Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Molekulare Vorhersage von Antibiotikaresistenzen für eine maßgeschneiderte Therapie der Tuberkulose
Wie können die Ergebnisse molekularer Resistenztest genutzt werden, um die medikamentöse Therapie einer Tuberkulose zu optimieren?
Ein internationales Expertengremium hat ein Konsens-Dokument aktualisiert und darin dargelegt, wie Veränderungen im Erbgut der Tuberkulosebakterien zu interpretieren sind, um daraus maßgeschneiderte Therapien für Patienten mit einer multiresistenten Tuberkulose abzuleiten.
- Noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit waren so viele Personen an einer Tuberkulose erkrankt, wie heute.
- Weltweit sterben etwa 1,6 Millionen Menschen an der „Schwindsucht“.
- Mehr, als an jeder anderen bakteriellen Infektionskrankheiten.
Die arzneimittelresistente Tuberkulose stellt ein zunehmendes Problem für die Kontrolle der Tuberkulose dar.
Obwohl wirksamer Therapien für fast alle Patientinnen
und Patienten verfügbar wären, werden Antibiotikaresistenzen der Erreger
in den meisten Fällen nicht erkannt.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass nur etwa ein
Drittel aller Betroffenen mit einer multiresistenten Tuberkulose, bei
der die beiden besten Medikamente der Standardtherapie nicht wirksam
sind, eine adäquate Therapie erhalten.
- Um die Ausbreitung der Tuberkulose zu verhindern und gleichzeitig die Entstehung von bakteriellen Resistenzen gegen die verfügbaren Wirkstoffe zu minimieren, müssen Betroffene rasch und adäquat behandelt werden.
Der klassische Weg zur adäquaten Behandlung läuft über die
Identifizierung der Tuberkulosebakterien auf festen oder flüssigen
Nährmedien.
Diese Verfahren dauern bis zu acht Wochen.
Erst dann lässt man die Bakterien in Gegenwart einzelner Antibiotika wachsen, um herauszufinden, welche Substanz das Wachstum hemmt, und welche möglichweise nicht.
- Dieser langwierige Prozess führt dazu, dass behandelnde Ärztinnen und Ärzte in den ersten Wochen der Behandlung "im Blindflug" handeln - ein kritischer Zeitraum, um die Krankheit unter Kontrolle zu bringen und eine weitere Übertragung der Tuberkulose-Bakterien auf andere Personen zu verhindern.
Eine der wichtigsten Errungenschaften in der Tuberkulosediagnostik in
jüngerer Zeit ist die Identifizierung von Veränderungen in der
Erbsubstanz der Bakterien, welche dazu führen, dass Medikamente nicht
mehr wirksam sind.
Professor Stefan Niemann, Programmbereichs-Direktor
am Forschungszentrum Borstel, Leibniz Lungenzentrum und sein Team haben
wesentlichen Anteil an der Entdeckung dieser Mutationen. Zusammen mit
einer Gruppe internationaler Wissenschaftler:innen haben sie die
Weltgesundheitsorganisation (WHO) bei der Aufstellung eines Katalogs
beraten, in dem Mutationen in der DNA der Tuberkulosebakterien
verzeichnet sind, die zu Antibiotikaresistenzen führen.
Mit einer inzwischen kostengünstigen Methode kann in wenigen Tagen das
Erbgut der Tuberkulosebakterien einzelner Patientinnen und Patienten
entschlüsselt werden. Die verfügbaren Informationen über Mutationen, die
Antibiotikaresistenzen vorhersagen, geben aber teilweise noch viel
Ermessensspielraum, um die richtigen Medikamente für die Therapie zu
wählen.
Ein internationales Expertengremium unter Leitung von Professor
Christoph Lange, Medizinischer Direktor am Forschungszentrum Borstel,
Leibniz Lungenzentrum und Leiter der klinischen Tuberkuloseeinheit im
Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF ClinTB), hat sich
erstmalig 2016 über offene Fragen im Umgang mit der neuen Methode
beraten und Empfehlungen für die klinische Anwendung verfasst. Seither
hat sich die Erkenntnis über die Methoden so erweitert, dass eine
Neuauflage der Empfehlungen notwendig wurde. Auf der Grundlage einer
umfassenden Literaturrecherche erzielte das Gremium erneut Konsens zu
wichtigen Fragen über die Wahl der Antibiotikatherapie der Tuberkulose,
basierend auf Ergebnissen molekularer Vorhersagen. Der Konsens wurden
nun in der aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift The Lancet
Infectious Diseases veröffentlicht.
„Der Blick in die Glaskugel funktioniert inzwischen so gut, dass wir
basierend auf der Information der Erbsubstanz der Bakterien in 99% der
Fälle bei der Wahl der Medikamente für die Therapie der multiresistenten
Tuberkulose richtig liegen“, erklärt Lange.
„Es gibt viele neue Medikamente in der klinischen Erprobung und neue Medikamente kommen auf den Markt, ohne dass die Labore in der Lage sind, mit den traditionellen Kultur-basierten Verfahren Antibiotikaresistenzen festzustellen. Das führt dazu, dass Patienten unter Umständen Medikamente erhalten, die nicht wirksam sind. Die neuen Verfahren bieten eine flexible Alternative, die auch in Ländern mit geringen Ressourcen etabliert werden kann und dazu führen sollte, dass jede betroffene Patientin und jeder betroffene Patient individuell und adäquat behandelt wird“, so Lange.
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Christoph Lange
Medizinischer Direktor, Forschungszentrum Borstel, Leibniz Lungenzentrum
Parkallee 35, 23845 Borstel
T +49 4537 188 3321/0
clange@fz-borstel.de
Britta Weller Forschungszentrum Borstel, Leibniz Lungenzentrum
(0) 4537 / 188-0
Parkallee 1-40
23845 Borstel
Deutschland
Schleswig-Holstein
Britta Weller
Telefon: +49 (0) 4537 / 188-2870
E-Mail-Adresse: bweller@fz-borstel.de
Originalpublikation:
Domínguez J, Boettger EC, Cirillo D, Cobelens F, Eisenach KD, Gagneux S, Hillemann D, Horsburgh R, Molina-Moya B, Niemann S, Tortoli E, Whitelaw A, Lange C; TBNET; RESIST-TB networks. Clinical implications of molecular drug resistance testing for Mycobacterium tuberculosis: a TBNET/RESIST-TB consensus statement. Int J Tuberc Lung Dis. 2016 Jan;20(1):24-42. doi: 10.5588/ijtld.15.0221. PMID: 26688526.
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