Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Lipidomik liefert neue Biomarker für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes
Der Fettstoffwechsel spielt eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes.
Über die molekularen Zusammenhänge ist bislang jedoch wenig bekannt.
Das Team um Dr. Fabian Eichelmann vom DIfE und DZD hat mithilfe der Lipidomik, einer modernen analytischen Methode, jene Lipide identifiziert, die statistisch mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes assoziiert sind.
- Zudem stellten die Wissenschaftler*innen fest, dass eine Diät mit erhöhtem Anteil ungesättigter Fettsäuren zur Reduktion der risikoassoziierten Lipide und zur Steigerung der risikoarmen Lipide führt.
Die Ergebnisse wurden im Journal Circulation veröffentlicht.
Grafischer Überblick DIfE
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind mit rund 18 Millionen Todesfällen pro Jahr die häufigste Todesursache weltweit.
Menschen mit Typ-2-Diabetes haben ein zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden.
Die Zahl der Betroffenen steigt seit Jahrzehnten kontinuierlich an.
Schon jetzt leben in Deutschland über 8 Millionen Menschen mit Typ-2-Diabetes.
Wissenschaftlichen Prognosen zufolge werden es im Jahr 2040 rund 12
Millionen sein. Entsprechend groß ist die Notwendigkeit, Biomarker zu
identifizieren, die frühzeitig auf eine Krankheitsentstehung hinweisen
können, um den Ausbruch verhindern oder zumindest abmildern zu können.
Bisherige Studien haben gezeigt, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen und
Typ-2-Diabetes eng mit dem Fettstoffwechsel verbunden sind. Um diese
Zusammenhänge auf molekularer Ebene zu entschlüsseln, nutzen
Wissenschaftler*innen seit einigen Jahren die sogenannte Lipidomik.
Dabei handelt es sich um eine moderne analytische Methode, die sehr
detaillierte Einblicke in die Fettsäureprofile im Blutplasma ermöglicht.
Fettsäuren kommen im menschlichen Organismus hauptsächlich als Teil
komplexer Moleküle vor, den Lipiden. Anhand ihrer molekularen Struktur
werden sie in zahlreiche verschiedene Lipidklassen und -arten
eingeteilt. Die Gesamtheit aller Lipide innerhalb eines Organismus
bezeichnet man als Lipidom.
69 Lipide mit Erkrankungsrisiken assoziiert
Dr. Fabian Eichelmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung
Molekulare Epidemiologie am DIfE und Wissenschaftler des Deutschen
Zentrums für Diabetesforschung (DZD), untersuchte mit seinem Team die
Fettsäureprofile in 2.414 Blutproben aus der EPIC-Potsdam-Studie. Die
Proben wurden bereits in den 1990er Jahren entnommen und stammen unter
anderem von Teilnehmenden, die in den Folgejahren eine
Herz-Kreislauf-Erkrankung oder einen Typ-2-Diabetes entwickelt haben.
Mittels Hochdurchsatz-Lipidomik bestimmten die Forschenden insgesamt 282
verschiedene Lipide, von denen 69 mit mindestens einer der beiden
Erkrankungen assoziiert waren. „Ein statistischer Zusammenhang mit
Herz-Kreislauf-Erkrankungen zeigte sich bei 49 Lipiden, die
hauptsächlich zu den Cholesterinestern und Sphingolipiden zählten“, sagt
Eichelmann. „Mit Typ-2-Diabetes waren 12 Lipide assoziiert, wobei es
sich mehrheitlich um Glycerin- und Phospholipide handelte. Ein
Zusammenhang mit beiden Erkrankungen ließ sich bei 8 Lipiden erkennen,
unter denen mehrere Monoacylglyceride hervorstachen.“ Auf molekularer
Ebene stellten die Forschenden fest, dass Lipide mit höherem Risiko dazu
tendierten, hauptsächlich gesättigte Fettsäuren zu enthalten,
insbesondere Palmitinsäure.
