Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Chronische Nierenkrankheit (CKD): Sex- und Gender-spezifische Einflüsse immer mitdenken
Frauen mit einer chronischen Nierenkrankheit (CKD) erhalten eine schlechtere medizinische Versorgung als Männer:
weniger Früherkennung,
weniger Medikamente,
weniger Dialysen.
Dies zeigen aktuelle klinische Studien (1, 2).
Für diese Unterschiede sei nicht allein das verschiedene biologische Geschlecht ausschlaggebend.
Vielmehr stünden hier Genderaspekte wie Unterschiede in Wahrnehmung und Umgang mit Erkrankungen im Zentrum, sagt die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie e. V. (DGfN).
In Europa und den USA leiden etwa 10 bis 15 % der erwachsenen Bevölkerung an chronischer Nierenerkrankung (CKD) (1).
Die CKD ist eine schwere Erkrankung, bei der die Nierenfunktion immer weiter abnimmt.
Im Endstadium (G5) hat die Niere ihre Funktion unwiederbringlich verloren, Betroffene sind dann auf eine regelmäßige Blutreinigung per Dialyse oder eine Nierentransplantation angewiesen.
- Auslöser einer CKD können Infekte, regelmäßige Einnahme von bestimmten Schmerzmedikationen (sogenannte NSAR), Autoimmunerkrankungen, eine genetische Veranlagung und vor allem Diabetes mellitus und Bluthochdruck sein.
„Zur
Früherkennung und Behandlung gehören regelmäßige Untersuchungen etwa auf
das Protein Albumin im Urin, die Bestimmung der glomerulären
Filtrationsrate (eGFR) sowie eine stadiengerechte adäquate medikamentöse
Therapie“, sagt Professor Dr. med. Julia Weinmann-Menke, der DGfN.
„Wir sehen derzeit mehr Frauen als Männer mit erniedrigter
Nierenfunktion“, erklärt Weinmann-Menke, die Leiterin der Klinik für
Nephrologie, Rheumatologie und Nierentransplantation (NTX) und der
SLE-Ambulanz am Universitätsklinikum Mainz ist.
Dennoch erhalten an einer CKD erkrankte Frauen eine schlechtere Versorgung als Männer, wie eine schwedische Studie zeigen konnte (4).
Von der Diagnostik über die fachspezifische Betreuung bis hin zur medikamentösen Therapie deckte die Untersuchung deutliche Defizite in der Behandlung von CKD-betroffenen Frauen im Vergleich zu Männern auf.
„Besonders bedenklich ist, dass die Versorgung von Frauen über einen 18-monatigen Nachbeobachtungszeitraum hinsichtlich nahezu aller Versorgungsmaßnahmen schlechter ausfiel als bei Männern“, so die Nieren-Expertin.
So war bei ihnen die Wahrscheinlichkeit geringer, dass wichtige Marker von Nierengesundheit bestimmt wurden, selbst wenn Risikofaktoren wie Diabetes oder Hypertonie vorlagen.
Diese Unterschiede traten auch bei Frauen mit bestätigter CKD
bei der Wiederholungsuntersuchung auf. Zudem erhielten Frauen in der
genannten Studie seltener eine Behandlung mit adäquaten Medikamenten wie
RAS-Hemmern und Statinen.
Über diesen Missstand berichtete auch eine große kanadische Studie mit
über 46.000 CKD-Patientinnen und -Patienten. Die Untersuchung des
Canadian Primary Care Sentinel Surveillance Network (CPCSSN) zeigte,
dass chronisch nierenerkrankte Männer häufiger eine leitliniengerechte
Therapie erhalten als Frauen (5). „Bis Betroffene endlich die richtige
Diagnose und dann auch eine leitliniengerechte Therapie erhalten, haben
die Nieren möglicherweise schon teilweise ihre Funktion verloren“, gibt
Weinmann-Menke zu bedenken. Schon länger sei bekannt, dass für Frauen
die Gefahr eines verspäteten Dialysebeginns und damit einhergehend das
Sterblichkeitsrisiko vor Dialysebeginn höher ist als bei Männern (6).
Gendersensibilität: bei CKD überlebenswichtig
Diese Unterschiede ließen sich nicht allein mit dem verschiedenen
biologischen Geschlecht (englisch: „sex") erklären, so Weinmann-Menke.
„Ausschlaggebend sind Gender-Aspekte, also vor allem soziale Faktoren,
die das Verhalten von Patientinnen und Patienten sowie das der
behandelnden Ärzteschaft beeinflussen.“
Körperliche Beschwerden von Frauen würden häufiger als bei Männern als psychische Signale gedeutet und entsprechend anders behandelt, nennt Weinmann-Menke ein Beispiel.
Auch das Geschlecht der Behandelnden selbst spiele eine Rolle.
Es gebe zu wenig Wissen und Awareness im Hinblick auf
geschlechtssensible Medizin, kritisiert sie. In klinischen Studien etwa
würden auch heute noch die Ergebnisse zu selten nach
geschlechtsspezifischen Aspekten analysiert. Zudem waren früher Frauen
häufig von vorneherein aus den Probandenkollektiven ausgeschlossen.
