Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Virale Infektionsverläufe besser verstehen
Ein Forscherteam des Instituts für Genetik von Herzerkrankungen an der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster hat ein Virus-Expressionsmodell entwickelt, mit dem sich eine Vielzahl viraler Infektionen simulieren und analysieren lässt – auch die mit SARS-CoV-2.
Die Studie ist in der Fachzeitschrift "Scientific Reports" erschienen.
Arbeitsgruppen-Leiter Prof. Guiscard Seebohm am Patch-Clamp-Messplatz. Marlen Keß
Es ist nur ein 120 Millionstel Millimeter groß und legt doch ganze Staaten lahm:
das Corona-Virus. Selbst wenn es eines Tages wieder
verschwindet, virale Infektionen werden auch danach zu den häufigen und
schwierig zu behandelnden Erkrankungen des Menschen gehören. Selbst
jahrzehntelange Forschung hat nur wenige standardisierte Impfstoffe und
Behandlungsstrategien gegen eine nur geringe Zahl von Viren
hervorgebracht. Auch die viralen Wirkungsmechanismen sind bislang kaum
erforscht – ein Grund für Prof. Dr. Guiscard Seebohm und sein Team des
Instituts für Genetik von Herzerkrankungen an der Westfälischen
Wilhelms-Universität (WWU) Münster, sich genau diesem Thema zu widmen.
Jetzt ist dem Team eine wichtige Entwicklung gelungen: Die Arbeitsgruppe
hat ein Virus-Expressionsmodell aufgebaut, mit dem sich eine Vielzahl
viraler Infektionen simulieren und analysieren lässt – auch die mit
SARS-CoV-2. Die Ergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe des
„Nature“-Journals „Scientific Reports“ nachzulesen.
Deutlich weniger bekannt als SARS-CoV-2, aber auf die gleiche Weise
übertragbar, ist das Coxsackie-Virus B3 (CVB3).
- „Seine Symptome ähneln
meist der einer Grippe, das gilt auch für die Erholungsdauer. Nach zwei
bis drei Wochen ist der CVB3-infizierte Patient in der Regel wieder
gesund, meist ohne offensichtliche Langzeitschäden“, erläutert Guiscard
Seebohm.
Aber eben nicht immer, ergänzt der Leiter der Abteilung Zelluläre Elektrophysiologie und Molekularbiologie:
Neben Akut-Infektionen berge eine virale Infektion auch die Gefahr einer chronischen Infektion.
Die Folge kann eine kontinuierliche Schädigung bestimmter innerer Organe sein, die zum Tod führen kann.
- So können nach Monaten oder Jahren bei einigen der früheren CVB3-Patienten Herzmuskelentzündungen oder eine Diabetes-Erkrankungen des Typs I auftreten.
Histologische Untersuchungen bei Betroffenen zeigten teils gravierende Schäden in der Gewebsstruktur.
Auch Jahre nach der akuten
Infektion belegen Gewebeanalysen das Vorhandensein viralen Erbguts.
Wie es zum chronischen Verlauf einer CVB3-Infektion kommt und wie eine
akute Infektion genau verläuft, ist bis heute unzureichend untersucht.
Das Forscherteam um Guiscard Seebohm ist in dieser Hinsicht ein großer Schritt nach vorn gelungen: Sie entwickelten ein auf Stammzellen basierendes Expressionsmodell für CVB3, um den Wirkmechanismen dieses Virus' – als Prototyp für Virenwirkung allgemein – auf den Grund zu gehen.
Das Modell wurde in einer Studie auf dessen Kontrollierbarkeit in Herzmuskelzellen untersucht, die aus Stammzellen gezüchtet wurden. Dabei integrierte die Forschergruppe die Erbinformation einer nicht-infektiösen Variante des CVB3 in das Erbgut humaner Stammzellen.
Letztere können im Labor in beliebiges menschliches Gewebe umgewandelt
werden und ermöglichen die präzise Erforschung viraler Mechanismen.
Mithilfe eines chemischen Signals kann die Expression von CVB3 gezielt
eingeschaltet werden.
„Durch dieses einzigartige und kontrollierbare System lässt sich eine
Vielzahl von Krankheitsverläufen simulieren und erstmals mit höchster
Präzision analysieren“, betont Guiscard Seebohm.
Den Wissenschaftlern gelang es, im Modell die CVB3-Expression sowohl in Stammzellen als auch in differenzierten Herzmuskelzellen zeitlich zu steuern.
Zugleich variierten sie die Menge an viralen Proteinen und deren Lokalisation.
Das bedeutet, dass sowohl das Ausmaß der Virusinfektion, das
Infektionsmuster als auch der Zeitverlauf den jeweiligen
wissenschaftlichen Fragestellungen angepasst werden können.
Durch die Generierung des ersten voll kontrollierbaren
Virus-Expressionsmodells in humanen Zellen, dessen erwiesene
Funktionalität und die Übertragbarkeit auf den Patienten, eröffnen sich
zahlreiche neue Ansätze für die Forschung.
Es lässt sich nicht nur die Infektion mit CVB3 und anderen Viren, wie Corona- und Influenzaviren, mit höchster Auflösung untersuchen.
Die Grenzen des wissenschaftlich erforschbaren Bereiches werden durch diesen neuen Ansatz erweitert.
Folgestudien zur kontrollierten Expression von CVB3 in hiPSC sind bereits in Arbeit und zeigen vielversprechende Resultate. Dr. Stefan Peischard, Erstautor der jetzt publizierten Studie, und seine Teamkollegen von der Arbeitsgruppe Seebohm erhoffen sich einen großen Nutzen für betroffene Patienten.
Prof. Dr. Guiscard Seebohm
Tel: +49 (0) 251 83-58255
E-Mail: guiscard.seebohm@ukmuenster.de
Schlossplatz 2
48149 Münster
Deutschland
Nordrhein-Westfalen
Dr. Kathrin Kottke
Telefon: 0251832199
E-Mail-Adresse: kathrin.kottke@uni-muenster.de
Originalpublikation:
Peischard, S., Ho, H.T., Piccini, I. et al. The first versatile human iPSC-based model of ectopic virus induction allows new insights in RNA-virus disease. Sci Rep 10, 16804 (2020). DOI: 10.1038/s41598-020-72966-9
Keine Kommentare :
Kommentar veröffentlichen