Ernährungsumstellung zeigt Wirkung
Im zweiten Teil ihrer Untersuchungen wollten die Wissenschaftler*innen
herausfinden, ob sich die risikoassoziierten Lipide durch eine
veränderte Fettsäurezusammensetzung der Ernährung beeinflussen lassen.
Eine 16-wöchige Interventionsstudie, die von den Kooperationspartnern an
der University of Reading in England durchgeführt wurde, sollte
Antworten liefern. Das Team um Julie Lovegrove rekrutierte 113 gesunde
Frauen und Männer im Alter von 21 bis 60 Jahren und teilte sie zufällig
in drei Gruppen ein. Die erste Gruppe erhielt eine Diät mit einem
erhöhten Anteil gesättigter Fettsäuren. Für die zweite Gruppe gab es
eine Diät, die reich an einfach ungesättigten Fettsäuren war. Und die
dritte Gruppe bekam eine Diät mit einem hohen Anteil an einfach und
mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Die Diäten waren so konzipiert, dass
die Gesamtenergieaufnahme in allen drei Gruppen gleich war, damit die
Teilnehmenden weder Gewicht zu- noch abnahmen. Zu Beginn der Studie und
vier Monate später erfolgte eine Blutabnahme, sodass die
Wissenschaftler*innen die Fettsäureprofile im Blutplasma der
Teilnehmenden bestimmen und vergleichen konnten.
„Wir stellten fest,
dass die Diäten mit einem erhöhten Anteil ungesättigter Fettsäuren im
Vergleich zur Diät mit erhöhtem Anteil gesättigter Fettsäuren für eine
Verringerung der risikoassoziierten Lipide und gleichzeitig für eine
Steigerung der risikoarmen Lipide sorgten“, fasst Lovegrove zusammen.
- Die Ergebnisse stützen die gängige Empfehlung, dass der Austausch gesättigter durch ungesättigte Fettsäuren in der Ernährung ein potenzielles Instrument für die Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Typ-2-Diabetes ist.
„Die identifizierten Lipide könnten als Biomarker für ein erhöhtes Risiko dienen.
Zukünftige
Risikovorhersage-Modelle könnten darauf aufbauen“, sagt Prof. Matthias
Schulze, Leiter der Abteilung Molekulare Epidemiologie und der
EPIC-Potsdam Studie am DIfE. Im nächsten Schritt wollen die Forschenden
einen Lipidomik-Fingerabdruck im Blut identifizieren, der die Effekte
einer Test-Diät abbildet und überprüfen, ob dieser mit dem
Langzeitrisiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen assoziiert ist.
Hintergrundinformationen
Lipidomik
Die Lipidomik (engl.: Lipidomics) ist ein Zweig der Metabolomik. Sie
dient der vollständigen Charakterisierung aller Lipide und ihrer
Stoffwechselprodukte innerhalb eines Organismus. Für moderne
Lipidomik-Analysen werden chromatographische und spektroskopische
Methoden kombiniert, um auch sehr ähnliche Lipide voneinander
unterscheiden zu können.
Empfehlungen zur Fettaufnahme von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung
Fett liefert mit 9 Kilokalorien pro Gramm mehr als doppelt so viele
Kalorien wie die gleiche Menge an Kohlenhydraten oder Proteinen und ist
somit der Nährstoff mit der höchsten Energiedichte.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt Erwachsenen, maximal 30 Prozent der täglichen Energie in Form von Fett aufzunehmen.
Für eine gesunde Ernährung ist jedoch die Fettqualität von größerer Bedeutung als die Fettmenge.
Den Hauptanteil der aufgenommenen Nahrungsfette sollten einfach und mehrfach ungesättigte Fettsäuren ausmachen, die u. a. in pflanzlichen Ölen, Nüssen und Fisch enthalten sind.
Gesättigte
Fettsäuren, die insbesondere in fettreichen Fleisch- und Milchprodukten
vorkommen, sollten nur ein geringer Bestandteil der täglichen
Fettaufnahme sein.
