Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Herz und Darm sind unzertrennlich
Ein Herz-Kreislauf-Leiden beeinflusst das Leben im Darm.
Umgekehrt
gilt das Gleiche:
Die Keime des Darms wirken sich auf den Verlauf der
Krankheit aus.
Welche Chancen und Risiken das bietet und welche Rollen
Arzneien dabei spielen, berichtet ein Team um die MDC-Forscherin Sofia
Forslund in „Nature“.
Medikamente können die Darmmikroben auf unterschiedliche Weise beeinflussen. Isabel Romero Calvo EMBL
Vor ein paar Jahren machte Dr. Sofia Forslund eine unerwartete
Entdeckung.
Gemeinsam mit dem damaligen Team um Professor Peer Bork vom
Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg
stellte die schwedische Bioinformatikerin fest, dass das
Diabetesmedikament Metformin das Mikrobiom, also die Gesamtheit aller im
Darm lebenden Keime, verändert.
- Wie Forslund herausfand, war der
Einfluss dieses sehr oft verordneten Arzneimittels auf die Darmflora
sogar stärker als der Diabetes selbst.
Der Effekt galt als so
überraschend, dass die Wissenschaftlerin ihre Arbeit in der
Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlichen konnte.
Bessere Therapien sind das Ziel
„Unsere jetzt publizierte Studie baut auf dieser Entdeckung auf“, sagt
Forslund, die seit dem Jahr 2018 am Berliner Max-Delbrück-Centrum für Dr. Sofia Forslund
Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) die Arbeitsgruppe
„Wirt-Mikrobiom Faktoren in Herz-Kreislauferkrankungen“ leitet.
„Wir
wollten herausfinden, wie sich kardiometabolische Erkrankungen und das
Mikrobiom gegenseitig beeinflussen, welche Rolle die verordneten
Medikamente und auch Antibiotika dabei spielen und wie sich die
beobachteten Effekte künftig womöglich nutzen lassen, um die jetzigen
Behandlungsmöglichkeiten zu verfeinern und zu verbessern.“ Denn viele
erwünschte, aber auch unerwünschte Wirkungen von Medikamenten würden im
Körper ganz offenbar indirekt erzielt, und zwar über die Veränderung des
Mikrobioms, sagt die Wissenschaftlerin.
Forslund ist die Erstautorin der erneut in „Nature“ publizierten Arbeit.
Daneben waren auch diesmal das Heidelberger Team des
Mikrobiom-Forschers und Letztautors der Studie Peer Bork sowie weitere
Gruppen aus mehreren europäischen Ländern, insbesondere aus Deutschland,
Frankreich und Dänemark, beteiligt. Finanziert wurde das im Jahr 2012
gestartete Forschungsprojekt mit dem Namen MetaCardis (Metagenomics in
Cardiometabolic Diseases), an dem unter anderem klinische
Mediziner*innen, Bioinformatiker*innen und Systembiolog*innen mitgewirkt
haben, von der Europäischen Union. Zu den kardiometabolischen
Erkrankungen zählen zum Beispiel Herz-Kreislauf-Leiden wie die weit
verbreitete koronare Herzerkrankung und Typ-2-Diabetes.
Unerwartete Effekte auf das Leben im Darm
Sofia Forslund und das MetaCardis-Team analysierten die Daten von 2.173
europäischen Patient*innen mit einer kardiometabolischen Erkrankung
mithilfe verschiedener, zum Teil neu entwickelter statistischer
Methoden. Damit konnten die Forscher*innen die Auswirkungen von
Arzneimitteln und Krankheiten getrennt voneinander betrachten. „So haben
wir herausgefunden, dass Medikamente die Signaturen von Krankheiten
maskieren und potenzielle Biomarker oder therapeutische Ziele verbergen
können“, sagt Peer Bork. „Eines der wichtigsten Ergebnisse unserer
Arbeit ist die Erkenntnis, dass Medikamente – sowohl Antibiotika als
auch Nicht-Antibiotika – die molekularen Merkmale des Mikrobioms und des
Wirts in einem ähnlichen Ausmaß verändern, wie es die Krankheit und der
Lebensstil, etwa die Ernährung und der Faktor Rauchen, zusammen tun“,
erklärt Sofia Forslund. Das Ausmaß der beobachteten Veränderungen sei
zudem abhängig von der Höhe der Medikamentendosis gewesen.
„Wir wissen, dass das Mikrobiom den Gesundheitszustand eines Patienten
widerspiegeln und eine Reihe von Biomarkern zur Beurteilung des
Schweregrads von Krankheiten liefern kann.
Es wird jedoch oft übersehen,
dass die zur Behandlung einer Krankheit eingesetzten Medikamente auch
den Zustand des Mikrobioms beeinflussen“, fügt Rima Chakaroun hinzu,
eine der Hauptautor*innen der Studie und Wissenschaftlerin am
Universitätsklinikum Leipzig. Dr. Chakaroun ist derzeit Postdoktorandin
am Wallenberg-Labor der Universität Göteborg. „Darüber hinaus haben wir
herausgefunden, dass gleichzeitig eingenommene Medikamente sich in ihrer
Wirkung auf das Mikrobiom gegenseitig verstärken können“, sagt
Forslund.
Manche Arzneien haben dabei einen durchaus positiven Effekt.
So konnten die Wissenschaftler*innen beispielsweise zeigen, dass die
gleichzeitige Gabe von Betablockern und Diuretika, die beide gegen
Bluthochdruck eingesetzt werden, im Darm mit einer steigenden Zahl von
Bakterien der Gattung Roseburia assoziiert ist.
