Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Pathomechanismen bei Herz-Kreislauf-Erkrankung entdeckt
- Durch das größte Protein des menschlichen Körpers, Titin, können sich Muskeln elastisch bewegen.
Mutationen im Titin-Gen (TTN) können diese Funktion beeinträchtigen und zur Erkrankung des Herzmuskels führen.
Welche Pathomechanismen dahinterstecken – also warum TTN-Mutationen krankheitsauslösend sind – war bislang unklar.
Ein Experten-Team um Prof. Dr. Wolfgang Linke der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster untersuchte nun diese Pathomechanismen genauer und hat wegweisende Erkenntnisse gewonnen.
Herzgewebe einer an der dilatativen Kardiomyopathie erkrankten Person. Die Rotfärbung zeigt Titin, die Grünfärbung einen anderen Marker der kontraktilen Einheiten, die Blaufärbung die Zellkerne. Löcher deuten auf die beginnende Zerstörung des Gewebes hin. AG Linke
- Durch das größte Protein des menschlichen Körpers, Titin, können sich die Muskeln – und damit auch das Herz – elastisch bewegen.
Mutationen im Titin-Gen (TTN) können diese Funktion beeinträchtigen und sind damit eine häufige Ursache der sogenannten Dilatativen Kardiomyopathie, kurz DCM.
- Das ist eine Erkrankung des Herzmuskels, die zu einer schwachen Pumpfunktion führt.
Welche Pathomechanismen
dahinterstecken – also warum TTN-Mutationen krankheitsauslösend sind –
war bislang unklar. Ein Experten-Team um Prof. Dr. Wolfgang Linke,
Leiter des Instituts für Physiologie II der Westfälischen
Wilhelms-Universität (WWU) Münster, untersuchte nun diese
Pathomechanismen genauer und hat wegweisende Erkenntnisse gewonnen. Die
Ergebnisse sind nun in der Fachzeitschrift Science Translational
Medicine veröffentlicht.
„Die Ursachen von DCM sind vielfältig. Die häufigste ist allerdings die
TTN-Mutation“, sagt Projektleiter Wolfgang Linke. „Genau genommen geht
es um Verkürzungen im Titin-Gen, sogenannte Trunkationen, kurz TTNtv.“
Die Verkürzung im Molekül betrifft allerdings nur eins der beiden
TTN-Allele – also eine Genvariante – das andere Allel ist gesund. Klar
ist: Die TTNtv sind seit etwa einem Jahrzehnt als Auslöser der DCM
bekannt. Weshalb Patienten mit einem TTNtv-Allel an DCM erkranken,
konnten die Wissenschaftler nun beantworten.
Anhand von über 100 menschlichen Herzgewebsproben entdeckte die Gruppe
bislang unerkannte Pathomechanismen:
Die TTNtv-DCM-Patienten enthalten in ihren Herzmuskelzellen weniger normales Titin als DCM-Patienten ohne TTNtv und als herzgesunde Menschen.
Weniger Titin bedeutet weniger kontraktile – zum Zusammenziehen fähige – Einheiten.
Das Resultat ist eine verminderte Kraftentwicklung und ein schwächeres Herz.
„Das gesunde
Allel produziert zwar normales Titin, kann die Schwäche des verkürzten
Allels allerdings nicht kompensieren“, erklärt der Physiologe.
- Außerdem beobachteten sie erstmals, dass TTNtv-DCM-Patienten trunkierte Titinproteine enthalten.
Der Studienleiter erklärt: „Wir zeigen, dass
die trunkierten Proteine den Herzmuskelzellen nichts mehr nützen, da sie
nicht in die Sarkomere, die kleinsten kontraktilen Einheiten einer
Muskelzelle, eingebaut werden.“ Stattdessen sammeln sich die trunkierten
Proteine in intrazellulären Aggregaten, kleinen Partikeln innerhalb der
Zellen. „Ähnlich wie bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer
könnten diese verklumpten Proteine ‚giftig‘ sein.“
Eine weitere Erkenntnis: Die Herzmuskelzellen von TTNtv-DCM-Patienten
haben ein Problem mit den intrazellulären
Protein-Qualitätskontrollsystemen. Mutierte Proteine werden
normalerweise möglichst schnell von Zellen durch intrazelluläre
Abbausysteme beseitigt, durch die Produktion von trunkierten Proteinen
kommen diese Systeme jedoch durcheinander.
Wolfgang Linke ist hoch zufrieden: „Unsere Studie ist eine für das Feld wegweisende Arbeit“, betont der Titin-Experte.
Die Forschungsgruppe konnte nicht nur den Pathomechanismen näher auf den
Grund gehen, sondern anhand eines Modellsystems aus menschlichen
Zellkulturen auch Vorschläge machen, welche Maßnahmen bei
TTNtv-DCM-Patienten für eine erfolgreiche Behandlung oder sogar Heilung
der Krankheit ergriffen werden sollten.
„Wir zeigen an Zellkulturen,
dass die Genschere CRISP/Cas9 die Mutation wieder reparieren kann. Beim
Patienten müsste die Genschere an Ort und Stelle ansetzen, also genau an
der Herzmuskelzelle. Das ist in dieser Form noch nicht möglich – aber
wenn es möglich wird, kann es die Patienten heilen“, erklärt Wolfgang
Linke.
Die Studie entstand in enger Zusammenarbeit unter anderem mit der
Kardiologie der münsterschen Uniklinik, dem Herz- und Diabeteszentrum
Bad Oeynhausen und der Universitätsmedizin in Göttingen, wo Wolfgang
Linke eine Gastprofessur innehat. Unterstützt wurde die Arbeit durch
zwei Förderlinien der Medizinischen Fakultät Münster (IZKF und MedK),
die Deutsche Forschungsgemeinschaft und das Deutsche Zentrum für
Herz-Kreislaufforschung.
Titin-Forschungsgruppe: Studienleiter Prof. Wolfgang Linke (rechts)
und sein Team: Prof. Holger Reinecke, Lina Folsche, Franziska Koser,
Andreas Unger, Anna Hucke und Anastasia Hobbach (v.l.). privat
Prof. Dr. Wolfgang Linke
Instituts für Physiologie II, WWU Münster
Telefon: 0251 / 83-55328
E-Mail: wlinke@uni-muenster.de
Dr. Thomas Bauer Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Schlossplatz 2
48149 Münster
Deutschland
Nordrhein-Westfalen
Originalpublikation:
Andrey Fomin et al. (2021): Truncated titin proteins in dilated cardiomyopathy, Science Translational Medicine, 13, 618. Doi: 10.1126/scitranslmed.abd3079
Weitere Informationen für international Medizin am Abend Berlin Beteiligte
https://www.medizin.uni-muenster.de/physiologieii/das-institut.html Institut für Physiologie II
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