Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Gut gewappnet – Wie der Verlust eines Proteins dazu beitragen könnte, Folgen eines Schlaganfalles besser zu verkraften
Für die Signalübertragung im Gehirn spielen Astrozyten, kleine sternförmige Zellen, eine wichtige Rolle.
Da das Protein Ezrin vermehrt in den Astrozytenfortsätzen auftritt, wird eine Funktion in der Hirnfunktion vermutet.
Forschende des Leibniz-Instituts für Alternsforschung – (FLI) in Jena haben In-vivo-Studien zur Funktion und Rolle von Ezrin in der Hirnentwicklung und im erwachsenen Gehirn durchgeführt.
Während der Verlust von Ezrin die Entwicklung kaum beeinflusst, ist die Signalverarbeitung und Form der Astrozyten verändert.
Diese Effekte mildern die Toxizität von Neurotransmittern, insbesondere des Glutamats, scheinbar effektiver ab und schützen so Mäuse vor Stress (z.B. Schlaganfall).
Mäuse entwickeln sich trotz fehlendem Ezrin-Protein in den Astrozyten völlig normal, zeigen aber ein verlangsamtes Erkundungsverhalten. Durch die Zunahme des GLAST-Proteins und Veränderungen in den Astrozyten sind die Mäuse besser vor Stress geschützt. Grafik: Kerstin Wagner / FLI, Created with Biorender.com.)
- Astrozyten sind sternförmige Zellen des Gehirns, die bei der Aufrechterhaltung der Blut-Hirn-Schranke, der Versorgung von Nervenzellen mit Nährstoffen und der Beseitigung von Stoffwechselprodukten eine bedeutende Rolle spielen.
Mit über 50 Prozent
nehmen sie den größten Teil von Gliazellen ein, den Stützzellen im
Gehirn, die bis vor Kurzem nur als eine Art „Klebersubstanz“ für den
Zusammenhalt von Nervenzellen betrachtet wurden. Doch diese Sichtweise
hat sich speziell für die Astrozyten in den letzten Jahren gravierend
geändert.
Demzufolge haben Astrozyten durch ihre strahlenförmigen Ausläufer
(Astrozytenfortsätze), mit denen sie Kontakte zwischen Nervenzellen und
Blutgefäßen vermitteln, eine wichtige Rolle bei der Signalübertragung im
Gehirn. Neben anderen wichtigen Bausteinen findet man in den
Astrozytenfortsätzen vermehrt das Ezrin-Protein. Das lässt vermuten,
dass Ezrin auch bei der neuronalen Entwicklung des Gehirns für die
Funktion der Astrozyten wichtig ist. Wenngleich Ezrin bereits intensiv
In-vitro in der Zellkultur untersucht wurde, fehlen bislang jedoch
In-vivo-Studien zur Rolle des Proteins Ezrin in den Astrozyten.
Die Forschungsgruppe "Nervenregeneration" um Frau Prof. Dr. Helen
Morrison vom Leibniz-Institut für Alternsforschung -
Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena hat nun in einer aktuellen Studie
herausgefunden, welche Rolle Ezrin bei der Gehirnentwicklung spielt und
wie seine Abwesenheit den Körper auf Stress, wie beispielsweise einen
Schlaganfall, vorbereiten kann, um eventuelle Folgeschäden zu
minimieren. Die Studie erschien jüngst im renommierten GLIA-Journal.
Welche Rolle spielt Ezrin bei der Gehirnentwicklung?
„Wie wir durch unsere eigene Forschung wissen, kommt Ezrin im sich
entwickelnden Gehirn vor allem in den entstehenden Neuronen vor und ist
auch im erwachsenen Gehirn in den peripheren Ausstülpungen der
Astrozyten zu finden“, berichtet Prof. Morrison. „Doch bislang fehlen
umfassende In-Vivo-Studien zu seiner funktionellen Bedeutung für das
Nervensystem“.
Im Rahmen einer Doktorarbeit wurden daher In-Vivo-Studien an Mäusen
durchgeführt, denen im Nervensystem Ezrin fehlte. Die anschließenden
Untersuchungen konzentrierten sich vor allem auf den Bereich der
Großhirnrinde als Modellsystem. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf die
Astrozyten und ihre Fortsätze gerichtet, um die Bedeutung von Ezrin bei
der Entwicklung des Gehirns und der Funktion im erwachsenen Gehirn
genauer zu erforschen.
Ezrin-Mangel beeinträchtigt nicht die Gehirnentwicklung
„Wir waren zunächst recht erstaunt, dass sich die Mäuse trotz fehlendem
Ezrin völlig normal entwickelten. Im Vergleich zu den Wildtyp-Mäusen
wiesen sie auch keine offensichtlichen Defizite beim Lernen oder bei der
Gedächtnisleistung auf“, berichtet Dr. Stephan Schacke, der seine
Doktorarbeit zu diesem Thema verfasste. „Allem Anschein nach übernehmen
bei der Entwicklung des Gehirns strukturell und funktionell verwandte
Proteine, die Ezrin sehr ähnlich sind, seine fehlende Funktion und
wirken so seinem Verlust entgegen.“ Lediglich bei der Erkundung von
neuen Umgebungen zeigten die modifizierten Mäuse ein andersartiges,
verlangsamtes Verhalten, was auf eine veränderte neuronale
Signalverarbeitung hindeutet.