Viele der damals getesteten Medikamente sind aber heute noch im
klinischen Einsatz. „Wenn das biologische Geschlecht bei der Betrachtung
von Krankheiten nicht einfließt, wird der Einfluss bei ‚typisch
männlichen' Krankheiten unterschätzt und bei Krankheiten, die häufiger
bei Frauen auftreten, überschätzt“, stellt die Mainzer Expertin fest.
Gleichzeitig empfiehlt auch die internationale KIDIGO-Leitlinie (3),
dass Sex- und Gender-spezifische Einflüsse bei Diagnostik, Therapie und
Prognose berücksichtigt werden sollten. Hierzu zählen sowohl
Geschlechts(sex)-abhängige Unterschiede in Genetik, Physiologie,
Immunologie und Anatomie als auch Gender-Unterschiede (Identität,
Rollenverhältnisse, Beziehungen).
Umdenken für eine bessere Versorgung aller Nierenerkrankten
Die Anwendung von sogenannten Gender Scores könnte helfen, den Einfluss
von kulturellen, gesellschaftlichen und psychologischen Faktoren auf die
Versorgung nicht nur von CKD-Patienten zu erkennen, so Weinmann-Menke
weiter. „Die Erfassung des biologischen Geschlechts gehört deshalb in
die klinische Routine und in prospektive Studien“, betont auch Dr. med.
Nicole Helmbold, Generalsekretärin der DGfN. „Die Zahl der Menschen mit
CKD wird in den nächsten Jahren weltweit und in Deutschland stark
zunehmen (7, 8).“ Umso wichtiger sei es, jetzt alle Potenziale bezüglich
Prävention, Früherkennung und Therapie auszuschöpfen und den
Wissensstand durch eigene Daten und Forschungsvorhaben in Deutschland zu
verbessern. „Daher setzen wir uns für die Einrichtung eines Deutschen
Zentrums für Nierengesundheit ein. Hierunter ist ein Forschungsnetzwerk
zu verstehen, das die Forschung - auch zu diesem Thema - weiter
vorantreibt“, so Helmbold.
Quellen:
(1) Stracke, S., Töpfer, P., Ittermann, T. et al.
Geschlechtsunterschiede in der ambulanten Versorgung von Menschen mit
chronischer Nierenkrankheit. Nephrologie 19, 34–40 (2024). https://doi.org/10.1007/s11560-023-00698-8
(2) Lösment, A., Kuhlmann, M.K. Geschlechtsspezifische Aspekte bei Dialysepatient:innen. Nephrologie 19, 28–33 (2024). https://doi.org/10.1007/s11560-023-00697-9
(3) KDIGO 2024, Clinical Practice Guideline for the Evaluation and
Management of Chronic Kidney Disease, Volume 1045,|Ussue 4S, April 2024.https://kdigo.org/wp-content/uploads/2024/03/KDIGO-2024-CKD-Guideline.pdf
(4) Swartling O, Yang Y, Clase CM et al. (2022) Sex differences in the
recognition, monitoring, and management of CKD in health care: an
observational cohort study. Journal of the American Society of
Nephrology 33:1903-1914
(5) Bello AK, Ronksley PE, Tangri N et al. (2019) Quality of chronic
kidney disease management in Canadian primary care. JAMA network open
2:e1910704-e1910704
(6) Hecking M, Bieber BA, Ethier J, Kautzky-Willer A, Sunder-Plassmann
G, Säemann MD, Ramirez SP, Gillespie BW, Pisoni RL, Robinson BM, Port
FK. Sex-specific differences in hemodialysis prevalence and practices
and the male-to-female mortality rate: the Dialysis Outcomes and
Practice Patterns Study (DOPPS). PLoS Med. 2014 Oct 28;11(10):e1001750.
doi: 10.1371/journal.pmed.1001750. PMID: 25350533; PMCID: PMC4211675
(7) Kovesdy CP: Epidemiology of chronic kidney disease: an update 2022. Kidney Int Suppl (2011) 2022; 12: 7–11 https://doi.org/10.1016/j.kisu.2021.11.003
(8) Foreman KJ, Marquez N, Dolgert A, et al.: Forecasting life
expectancy, years of life lost, and all-cause and cause-specific
mortality for 250 causes of death: reference and alternative scenarios
for 2016–40 for 195 countries and territories. Lancet 2018; 392: 2052–90
DOI: https://doi.org/10.1016/S0140-6736(18)316
Terminhinweis:
16. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie e. V. (DGfN)
Motto: „Neue Nephrologie“
Termin: 26. – 29. September 2024
Ort: ECC Berlin (Estrel Congress Center)
Adresse: Sonnenallee 225, 12057 Berlin
www.nephrologie-kongress.de
Adelheid Liebendörfer Deutsche Gesellschaft für Nephrologie e.V. (DGfN)
Deutschland
Berlin
Adelheid Liebendörfer
E-Mail-Adresse: liebendoerfer@medizinkommunikation.org
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