bundesministerium
für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte EARLY PRO-TECT Alport-Studie
an, die 2012 und 2019 ebenfalls unter Leitung von Prof. Gross als
weltweit erste Therapiestudie bei Kindern zur Behandlung des
Alport-Syndroms durchgeführt wurde.
Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität
Klinik für Nephrologie und Rheumatologie
Prof. Dr. Oliver Gross
Telefon 0551 / 39-60488
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gross.oliver@med.uni-goettingen.de
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