Ezrin-Mangel verändert den Glutamat-Stoffwechsel und die Astrozyten-Form
Durch die Anwendung histologischer Methoden und Proteomanalysen konnte
nachgewiesen werden, dass sich durch den Verlust von Ezrin wichtige
zellbiologische Prozesse verändern, wie zum Beispiel der
Glutamat-Stoffwechsel. Glutamat ist einer der wichtigsten erregenden
Botenstoffe (Neurotransmitter) im zentralen Nervensystem, der für die
Signalübertragung zwischen den Nervenzellen eine große Bedeutung hat.
Die Stärke der Signalübertragung wird unter anderem durch die Menge des
ausgeschütteten Glutamats sowie durch die Geschwindigkeit bzw. die Dauer
bis zur Wiederaufnahme des Neurotransmitters (und somit
Übertragungsende) gesteuert. Bei der Signalübertragung spielt das
Protein GLAST eine wichtige Rolle, welches direkt an der
Glutamat-Wiederaufnahme beteiligt ist. Infolge des Verlustes von Ezrin
kommt vermehrt GLAST vor, wodurch sich die Wiederaufnahme von Glutamat
vermutlich verstärkt. Im Ergebnis schwächt sich einerseits die
Signalübertragung ab und verkürzt sich andererseits. Das könnte eine
mögliche Erklärung für das verzögerte Erforschungsverhalten der Tiere
sein.
Der Verlust von Ezrin führt darüber hinaus zu einer Hochregulierung von
GFAP, einem Gliafilament-Protein, das ebenfalls in Astrozyten vorkommt
und für seine mechanischen Eigenschaften, die Beweglichkeit und die
Zellform der Astrozyten verantwortlich ist. Der Anstieg von GFAP weist
darauf hin, dass sich die Astrozyten in ihrem Aussehen morphologisch
verändern und einen „reaktiven Status“ annehmen, wie er auch bei
Schädigungen oder Erkrankungen des Gehirns zu beobachten ist.
Kann der Verlust von Ezrin Schlaganfällen vorbeugen?
In anknüpfenden Studien konnte gezeigt werden, dass die durch den
Ezrin-Verlust ausgelöste Veränderung der Astrozyten im Vergleich zum
Wildtyp diese Mäuse besser vor Stress schützt, beispielsweise vor einem
ischämischen Schlaganfall, bei dem das Gehirn aufgrund einer blockierten
Arterie nicht mehr ausreichend mit Blut und Sauerstoff versorgt wird.
„Diese Mäuse können einen Schlaganfall deutlich besser verkraften als
ihre Wildtyp-Verwandten, da sie durch die Hochregulierung von GLAST
bereits gelernt haben, mit der Schädlichkeit und Toxizität von
Neurotransmittern, insbesondere des Glutamats, umzugehen, was bei zu
hoher Dosis zur Reizüberflutung und dem Absterben von Nervenzellen
führen kann“, erläutert Prof. Morrison.
„Unsere Studie liefert damit nicht nur erste wichtige Erkenntnisse über
die Bedeutung des Ezrin-Proteins für die Astrozyten-Funktion in unserem
Körper, sondern zeigt einen möglichen Weg auf, wie sich nach einem
Schlaganfall ein verbessertes Therapieergebnis erreichen lässt, wenn
sich die durch die Anreicherung von Glutamat induzierte neuronale
Exzitotoxizität, die zu Schäden und dem Absterben von Nervenzellen
führt, effizient verhindern lässt.“ Die weitere Forschung dazu wird es
zeigen.
Publikation
Ezrin deficiency triggers glial fibrillary acidic protein upregulation
and a distinct reactive astrocyte phenotype. Schacke S, Kirkpatrick J,
Stocksdale A, Bauer R, Hagel C, Riecken LB, Morrison H. Glia 2022,
70(12), 2309-29.
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/glia.24253
Dr. Kerstin Wagner
Tel.: 03641-656378, E-Mail: presse@leibniz-fli.de
Kristina Vaillant
Telefon: 03641 / 65-6373
E-Mail-Adresse: kristina.vaillant@leibniz-fli.de
Hintergrundinformation
Das Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI)
in Jena widmet sich seit 2004 der biomedizinischen Alternsforschung.
Rund 350 Mitarbeiter aus ca. 40 Nationen forschen zu molekularen
Mechanismen von Alternsprozessen und alternsbedingten Krankheiten.
Näheres unter http://www.leibniz-fli.de.
Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 97 eigenständige
Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-,
Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und
Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute
widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten
Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung,
auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder
unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten
forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt
Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den
Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik,
Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Einrichtungen
pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen - in Form der
Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im
In- und Ausland. Die Leibniz-Institute unterliegen einem transparenten
und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer
gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der
Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund
20.500 Personen, darunter 11.500 Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler. Das Finanzvolumen liegt bei 2 Milliarden Euro. (http://www.leibniz-gemeinschaft.de).
Originalpublikation:
Ezrin deficiency triggers glial
fibrillary acidic protein upregulation and a distinct reactive astrocyte
phenotype. Schacke S, Kirkpatrick J, Stocksdale A, Bauer R, Hagel C,
Riecken LB, Morrison H. Glia 2022, 70(12), 2309-29.
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/glia.24253
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