Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Neuer Schwung für schwache Herzen
- Herzinsuffizienz mit erhaltener Pumpfunktion galt bisher als kaum behandelbar.
Einem MDC-Team um Professor Michael Gotthardt gelang es nun erstmals, die Herzfunktion mit Hilfe einer synthetischen Nukleinsäure zu verbessern.
Die Forschenden berichten darüber im Fachjournal „Science Translational Medicine“.
1) Victor Badillo Lisakowski (li.) und Dr. Michael Radke (re.) aus der AG „Neuromuskuläre und kardiovaskuläre Zellbiologie“ von Professor Michael Gotthardt. M. Gotthardt MDC
Patient*innen mit Herzinsuffizienz sind oft kurzatmig und schnell erschöpft.
Sie leiden häufig unter Wassereinlagerungen, Herzrasen und Schwindel.
- Auslöser der Erkrankung können die Kombination von erhöhtem Blutdruck, Diabetes und Nierenerkrankungen sein oder akute Ereignisse wie Infarkte oder Infektionen.
Mit zunehmendem Lebensalter summieren
sich die Auslöser, sodass vor allem ältere Menschen von Herzschwäche
betroffen sind, insbesondere Frauen.
Auch wenn die Symptome sich gleichen, sind die Ursachen unterschiedlich.
- Bei einer Form der Erkrankung ist die Pumpfunktion des Organs beeinträchtigt.
Sie lässt sich aber medikamentös verbessern.
- Bei der anderen hingegen pumpt das Herz zwar ausreichend stark – doch die Herzkammern füllen sich nicht mehr richtig, weil die Ventrikelwände versteift oder verdickt sind.
Für diese Form der Herzschwäche gibt es noch immer keine effektive Therapie.
Ein Team um Professor Michael
Gotthardt vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der
Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) hat nun zusammen mit Forschenden der
Universität Heidelberg und einem Team des in Kalifornien ansässigen
Unternehmens Ionis Pharmaceuticals einen Wirkstoff entwickelt, um
Herzinsuffizienz mit erhaltener Pumpfunktion medikamentös zu behandeln.
Im Fachjournal „Science Translational Medicine“ beschreiben die
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihren neuen Therapieansatz.
Riesenprotein Titin beeinflusst die Elastizität des Herzens
Die Mechanik des Herzens wird von einem elastischen Riesenprotein namens
Titin beeinflusst.
- Es wird von der Herzmuskelzelle in unterschiedlichen Varianten (Isoformen) produziert, die sich in ihrer Flexibilität unterscheiden.
- Während bei Neugeborenen sehr elastische Titin-Proteine überwiegen, werden später, wenn Wachstums- und Umbauprozesse abgeschlossen sind, zur Steigerung der Pumpleistung steifere Titin-Isoformen gebildet.
- Bei Herzschwäche mit erhaltener Pumpfunktion können verdickte Herzwände, Einlagerung von Bindegewebe und steifere Titin-Filamente die Füllung der Herzkammern beeinträchtigen.
Herzmuskelzellen können sich bei Erwachsenen praktisch nicht mehr
erneuern.
- Das Titin wird jedoch durch die permanente Pumpaktivität des Herzmuskels so stark beansprucht, dass die verschlissenen Proteine alle drei bis vier Tage abgebaut und ersetzt werden müssen.
„Die mechanischen Eigenschaften der Titine sind nur schwer zu beeinflussen. Aber wir können jetzt in den Prozess eingreifen, der der Proteinsynthese vorausgeht – das alternative Spleißen“, sagt Michael Gotthardt. Alternatives Spleißen ist ein raffinierter Trick der Natur, um auf Basis eines einzelnen Gens eine Vielfalt ähnlicher Proteine zu bilden – so auch die verschiedenen Formen des Titins.
Kontrolliert wird dieser Prozess durch Spleißfaktoren.
„Einer davon, der Masterregulator RBM20,
ist ein geeignetes Ziel, das wir therapeutisch angehen können“, erklärt
Michael Gotthardt.
Antisense-Wirkstoff schaltet RBM20 ab
RBM20 bestimmt die elastischen, kontraktilen und elektrischen
Eigenschaften der Herzkammern.
Dass es tatsächlich der entscheidende
Faktor ist, zeigten Vorversuche mit genetisch veränderten Mäusen, die
nur halb so viel RBM20 bilden können wie ihre Artgenossen: Bei ihnen
bilden sich vermehrt elastischere Titin-Isoformen. Gemeinsam mit dem
Team von Ionis Pharmaceuticals suchten die Forschenden nun nach einem
Weg, RBM20 zu beeinflussen. „Wir waren überrascht, wie einfach dies
möglich ist“, sagt Gotthardt – nämlich mit Antisense-Oligonukleotiden
(ASOs). Das sind kurzkettige, einzelsträngige Nukleinsäuren, die
synthetisch hergestellt werden. Sie binden spezifisch an der
komplementären Sequenz der RNA, dem Bauplan des angepeilten Proteins,
und blockieren so dessen Synthese.
