Medizin am Abend Berlin Fazit: Studie zeigt, wie das Gehirn in den Merkmodus schaltet
Forscher aus Deutschland und den USA haben einen wichtigen Mechanismus identifiziert, mit dem das Gedächtnis vom Erinnerungs- in den Merkmodus umschaltet.
Die Studie wirft möglicherweise auch ein neues Licht auf die zellulären Ursachen von Demenzerkrankungen.
Die Arbeit stand unter Federführung der Universität Bonn und des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). Sie erscheint im renommierten Fachblatt „Neuron“.
Bei neuen Eindrücken geben bestimmte Nervenzellen über ihre Fortsätze (im Bild grün) Acetylcholin in den Hippocampus ab. Die Astrocyten (rot) setzen den Botenstoff Glutamat frei. (c) Foto: Milan Pabst & Oliver Braganza/Uni Bonn
Die Schaltzentrale des Gedächtnisses trägt aufgrund ihrer Form den poetischen Namen „Hippocampus“, zu Deutsch „Seepferdchen“.
- In dieser Gehirnregion gehen ständig neue Sinneseindrücke ein, die gespeichert werden sollen. Gleichzeitig ist der Hippocampus aber auch der Wächter über die Erinnerungen:
- Er ruft bereits gespeicherte Informationen aus den Tiefen des Gedächtnisses ab.
Der Hippocampus ist also ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt.
Und wie in
einer Großstadt zur rush hour bedarf es auch hier einer ordnenden Hand,
um die gegenläufigen Informationsströme zu lenken. Die Forscher aus
Bonn, Los Angeles und Palo Alto haben nun einen solchen
Verkehrspolizisten im Gedächtnis identifiziert:
Bestimmte Zellen im
Gehirn, die hippocampalen Astrozyten, sorgen dafür, dass die neuen
Informationen Vorfahrt bekommen.
Das Gedächtnis schaltet also in den
Merkmodus; die bereits gespeicherten Erinnerungen müssen dagegen warten.
Die Astrozyten sind aber selbst lediglich Befehlsempfänger:
Die Astrozyten sind aber selbst lediglich Befehlsempfänger:
Sie
reagieren auf den Nervenbotenstoff Acetylcholin.
Dieser wird vor allem
in neuen Situationen freigesetzt.
Seit einigen Jahren schon ist bekannt,
dass Acetylcholin das Speichern neuer Informationen befördert.
Auf
welche Weise dies geschieht, war bislang erst teilweise bekannt.
„Wir
konnten in unserer Arbeit erstmals zeigen, dass Acetylcholin Astrozyten
anregt, die daraufhin ihrerseits den Botenstoff Glutamat freisetzen
können“, erklärt Milan Pabst, der am Labor für experimentelle
Epileptologie der Universität Bonn promoviert.
„Das Glutamat aktiviert
dann bestimmte Nervenzellen, die das Abrufen von Erinnerungen hemmen.“
Die Forscher um den Epileptologen Prof. Dr. Heinz Beck haben Nervenzellen genetisch so verändert, dass sie durch Licht aktiviert werden konnten und dann Acetylcholin freisetzten.
Die Forscher um den Epileptologen Prof. Dr. Heinz Beck haben Nervenzellen genetisch so verändert, dass sie durch Licht aktiviert werden konnten und dann Acetylcholin freisetzten.
Mit diesem Trick
konnten sie den Mechanismus in Hirnschnittpräparaten aufklären. „Wir
haben in unserer Arbeit aber ebenfalls nachgewiesen, dass im Gehirn
lebender Mäuse Acetylcholin den gleichen Effekt auf die Aktivität der
Neurone hat“, erläutert Pabsts Kollege Dr. Holger Dannenberg.
Astrozyten wurden lange Zeit unterschätzt
Interessant ist dieses Ergebnis auch deshalb, weil Astrozyten selbst gar keine Nervenzellen sind.
Astrozyten wurden lange Zeit unterschätzt
Interessant ist dieses Ergebnis auch deshalb, weil Astrozyten selbst gar keine Nervenzellen sind.
Sie zählen zu den so genannten Gliazellen.
Diese galten noch bis zur Jahrtausendwende als tumbe Toren – lediglich
dazu da, den eigentlichen Stars des Gehirns, den Neuronen, mechanischen
Halt zu geben.
In den letzten Jahrzehnten hat sich mehr und mehr herauskristallisiert, dass dieses Bild bei Weitem nicht korrekt ist.
In den letzten Jahrzehnten hat sich mehr und mehr herauskristallisiert, dass dieses Bild bei Weitem nicht korrekt ist.
- So weiß man inzwischen, dass Astrozyten Neurotransmitter – also die Botenstoffe, über die sich Neuronen miteinander austauschen – ausschütten oder auch aus dem Gehirn entfernen können.
„Dass die Astrocyten über den nun entdeckten
Mechanismus in zentrale Gedächtnis-Prozesse eingebunden sind, war aber
bislang unbekannt“, erklärt Prof. Beck. In diesen Zusammenhang passt
allerdings eine Beobachtung von US-Wissenschaftlern aus dem Jahr 2014:
Wenn die Funktion von Astrozyten gehemmt wird, wirkt sich das demnach
negativ auf die Wiedererkennung von Objekten aus.
Möglicherweise werfen die Ergebnisse auch ein neues Licht auf die zellulären Ursachen von Gedächtnisstörungen.
Möglicherweise werfen die Ergebnisse auch ein neues Licht auf die zellulären Ursachen von Gedächtnisstörungen.
- So gibt es Hinweise darauf, dass die kontrollierte Ausschüttung von Acetylcholin bei Patienten mit Alzheimer-Demenz gestört ist.
„Ob der von uns entdeckte Mechanismus
ebenfalls beeinträchtigt ist, haben wir allerdings nicht untersucht“,
betont Pabst.
Publikation: Milan Pabst, Oliver Braganza, Holger Dannenberg, Wen Hu, Leonie Pothmann, Jurij Rosen, Istvan Mody, Karen van Loo, Karl Deisseroth, Albert Becker, Susanne Schoch, Heinz Beck: Astrocyte intermediaries of septal cholinergic modulation in the hippocampus; Neuron, DOI: 10.1016/j.neuron.2016.04.003
Publikation: Milan Pabst, Oliver Braganza, Holger Dannenberg, Wen Hu, Leonie Pothmann, Jurij Rosen, Istvan Mody, Karen van Loo, Karl Deisseroth, Albert Becker, Susanne Schoch, Heinz Beck: Astrocyte intermediaries of septal cholinergic modulation in the hippocampus; Neuron, DOI: 10.1016/j.neuron.2016.04.003
Milan Pabst vom Labor für Experimentelle Epileptologie der Universität Bonn. © Foto: Barbara Frommann/Uni Bonn
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www.medizin-am-abend.blogspot.com
ber Google: Medizin am Abend Berlin
Prof. Dr. Heinz Beck
Labor für Experimentelle Epileptologie, Universität Bonn
& Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)
Tel. 0228/6885270
E-Mail: heinz.beck@ukb.uni-bonn.de
Milan Pabst
Labor für Experimentelle Epileptologie
AG Beck & Neuronal Networks in Health & Disease,
AG Mody, Universität Bonn
Tel. 0228/6885332
E-Mail: pabst@uni-bonn.de
Johannes Seiler Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
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