Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Häufige Lp(a)-Genmutation reduziert Herzinfarkt-Risiko
ForscherInnen an der Medizin Uni Innsbruck ist es gelungen, in einer schwer sequenzierbaren Region des LPA-Gens eine häufige Mutation zu entdecken, die alleine bereits zehn Prozent der Lp(a)-Konzentrationen erklärt und vor kardiovaskulären Erkrankungen schützt.
Sie ist die Mutation mit dem wahrscheinlich größten Einfluss auf Lipoprotein(a) in der Bevölkerung.
Pipettierroboter-unterstütze Lp(a)-Messung im Institut für Genetische Epidemiologie. Florian Kronenberg
Lipoprotein(a) [Lp(a)] ist ein Bestandteil der Blutfette, hohe Konzentrationen davon werden fast ausschließlich durch ein einziges Gen namens LPA kontrolliert und zählen zu den wichtigsten kardiovaskulären Risikofaktoren.
Die Kausalität dieses Zusammenhanges wurde erstmals in den 90er Jahren vom Innsbrucker Humangenetiker und Pionier der Lp(a)-Forschung, Gerd Utermann, nachgewiesen.
Rund 20 Prozent der Bevölkerung weisen Lp(a)-Spiegel auf,
die mit einem erhöhten Infarkt-Risiko einhergehen.
In einer neuen, soeben im renommierten Fachmagazin Journal of the
American College of Cardiology veröffentlichten Forschungsarbeit konnte
das Team des Instituts für Genetische Epidemiologie an der Medizin Uni
Innsbruck unter der Leitung von Stefan Coassin und Florian Kronenberg
nun eine Mutation im LPA Gen enttarnen, die durch einen sogenannten
Splice*)-Defekt zur Senkung der Lp(a)-Konzentration führt und damit vor
Herzinfarkt und Schlaganfall schützt. Die neu entdeckte genetische
Mutation, ein sogenannter SNP (engl. Single Nucleotide Polymorphism),
konnte dank innovativer Technologien in einer schwer zugänglichen
Genomregion identifiziert werden. Mit genetischen Daten von fast einer
halben Million TeilnehmerInnen belegten die ForscherInnen zudem, dass
die Lp(a)-senkende Mutation das kardiovaskuläre Risiko in der
Bevölkerung maßgeblich mitbestimmt und in der Tat bei knapp 40 Prozent
der Bevölkerung vorkommt. Bisher war die Mutation aufgrund ihrer schwer
zugänglichen Lage übersehen worden.
Fundstück mit starkem Einfluss auf Lp(a) Spiegel
„LPA ist eine typische ‚dark region‘ in der Genomforschung, umso mehr
freuen wir uns über die erfolgreiche Spurensuche“, sagt
Molekulargenetiker Stefan Coassin und meint damit, dass sich 60 bis 70
Prozent des Gens in einem Abschnitt – genannt KIV-2 Repeat – befinden,
der in einer Person einmal und in einer anderen Person bis zu 40 Mal
vorhanden sein kann. Solche, in ihrer Kopienanzahl variablen Sequenzen
sind mit herkömmlichen Methoden nur schwer bis gar nicht im großen
Maßstab untersuchbar. Auch 20 Jahre nach der ersten Genom-Sequenzierung
bleiben also noch immer viele weiße Flecken auf der genetischen
Landkarte. „Das Spannende dabei ist, dass Lp(a)-Werte zwischen Personen
trotz gleicher Kopienanzahl um mehr als das 200-fache schwanken können.
Wir wissen,
dass dies größtenteils genetisch durch das LPA-Gen bedingt ist, kennen
aber die genauen Ursachen dafür nicht“, erklärt Stefan Coassin, der die
Arbeitsgruppe für komplexe Genomregionen am Institut für Genetische
Epidemiologie leitet.
Die neue, auf „KIV-2 4733 G>A“ getaufte genetische Variante wurde
mittels angepasster Hochdurchsatz-Technologie typisiert und analysiert.