Dr. Michael Radke, einer der Erstautoren der Studie, testete die ASOs
zunächst erfolgreich bei Mäusen mit steiferen Herzwänden. Anschließend
züchtete sein Kollege Victor Badillo Lisakowski aus menschlichen
Stammzellen Herzmuskelzellen und ließ daraus künstliches Herzgewebe
wachsen. Die winzigen 3D-Strukturen können angeregt werden, gegen einen
Widerstand zu kontrahieren und sich zu entspannen. So lässt sich an
ihnen die Pumpsituation des Herzens nachbilden. Auch an diesem
künstlichen Herzgewebe zeigte sich der Effekt der Behandlung: Die
Forschenden konnten nachweisen, dass die ASO-Moleküle tatsächlich in die
Zellen eindringen und die gewünschte Reaktion auslösen. „Diese Tests am
künstlichen Herzgewebe waren ein wichtiger Schritt, denn die
Primärsequenzen für das Titin sind bei Maus und Mensch nicht identisch“,
sagt Michael Radke.
Eine wöchentliche Spritze?
Es ist erstmals gelungen, mit Antisense-Oligonukleotiden das alternative
Spleißen bei Herzkrankheiten therapeutisch zu beeinflussen. Bei Ionis
ist es gelungen, das empfindliche Molekül so stabilisieren, dass es im
Mausmodell die quergestreifte Muskulatur erreicht und nicht schon in
Blut, Leber oder Niere abgebaut wird. Der Großteil kommt im Herzen an,
etwas gelangt auch in den Skelettmuskel. „Im Mausmodell haben wir jedoch
gesehen, dass es keinen störenden Effekt hat, wenn auch im
Skelettmuskel vermehrt elastische Titine gebildet werden“, betont
Michael Radke.
Herzinsuffizienz ist eine chronische Erkrankung, die eine langfristige
Behandlung erfordert. „Wir haben unsere Mäuse deshalb auch über einen
längeren Zeitraum therapiert und sehen anhaltende Behandlungseffekte“,
sagt Michael Gotthardt. An der Therapieform sei noch zu arbeiten.
„Schöner als eine wöchentliche Spritze, die viele Patientinnen und
Patienten bereits von Insulin oder Heparin kennen, wäre eine orale
Form.“
2) Victor Badillo Lisakowski züchtete aus menschlichen Stammzellen
Herzmuskelzellen und ließ daraus künstliches Herzgewebe wachsen. M. Gotthardt MDC
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der
Helmholtz-Gemeinschaft gehört zu den international führenden
biomedizinischen Forschungszentren. Nobelpreisträger Max Delbrück,
geboren in Berlin, war ein Begründer der Molekularbiologie. An den
MDC-Standorten in Berlin-Buch und Mitte analysieren Forscher*innen aus
rund 60 Ländern das System Mensch – die Grundlagen des Lebens von seinen
kleinsten Bausteinen bis zu organübergreifenden Mechanismen. Wenn man
versteht, was das dynamische Gleichgewicht in der Zelle, einem Organ
oder im ganzen Körper steuert oder stört, kann man Krankheiten
vorbeugen, sie früh diagnostizieren und mit passgenauen Therapien
stoppen. Die Erkenntnisse der Grundlagenforschung sollen rasch
Patient*innen zugutekommen. Das MDC fördert daher Ausgründungen und
kooperiert in Netzwerken. Besonders eng sind die Partnerschaften mit der
Charité – Universitätsmedizin Berlin im gemeinsamen Experimental and
Clinical Research Center (ECRC ) und dem Berlin Institute of Health
(BIH) in der Charité sowie dem Deutschen Zentrum für
Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK). Am MDC arbeiten 1600 Menschen.
Finanziert wird das 1992 gegründete MDC zu 90 Prozent vom Bund und zu 10
Prozent vom Land Berlin.
Prof. Michael Gotthardt
AG Neuromuskuläre und kardiovaskuläre Zellbiologie
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
+49 30 9406-2245
gotthardt@mdc-berlin.de
Jana Ehrhardt-Joswig
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft
Robert-Rössle-Str. 10
13125 Berlin
Deutschland
Berlin
E-Mail-Adresse: jana.ehrhardt-joswig@mdc-berlin.de
Originalpublikation:
Michael H. Radke et al. (2021): „Therapeutic inhibition of RBM20 improves diastolic function in a murine heart failure model und human engineered heart tissue“. Science Translational Medicine, DOI: 10.1126/scitranslmed.abe8952
Weitere Informationen für international Medizin am Abend Berlin Beteiligte
https://www.mdc-berlin.de/de/gotthardt - AG Gotthardt, Neuromuskuläre und kardiovaskuläre Zellbiologie
https://www.mdc-berlin.de/de/news/press/titin-echtzeit-verfolgen - Titin in Echtzeit verfolgen
https://www.mdc-berlin.de/de/news/press/phantastische-muskelproteine-und-wo-sie-... - Phantastische Muskelproteine und wo sie zu finden sind
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