EPIC-Potsdam-Studie
Die European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition
(EPIC)-Potsdam-Studie ist eine bevölkerungsbasierte prospektive
Kohortenstudie des DIfE. Sie ist Teil der EPIC-Studie, einer der größten
Kohortenstudien der Welt, die das Ziel hat, Beziehungen zwischen
Ernährung, Ernährungsstatus, Lebensstil und Umweltfaktoren sowie der
Inzidenz von Krebs und anderen chronischen Krankheiten wie
Typ-2-Diabetes zu untersuchen. Bei prospektiven Kohortenstudien wird
eine große Gruppe gesunder Menschen zunächst umfangreich untersucht und
anschließend über einen langen Zeitraum beobachtet, welche Krankheiten
auftreten. Die Beobachtungen können Hinweise auf Risikofaktoren für
häufige Erkrankungen liefern. Die ca. 27.500 Teilnehmenden der
EPIC-Potsdam-Studie wurden zwischen 1994 und 1998 rekrutiert und
untersucht, zum Beispiel der Blutdruck und die Körpermaße bestimmt.
Außerdem wurden sie zu ihren Ernährungsgewohnheiten und ihrem Lebensstil
befragt und Blutproben entnommen. Im noch immer laufenden
Nachbeobachtungszeitraum wurden die Studienteilnehmenden bislang
sechsmal zu ihren Ernährungsgewohnheiten, ihrem Lebensstil und
aufgetretenen Erkrankungen befragt. Seit 2014 erfolgen in begrenztem
Umfang auch Nachfolgeuntersuchungen.
Dr. Fabian Eichelmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Molekulare Epidemiologie am DIfE. Carolin Schrandt DIfE
FAME
Das Verbundprojekt FAME („Fettsäuremetabolismus als Marker für Ernährung
und kardiometabolische Gesundheit“) wurde im Rahmen der europäischen
Programminitiative „Eine gesunde Ernährung für ein gesundes Leben“ (JPI
HDHL) durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
gefördert. In dieser Initiative arbeiten EU-Mitgliedsstaaten,
assoziierte Staaten sowie Kanada und Neuseeland zusammen, um die
Ernährungsforschung über Ländergrenzen hinweg zu bündeln und zu stärken.
Ziel der transnationalen Fördermaßnahme „Biomarker für Ernährung und
Gesundheit“ der JPI HDHL war es, neue Biomarker zu identifizieren, die
den Ernährungszustand erfassen und damit zur Aufklärung der
Zusammenhänge zwischen Ernährung und Gesundheit beitragen können. Neben
dem DIfE waren die Universitäten Navarra und Cordoba (Spanien) sowie
Reading und East Anglia (Großbritannien) am FAME-Verbund beteiligt.
Dr. Fabian Eichelmann
Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Molekulare Epidemiologie
Tel.: +49 33200 88-2454
E-Mail: fabian.eichelmann@dife.de
Prof. Dr. Matthias Schulze
Leiter der Abteilung Molekulare Epidemiologie
Tel.: +49 33200 88-2434
E-Mail: mschulze@dife.de
Susann-C. Ruprecht Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke
Arthur-Scheunert-Allee 114/116
14558 Nuthetal, OT Bergholz-Rehbrücke
Deutschland
Brandenburg
Telefon: 033200882335
Fax: 0332008872335
E-Mail-Adresse: susann.ruprecht@dife.de
Originalpublikation:
Eichelmann, F., Sellem, L.,
Wittenbecher, C., Jäger, S., Kuxhaus, O., Prada, M., Cuadrat, R.,
Jackson, K. G., Lovegrove, J. A., Schulze, M. B.: Deep Lipidomics in
Human Plasma - Cardiometabolic Disease Risk and Effect of Dietary Fat
Modulation. Circulation in press (E-pub ahead of print) (2022). [Open
Access]
https://doi.org/10.1161/CIRCULATIONAHA.121.056805
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