Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit:Nervenzell-Aktivität zeigt, wie sicher wir uns sind
Soll ich oder soll ich nicht?
- Aus der Aktivität einzelner Nervenzellen im Gehirn lässt sich ablesen, wie sicher wir bei einer Entscheidung sind.
Das zeigt eine aktuelle Studie von Wissenschaftlern der Universität Bonn.
Das Ergebnis ist unerwartet – eigentlich waren die Forscher einem ganz anderen Bewertungs-Mechanismus auf der Spur.
Die Resultate sind in der Fachzeitschrift Current Biology erschienen.
Prof. Dr. Dr. Florian Mormann von der Bonner Uniklinik für Epileptologie. © Rolf Müller/UKB
Sie sitzen im Café und möchten zu Ihrem Cappuccino auch noch ein
Stück Kuchen genießen. Die Schwarzwälder Kirschtorte ist Ihnen zu
mächtig und scheidet daher schnell aus. Die Wahl zwischen dem
Karottenkuchen und dem Rhabarber-Streusel fällt Ihnen dagegen erheblich
schwerer: Das warme Wetter spricht für das erfrischende Obstteilchen.
Karottenkuchen ist jedoch einer Ihrer All-Time-Favorites. Was also tun?
Wir müssen tagtäglich Entscheidungen treffen, und bei manchen von ihnen
sind wir viel sicherer als bei anderen. Die Forscher am
Universitätsklinikum Bonn haben nun Nervenzellen im Gehirn
identifiziert, an deren Aktivität sich die Entscheidungs-Sicherheit
ablesen lässt. An ihrem Experiment nahmen insgesamt zwölf Frauen und
Männer Teil. „Wir zeigten ihnen Fotos zweier verschiedener Snacks, zum
Beispiel von einem Schokoriegel und einer Tüte Chips“, erklärt Prof. Dr.
Dr. Florian Mormann von der Klinik für Epileptologie. „Sie sollten dann
mit Hilfe eines Schiebereglers angeben, welche dieser Alternativen sie
lieber essen würden.“ Je stärker sie den Regler dabei aus seiner
Mittelposition in Richtung des linken oder des rechten Fotos verschoben,
desto sicherer waren sie in ihrer Entscheidung.
Feuerrate und Sicherheit hängen zusammen
Insgesamt 190 verschiedene Snack-Paare mussten die Teilnehmer so
beurteilen. Gleichzeitig zeichneten die Wissenschaftler die Aktivität
von jeweils 830 Nervenzellen im so genannten Schläfenlappen auf, einer
Region unterhalb der Schläfe in der Hirnrinde. „Dabei stellten wir fest,
dass sich die Frequenz der elektrischen Pulse bei manchen Neuronen –
also ihre 'Feuerrate' – mit steigender Entscheidungs-Sicherheit
änderte“, erklärt Mormanns Mitarbeiter Alexander Unruh-Pinheiro.
„Einige
feuerten zum Beispiel umso häufiger, je sicherer die jeweilige
Versuchsperson in ihrer Entscheidung war.“
Es ist das erste Mal, dass ein solcher Zusammenhang zwischen Aktivität
und Entscheidungssicherheit gefunden wurde.
Die betroffenen Neurone befinden sich in einer Hirnregion, die unter anderem bei Gedächtnis-Vorgängen eine Rolle spielt.
„Möglicherweise ist es so, dass wir nicht nur abspeichern, welche Entscheidung wir getroffen haben, sondern auch, wie sicher wir dabei waren“, spekuliert Mormann.
„Vielleicht bewahrt uns ein solcher Lernvorgang vor künftigen
Fehlentscheidungen.“
Normalerweise verbietet es sich aus ethischen Gründen, den Zustand
einzelner Neuronen in lebenden Menschen zu untersuchen.
Die Teilnehmer der Studie litten jedoch unter einer schweren Variante der Epilepsie.
Die charakteristischen Krampfanfälle nehmen bei dieser Form der Krankheit stets vom selben Hirnbereich ihren Ausgang.
Eine Therapiemöglichkeit ist es daher, diesen Epilepsie-Herd operativ zu entfernen.
Um die defekte Stelle genau zu lokalisieren, pflanzen die Ärzte an der Klinik für Epileptologie den Patienten mehrere Elektroden ein.
Diese sind über das gesamte potenziell betroffene Gebiet verteilt.
Gleichzeitig erlauben sie auch einen Einblick in die Arbeitsweise einzelner Nervenzellen im Gehirn.
Mit ultrafeinen Elektroden, die in den Schläfenlappen Epilepsiekranker implantiert werden, können die Forscher die Aktivität einzelner Nervenzellen sichtbar machen. © Christian Burkert
Ursprünglich waren die Forscher der Universität Bonn auf der Suche nach einem ganz anderen Phänomen:
Wenn wir eine Entscheidung treffen, weisen wir jeder der Alternativen einen subjektiven Wert zu.
„Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass sich auch diese subjektive Wertigkeit in der Aktivität einzelner Neuronen widerspiegelt“, sagt Mormann.
„Dass wir stattdessen aber auf diesen Zusammenhang zwischen Feuerverhalten und Entscheidungssicherheit gestoßen sind, hat uns selber überrascht.“
Prof. Dr. Dr. Florian Mormann
Klinik für Epileptologie
Universitätsklinikum Bonn
Tel. 0228/28715738
E-Mail: florian.mormann@ukbonn.de
Poppelsdorfer Allee 49
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Fax: 0228 / 73-7451
E-Mail-Adresse: j.seiler@uni-bonn.de
Originalpublikation:
Alexander Unruh-Pinheiro, Michael R. Hill, Bernd Weber, Jan Boström, Christian E. Elger, Florian Mormann: Single Neuron Correlates of Decision Confidence in the Human Medial Temporal Lobe. Current Biology; dx.doi.org/10.1016/j.cub.2020.09.021
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