„Wir stellten fest, dass die Variante für sich schon rund zehn Prozent
der Lp(a)-Varianz in der Bevölkerung erklärt, was für einen einzelnen
SNP ein wirklich beträchtlicher Wert ist“, so die Doktorandin Johanna
Schachtl-Rieß, die für die Datenanalyse federführend zuständig war. Mit
der Adaptierung diverser Sequenzierungs- und Genotypisierungsansätze
konnte das Team der Genetischen Epidemiologie vor wenigen Jahren
erstmals die Untersuchung von Mutationen in der KIV-2 Region in großen
Populationen ermöglichen, sodass bereits 2017 eine Mutation in dieser
Region gefunden werden konnte, die eine Senkung des Lp(a)-Spiegels
bewirkt.
Wichtiger Schritt zur Risikominimierung
Die WissenschafterInnen um Kronenberg und Coassin standen schließlich
vor der Herausforderung, den Lp(a)-senkenden Effekt auch für die Wirkung
auf kardiovaskuläre Erkrankungen und damit dessen klinische Relevanz
belegen zu können. Große Studien mit zehntausenden Menschen sind dafür
eine Voraussetzung. In diesem Fall wurde die zuerst in 5.000 Proben der
GCKD (German Chronic Kidney Disease) Studie identifizierte neue Variante
schließlich auch in den genetischen Daten der UK Biobank – mit über
460.000 TeilnehmerInnen eine der größten genetisch-epidemiologischen
Studien der Welt – untersucht.
- Die Analysen ergaben, dass die durch diese Mutation bedingte, insgesamt doch noch recht moderate Lp(a)-Senkung um etwa 14 mg/dL bereits ausreicht, um das kardiovaskuläre Risiko um neun Prozent herabzusetzen.
- Dies untermauert den starken Einfluss von Lp(a) auf das Risiko für Herz- Kreislauferkrankungen.
- Spezifische Medikamente, die das Blutfett Lp(a) senken, werden derzeit bereits in Phase III-Studien getestet, das ideale Ausmaß der Lp(a)-Senkung wird allerdings noch immer kontrovers diskutiert.
„Unsere
Ergebnisse sind ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zur
zielgerichteten Risikominimierung“, betont Kronenberg die
klinisch-therapeutische Relevanz der Ergebnisse.
*) Unter Splicing (Spleißen: miteinander verbinden, zusammenkleben) wird
ein wichtiger Schritt der Weiterverarbeitung der Ribonukleinsäure (RNA)
verstanden.
Steckbriefe
Florian Kronenberg studierte in Innsbruck Medizin und absolvierte die
Ausbildung zum Facharzt für Medizinische Genetik. Nach
Forschungsaufenthalten in den USA und Deutschland wurde er 2004 als
erster Professor für Genetische Epidemiologie in Österreich an die
Medizinische Universität Innsbruck berufen. Neben Studien zu
Lipoprotein(a) liegt sein Forschungsfokus auf der Genetik komplexer
Erkrankungen wie Arteriosklerose, Nierenerkrankungen oder Diabetes
mellitus.
Stefan Coassin studierte in Innsbruck Biologie und promovierte in
Genetik und Genomik an der Medizinischen Universität Innsbruck. Nach
beruflicher Tätigkeit in der Pharmaindustrie baute er am Institut für
Genetische Epidemiologie das Arbeitsfeld „Analyse komplexer
Genomregionen“ auf. Seine Schwerpunkte liegen in der molekularen Genetik
von Lipoprotein(a), Techniken zur Analyse komplexer Genomregionen und
Nanoporen-Sequenzierung.
Originalpublikation:
https://www.jacc.org/doi/10.1016/j.jacc.2021.05.037
Innrain 52
6020 Innsbruck
Österreich
Tirol
Doris Heidegger
E-Mail-Adresse: doris.heidegger@i-med.ac.at
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