- Diese Keime wirken im
Körper antientzündlich, indem sie Ballaststoffe abbauen und daraus
kurzkettige Fettsäuren herstellen, die vor entzündlichen Prozessen
schützen.
- „Solch unerwartete Effekte von Medikamenten könnten sich
künftig medizinisch nutzen lassen“, sagt Forslund.
Antibiotika zerstören die Mikroben-Vielfalt
-
Einmal mehr haben die Forscher*innen zudem zeigen können, dass
insbesondere wiederholte Gaben von Antibiotika die Vielfalt der Mikroben
im Darm nachhaltig zerstören.
„Und ganz offenbar wirkt sich der
Untergang der Darmkeime auch negativ auf die Entstehung und den Verlauf
kardiometabolischer Erkrankungen aus“, sagt Forslund.
- Antibiotika
sollten daher nach Möglichkeit immer nur dann verordnet werden, wenn es
aus medizinischer Sicht unumgänglich sei.
Auch sei es wichtig,
Möglichkeiten zu erforschen, um die zerstörerischen Wirkungen der
Antibiotika abzumildern. Diese beschränken sich nicht auf
Herz-Kreislauferkrankungen. „Abgesehen von kardiometabolischen
Erkrankungen verschlimmert der Verlust der Darmkeime viele andere
chronische Krankheiten und schwächt die Wirksamkeit ihrer Behandlung
ab“, sagt Co-Autor Professor Stanislav Dusko Ehrlich von MetaGenoPolis,
einer Forschungseinheit für Mikrobiomanalyse am INRAE, dem französischen
Forschungsinstitut für Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt. Stanislav
Dusko gehört zu den Forschenden, die 2013 in „Nature“ aufgedeckt haben,
dass die Menschen in den Industrieländern ihre mikrobielle Vielfalt im
Darm einbüßen.
„Außerdem muss man bei der Konzeption von Biomarker-Studien vorsichtig
sein“, sagt Forslund. „Wenn ein bestimmtes biologisches Merkmal, das
sich für die Diagnose oder Prognose einer Erkrankung eignen soll, nicht
wegen der Krankheit, sondern nur aufgrund der Behandlung existiert, ist
es womöglich kein guter Biomarker.“ Hier müsse man gut zwischen den
einzelnen Effekten unterscheiden. Dazu seien weitere computergestützte
Analysen erforderlich. „Die entsprechende Software entwickeln wir am MDC
permanent weiter“, sagt Forslund.
Folgestudien sollen die Ergebnisse validieren
„Wichtig sind nun Folgeuntersuchungen, die unsere Erkenntnisse über den
Einfluss von Medikamenten auf das Mikrobiom überprüfen“, sagt Forslund.
Um wirklich kausale und nicht nur zufällige Zusammenhänge zu erkennen,
seien unter anderem Studien hilfreich, bei denen einzelne
Probandengruppen über einen längeren Zeitraum hinweg beobachtet würden.
Ein Beispiel dafür ist die BeLOVE-Studie (Berlin Longterm Observation of
Vascular Events, auf Deutsch: Berliner Langzeitbeobachtung vaskulärer
Ereignisse), die derzeit Forschende der Charité – Universitätsmedizin
Berlin, des Berlin Institutes of Health (BIH) und des MDC, darunter auch
Sofia Forslund, gemeinsam durchführen. Dafür sollen insgesamt 10.000
Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen rekrutiert werden.
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC)
Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der
Helmholtz-Gemeinschaft gehört zu den international führenden
biomedizinischen Forschungszentren. Nobelpreisträger Max Delbrück,
geboren in Berlin, war ein Begründer der Molekularbiologie. An den
MDC-Standorten in Berlin-Buch und Mitte analysieren Forscher*innen aus
rund 60 Ländern das System Mensch – die Grundlagen des Lebens von seinen
kleinsten Bausteinen bis zu organübergreifenden Mechanismen. Wenn man
versteht, was das dynamische Gleichgewicht in der Zelle, einem Organ
oder im ganzen Körper steuert oder stört, kann man Krankheiten
vorbeugen, sie früh diagnostizieren und mit passgenauen Therapien
stoppen. Die Erkenntnisse der Grundlagenforschung sollen rasch
Patient*innen zugutekommen. Das MDC fördert daher Ausgründungen und
kooperiert in Netzwerken. Besonders eng sind die Partnerschaften mit der
Charité – Universitätsmedizin Berlin im gemeinsamen Experimental and
Clinical Research Center (ECRC ) und dem Berlin Institute of Health
(BIH) in der Charité sowie dem Deutschen Zentrum für
Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK). Am MDC arbeiten 1600 Menschen.
Finanziert wird das 1992 gegründete MDC zu 90 Prozent vom Bund und zu 10
Prozent vom Land Berlin.
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Dr. Sofia Forslund
Leiterin der AG Wirt-Mikrobiom-Faktoren in Herz-Kreislauferkrankungen
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
sofia.forslund@mdc-berlin.de
Jana Ehrhardt-Joswig
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft
Robert-Rössle-Str. 10
13125 Berlin
Deutschland
Berlin
E-Mail-Adresse:
jana.ehrhardt-joswig@mdc-berlin.de
Originalpublikation:
Sofia K. Forslund (2021):
Combinatorial, additive and dose-dependent drug microbiome associations,
in: Nature, DOI: 10.1038/s41586-021-04177-9
Weitere Informationen für international Medizin am Abend Berlin Beteiligte
http://mdc-berlin.de - Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC)
https://www.mdc-berlin.de/de/forslund - AG Forslund, Wirt-Mikrobiom Faktoren in Herz-Kreislauferkrankungen