Medizin am Abend Berlin - MaAB-Fazit: Tumorhemmende Wechselwirkung an der Zellmembran: Glucocorticoid-Rezeptor und RAS-Onkogen bremsen Krebsentstehung aus
In nicht-kleinzelligen Lungentumoren oder anderen Krebsarten findet sich oftmals das Onkogen RAS.
Dieses „Krebs-Gen“ befeuert das Tumorwachstum und lässt sich bislang nicht gezielt ausschalten.
Doch nun haben Forschende der Universität Ulm eine neue Funktion des so genannten Glucocorticoid-Rezeptors entdeckt:
Im Zusammenspiel mit RAS-Proteinen auf der zytoplasmatischen Seite der Zellmembran kann der Rezeptor das Tumorwachstum ausbremsen.
Der Weg zu konkreten therapeutischen Ansätzen ist noch weit, doch schon jetzt hat es die Studie auf den Titel des Fachjournals „Science Signaling“ geschafft.
Die Ulmer Seniorautoren (v.l.): Dr. Ion Cirstea und Prof. Jan Tuckermann, Elvira Eberhardt Universität Ulm
- So genannte Onkogene („Krebs-Gene“) können zu unkontrollierter Zellteilung und Tumorwachstum führen.
- Bei rund einem Drittel der menschlichen Krebserkrankungen spielt das Onkogen RAS (rat sarcoma) eine Rolle – insbesondere bei Lungen-, Pankreas- und Darmtumoren.
Obwohl RAS bereits Anfang der 1980-er Jahre entdeckt wurde, gibt es bislang keine zielgerichteten Therapien.
- Unabhängig vom beteiligten Onkogen werden oftmals Glucocorticoide, also Cortisol-Analoge, in der Krebs-Behandlung eingesetzt.
Diese wirken über den Glucocorticoid-Rezeptor (GR) der Zelle.
Nach der Bindung des Wirkstoffs wandert der Rezeptor in den
Zellkern und reguliert dort die Genexpression. Was der
Glucocorticoid-Rezeptor jedoch außerhalb des Zellkerns bewirkt, ist
weitgehend unbekannt. „Auf der zytoplasmatischen Seite der Zellmembran
befinden sich RAS-Proteine. Daher haben wir die Hypothese aufgestellt,
dass der Glucocorticoid-Rezeptor außerhalb des Zellkernes mit diesen
Proteinen wechselwirkt und ihre Aktivität hemmt“, erklärt Dr. Ion
Cirstea, Wissenschaftler an der Universität Ulm und einer der
Seniorautoren der nun erschienenen Studie.
Um ihre Annahme zu überprüfen, haben die Forschenden aus Ulm, Düsseldorf
und Wien ein zweistufiges Studiendesign gewählt. Bei Zellen aus dem
Mausmodell entfernten sie zunächst den Glucocorticoid-Rezeptor mithilfe
der Genschere CRISPR-Cas9 oder durch Gen-Knockout. Somit konnten die
Aktivitäten des Onkogens RAS unbeeinflusst vom Rezeptor untersucht
werden. Inwiefern steuert RAS das Zellteilungsverhalten und somit das
Tumorwachstum? Solchen Fragen sind die Forschenden unter anderem
mithilfe von Durchflusszytometrie und Phosphorylierungsnachweis von
Signalmolekülen, Genexpressionsanalyen und Immunofluoreszenz-Mikroskopie
nachgegangen. In der zweiten Stufe untersuchten sie anhand von
Lungenkarzinom-Zellen mit RAS-Mutation, ob diese noch Tumore im Modell
bilden können, wenn der Glucocorticoid-Rezeptor fehlt.
In ihrer aktuellen Publikation beschreiben die Autorinnen und Autoren
gleich mehrere interessante Entdeckungen:
Außerhalb des Zellkerns, im Zytoplasma, befinden sich sowohl der Glucocorticoid-Rezeptor als auch das Onkogen RAS und weitere Moleküle in größeren Proteinkomplexen.
Ist
der Rezeptor bereits in den Zellkern gewandert oder wurde er mit
molekularbiologischen Methoden entfernt, waren das „Krebs-Gen“ und seine
Signalwege deutlich aktiver. Im Umkehrschluss scheint der
Glucocorticoid-Rezeptor RAS ausbremsen zu können. „Mit unseren
Untersuchungen konnten wir die Hypothese vorerst bestätigen:
RAS-Proteine stehen tatsächlich in Wechselwirkung mit dem
Glucocorticoid-Rezeptor, und dieses Zusammenspiel kann offenbar die
Aktivität von RAS als Tumortreiber verringern“, resümiert die
Erstautorin, Dr. Bozhena Caratti, die an der Universität Ulm promoviert
hat.
Soweit die Forschenden wissen, handelt es sich um die weltweit erste
Studie zur tumorhemmenden Wechselwirkung des RAS-Onkogens mit einem
Rezeptor in einem Proteinkomplex.
„Gelingt es, das Zusammenspiel zwischen RAS und Glucocorticoid-Rezeptor zu verstärken, könnte dies der Entstehung von Lungenkrebs vorbeugen“, erklärt Professor Jan Tuckermann, Leiter des Ulmer Instituts für Molekulare Endokrinologie der Tiere.
Allerdings müssten zunächst die Wechselwirkungen des Glucocorticoid-Rezeptors mit RAS und der Proteinkomplex weiter charakterisiert werden. Erst dann kann über konkretere therapeutische Ansätze oder präklinische Studien nachgedacht werden.
Ansonsten könnten sich die Forschungsergebnisse durchaus auf den
Menschen übertragen lassen: „Datenbank-Analysen zu Patientinnen und
Patienten mit Lungenkarzinomen zeigen, dass ein herunterregulierter
Glucocorticoid-Rezeptor mit einer schlechteren Prognose verbunden ist“,
ergänzt Dr. Herwig Moll von der Medizinischen Universität Wien.
Die Forschenden von der Universität Ulm und vom Institut für
Lasertechnologien in der Medizin und Messtechnik an der Universität Ulm
(ILM) haben mit Kolleginnen und Kollegen der Medizinischen Universität
Wien und von der Universität Düsseldorf zusammengearbeitet. Unterstützt
wurden sie vor allem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und
der Deutschen Krebshilfe. Darüber hinaus ist Dr. Ion Cirstea
Gründungsmitglied des „German Network for RASopathy Research“, das vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird.
Die Publikation ist Titelthema der aktuellen Ausgabe des Fachjournals "Science Signaling".
Prof. Dr. Jan Tuckermann: Tel.: 0731/50-32600, jan.tuckermann@uni-ulm.de
Dr. Ion Cirstea: Tel.: 0731/50-32630, ion.cirstea@uni-ulm.de
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Originalpublikation:
Bozhena Caratti, Miray Fidan, Giorgio Caratti, Kristina Breitenecker, Melanie Engler, Naser Kazemitash, Rebecca Traut, Rainer Wittig, Emilio Casanova, Mohammad Reza Ahmadian, Jan P. Tuckermann, Herwig P. Moll, Ion Cristian Cirstea: The glucocorticoid receptor associates with RAS complexes to inhibit cell proliferation and tumor growth. Science Signaling, 22 March 2022, Vol. 15, Issue 726, DOI: 10.1126/scisignal.abm4452
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